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Der aus Neuss stammende Anton Erkelenz engagierte sich zunächst in der liberalen Gewerkschaftsbewegung, deren Reform er betrieb, und gehörte als Parlamentarier und Vorstandsmitglied in den 1920er Jahren zu den führenden Persönlichkeiten des Linksliberalismus, bis er 1930 zur Sozialdemokratie überwechselte.
Als Sohn eines gleichnamigen Schlossermeisters (1850-1910) und dessen Ehefrau Agnes, geborene Holter (1852-1910) wurde Anton Erkelenz am 10.10.1878 in Neuss geboren. Die Familie war katholisch und seit längerem dort ansässig. Der Sohn absolvierte in seiner Heimatstadt die Volksschule und machte anschließend eine Lehre als Dreher und Schlosser im väterlichen Betrieb. Bei ersten beruflichen Erfahrungen außerhalb davon kam er in Kontakt mit den Hirsch-Dunckerschen-Gewerkvereinen, einer 1868 unter (links-)liberalen Auspizien gegründeten Gewerkschaftsbewegung. Die Hirsch-Dunckerschen-Gewerkvereine waren zum Zeitpunkt des Eintritts von Erkelenz im Jahr 1897 zwar viel kleiner als die christlichen oder gar die sozialistischen Gewerkschaften, besaßen aber im Rheinland einen vor allem von Maschinenbauern und Metallarbeitern gestützten rührigen Ableger, der sich vornehmlich um die auch von Erkelenz besuchte Düsseldorfer „Wirtschaftsschule“, eine berufliche Fortbildungsinstitution, gruppierte.
Unter dem Namen „Düsseldorfer Opposition“ wurde dieser Ableger der Gewerkvereine zu einem Sammelpunkt von Kritikern der eigenen Gewerkschaftsführung, die sich vor allem gegen den langjährigen Führer und Namensgeber der Gewerkvereine, Max Hirsch (1832-1905), richteten. Hirsch vertrat unter anderem als linksliberaler Parlamentarier einen in erster Linie auf Selbsthilfe und innerbetriebliche Verständigung ausgerichteten, im Wesentlichen klassisch liberal angelegten Kurs in der Sozialpolitik, der sowohl Streiks als auch staatliche Sozialversicherungen ablehnte. Vor allem letzteres kritisierte die „Düsseldorfer Opposition“, an deren Spitze Erkelenz schnell rückte.
Mit dem vorläufigen Ausscheiden aus der väterlichen Schlosserei wurde er 1902 hauptamtlicher Arbeitersekretär der Gewerkvereine in Düsseldorf und trieb dabei den Konflikt mit der Berliner Führung voran, unter anderem durch Überlegungen für eine eigene liberale Arbeiterpartei nach Vorbild der britischen Labour Party. Die deutsche Sozialdemokratie lehnte Erkelenz zu diesem Zeitpunkt als zu marxistisch und zu internationalistisch ab. Sein Oppositionskurs führte zu einem zeitweiligen Ausschluss aus dem Gesamtverband der Gewerkvereine, währenddessen er jedoch seine regionale Gewerkschaftsarbeit fortsetzte.
Erkelenz machte allerdings ähnliche Erfahrungen wie im Jahrzehnt zuvor Friedrich Naumann (1860-1919) mit seinem „Nationalsozialen Verein“: Das Experiment der Gründung einer auf die Arbeiterschaft ausgerichteten Partei zwischen (Links-)Liberalismus und Sozialdemokratie scheiterte noch rascher schon an der Frage eines Parteiorgans, weshalb Erkelenz „a surprisingly naive and unrealistic view of national politics in Wilhelmine Germany“ (R. W. Brantz) konstatiert worden ist. 1904 schloss er sich der kleinen linksliberalen „Freisinnigen Vereinigung“ an, in die ein Jahr vorher Naumann seinen „Nationalsozialen Verein“ überführt hatte. Letzterer galt fortan Erkelenz als Vorbild, worauf er sich in der Weimarer Republik immer wieder berufen sollte.
Mit dem Parteieintritt war der Weg für eine hauptamtliche Karriere frei. Nach einem Studienjahr an der Frankfurter „Wirtschaftsakademie“ wechselte Erkelenz 1907 in die Berliner Zentrale der Gewerkvereine und verließ damit das Rheinland auf Dauer. Auch innerhalb der Parteihierarchie stieg er als „Arbeitervertreter“ auf, wurde 1908 Mitglied im Vorstand der „Freisinnigen Vereinigung“ und 1913 ebenfalls in ihrer Nachfolgeorganisation, der „Fortschrittlichen Volkspartei“.
Im Gegensatz zu Naumann, dessen Reformbemühungen auf eine innerparteiliche Konsolidierung und strategische Neuausrichtung des Linksliberalismus hinausliefen und dabei bis 1914 durchaus Fortschritte erzielten, blieben die Bestrebungen von Erkelenz, Teile der Arbeiterschaft von der Sozialdemokratie zu lösen und den Linksliberalen zuzuführen, insgesamt eher folgenlos. Weder gelang es, die Stagnation bei den Mitgliederzahlen der Hirsch-Dunckerschen-Gewerkvereine zu überwinden noch änderten sich die liberalen Parteien in ihrer bürgerlichen Grundstruktur. Dass sie wenig Anziehungskraft auf unterbürgerliche Wähler ausübten, musste Erkelenz selbst 1907 und 1912 bei seinen Kandidaturen für den Reichstag erfahren, einerseits als reiner „Zählkandidat“ in Zentrums-Hochburgen wie dem heimatlichen Düsseldorf und dem Wahlkreis Lippstadt-Brilon. Aber auch in Gießen-Nidda blieb er als gesamtliberaler Kandidat mit gut einem Viertel der Stimmen hinter Antisemiten und Sozialdemokraten zurück.
Zu Kriegsbeginn 1914 wurde Erkelenz, der 1896−1898 seinen Militärdienst in der wegen das „Zabern-Zwischenfalls“ dann berüchtigt gewordenen elsässischen Garnison absolviert hatte, eingezogen. Bis 1917 stand er als Infanterist bei verschiedenen Einsätzen an der West- und Ostfront. Er avancierte zwar nur zum Gefreiten, erhielt aber das Eiserne Kreuz 2. Klasse. Für den Betrieb des inzwischen verstorbenen Vaters als unabkömmlich gestellt, kehrte er kurzzeitig nach Neuss zurück. Bei Kriegsende trat er zunächst in den örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat ein und schloss sich dann wie die meisten Linksliberalen des Kaiserreichs umgehend der neugegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) an.
In deren Düsseldorfer Kreisverband verfügte Erkelenz aufgrund seiner alten Gewerkvereinsverbindungen und seiner vergleichsweise fortschrittlichen Position in der Frauenfrage über gute Startbedingungen und konnte deshalb Anfang 1919 an der Spitze der Liste im Wahlkreis Düsseldorf-Ost für die Nationalversammlung kandidieren. Dank des nun geltenden Verhältniswahlrechts erlangte er auch ein Mandat. In Weimar, von wo aus er ausführlich in den „Düsseldorfer Nachrichten“ berichtete, war er sozialpolitischer Sprecher seiner Fraktion mit einem Schwerpunkt auf der Frage der Betriebsräte, denen er „das Mitbestimmungsrecht in den Betrieben und das Recht der sozialen Selbstbestimmung“, aber keine darüber hinausgehenden Kompetenzen in der Betriebsführung oder gar allgemeinpolitischer Art zugestehen wollte. Auch gegen umfassende Sozialisierungen sprach er sich aus. Beim Versailler Vertrag folgte er trotz Bedenken der Fraktionsmehrheit und stimmte gegen seine Annahme.
Fortan galt Erkelenz als Führer des linken Flügels in Partei und Fraktion. Trotz der massiven Stimmenverluste der DDP wurde er im Juni 1920 in seinem Düsseldorfer Wahlkreis wiedergewählt, war nun aber dauerhaft der einzige direkt im Rheinland gewählte Abgeordnete seiner Partei. Für rheinische Belange setzte er sich als Parlamentarier durchaus ein, unter anderem bei seiner Stellungnahme zum Abbruch des passiven Widerstandes gegen die Besetzung im November 1923, wobei er eine nicht unkritische Unterstützung des Kurses von Kanzler Gustav Stresemann (1878-1929) ankündigte, zugleich separatistische Bestrebungen und Überlegungen heftig kritisierte.
Seit 1921 gehörte Erkelenz als Vorsitzender des Vorstandes zum engsten Führungskreis der DDP. Diese nach außen eindrucksvolle Position war allerdings zum einem dem eigentlichen Parteivorsitzenden, nominell „Vorsitzender des Parteiausschusses“, zunächst Carl Petersen (1868-1939) und dann ab 1924 Erich Koch-Weser (1875-1944), nachgeordnet, zumal es mit der Reichstagsfraktion ein weiteres innerparteiliches Kraftzentrum gab. Darüber hinaus wurde Erkelenz mit dem Kölner Bankier Hermann Fischer (1873-1940) als Stellvertreter ein Pendant des Wirtschaftsflügels der Partei beigegeben.
Dennoch nahm Erkelenz Mitte der 1920er Jahre unter anderem als Mitherausgeber der einflussreichen, von Naumann gegründeten Zeitschrift „Die Hilfe“ und als zentraler Redner auf Parteitagen eine herausgehobene Stellung ein. 1928 fungierte er als Herausgeber der umfangreichen Festschrift, die die DDP zum 10. Jahrestag der Republikgründung publizierte.
Auch bei dieser Gelegenheit äußerte er sich zum Thema Sozialpolitik, welche nach wie vor eines der Hauptthemen seiner Reden und Publizistik war. Die kritische Sicht auf die staatliche Sozialpolitik behielt er bei, die für ihn aus einem antidemokratischen Instrument des Obrigkeitsstaates hervorgegangen war. Um „einen brauchbaren Mittelweg zwischen dem starren System der gesetzlichen und dem unstarren System der gänzlich freien Vereinbarung“ zu gehen, forderte Erkelenz in diesem Zusammenhang höhere Löhne und gesetzliche Rahmenbedingungen für die friedliche Beilegung von Arbeitskonflikten.
Ein anderes zentrales Thema seines politischen Wirkens war die Organisationsreform seiner Partei. Allerdings blieb er hier ein Rufer in der Wüste, der den vor allem am Stimmenrückgang ablesbaren Niedergang der DDP nicht aufhalten konnte. Vielmehr wurde er selbst ein Opfer davon und konnte 1928 sein Reichstagsmandat nur über ein Ausweichen auf die sogenannte „Reichsliste“ für sich erhalten, weil die Wahl in seinem Wahlkreis unmöglich schien.
Kurz danach ereilte Erkelenz eine schwere psychische Erkrankung, die ihn politisch weitgehend lahmlegte. In seiner letzten Legislaturperiode trat er nicht mehr im Reichstagsplenum auf. Diese Situation nutzte der Parteivorsitzende Koch-Weser, um 1929 den speziellen Vorstandsposten von Erkelenz abzuschaffen und ihn nun auch nominell zu seinem Vertreter zu machen.
In seinem Einfluss stark beschnitten musste Erkelenz mehr oder minder ohnmächtig den Versuchen von Koch-Weser zusehen, die DDP durch Fusion mit anderen Organisationen zu stabilisieren. Die zunächst angestrebte Annäherung an Gustav Stresemanns nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP), die schon 1918 gescheitert war und die Erkelenz immer bekämpft hatte, kam zwar nicht zustande, stattdessen aber Ende Juli 1930 ein – kurzzeitiges – Zusammengehen mit dem rechtslastigen Jungdeutschen Orden.
Erkelenz nahm dies zum Anlass, seinen Austritt aus der DDP und Eintritt in die SPD zu erklären. Der von ihm erwartete Exodus von seiner alten in seine neue Partei erfolgte jedoch nicht. Auch unter den Sozialdemokraten blieb er weitgehend isoliert: Seine sich nun auf den englischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883-1946) berufenden wirtschaftspolitischen Vorstellungen waren mit dem antiinflationären Kurs, mit dem die SPD faktisch die Regierung von Kanzler Heinrich Brüning (1885-1970) unterstützte, nicht vereinbar. Eine beabsichtigte Kandidatur zum preußischen Landtag scheiterte an seinem Gesundheitszustand.
Mehr Kontakt hielt er auch nach 1933 zu alten politischen Gefährten aus der DDP, wo er nochmals stark für die Republik Stellung nahm. Insgesamt führte er schließlich ein zurückgezogenes Leben in Berlin-Zehlendorf, wo er zwar von der Gestapo überwacht, aber nicht behelligt wurde. Nachdem seine Frau Charlotte, geborene Gerlach (1883-1943), mit der er seit 1928 verheiratet war und einen Sohn hatte, bereits verstorben war, kam Erkelenz selbst im Zuge der sowjetischen Besetzung Berlins Ende April 1945 ums Leben, als er seine Haushälterin schützen wollte. Sein Grab auf dem Friedhof in Zehlendorf ist erhalten, sein Nachlass befindet sich im Bundesarchiv Koblenz.
Unter den rheinischen Liberalen war Anton Erkelenz mit seiner katholisch-kleinbürgerlicher Herkunft und seiner dezidiert pro-republikanischen Einstellung sicher eine Ausnahmegestalt. Nicht von ungefähr saß er als liberaler Gewerkschafter und Vertreter von Arbeitnehmerinteressen politisch häufig zwischen den Stühlen: Für Liberale eher zu sozial, für Sozialdemokraten zu national und kapitalismusfreundlich eingestellt. Dies ermöglichte ihm zwar eine Karriere im Linksliberalismus, gewissermaßen als „Aushängeschild“, aber entscheidenden Einfluss auf den Parteikurs konnte er auch auf seinem politischen Zenit Mitte der 1920er nicht nehmen. Zweifellos jedoch gehört Erkelenz zu den bedeutendsten Vertretern einer sozial-liberalen Tradition in Deutschland. Seinem Arbeiter-Katechismus stellte er bezeichnenderweise 1908 das Motto „Vaterland, Freiheit, Sozialreform“ voran.
Schriften (Auswahl)
Arbeiter-Katechismus. Eine Erklärung des Programms der freiheitlich-nationalen Arbeiterschaft, Berlin-Schöneberg 1908.
Gegen die Versteinerung der deutschen Sozialpolitik, Berlin [1922].
Junge Demokratie. Reden und Schriften politischen Inhalts, Berlin 1925.
Demokratie und Parteiorganisation, Berlin [1925].
Amerika heute. Briefe einer Reise, Berlin [1926].
Moderne Sozialpolitik, Berlin 1926.
(Hg.) 10 Jahre deutsche Republik - Ein Handbuch für republikanische Politik, Berlin 1928.
Kritik an der deutschen Sozialpolitik, Berlin [1928].
Der Abbauwahn. Gegen Deflation, gegen Inflation, für Stabilität, Berlin 1932.
Der Rattenfänger von Braunau, [1933]. [Online]
[Artikel] Max Hirsch In: Encyclopaedia Judaica,Bd. 8, 1931, S. 769-770. [Online]
Literatur
Branzt, Rennie William, The Question of Reform, the ‚Düsseldorf Opposition‘ and Anton Erkelenz in the Hirsch-Duncker Trade Unions, 1900-1914, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 14 (1978), S. 295-311.
Büttner, Ursula, "Deflation führt zur Revolution". Anton Erkelenz' vergeblicher Kampf für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel und die Rettung der Demokratie in der Ära Brüning, in: Hering, Rainer/ Nicolaysen Rainer (Hg.), Lebendige Sozialgeschichte. Gedenkschrift für Peter Borowsky, Wiesbaden 2003, S. 365-383.
Hansen, Eckard/Tennstedt Florian (Hg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1871 bis 1945, Band 2, Kassel 2018, S. 45-46.
Kellmann, Axel, Anton Erkelenz. Ein Sozialliberaler im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Berlin 2007.
Kellmann, Katharina, Anton Erkelenz (1878-1945). Als Sozialliberaler zur SPD, in: Lehnert, Detlef (Hg.), Vom Linksliberalismus zur Sozialdemokratie. Politische Lebenswege in historischen Richtungskonflikten 1890-1945, Köln [u.a.] 2015, S. 263-289.
Lüders, Marie Elisabeth/Grebing, Helga, Erkelenz, Anton, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 591.
Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Band 1, Berlin 1930, S. 398.
Stalmann, Volker, Rheinische Linksliberale in der Weimarer Republik: Bernard Falk und Anton Erkelenz, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 30 (2018), S. 177-199.
Stephan, Werner, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus 1918-1933, Göttingen 1973
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Frölich, Jürgen, Anton Erkelenz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/anton-erkelenz-/DE-2086/lido/622f1908a70d88.33146360 (abgerufen am 05.12.2024)