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Anton Raaff war ein berühmter und geschätzter Tenor, der im 18. Jahrhundert zu den Großen seiner Zunft zählte. Engagiert war er an allen großen europäischen Bühnen seiner Zeit. Nicht nur wegen seiner fantastischen Stimme, sondern auch als väterlicher Freund von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) ging er in die Musikgeschichte ein.
Anton Raaffs später von Legenden umwobenes Leben begann in Gelsdorf (heute Gemeinde Grafschaft), Hauptort der gleichnamigen kleinen Herrschaft im Herzogtum Jülich, die 1737 Reichsherrschaft wurde. Dort wurde Raaff am 6.5.1714 als Sohn des Johannes und der Anna Margarethe Raaff, geborene Kochs, in der katholischen Pfarrkirche getauft. Bald darauf zog die Familie in das wenige Kilometer entfernte Holzem (heute Gemeinde Wachtberg). Der winzige Ort im „Drachenfelser Ländchen“ bestand aus nur wenigen Familien und gehörte zur Pfarrei Villip. Der Vater gewann die Nähe zum kurkölnischen Hof, was den Lebensweg des außergewöhnlich talentierten Sohnes entscheidend beeinflussen sollte.
Seit 1659 war Villip mit der zugehörigen Burg Gudenau eine Reichsherrschaft. Auf Burg Gudenau saß der kurkölnische Obristhofmarschall Max Hattard Waldbott von Bassenheim (gestorben 1735) , für den Raaffs Vater als Verwalter arbeitete. Ihm selbst gehörte der Holzemer Krahnhof, der bis in die 1950er Jahre neben der später von Anton Raaff gestifteten Kapelle stand.
Raaff senior schickte seinen Sohn zur Ausbildung auf das Bonner Jesuitengymnasium, eine bevorzugte Erziehungsstätte für Bürger- und Handwerkerkinder, womit er die Basis für die Karriere des kleinen Anton legte. Schon in der Schule bekam er neben einer vorzüglichen Ausbildung die Chance, sein Gesangstalent auszuleben. Nachweislich sang „Antonius Raaff ex Holtzheim“ 1726/1727 in einem der von den Jesuitenschülern regelmäßig aufgeführten Dramen mit. Möglich ist, dass die Schönheit seiner Stimme damals bereits seinem späteren Förderer, dem Kölner Kurfürsten Clemens August, auffiel. Es ist überliefert, dass der kunstsinnige Fürst diese Aufführungen mit großem Interesse verfolgte.
Raaffs qualifizierte jesuitische Erziehung widerlegt die Mär vom armen, auf den Feldern singenden Bauernkind. Vermutlich hat der kleine „Tünn“ auch dort vor sich hingeträllert, aber vielmehr wird ihn das geistige und gesellschaftliche Umfeld des väterlichen Arbeitsplatzes geprägt haben. Dessen Chef war der kurkölnische Obristhofmarschall Max Hattard Waldbott von Bassenheim, der von 1724 bis zu seinem Tod 1735 das hohe Amt bekleidete, das ihm den regelmäßigen Kontakt zum Kurfürsten und dessen Hof bescherte. Diese Konstellation dürfte mitentscheidend für die Entdeckung und die wirkungsvolle Protektion gewesen sein, die am Anfang von Raaffs Laufbahn standen.
Nach der Schulzeit bildete Raaff seine Stimme zunächst mit regelmäßigen Kammerkonzertabenden sowohl auf dem elterlichen Anwesen wie auch auf Burg Gudenau weiter, wo er für wenigstens drei Jahre bis 1736 in seinem „Brotberuf“ als Hofmeister in Stellung war. Den künstlerischen Durchbruch dokumentiert die am 10.9.1736 erfolgte erste Anstellung in seiner eigentlichen Profession als „Hof- und Cammermusicus“ am kurkölnischen Hof in Bonn für ein Jahresgehalt von 200 Talern. Möglicherweise hatte Raaff seine neue Stelle auch der Fürsprache seines alten Arbeitgebers, Max Waldbott von Bassenheim, zu verdanken.
Raaff wirkte noch im selben Jahr in dem italienischen Oratorium „Abelle“ mit und soll sich einen ausnehmenden allgemeinen Beifall erworben haben. Doch immer noch sang der junge Tenor ohne eine professionelle Gesangsausbildung, anscheinend von einer enormen Begabung getragen. Aber das änderte sich bald; von Bonn ging Raaffs Weg nach einer kurzen Station am kurfürstlichen Hof in München nach Italien. An der Gesangsschule des Kastraten Antonio Bernacchi (1690–1756) erhielt er den ersehnten Unterricht, der seine Weltkarriere ermöglichte. Diese Schule hatte einen exzellenten Ruf. Sie bildete ihre Absolventen insbesondere zu technisch brillanten Sängern heran. Die hohen technischen Fähigkeiten behielt Raaff bis ins Alter, auch wenn seine Stimmer den Jahren Tribut zollen musste. An Bernacchis Schule wurden damals fast nur Kastraten ausgebildet – die absolut führenden Sänger der Opernszene. Dass Raaff sich als „Natur belassener“ Tenor durchsetzte, machte ihn zur Ausnahme.
Nach diesen ersten italienischen Jahren, in denen aus dem Talent der Tenor Anton Raaff wurde, kehrte er nach einem ehrenvollen Zwischenaufenthalt im Frankfurter Dom, wo er in der Krönungsmesse für den neuen deutschen Kaiser Karl VII. (1697–1745) sang, 1742 an den Bonner Hof zurück. Sieben Jahre währte sein Engagement in der Stadt am Rhein. In dieser Zeit stand er unter anderem zusammen mit Ludwig van Beethoven (1712-1773) auf der Bühne, dem Großvater des großen Komponisten. In diese Jahre fiel auch die Stiftung der erhaltenen St. Nepomuk-Kapelle in Holzem, die Raaff 1744 erbauen ließ.
Von Bonn aus wechselte Raaff in die Kaiserstadt Wien, wo er am Hof der Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) ein verwöhntes Publikum überzeugte. Dann zog es ihn wieder nach Italien. In Padua wurde das Singen am Schrein des von ihm lebenslang hoch verehrten Namenspatrons, des heiligen Antonius, für den frommen Künstler wie für die Zuhörer zu einem ganz ungewöhnlichen spirituellen Ereignis. Sein Gesang war die Vereinigung zweier Engel: den der Moral und den der beinahe perfekten Musik, begeisterte sich der Geigenvirtuose Giuseppe Tartini (1692–1770), als er Raaff 1751 in Padua singen hörte.
In den folgenden Jahren feierte der rheinische Tenor an den Höfen der Könige von Portugal und Spanien weitere Triumphe in den Titelpartien immer neuer Opern. Seine in Madrid geschlossene Freundschaft mit dem legendären Kastraten Carlo Broschi (1705–1782), genannt „Farinelli“, überdauerte alle Zeiten. Zu einem anhaltenden Erfolg wurde Raaffs zehnjähriges Dauerengagement von 1760 bis 1770 in Neapel, der Heimat der Tenöre. 1770 folgte er dem Ruf des Kurfürsten Karl Theodor an den Mannheimer Hof, der in jenen Jahren als eines der bedeutendsten Musikzentren Europas galt. Fürstlich besoldet mit einer Jahresgage von 1.500 Gulden sang Raaff dort unter anderem die Titelpartie der ersten deutschsprachigen Oper, den „Günther von Schwarzburg“.
1778 kam es in Mannheim zur Begegnung des alternden Tenors mit dem jungen Genie Wolfgang Amadeus Mozart. Zwischen Raaff und Mozart entwickelte sich eine von gegenseitiger Achtung und Sympathie getragene Freundschaft. Raaff sorgte dafür, dass Mozart für die Karnevalssaison des Jahres 1781 in München die Oper „Idomeneo“ komponieren durfte. In der Titelrolle des Königs erlebte der Sänger im Alter von fast 67 Jahren seinen letzten großen Bühnenerfolg. Anschließend sang er noch in Kirchen und widmete sich der Ausbildung junger Sänger. Anton Raaff starb hoch angesehen und verehrt am 28.5.1797 in München, wo er auf dem Friedhof an der Thalheimer Straße beigesetzt wurde.
Literatur
Arbogast, Alois W., Der Tenor Anton Raaff 1714–1797. Der Erbauer der Nepomuk-Kapelle in Holzem, in: Heimatblätter des Rhein-Sieg-Kreises 63 (1995), S. 165–176.
Hausmanns, Barbara, Anton Raaff – Tenor des 18. Jahrhunderts „ex Holtzheim“, hg. Heimatverein Villip, Wachtberg 1997.
Heister-Möltgen, Hildegard, Anton Raaff und seine Welt. Lebensbild eines berühmten Tenors aus dem 18. Jahrhundert, Euskirchen 1997.
Petrobelli, Pierluigi, The Italien Years of Anton Raaff, in: Mozart-Jahrbuch 1973/74 (1975), S. 233–244.
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Hausmanns, Barbara, Anton Raaff, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/anton-raaff/DE-2086/lido/57c95a72adcc07.00498061 (abgerufen am 12.10.2024)