August Reichensperger

Zentrumspolitiker (1808-1895)

Georg Arnold (Mönchengladbach)

August Reichensperger, Porträt von Johannes Niessen (1821-1910), 1867, Original im Kölnischen Stadtmuseum. (Rheinisches Bildarchiv Köln)

Au­gust R. Rei­chen­sper­ger war Ju­rist und ka­tho­li­scher Po­li­ti­ker im Deutsch­land des 19. Jahr­hun­derts. Im Re­vo­lu­ti­ons­jahr 1848 war er Ab­ge­ord­ne­ter der Frank­fur­ter Na­tio­nal­ver­samm­lung und Geg­ner ei­ner preu­ßi­schen Vor­herr­schaft in Deutsch­land. Ab 1850 war er Mit­glied des preu­ßi­schen Ab­ge­ord­ne­ten­hau­ses und wur­de 1858 Prä­si­dent des deut­schen Ka­tho­li­ken­ta­ges. Im Deut­schen Reich von 1870/1871 schloss er sich der ka­tho­li­schen Zen­trums­par­tei an und war im so ge­nann­ten Kul­tur­kampf ei­ner der füh­ren­den Köp­fe der Par­tei. Rei­chen­sper­ger war Kunst­lieb­ha­ber und setz­te sich seit den 1840er Jah­ren für den Wei­ter­bau des Köl­ner Doms ein.

Rei­chen­sper­ger wur­de am 22.3.1808 in Ko­blenz ge­bo­ren. Sein Va­ter war Rich­ter und Rat bei der Prä­fek­tur des Rhein-Mo­sel-De­par­te­ments in Ko­blenz. Er starb be­reits 1812, so­dass die Mut­ter die vier aus der Ehe ent­stam­men­den Kin­der al­lein ver­sor­gen muss­te. Trotz der schwie­ri­gen fa­mi­liä­ren Si­tua­ti­on ge­lang es ihr, Au­gust auf ein Gym­na­si­um zu schi­cken. Nach an­fäng­li­chen Schwie­rig­kei­ten be­stand Rei­chen­sper­ger 1827 das Ab­itur und stu­dier­te an­schlie­ßend Ju­ra in Ber­lin, Bonn und Hei­del­berg. Nach sei­ner Pro­mo­ti­on trat er 1830 in den Staats­dienst ein. Er ar­bei­te­te zu­nächst als Aus­kulta­tor (Ge­richts­re­fe­ren­dar) in Müns­ter und wech­sel­te ein Jahr spä­ter nach Ko­blenz.

Von sei­nen Bio­gra­fen wird der jun­ge Rei­chen­sper­ger als ein Mann be­schrie­ben, der viel las und reis­te, oh­ne ei­nen fes­ten Sinn in sei­nem Le­ben zu er­ken­nen. Dies ha­be sich erst durch die so ge­nann­ten Köl­ner Wir­ren ab 1837 ge­än­dert, die durch den Köl­ner Erz­bi­schof Cle­mens Au­gust Frei­herr Dros­te zu Vi­sche­ring  ­aus­ge­löst wur­den. Die­se Kon­fron­ta­ti­on war zwar vor­wie­gend kon­fes­sio­nell mo­ti­viert, re­prä­sen­tier­te aber auch gleich­zei­tig die po­li­ti­sche Span­nung zwi­schen dem ei­nem Gro­ß­teil des rhei­ni­schen Bür­ger­tums und dem preu­ßi­schen Re­gie­rungs­sys­tem. Wäh­rend der fran­zö­si­schen Herr­schafts­pha­se (1794-1813) war im Rhein­land der na­po­leo­ni­sche Code ci­vil, d.h. ein mo­der­nes bür­ger­li­ches Ge­setz­buch, ein­ge­führt wor­den. Seit dem Wie­ner Kon­gress ge­hör­te das Rhein­land zu Preu­ßen und vie­le Ein­woh­ner fühl­ten sich von der neu­en preu­ßi­schen Ge­setz­ge­bung be­vor­mun­det. In den Köl­ner Wir­ren er­wach­te Rei­chen­sper­gers ka­tho­li­sches und bür­ger­li­ches Be­wusst­sein. Er kämpf­te von nun an ge­gen ei­ne pro­tes­tan­tisch-preu­ßi­sche Vor­macht­stel­lung und für ei­ne li­be­ra­le­re Ge­setz­ge­bung. Ab 1840 en­ga­gier­te er sich auch ver­stärkt für den Wei­ter­bau des Köl­ner Doms und wur­de Grün­dungs­mit­glied des Zen­tral-Dom­bau-Ver­eins zu Köln. 1844 wech­sel­te er, nach ei­ner wei­te­ren be­ruf­li­chen Sta­ti­on in Trier, in die Dom­stadt, wo er von 1848 bis 1879 als Ap­pel­la­ti­ons­ge­richts­rat tä­tig war. Im Re­vo­lu­ti­ons­jahr­jahr 1848 wur­de Rei­chen­sper­ger Ab­ge­ord­ne­ter der Frank­fur­ter Na­tio­nal­ver­samm­lung. Er setz­te sich für ei­nen stär­ke­ren Ein­fuß Ös­ter­reichs im Deut­schen Bund ein und stimm­te ge­gen ein preu­ßi­sches Erb­kai­ser­tum. 1850 wur­de er Mit­glied des Er­fur­ter Uni­ons­par­la­ments und er­hielt ei­nen Sitz im preu­ßi­schen Ab­ge­ord­ne­ten­haus, dem er bis 1863 und noch ein­mal im Jah­re 1870 an­ge­hör­te. Im Ab­ge­ord­ne­ten­haus war er ei­ner der füh­ren­den Köp­fe der ka­tho­li­schen Frak­ti­on und wur­de im Sep­tem­ber 1858 auch Prä­si­dent des Ka­tho­li­ken­ta­ges in Köln. Rei­chen­sper­ger galt als ent­schie­de­ner Geg­ner der streng kon­ser­va­tiv-preu­ßi­schen Re­ak­ti­ons­po­li­tik des preu­ßi­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Ot­to Theo­dor von Man­teu­f­fel (1805-1882). Auch Man­teu­f­fels Nach­fol­ger, Ot­to von Bis­marck (1815-1898), und des­sen klein­deut­sche Reichs­grün­dungs­po­li­tik, be­kämpf­te er be­harr­lich.

 

Nach Grün­dung des Nord­deut­schen Bun­des 1867 und dem Schei­tern ei­ner gro­ß­deut­schen Lö­sung mit Ös­ter­reich blieb Rei­chen­sper­ger, trotz sei­ner gro­ßen Ent­täu­schung, wei­ter­hin po­li­tisch ak­tiv. Er wur­de Mit­glied des Nord­deut­schen Reichs­ta­ges und nach Grün­dung des Deut­schen Rei­ches 1871 Mit­glied des Deut­schen Reichs­ta­ges für den Wahl­kreis Kre­feld. Im Deut­schen Reich trat er der neu ge­grün­de­ten Frak­ti­on der Zen­trums­par­tei bei. Ne­ben sei­nem jün­ge­ren Bru­der Pe­ter Franz Rei­chen­sper­ger, Karl Fried­rich von Sa­vi­gny (1814-1875), Lud­wig Jo­hann Fer­di­nand Gus­tav Wind­t­horst (1812-1891) und Her­mann von Mal­linck­rodt (1821-1874) ge­hör­te er im so ge­nann­ten Kul­tur­kampf bald zu den füh­ren­den Per­sön­lich­kei­ten des po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus.

Ge­gen En­de des Kul­tur­kamp­fes An­fang der 1880er Jah­re spiel­te Rei­chen­sper­ger in­ner­halb der Zen­trums­par­tei kei­ne wich­ti­ge Rol­le mehr. Es kam zu Dif­fe­ren­zen zwi­schen ihm und dem par­la­men­ta­ri­schen Füh­rer der Zen­trums­par­tei, Lud­wig Wind­t­horst. 1884 zog Rei­chen­sper­ger sich aus der par­la­men­ta­ri­schen Po­li­tik zu­rück. Er wid­me­te sich ver­stärkt sei­nen Stu­di­en der christ­li­chen Kunst und dem Aus­bau des Köl­ner Doms, der zeit­le­bens ein Ob­jekt sei­nes In­ter­es­ses blieb. Im Jahr 1895 wur­de er Eh­ren­bür­ger der Stadt Köln, be­reits im Jahr 1889 war er Eh­ren­bür­ger von Op­pen­heim und 1892 von Ko­blenz ge­wor­den.

Rei­chen­sper­ger starb am 16.7.1895 in Köln und wur­de auf dem Me­la­ten-Fried­hof be­er­digt. Die Stadt be­nann­te 1897 ei­nen Platz an der Mer­lo-, Wei­ßen­burg- und Rieh­ler Stra­ße nach ihm. Seit 1907 be­fin­det sich dort das Jus­tiz­ge­bäu­de für das Ober­lan­des­ge­richt Köln. Auch die U-Bahn-Sta­ti­on an die­ser Stel­le trägt sei­nen Na­men.

Literatur

Be­cker, Hans-Jür­gen, Au­gust Rei­chen­sper­ger (1808-1895), in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 10 (1985), S. 141-158.
Fuchs, Kon­rad, Ar­ti­kel „Rei­chen­sper­ger, Au­gust R.", in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 7 (1994), Sp. 1504-1505.
Kramp, Ma­rio/Lau­er, Rolf/Schäf­ke, Wer­ner  (Hg.), Au­gust Rei­chen­sper­ger. Ko­blenz – Köln – Eu­ro­pa. Aus­stel­lung im Mit­tel­rhein-Mu­se­um Ko­blenz, 10. Sep­tem­ber bis 30. Ok­to­ber 2005; Aus­stel­lung im Köl­ni­schen Stadt­mu­se­um 10. De­zem­ber 2005 bis 19. Fe­bru­ar 2006, Ko­blenz 2005.
Stadt Ko­blenz (Hg.), Au­gust Rei­chen­sper­ger (1808-1895) und die Kunst des 19. Jahr­hun­derts. Do­ku­men­ta­ti­on be­arb. von Hel­mut Pröss­ler/Udo Lies­sem/ Hans-Jo­sef Schmidt, Ko­blenz 1985.
Strauch, Die­ter, Au­gust Rei­chen­sper­ger als Rechts­po­li­ti­ker, in: An­na­len des His­to­ri­schen Ver­eins für den Nie­der­rhein 209 (2006), S. 307-338. 

August Reichensperger, Skulptur am Kölner Rathausturm, Bildhauer: Hans-Otto Lohrengel, 1989. (Stadtkonservator Köln)

 
Zitationshinweis

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Arnold, Georg, August Reichensperger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/august-reichensperger/DE-2086/lido/57cd1cf5b7cfa6.49738096 (abgerufen am 19.04.2024)