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Bartholomäus Heinrich Latomus gehört in die Reihe bedeutender humanistischer Gelehrter, die trotz immenser wissenschaftlicher Arbeit und hoher persönlicher Integrität häufig lediglich als „Zeitgenossen des Erasmus“ subsumiert werden. Dabei hätte sein Werdegang ihm durchaus erlaubt, eine auch im bleibenden Sinn führende Position unter den deutschen Humanisten einzunehmen, wenn er nicht in der zweiten Lebenshälfte so einseitig für die altgläubig-katholische Sache Partei ergriffen hätte. Vielleicht fehlte Latomus auch ein Stück weit der persönliche Ehrgeiz zum bleibenden Ruhm: weder suchte er sich im akademischen Umfeld zu profilieren, etwa durch Gründung einer eigenen Schule wie Philipp Melanchthon (1497-1560), noch begehrte er gegen seine Funktion als intellektuelle Spitze der Trierer Kurfürsten gegen alle reformatorischen Bestrebungen auf, die er 30 Jahre lang erfüllte, ihn sicherlich aber bei Weitem nicht ausfüllte.
Während in älteren Studien 1485 als Geburtsjahr angegeben wird, wurde Latomus wohl erst deutlich nach 1490 in Arel (Arlon) in der heute zu Belgien gehörenden Provinz Luxemburg geboren, vermutlich in einfachen Verhältnissen. Über seine Familie ist nichts bekannt. Immerhin erhielt er die erforderliche Schulbildung, um sich am 10.3.1516 an der Universität Freiburg im Breisgau zu immatrikulieren. Hier lehrte Ulrich Zasius (1461-1535), der einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, die Jurisprudenz durch ein genaues und quellenorientiertes Studium vor allem der antiken Rechtstexte im humanistischen Sinn zu erneuern, und vom dem niemand Geringerer als Erasmus von Rotterdam (1466/1469-1536) gesagt haben soll, er bewundere nichts in Deutschland so sehr wie Zasiusens Charakter.
Erasmus, der nach Jahren der Studien und Wanderschaft seit 1514 im nahen Basel lebte und arbeitete und hier dem Höhepunkt seines wissenschaftlichen Schaffens entgegen ging, wird neben Zasius großen Einfluss auf den Studenten Bartholomäus Henrici Arlunensis, als der Latomus sich seiner Herkunft nach noch in der Universitätsmatrikel findet, gehabt haben. Wann er sich den Beinamen „Latomus“, Steinmetz also, zulegte, und ob diese Wahl einen Hinweis auf den Beruf seines Vaters gibt, kann nur vermutet werden. Vielleicht darf die Namenswahl auch sinnbildlich verstanden werden, und Latomus sah sich als nur im Hintergrund wirkenden Arbeiter am Gesamtwerk der von Männern wie Erasmus und Zasius gestalteten Kathedrale des neuen Denkens. Jedenfalls galt er nicht nur als überaus gelehrter, sondern auch bescheidener und umgänglicher Mensch.
Im Jahr 1521 nahm Erasmus den jungen Mann, der in nicht einmal zwei Jahren im Januar 1518 den Magistergrad erworben hatte und bereits an der Freiburger Burse lehrte, mit auf eine Reise durch das Elsass. Dabei besuchten sie unter anderem Schlettstadt und die dortige Lateinschule, an der Erasmus selbst, aber auch andere Größen wie Jakob Wimpfeling (1450-1528), Jakob Spiegel (1483-1547) und Martin Bucer gelernt hatten und deren humanistische Bibliothek noch heute zu den wichtigsten kulturellen Gütern des Elsass zählt. In Trier erlebte Latomus im Jahr 1522 die späten Versuche des als „letzten Ritters“ bekannt gewordenen Franz von Sickingen (1481-1523), die Stellung des niederen Adels zu sichern, mit und verarbeitete sie unter dem Titel „Factio memorabilis“ in einem frühen eigenen literarischen Werk, für das er sich unter Verwendung des klassischen Versmaßes an antiken Vorbildern orientierte.
Von Trier aus ging Latomus nach Köln, wo er die Brüder Johann Ludwig (1492-1547) und Wolfgang von Hagen unterrichtete und gleichzeitig eine Stellung als Professor für Dialektik und Rhetorik an der Montanerburse, einer der drei Schulen der Artistenfakultät, annahm. Über diese Zeit ist wiederum wenig bekannt, die Bindung von Lehrer und Schüler scheint aber im Lichte der späteren Entwicklung eng gewesen zu sein. Allerdings übersiedelte Latomus, nachdem die Ausbildung der beiden Brüder von Hagen beendet war, zunächst mit einer kurzen Zwischenstation 1530 in Löwen im Jahr darauf nach Paris und erhielt dort eine Professur am Collège de Sainte-Barbe, dessen Kollegium den reformatorischen Gedanken wohl nicht abgeneigt war.
Tatsächlich hatte Latomus in dieser Zeit auch freundschaftlichen Kontakt zu Melanchthon, der aber eher von akademischem Charakter war. Latomus blieb zeitlebens altgläubig und konnte so auch 1534 an das durch den französischen König Franz I. (1494-1547) gegründete Collège des trois langues wechseln. Zwar stand auch dieses Collegium in Opposition zur orthodoxen Lehre an der Universität, genoss jedoch durch das königliche Privileg Unantastbarkeit, so dass sich die Gelehrten jenseits des Konfessionellen ganz der Wissenschaft, insbesondere dem Studium der alten Sprachen, widmen konnten.
1539/1540 unternahm Latomus eine längere Italienreise mit Aufenthalten unter anderem in Venedig und Rom. Eine Promotion zum Doktor der Rechte an der Universität Bologna ist nicht gesichert. In Italien erreichte ihn ein Ruf seines zwischenzeitlich zum Trierer Erzbischof und Kurfürsten gewählten Schülers Johann Ludwig von Hagen, der ihn zum Hofrat ernannte. Auf der Rückreise machte Latomus Station in Straßburg, wo er mit Johannes Sturm (1507-1589), dem großen Pädagogen und Schulreformer, und wohl auch Martin Bucer zusammentraf. Bucer warb um den angesehenen Gelehrten Latomus in der Annahme, dieser stehe den reformatorischen Ideen offen gegenüber, konnte ihn aber nicht für seine Sache gewinnen und geriet nach einem durchaus derben Schriftwechsel, der unter anderem in dem sich zuspitzenden Kölner Konflikt zwischen Hermann von Wied und der altgläubigen Partei als Flugschrift der jeweiligen Propaganda diente, in offenen Konflikt. Der Streit mit Bucer markiert eine Wende im theologischen Denken von Latomus, denn in der Folge verlegte er seine Argumentation bei den verschiedenen von ihm besuchten Religionsgesprächen, unter anderem in Hagenau, Worms und Regensburg weg von der Suche nach einer Kircheneinigung hin zur Verteidigung der katholischen Position.
Damit vollzog sich auch ein Wandel in seinem literarischen Schaffen. Hatten zu Beginn die kritische und gründliche Edition und Kommentierung antiker und philosophischer Schriften im Mittelpunkt gestanden – Latomus gehörte zu den produktivsten Verfassern solcher Erläuterungsschriften im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts –, so suchte er in seinem späteren Werk die religionspolitische Kontroverse und Auseinandersetzung mit den Reformatoren, neben Bucer unter anderem mit Peter Dathenus (1531-1588) und Jakob Andreä (1528-1590). Dieser Wandel findet seinen Ausdruck auch äußerlich, wenn Latomus sein letztes, größeres Werk, die „Spaltung der Augspurgischen Confession durch die newen und streitigen Theologen“ auf Deutsch veröffentlichte – lediglich das kurze Vorwort ist noch in lateinischer Sprache gehalten – und sich damit von der humanistischen Wissenschaftssprache abwandte. Latomus wog darin nicht mehr wie in früheren Werken beide Seiten ab, sondern schrieb sehr unverhohlen den Protestanten und ihrer „unbestendigen lere“ die Schuld am Scheitern des Wormser Religionsgesprächs von 1557 zu.
Mit diesem Eifer gewann er das Vertrauen der Nachfolger Johann Ludwigs von Hagen, der bereits 1547 verstorben war, und diente auch den Kurerzbischöfen Johann von Isenburg (1507-1556), Johann von der Leyen und Jakob von Eltz, allesamt und insbesondere letzterer aufrechte Katholiken und entschiedene Gegner der Reformation. Es ist daher sicherlich aufschlussreich, wenn Latomus kurz vor seinem Tod am 3.1.1570 noch zum Vizepräsidenten des kurfürstlichen Hofgerichtes ernannt wurde. Wenn es für den fast 80-Jährigen auch vielleicht nur der Dank und die Anerkennung für seine jahrzehntelangen treuen Dienste für die Trierer Kurfürsten war, so bleibt er doch weniger als der herausragende Humanist, sondern mehr als der im Dienste der Gegenreformation stehende Hofgelehrte und Beamte in Erinnerung, um den es am Ende recht still geworden war.
Werke (Auswahl)
Epitome commentatorium Dialecticae inventionis Rodolphi Agricolae, 1530.
Artificium dialectium et rhetoricum in tres orations ex Livio et Cicerone, 1532.
Ennarationes Bartholomaei Latomi in topica Ciceronis, iam recens conscriptae & in lucem aeditae, 1539.
Zwei Streitschriften gegen Martin Bucer (1543-1545), hg. v. Leonhard Keil, 1924.
De Partitione oratoria dialogus, 1547.
M. T. Ciceronis Pro Sexto Roscio Amerino oratio, 1553.
Spaltung der Augspurgischen Confession durch die newen und streitigen Theologen, 1557.
Literatur
Caspar, Benedikt, Das Erzbistum Trier im Zeitalter der Glaubensspaltung, 1966, S. 204-213.
Classen, Carl Joachim, Antike Rhetorik im Zeitalter des Humanismus, München 2003, S. 225-230.
De Vocht, Henry, History of the Foundation and the Rise of the Collegium Trilingue Lovaniense 1517-1550, Band 2, 1953.
Smolinsky, Heribert, Art. „Latmous, Bartholomaeus“, in: biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 4, 1992, Sp. 1217-1219.
Online
Kraus, Franz Xaver, „Latomus, Bartholomäus“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 18 (1883), S. 14. [Online]
Latomus, Bartholomaeus, in: Controversia et Confessio, hg. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. [Online]
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Bock, Martin, Bartholomäus Latomus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/bartholomaeus-latomus-/DE-2086/lido/57c93df759be96.11941258 (abgerufen am 03.12.2024)