Zu den Kapiteln
Cilly Aussem gehörte seit den ausgehenden 1920er bis zur Mitte der 1930er Jahre zur Weltelite im Damentennis. Ihren größten Erfolg errang sie im Sommer 1931 mit ihrem Triumph bei den englischen Meisterschaften in Wimbledon.
Cäcilie Edith Aussem, genannt Cilly, wurde am 4.1.1909 als Tochter des Kaufmanns Johann Joseph Aussem, genannt Jean, (1882-1952) und dessen Ehefrau Ulrike Franziska Wisbaum, genannt Helen (gestorben 1952), in Köln geboren. Die Eltern gehörten der wirtschaftlichen Oberschicht der Stadt an; der Vater erwirtschaftete sich als Generalvertreter der französischen Käseunternehmens Gervais ein Millionenvermögen. Cilly Aussem besuchte ab 1916 zunächst eine Volksschule in Köln, ab 1919 ermöglichten ihr die Einkünfte des Vaters den Besuch eines Internats am Genfer See.
Nach der Rückkehr in ihre Geburtsstadt im Jahr 1923 wurde Aussem auf Betreiben ihrer Mutter im renommierten Kölner Tennis- und Hockey-Club Stadion Rot-Weiß angemeldet, zunächst wohl in der Hauptsache, um sich gesellschaftlich zu etablieren. Schnell erwies sie sich jedoch auch als äußerst talentierte Spielerin mit höheren sportlichen Ambitionen. Helen Aussem trieb die Förderung ihrer Tochter daraufhin energisch und rücksichtslos voran, das Verhältnis zwischen ihr und der als schüchtern geltenden Cilly blieb zeitlebens nachhaltig belastet.
Bereits am Beginn ihrer Laufbahn wurde Aussem von niemand geringerem als dem polnischen Tennisweltmeister Roman Najuch (1893-1967) trainiert, unter dessen Einfluss sich sehr schnell die ersten nationalen Erfolge einstellten. 1925 wurde Aussem in Erfurt nicht nur Deutsche Jugendmeisterin im Einzel, sondern machte auch als Sechste in der nationalen Rangliste auf sich aufmerksam. Bei der Beschreibung ihres Charakters werden Aussem „typisch“ rheinische Attribute zugeschrieben: Sie galt als lebenslustig und zählte wegen ihres freundlichen Auftretens zu den Sympathieträgern im Tenniszirkus.
Der internationale Durchbruch gelang Aussem 1927 im Alter von 18 Jahren. Bei den Internationalen Französischen Meisterschaften, zu denen erstmals seit Kriegsende wieder deutsche Teilnehmer zugelassen waren, erreichte sie sensationell das Viertelfinale. Im Kampf um den Einzug in die Vorschlussrunde scheiterte sie in drei Sätzen nur knapp an der Südafrikanerin Irene Peacock (geboren 1892, Todesdatum unbekannt) mit 6:4, 2:6 und 4:6. Trotz dieser Niederlage erhielt sie glänzende Kritiken, die deutsche Presse lobte ihr Defensivspiel und attestierte, dass sie „alle Erwartungen gut gehalten und den deutschen Tennissport in Paris recht erfolgreich und ehrenvoll“ vertreten habe.
Bei ihrem ersten Auftritt bei den Internationalen Englischen Meisterschaften in Wimbledon konnte Aussem nicht an diese Leistungen anknüpfen und scheiterte bereits in der ersten Runde an der erst 16-jährigen Engländerin Betty Kay Nuthall (1911-1983) in zwei Sätzen mit 3:6 und 4:6. In spieltechnischer Hinsicht zeigte Aussem zu dieser Zeit noch zahlreiche Defizite. Zwar verfügte sie mit ihrer Vorhand über einen ausgesprochenen Paradeschlag, profitierte aber in den entscheidenden Spielsituationen vor allem von ihrer Spielübersicht, ihrer Schnelligkeit und nicht zuletzt von dem ihr eigenen unbedingten Siegeswillen.
In der deutschen Rangliste belegte sie 1927 erstmals die Spitzenposition. Mehrfach gelang es ihr, die bisherige deutsche Nummer eins, die Frankfurterin Ilse Friedleben (1893-1962) zu besiegen. Nur eine Woche nach dem enttäuschenden Abschneiden in Wimbledon zeigte sich Aussem beim Internationalen Turnier in Köln in herausragender Verfassung, im Endspiel deklassierte sie Friedleben mit 6:2 und 6:2. Im August krönte sie ihre bislang stärkste Saison mit dem Gewinn der Internationalen Deutschen Meisterschaften in Hamburg. Erneut siegte sie gegen Friedleben souverän mit 6:3 und 6:3. Auch die Saison 1928, die sie wieder als unumstrittene deutsche Nummer eins und als Siebte der Weltrangliste beendete, verlief erfolgreich. Dagegen drohte Aussem bereits 1929 das frühe Karriereende, eine tückische Augenkrankheit zwang sie zu einer längeren Pause. Zudem schien sie dem von ihrer Mutter ausgeübten Leistungsdruck psychisch nicht länger standhalten zu können.
Die Wende und den entscheidenden Schub zum Vorstoß in die absolute Weltspitze verdankte Aussem dem amerikanischen „Tenniskönig“ William Tilden (1893-1952), der sie von 1930 bis 1931 trainierte und der in seiner Laufbahn selbst unter anderem drei Einzelerfolge in Wimbledon verbuchen konnte. Es gelang ihm nicht nur die Qualität ihres Spiels zu heben, sondern sie auch in mentaler Hinsicht zu stabilisieren. Gemeinsam traten Tilden und Aussem auch im Mixed an, wobei sie ihren größten Erfolg mit dem Gewinn bei den Französischen Meisterschaften im Jahr 1930 errangen. Im Einzel endete Aussems Siegeszug in Frankreich erst im Halbfinale, in welchem ihr die Amerikanerin Helen Wills-Moody (1905-1998), die dominierende Tennisspielerin der 1920er und 1930er Jahre, mit 6:1 und 6:0 eine bittere Lehrstunde erteilte. Auch in Wimbledon wusste Aussem in der Einzelkonkurrenz zu überzeugen. Wieder erreichte sie die Runde der letzten Vier, nicht zuletzt durch ein spektakuläres 6:2 und 6:1 im Viertelfinale gegen die Mitfavoritin Helen Jacobs (1908-1997). Im Spiel um den Einzug ins Finale traf Aussem auf ihre Doppelpartnerin Elisabeth Ryan (1892-1979). Nachdem Aussem den ersten Satz mit 3:6 hatte abgeben müssen, trumpfte sie im zweiten Durchgang groß auf und gewann diesen mit 6:0. Der dritte und entscheidende Satz war hart umkämpft und endete für die Deutsche tragisch: Beim Stand von 4:4 erlitt sie einen Schwächeanfall und musste ohnmächtig vom Platz getragen werden.
Das Jahr 1930 katapultierte Aussem auf den zweiten Platz der Weltrangliste hinter der überragenden und als unschlagbar geltenden Helen Wills-Moody. Neben ihren Halbfinalteilnahmen bei den Meisterschaften in Frankreich und England verbuchte Aussem unter anderem Einzelerfolge bei den Riviera Turnieren im Frühjahr, gewann bei den Internationalen Österreichischen Meisterschaften die Einzel- und Doppelkonkurrenz sowie im Mixed und triumphierte zum zweiten Mal bei den Titelkämpfen um die Internationale Deutsche Meisterschaft in Hamburg. Das Jahr 1931 sollte den Scheitelpunkt ihrer kurzen Karriere markieren. Nach Einzelerfolgen im Einzel und im Doppel bei den Riviera Turnieren am Anfang der Saison, erreichte sie im Mai das Finale der Internationalen Meisterschaften von Frankreich, in dem sie sich gegen Betty Nuthall mit 8:6 und 6:1 durchsetzte und ihren bis dahin größten Erfolg errang. Auch in Wimbledon zeigte sie sich wieder, gleichwohl gesundheitlich angeschlagen, in bestechender Form. Als Nummer eins der Setzliste schlug sie im Halbfinale die Französin Simone Mathieu (1908-1980) und traf in einem rein deutschen Finale auf die Essenerin Hilde Krahwinkel. Aussem zeigte sich in diesem Spiel von Beginn an als überlegen und konnte den ersten Satz mit 6:2 klar für sich entscheiden. Der zweite Satz verlief ausgeglichener. Krahwinkel ging zunächst mit 3:0 in Führung, Aussem glich aus und sah beim Stand von 5:4 und eigenem Aufschlag bereits wie die sichere Siegerin aus. Krahwinkel kämpfte sich nochmals heran, schaffte den Ausgleich zum 5:5, ehe Aussem abermals davonziehen und sich den Satz mit 7:5 und damit den Sieg in Wimbledon sichern konnte. Dieser Sieg galt gleichzeitig als inoffizielle Weltmeisterschaft. Bis zum Erfolg von Steffi Graf im Jahr 1987 blieb sie hier die einzige deutsche Siegerin in einer Einzelkonkurrenz.
Trotz ihrer Siege in Frankreich und England beendete Aussem die Saison nur als Zweite der Weltrangliste hinter Helen Wills-Moody. In Fachkreisen wurde dieses Ranking allerdings in Frage gestellt – für viele galt Cilly Aussem als die eindeutig beste Spielerin des Jahres. Zu einem direkten Vergleich der beiden überragenden Akteurinnen der Saison war es nicht gekommen. Wills-Moody hatte 1931 nicht an den europäischen Turnieren teilgenommen, Aussem war wie gewohnt den außereuropäischen Wettbewerben fern geblieben.
Wiederholbar war das Jahr 1931 für Aussem nicht. Nach einer ohnehin Kräfte zehrenden Saison nahm Aussem an einer dreimonatigen Tournee nach Chile, Argentinien und Brasilien teil, deren sportlicher Wert aufgrund des Fehlens gleichklassiger Gegnerinnen nur gering war. Bereits zu Beginn der Reise war eine akute Entzündung des Blinddarms attestiert worden, die notwendige Operation ließ Aussem jedoch erst nach der Rückkehr vornehmen. Die Folgen waren verheerend, ihre ohnehin schwache körperliche Gesamtkonstitution verschlechterte sich nachhaltig.
Die Saison 1932 verlief enttäuschend. Sich keine Schonung gönnend, trat Aussem trotz schwacher Gesundheit zur Titelverteidigung im Mai bei den Französischen Meisterschaften an und musste im Viertelfinale wegen Entkräftung aufgeben. In Wimbledon verzichtete sie auf einen Start im Einzel und scheiterte im Doppel und im Mixed vorzeitig. Zu spät nahm sie sich danach die nötige Auszeit und bestritt erst am Ende der Saison wieder einige Spiele.
In den letzten drei Jahren ihrer Karriere errang Aussem zwar noch einige Erfolge bei kleineren Turnieren, jedoch prägten vor allem bittere Niederlagen diese Zeit. Kritiker bemängelten, dass ihr der unbedingte Siegeswille abhanden gekommen sei. Tatsächlich gelang es ihr nicht mehr, jene körperliche Fitness zurückzuerlangen, die ihr gegenüber ihren Rivalinnen zuvor einen oft entscheidenden Vorteil verschafft hatte. Auch das voranschreitende Augenleiden beeinträchtigte ihre Leistungsfähigkeit. In Wimbledon trat Aussem im Einzel letztmalig 1934 an, erreichte das Viertelfinale, musste jedoch eine desaströse 2:6 und 0:6 Niederlage gegen Helen Jacobs hinehmen. Am Ende des Jahres 1934 wurde sie immerhin wieder als Neunte der Weltrangliste geführt, im nationalen Ranking belegte sie sogar den ersten Platz. Ein Jahr später beendete sie ihre Karriere.
Am 12.3.1936 heiratete Cilly Aussem in München den Grafen Fermo Murari della Corte Brà, einen italienischen Diplomaten und Luftwaffenoffizier. Das Paar übersiedelte kurz nach der Hochzeit nach Mombasa. Aussem bot sich mit diesem Schritt wohl auch die Gelegenheit, sich der nach wie vor belastenden Dominanz ihrer Mutter zu entziehen. Ihre Geburtsstadt Köln besuchte sie nur noch wenige Male, zuletzt 1952. Die letzten Lebensjahre wurden von schweren Krankheiten überschattet. An der afrikanischen Ostküste war Aussem an der Malaria erkrankt. Von den Folgen sollte sie sich nie mehr vollständig erholen. Ihr Augenleiden ließ sie schließlich fast vollständig erblinden. Mit ihrem Ehemann übersiedelte sie nach Italien und lebte zuletzt zurückgezogen auf einem Anwesen in Portofino.
Am 22.3.1963 starb Cilly Aussem nach einer Leberoperation. Sie wurde auf dem Friedhof San Giorgio in Portofino beigesetzt. Die deutsche Öffentlichkeit nahm nur wenig Notiz von ihrem Tod. Tennis war kein Breitensport, die Erinnerung an die großen deutschen Erfolge in den 1930er Jahren waren nicht im kollektiven Gedächtnis verhaftet geblieben. 1988 erinnerte die Deutsche Bundespost in der Postwertzeichenserie „Frauen der deutschen Geschichte“ mit einer Briefmarke an das vergessene Tennisidol, 2008 wurde Aussem in die Hall of Fame des Deutschen Sports aufgenommen. Seit 1965 werden die Juniorenmeisterschaften des Deutschen Tennisbundes unter dem Namen „Cilly Aussem Spiele“ ausgetragen.
Literatur
Tuchen, Bernd, Ich galt als Wunderkind... Cilly Aussem – das Leben der ersten deutschen Wimbledon-Siegerin, Aachen 2008.
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Thomann, Björn, Cilly Aussem, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/cilly-aussem/DE-2086/lido/57adbafe109a10.50051231 (abgerufen am 12.10.2024)