Zu den Kapiteln
Clemens August von Bayern (aus dem Hause Wittelsbach) wurde von seinen Zeitgenossen als ‚Monsieur des cinq églises’ (Herr der fünf Kirchen) bezeichnet, denn er war nicht nur Kurfürst und Erzbischof von Köln, sondern auch Fürstbischof von Paderborn, Münster, Hildesheim und Osnabrück und damit einer der wichtigsten geistlichen Fürsten seiner Zeit.
Er wurde am 18.8.1700 in Brüssel geboren. Sein Vater, Maximilian II. Emanuel (1662-1714, Regierungszeit 1679-1706 und 1714-1726), war bayerischer Kurfürst, seine Mutter, Theresia Kunigunde (1676-1730), eine Tochter des polnischen Königs Johann III. Sobieski (1624-1696, Regierungszeit 1674-1696). Große Teile seiner Kindheit und Jugend verbrachte Clemens August mit seinen Geschwistern unter kaiserlicher Aufsicht in Klagenfurt und Graz (1706-1715), wo die jungen Wittelsbacher eine standesgemäße Ausbildung genossen. Die Eltern lebten in dieser Zeit aufgrund des Scheiterns Maximilian Emanuels im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) und der damit im Zusammenhang stehenden Verhängung der Reichsacht im Exil.
Nach Rückkehr der Familie nach München wurde Clemens August wie seine Brüder Philipp Moritz (1698-1719) und Johann Theodor (1703-1763) für den geistlichen Stand bestimmt. Neben dem Versorgungsaspekt war hierfür ausschlaggebend, dass Clemens August als Fürst eines geistlichen Territoriums die wittelsbachische Hausmacht stärken sollte. Noch 1715 erhielt er die erste Tonsur (symbolische Rasur des Hinterkopfes) und wurde Koadjutor seines Onkels Joseph Clemens (1671-1723) in Regensburg. Nach dessen Resignation (Amtsverzicht) wurde er 1716 Fürstbischof von Regensburg (bis 1719). Mit seinem Bruder Philipp Moritz reiste Clemens August Ende 1716 nach Rom, um dort zu studieren. Er verließ Rom 1719, nachdem er anstelle seines plötzlich verstorbenen Bruders Philipp Moritz zum Fürstbischof von Münster und Paderborn gewählt worden war. Schon 1718 hatte er die Probstei von Altötting (bis 1721) erhalten, 1719 kamen Domkanonikate in Köln (bis 1723) und Lüttich (bis 1757) hinzu. In Köln wurde er 1722 Koadjutor und im November 1723 Nachfolger seines Onkels Joseph Clemens im Amt des Kurfürsten und Erzbischofs. Zum fünften Mal in Folge wurde damit ein Wittelsbacher mit dieser wichtigen geistlichen Kur betraut.
In den folgenden Jahren baute Clemens August seine Position im Nordwesten des Reiches noch weiter aus: 1724 wurde er Bischof von Hildesheim und 1728 Bischof von Osnabrück; lediglich in Lüttich konnte er sich nicht durchsetzen. 1732 fiel ihm schließlich noch das Amt des Hoch- und Deutschmeisters des Deutschen Ordens zu, eine traditionell von den Habsburgern und deren Parteigängern besetzte Position. Bis zur Priesterweihe 1725 standen Clemens August zur Verwaltung der Spiritualien (geistliche Aufgaben) Koadministratoren zur Seite; die Bischofsweihe erfolgte 1727.
Clemens Augusts Position in der Reichskirche sowie die Lage und Größe des von ihm beherrschten Territorienkomplexes machten ihn für die europäischen Großmächte der damaligen Zeit – Frankreich, England, Österreich und das aufstrebende Preußen – zu einem umworbenen Bündnispartner. Er ging mit diesen Mächten wechselnde Koalitionen ein, stets lavierend zwischen Paris und Wien: Mal arbeitete er mit Frankreich zusammen und folgte damit der gegen Österreich gerichteten wittelsbachischen Tradition und seinem Bruder Kurfürst Karl Albrecht von Bayern (1697-1745; Regierungszeit als bayerischer Kurfürst Karl I. 1726-1745, als Kaiser Karl VII. 1742-1745).
Dann näherte er sich wieder dem habsburgischen Kaiser, dem Garanten des Reiches und seiner eigenen geistlichen Herrschaft an – eine Politik, die insbesondere von seinem Ersten Minister Ferdinand von Plettenberg und Wittem (1690-1737) favorisiert wurde. Neben politischen Erwägungen spielten dabei nicht zuletzt Subsidienzahlungen (‚Hilfsgelder’) eine entscheidende Rolle, die Kurköln zwischenzeitlich auch zum Partner der mit Österreich verbündeten Seemächte England und Holland machten. Nach dem „renversement des alliances" (Umkehrung der Allianzen durch Beendigung des habsburgisch-französischen Gegensatzes) stand Clemens August im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) wie andere geistliche Fürsten auf der Seite der katholischen Mächte Frankreich und Österreich gegen Preußen und England-Hannover.
Die Forschung ist mit Clemens August aufgrund seiner wechselhaften Außenpolitik hart ins Gericht gegangen. Er habe eine „charakterlose Politik" betrieben (Leonard Ennen), sei „ein schwacher Mensch" und „politisch ohne festen Willen" (Max Braubach), „labil und schwankend" (Erwin Gatz), „ohne klares Konzept" (Alois Schröer) gewesen. Auch wenn Clemens August vielfach unsicher in seinen politischen Entscheidungen gewesen sein mag und sich stark von seinen Beratern und den ihn umgebenden Personen beeinflussen ließ, ist diese Kritik zu relativieren. Seine Politik zeigt nur zu deutlich die Zwänge eines geistlichen Fürsten des 18. Jahrhunderts: Zwar versammelte Clemens August fünf Fürstbistümer in seiner Hand. Diese bildeten aber keinen einheitlichen, zentral regierten Territorialkomplex, sondern bewahrten jeweils ihre Eigenständigkeit.
Der Einfluss der Landstände, insbesondere der Domkapitel, war hoch. Clemens August hatte daher trotz seiner zahlreichen Ämter und Herrschaftstitel keine umfangreiche Machtbasis. Schließlich fehlte ihm eines der wichtigsten Machtmittel des absolutistischen Staates – ein schlagkräftiges Heer. Seine Truppen reichten nicht einmal zur Verteidigung. Clemens August war dementsprechend in Kriegszeiten gezwungen, Verbündete zu suchen, um den Fortbestand seiner geistlichen Herrschaft zu sichern und seine Länder so weit wie möglich aus Kriegshandlungen herauszuhalten.
Ein häufiger Wechsel der Koalitionen, wie von Clemens August praktiziert, war nicht bloßer Ausdruck von Charakterschwäche, sondern kann auch als Versuch interpretiert werden, sich den wandelnden Machtverhältnissen auf dem europäischen Kontinent anzupassen und für die eigenen Territorien die politisch und mit Blick auf die reichlichen Subsidienzahlungen auch finanziell jeweils günstigste Verbindung einzugehen. Die viel gescholtene „Wetterfahne des Reiches" – so Maria Theresias Gatte Franz Stephan von Lothringen (1708-1765, Regierungszeit als Kaiser Franz I. 1745-1765) – handelte politisch durchaus rational und im Rahmen seiner Möglichkeiten erfolgreich. Dass für Clemens August nicht nur Reichsfürsten, sondern auch auswärtige Mächte als Partner in Frage kamen, war zumindest für die national denkenden Historiker des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht akzeptabel. Im außenpolitischen Kalkül der Reichsfürsten des 18. Jahrhunderts spielte das Reich freilich kaum eine Rolle. Koalitionen wurden mit Blick auf die eigenen Vorteile geschlossen und nicht mit Rücksicht auf das Reich – und schon gar nicht die Nation. Clemens August bildet hier keine Ausnahme.
In scheinbarem Gegensatz zu seiner Mindermächtigkeit steht die höfische Pracht, die Clemens August in seinen verschiedenen Schlössern und Residenzen inszenierte. Den baulichen Rahmen schufen namhafte Architekten und Künstler, unter anderem Johann Balthasar Neumann, François de Cuvilliés der Ältere (1695-1768), Johann Conrad Schlaun und Georg Desmarées (1697-1776). Der von seinem Vorgänger begonnene Neubau der Bonner Residenz wurde ebenso fortgesetzt wie die Arbeiten am Schloss Clemensruhe in Poppelsdorf. Daneben errichtete der Kurfürst das Jagdschloss Herzogsfreude im Kottenforst.
Seine besondere Aufmerksamkeit galt aber dem Bau von Schloss Augustusburg in Brühl mit dem berühmten Treppenhaus Neumanns sowie der Errichtung des nahe gelegenen Jagdschlosses Falkenlust. Auch in seinen Nebenländern entfaltete Clemens August eine vielfältige Bautätigkeit (unter anderem Residenzschlösser in Paderborn und Arnsberg, Jagdschloss Clemenswerth in Sögel/Hümmling).
An diesen Orten und insbesondere an den Höfen in Bonn und Brühl inszenierte der Kurfürst Bezeichnung eines zur Wahl des deutschen Königs berechtigten geistlichen oder weltlichen Reichsfürsten. -Erzbischof ein barockes Hofleben, das zu den prachtvollsten im Reich zählte. Bälle und Feste der unterschiedlichsten Art mit Musik, Tanz, Theater und Feuerwerk sowie aufwändige Jagden (insbesondere Parforce- und Falkenjagd) wurden in großem Stil begangen. Teilnehmer dieser Festivitäten war weniger der landsässige als vielmehr der landfremde Adel – aus Bayern und Süddeutschland, dem Rheinland und Westfalen, dem übrigen Reich sowie aus Italien, Frankreich und den Niederlanden. Die Prachtentfaltung zielte also nicht auf diejenigen Kreise, die im Rahmen der Ständeordnung an der politischen Macht im Lande teilhatten. Es ging nicht darum, diese Konkurrenz durch Bindung an den Hof politisch zu ‚zähmen’, wie dies der Soziologe Norbert Elias (1897-1990) in seiner klassischen Studie zur höfischen Gesellschaft (1969) für den französischen Hof Ludwigs XIV. (1638-1715, Regierungszeit 1643/1661-1715) festgestellt hat.
Stattdessen repräsentierte der Kurfürst auf der überregionalen und gelegentlich internationalen Bühne. Hier versuchte Clemens August seine Bedeutung als wichtiger Reichsfürst symbolisch zur Geltung zu bringen beziehungsweise noch zu erhöhen und mit Fürsten zu konkurrieren, denen er hinsichtlich seiner realen politischen Machtmittel weit unterlegen war.
Das aufwändige und kostspielige Hofleben in Bonn, Brühl und anderswo stand also nicht im Gegensatz zur Mindermächtigkeit Clemens Augusts, sondern diente dem in seinen Machtmitteln beschränkten Kurfürsten als Instrument der Politik. In diesen Zusammenhang gehört auch die Krönung seines Bruders Karl Albrecht zum Kaiser (Karl VII.) im Jahre 1742, die Clemens August mit großem Pomp und unter enormen Kosten in Frankfurt inszenierte. Er selbst zog mit einem Gefolge von 1.600 Personen in die Reichsstadt ein und übertraf dabei nicht nur zahlenmäßig, sondern auch in der Pracht alle anderen Kurfürsten. Johann Michael von Loen (1694-1776), ein mit den Höfen in Berlin und Dresden vertrauter Schriftsteller, stellte daher fest: „Dieser Einzug dünket mich das non plus ultra in der Art dieser Ceremonien zu seyn." (Zitat nach Winterling 1986, S. 145)
Clemens August liebte das höfische Leben und insbesondere die Jagd. Zugleich war er aber ein zutiefst religiöser, von der barocken Volksfrömmigkeit geprägter Mensch. Dies zeigt sich insbesondere an der von ihm praktizierten Marienverehrung und dem intensiven Kontakt mit der Kaufbeurener Franziskanerin Crescentia Höß (1682-1744). Darüber hinaus trat er als Stifter und Wohltäter zahlreicher Klöster auf, wiedererrichtete das Kölner Priesterseminar (Seminarium Clementinum, 1736) und machte dessen Besuch für die Priesteramtskandidaten seiner Diözese verpflichtend (1749), initiierte den Bau der Hl. Stiege und des Hl. Grabes auf dem Kreuzberg in Bonn und stiftete in Münster ein Krankenhaus (St. Clemens-Hospital, 1735).
Den Versuch einer stärkeren Integration seiner verschiedenen Territorien unternahm Clemens August nicht. Der Schwerpunkt seiner Politik lag im Kurstaat, während die westfälischen Stifte weitgehend der Verwaltung der dortigen Stände überlassen wurden. Die nach Plettenbergs Sturz (1733) eingerichtete Geheime Konferenz zur Unterstützung seiner Regierung konnte sich nicht dauerhaft etablieren. Innenpolitisch wichtig, wenngleich ebenfalls nur bedingt erfolgreich, waren Clemens Augusts Bemühungen, die Verkehrswege seiner Lande zwecks wirtschaftlicher Belebung auszubauen (unter anderem Max-Clemens-Kanal, seit 1724). Richtungsweisend hingegen war die Intensivierung der Strafverfolgung, unter anderem durch die Gründung von Zuchthäusern in Kaiserswerth (1736) und Münster (1732/1738) und die Einsetzung einer Polizeitruppe (1751).
Clemens August starb am 6.2.1761 auf der Feste Ehrenbreitstein bei Koblenz an Herzversagen. Sein Leichnam wurde am 31. März vor der Dreikönigenkapelle im Kölner Dom beigesetzt. Nach seinem Tod zerfiel der wittelsbachische Territorialkomplex im Nordwesten. Regionale Kräfte setzten sich durch und leiteten eine Politik der inneren Konsolidierung jenseits dynastischer Ambitionen und europäischer Allianzen ein.
Quellen
Jäger-von Hoesslin, Franziska (Bearb.), Die Korrespondenz der Kurfürsten von Köln aus dem Hause Wittelsbach (1583-1761) mit ihren bayerischen Verwandten, Düsseldorf 1978.
Stollberg-Rilinger, Barbara (Hg.), Das Hofreisejournal des Kurfürsten Clemens August von Köln 1719-1745, Siegburg 2000.
Literatur
Clemens August. Fürstbischof, Jagdherr, Mäzen. Ausstellungskatalog Schloß Clemenswerth, Meppen/Sögel 1987.
Krischer, André, „Ein nothwendig Stück der Ambassaden". Zur politischen Rationalität des diplomatischen Zeremoniells bei Kurfürst Clemens August, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 205 (2002), S. 161-200.
Kurfürst Clemens August. Landesherr und Mäzen des 18. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog Brühl, Köln 1961.
Miersch, Martin, Das Bild des Electeur Soleil. Clemens August (1700-1761), Marburg 2007.
Münch, Ingrid, Artikel „Klemens August von Bayern", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 4 (1992), Sp. 25-31.
Winterling, Aloys, Der Hof der Kurfürsten von Köln 1688-1794. Eine Fallstudie zur Bedeutung ‚absolutistischer’ Hofhaltung, Bonn 1986.
Zehnder, Frank Günter/Schäfke, Werner (Hg.), Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche, 8 Bände u. 1 Katalogband, Köln 1999-2000.
Online
Braubach, Max, Artikel „Clemens August", in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 282. [Online]
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Rutz, Andreas, Clemens August von Bayern, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/clemens-august-von-bayern/DE-2086/lido/57c68cffb4d684.72106626 (abgerufen am 15.10.2024)