Dora Philippson

Lehrerin (1896–1980)

Astrid Mehmel (Bonn)

Dora Philippson, 1916, Porträtfoto. (Archiv des Geographischen Instituts der Universität Bonn)

Do­ra Phil­ipp­son war vor 1933 Stu­di­en­rä­tin für Ma­the­ma­tik, Phy­sik und Che­mie an Ly­ze­en in Bonn und Ber­lin. 1942 in das KZ The­re­si­en­stadt de­por­tiert, ge­hör­te sie zu den we­ni­gen über­le­ben­den Bon­ner Ju­den. Sie kam zu­rück in ih­re Hei­mat­stadt, war ma­ß­geb­lich am Wie­der­auf­bau der hie­si­gen Syn­ago­gen­ge­mein­de be­tei­ligt und hat 1954 die Ge­sell­schaft für Christ­lich-Jü­di­sche Zu­sam­men­ar­beit in Bonn mit­ge­grün­det.

Do­ra Phil­ipp­son kam als drit­tes Kind von An­na Li­na Phil­ipp­son ge­bo­re­ne Si­mo­ni (1869–1906) und Al­fred Phil­ipp­son am 17.11.1896 in Bonn auf die Welt. Sie wuchs in ei­ner groß­bür­ger­li­chen Ge­lehr­ten­fa­mi­lie auf; ihr Va­ter war Pro­fes­sor für Geo­gra­phie und ein weit über sein Fach hin­aus an­ge­se­he­ner Ex­per­te für Grie­chen­land. Ihr Gro­ßva­ter Lud­wig Phil­ipp­son (1811–1889), Rab­bi­ner, Ge­lehr­ter und be­deu­ten­der Pu­bli­zist, hat­te sich für die bür­ger­li­che Gleich­stel­lung der Ju­den ein­ge­setzt.

Do­ra Phil­ipp­son wur­de 1903 in der Schub­ring'schen Pri­vat­schu­le in Bonn ein­ge­schult, zog aber be­reits 1904 mit den El­tern nach Bern, wo sie bis 1906 die Schmid'sche Pri­vat­schu­le be­such­te. Dann zog die Fa­mi­lie er­neut um – dies­mal folg­te der Va­ter ei­nem Ruf nach Hal­le an der Saa­le. Wäh­rend der Um­zugs­vor­be­rei­tun­gen starb un­er­war­tet die Mut­ter – da war Do­ra erst zehn Jah­re alt. Mit ih­ren äl­te­ren Ge­schwis­tern Mat­hil­de (1893–1922), Lud­wig (1894–1961) und der jün­ge­ren Schwes­ter Eva (1899–1962) wuchs sie mit wech­seln­den Kin­der­mäd­chen und Haus­da­men bei ih­rem Va­ter auf. Die­ser stand ge­ra­de am Be­ginn sei­ner Kar­rie­re und war, wenn nicht mit sei­nen Vor­le­sun­gen und Pu­bli­ka­tio­nen be­schäf­tigt, un­ter­wegs auf For­schungs­rei­sen. Von 1907 bis 1911 be­such­te Do­ra Phil­ipp­son die Städ­ti­sche Hö­he­re Mäd­chen­schu­le in Hal­le und ab 1911 den re­al­gym­na­sia­len Zweig der pri­va­ten, ab 1915 städ­ti­schen Stu­di­en­an­stalt in Bonn (heu­te Cla­ra-Schu­mann-Gym­na­si­um) und ge­hör­te 1916 ge­hör­te der ers­ten Klas­se an, die dort bis zum Ab­itur ge­führt wur­de. Die Fa­mi­lie war in das el­ter­li­che Haus nach Bonn in die Kö­nig­stra­ße zu­rück­ge­kehrt, nach­dem der Va­ter 1911 auf das Or­di­na­ri­at für Geo­gra­phie der Uni­ver­si­tät sei­ner Hei­mat­stadt be­ru­fen wor­den war.

Do­ra Phil­ipp­son stu­dier­te zu­nächst Ma­the­ma­tik, Phy­sik und Che­mie an der Bon­ner Uni­ver­si­tät. Sie be­such­te vom Som­mer­se­mes­ter 1916 bis zum Win­ter­se­mes­ter 1917/1918 nicht nur in ih­ren Prü­fungs­fä­chern Lehr­ver­an­stal­tun­gen, son­dern auch in Phi­lo­so­phie, Kunst­ge­schich­te und Geo­gra­phie. An­schlie­ßend ging sie für zwei Se­mes­ter an die Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen. Os­tern 1919 kehr­te sie zu­rück an die Bon­ner Uni­ver­si­tät, wo sie im No­vem­ber 1920 „mit Aus­zeich­nun­g“ die Wis­sen­schaft­li­che Prü­fung für das Lehr­amt an Hö­he­ren Schu­len ab­leg­te.

Am 1.4.1921 be­gann Do­ra Phil­ipp­son ihr Re­fe­ren­da­ri­at in Bonn an der Schu­le, an der sie selbst das Ab­itur ge­macht hat­te. Als An­fang 1922 ih­re Schwes­ter Mat­hil­de starb und sie selbst er­krank­te, wur­de sie be­ur­laubt und setz­te ihr Re­fe­ren­da­ri­at erst im Ok­to­ber in Ber­lin-Ste­glitz am Ly­ze­um mit Stu­di­en­an­stalt in der Ro­then­burg­stra­ße fort. Seit der Spal­tung der SPD wur­de sie in Ber­lin en­ga­gier­tes Mit­glied der USPD. Als der ra­di­ka­le Flü­gel der USPD 1920 zu den Kom­mu­nis­ten wech­sel­te und die üb­ri­ge Par­tei sich zwei Jah­re spä­ter mit den Mehr­heits­so­zia­lis­ten ver­ei­nig­te, trat sie je­doch wie­der aus der Par­tei aus.

Im Sep­tem­ber 1923 leg­te sie die päd­ago­gi­sche Prü­fung für das Hö­he­re Lehr­amt, die As­ses­so­ren­prü­fung, ab und be­gann gleich im Herbst 1923 ein wei­te­res Stu­di­um an der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät. Wel­che Lehr­ver­an­stal­tun­gen sie be­such­te, ist nicht be­kannt. Über­lie­fert ist, dass sie Vor­le­sun­gen bei Al­bert Ein­stein (1879-1955) hör­te. 1924/1925 muss­te sie aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den ihr Stu­di­um un­ter­bre­chen und ging zur Kur nach Da­vos.

Ab 1.1.1927 gab sie an der städ­ti­schen Fon­ta­ne-Schu­le in Ber­lin-Schö­ne­berg Un­ter­richt in den Fä­chern Ma­the­ma­tik, Phy­sik und Che­mie. Os­tern 1928 wech­sel­te sie an die städ­ti­sche Deut­sche Ober­schu­le im Stadt­teil Ma­ri­en­dorf, an der sie 1929 Stu­di­en­rä­tin wur­de. Vom Herbst 1930 bis Fe­bru­ar 1933 un­ter­rich­te­te sie an der Städ­ti­schen Deut­schen Ober­schu­le in Ber­lin-Zeh­len­dorf und von Fe­bru­ar 1933 bis zum 1.4.1933 an der Staat­li­chen Au­gus­ta-Schu­le in der Elß­holz­stra­ße.

 

Die Ak­tio­nen der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten am 1.4.1933, dem „Boy­kott Ta­g“, führ­ten da­zu, dass sie vom Schul­dienst zu­nächst be­ur­laubt und dann auf­grund des „Ge­set­zes zur Wie­der­her­stel­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums“ vom 7.4.1933 oh­ne Pen­si­ons­an­spruch ent­las­sen wur­de. In der fol­gen­den Zeit gab sie pri­vat Un­ter­richt, war je­doch auf­grund der Be­stim­mun­gen der „Nürn­ber­ger Ge­set­ze“ vom 15.9.1935 ge­zwun­gen, auch die­sen wie­der auf­zu­ge­ben. Sie wur­de aber­mals krank und ging we­gen ih­res Lun­gen­lei­dens ein Jahr zur Er­ho­lung in die Schweiz. Ei­ne stän­di­ge Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung konn­te sie für die Schweiz je­doch nicht be­kom­men. So kam sie nach Deutsch­land zu­rück und zog zu ei­ner Freun­din nach Kas­sel, wo sie von Ok­to­ber 1934 bis Fe­bru­ar 1941 leb­te. Die Freun­din aus Ber­li­ner Zeit hat­te dort in der Schul­be­hör­de beim Kul­tus­mi­nis­te­ri­um ge­ar­bei­tet und war ent­las­sen wor­den, weil sie So­zi­al­de­mo­kra­tin war.

1938 wur­den die Ein­schrän­kun­gen für Ju­den wei­ter ver­schärft: So ging mit dem Ent­zug des Rei­se­pas­ses die Be­we­gungs­frei­heit ver­lo­ren, und die Ein­schrän­kung der Be­sitz- und Ei­gen­tums­rech­te stei­ger­te sich bis zur voll­stän­di­gen Ent­eig­nung. 1940 stell­te Do­ra Phil­ipp­son ei­nen Ein­rei­se­an­trag in die USA. Als ihr das ame­ri­ka­ni­sche Kon­su­lat in Stutt­gart am 1.11.1940 mit­teil­te, welch ho­he Quo­ten­num­mer sie auf der Vi­sa-War­te­lis­te hat­te, gab sie ihr Vor­ha­ben, in die USA zu ge­lan­gen, auf. An­fang Mai 1941 ver­such­te ihr Va­ter mit Hil­fe ei­nes in den USA le­ben­den Ver­wand­ten und ei­nes dort im Exil le­ben­den Kol­le­gen, mit ihr und sei­ner zwei­ten Frau Mar­ga­re­te, ge­bo­re­ne Kirch­ber­ger (1882–1953), in die USA oder in die Schweiz zu ge­lan­gen. Ein Wett­lauf ge­gen die Zeit und die Be­hör­den be­gann. Es war je­doch zu spät; al­le Ver­su­che, noch ei­ne Aus­rei­se aus NS-Deutsch­land zu er­mög­li­chen, gin­gen ins Lee­re.

Im Au­gust 1941 be­schlag­nahm­te die Ge­sta­po das seit Mit­te des 19. Jahr­hun­derts im Be­sitz der Fa­mi­lie Phil­ipp­son be­find­li­che Haus in der Bon­ner Kö­nig­stra­ße. Do­ra, ihr Va­ter und Mar­ga­re­te Phil­ipp­son wur­den in das Haus des Rechts­an­wal­tes Woll­stein in der Gluck­stra­ße 12 in Bonn ein­ge­wie­sen. Sie wur­den nicht – wie die meis­ten Bon­ner Ju­den – in dem von der Ge­sta­po be­schlag­nahm­ten Be­ne­dik­ti­ne­rin­nen-Klos­ter in En­de­nich in­ter­niert. Do­ra er­hielt da­her am 18.9.1941 ei­nen Aus­weis, der do­ku­men­tier­te:„Do­ra Sa­ra Phil­ipp­son, le­dig, Stu­di­e­n­as­ses­so­rin i.R. Kenn­kar­te als Jü­din: Kas­sel A 00 180, ist auf Grund be­son­de­rer An­ord­nung der Ge­sta­po nicht in die 'Ge­mein­schaft Ka­pel­len­stra­ße' auf­ge­nom­men und un­ter­liegt da­her auch nicht den be­son­de­ren Be­schrän­kun­gen, de­nen die An­ge­hö­ri­gen die­ser Ge­mein­schaft un­ter­wor­fen sind.“

Je­doch muss­te auch sie sich am 14.6.1942 im En­de­ni­cher Klos­ter ein­fin­den, wo die meis­ten Bon­ner Ju­den be­reits seit Mo­na­ten ein­ge­sperrt wa­ren. Von dort wur­den sie zu­sam­men mit et­wa 130 Men­schen nach Köln ge­bracht und am 15. Ju­ni im Gü­ter­wag­gon in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger The­re­si­en­stadt de­por­tiert. Hier wur­de Do­ra Phil­ipp­son zur Num­mer III/1-553 (III stand für Köln, 1 für den 1. Köl­ner Trans­port und 553 war ih­re in­di­vi­du­el­le Num­mer). Vom 16.6.-7.7.1942 wa­ren al­le drei Phil­ipp­sons in The­re­si­en­stadt un­ter ka­ta­stro­pha­len hy­gie­ni­schen Be­din­gun­gen in der „Han­no­ver-Ka­ser­ne“ ein­quar­tiert. Da im La­ger für die un­ter 65-Jäh­ri­gen Ar­beits­pflicht be­stand, muss­te Do­ra zu­nächst bei den an­kom­men­den De­por­ta­ti­ons­zü­gen hel­fen. Am 7.7.1942 kam sie dann mit 18 Frau­en in ein 26 Qua­drat­me­ter gro­ßes Zim­mer. Als sie am 12.7.1942 wei­ter de­por­tiert wer­den soll­te, gab sie an, sich um ih­ren al­ten Va­ter küm­mern zu müs­sen; au­ßer­dem teil­te der „Hau­s­äl­tes­te“ der jü­di­schen Ver­wal­tung, die für die Zu­sam­men­stel­lung der De­por­ta­ti­ons­lis­ten ver­ant­wort­lich war, mit, dass sie als Ar­beits­kraft un­ent­behr­lich sei. In den fol­gen­den Mo­na­ten war sie für die Nö­te, Ängs­te und Sor­gen vor al­lem der al­ten Ge­fan­ge­nen zu­stän­dig und ar­bei­te­te auf der Kran­ken­sta­ti­on des La­gers, in die auch ihr Va­ter we­gen sei­nes schlech­ten Ge­sund­heits­zu­stands häu­fig ge­bracht wur­de.

Am 1.10.1942 ka­men al­le drei Phil­ipp­sons in die Un­ter­kunft „Q 408“, wo sie ein ei­ge­nes klei­nes Zim­mer mit Bet­ten, Tisch und Bü­cher­re­ga­len er­hiel­ten. Die­se Haft­er­leich­te­rung war die Fol­ge ei­ner Nach­fra­ge des in­ter­na­tio­nal be­kann­ten schwe­di­schen Asi­en­rei­sen­den Sven He­din (1865–1952), der mit Do­ras Va­ter in Ber­lin Geo­gra­phie stu­diert hat­te, bei den NS-Be­hör­den nach dem Ver­bleib von Al­fred Phil­ipp­son. He­din hat­te sich nach sei­nem Kom­mi­li­to­nen aus Stu­di­en­zei­ten er­kun­digt, weil Kol­le­gen und Ver­wand­te Al­fred Phil­ipp­sons ihn mehr­fach dar­um ge­be­ten hat­ten. Sie hat­ten zu Recht an­ge­nom­men, dass, wenn über­haupt je­mand et­was er­fah­ren und er­rei­chen konn­te, es der mit dem NS-Re­gime stark sym­pa­thi­sie­ren­de und mit Mi­nis­tern des „Drit­ten Rei­ches“ be­freun­de­te Sven He­din war. Die Pri­vi­le­gi­en, die die Phil­ipp­sons dar­auf­hin er­hiel­ten, konn­ten al­ler­dings auch je­der­zeit von der SS wi­der­ru­fen wer­den, was auch be­deu­te­te, dass sie je­der­zeit in ein Ver­nich­tungs­la­ger hät­ten de­por­tiert wer­den kön­nen.

Al­fred Phil­ipp­son be­gann am 13.10.1942 mit den Auf­zeich­nun­gen sei­ner Le­bens­er­in­ne­run­gen. Do­ra Phil­ipp­son küm­mer­te sich wei­ter um Kran­ke, ob­wohl sie als „pro­mi­nen­te Ge­fan­ge­ne“ kei­nen Ar­beits­dienst hät­te leis­ten müs­sen. Nach der Be­frei­ung schrieb sie, wie furcht­bar die Zu­stän­de ge­we­sen sei­en: Die ver­laus­ten Kran­ken hät­ten nicht iso­liert wer­den kön­nen, die Men­schen sei­en bei le­ben­di­gem Leib von den Läu­sen auf­ge­fres­sen wor­den, vie­le wä­ren an eit­ri­gen Zell­ge­web­s­ent­zün­dun­gen ge­stor­ben, und es ha­be kei­ne Mög­lich­kei­ten ge­ge­ben, die To­ten schnell weg­zu­schaf­fen.

Kurz vor Kriegs­en­de – am 20.4.1945 – wur­den die Phil­ipp­sons ein­zeln von der SS-La­ger­lei­tung schrift­lich auf­ge­for­dert, sich für ei­ne Rei­se­grup­pe ins Aus­land be­reit­zu­hal­ten. Mit dem ge­nau­en Zeit­punkt der Ab­rei­se sei in kur­zer Frist zu rech­nen. Tat­sa­che war, dass sie au­ßer­halb des La­gers er­schos­sen wer­den soll­ten. Doch da die Ro­te Ar­mee nä­her rück­te, über­gab die SS The­re­si­en­stadt am 3.5.1945 dem Ro­ten Kreuz, und die Er­schie­ßun­gen wur­den nicht mehr durch­ge­führt.

Man­gel an Le­bens­mit­teln, feh­len­de sa­ni­tä­re An­la­gen und die vie­len völ­lig ge­schwäch­ten Über­le­ben­den führ­ten zu Seu­chen, so­dass The­re­si­en­stadt zu­nächst un­ter Qua­ran­tä­ne ge­stellt wur­de. Erst am 10.7.1945 kehr­ten Do­ra Phil­ipp­son, ihr Va­ter und sei­ne Frau nach Bonn zu­rück. Da das Haus der Fa­mi­lie „ari­sier­t“ und an­der­wei­tig ver­mie­tet so­wie ihr Ei­gen­tum ver­stei­gert wor­den war, wur­den sie vor­über­ge­hend von Freun­den auf­ge­nom­men. 1946 konn­ten sie in ei­ne Woh­nung in der En­de­ni­cher Al­lee 21 zie­hen. Von No­vem­ber 1945 bis Fe­bru­ar 1946 muss­te Do­ra Phil­ipp­son we­gen ih­res schlech­ten Ge­sund­heits­zu­stands als Fol­ge der KZ-Haft im Kran­ken­haus be­han­delt wer­den. Spä­ter wur­de sie als Stu­di­en­rä­tin dem Kol­le­gi­um des städ­ti­schen Cla­ra-Schu­mann-Gym­na­si­ums zu­ge­teilt, konn­te aber we­gen ih­rer dau­er­haft ge­schä­dig­ten Ge­sund­heit nicht mehr un­ter­rich­ten.

Sie half ih­rem Va­ter bei den zahl­rei­chen Ein­ga­ben an die Al­li­ier­ten und an die Stadt Bonn, um das täg­li­che Le­ben zu or­ga­ni­sie­ren, Recht und Be­sitz wie­der­zu­er­lan­gen und ih­re Si­tua­ti­on für ein „Wie­der­gut­ma­chungs­ver­fah­ren“ zu be­le­gen. Es ist ein Brief er­hal­ten, in dem ihr Va­ter das Stan­des­amt bit­tet, die durch die NS-Ge­setz­ge­bung er­zwun­ge­nen Na­men „Is­ra­el“ und „Sa­ra“ für die Fa­mi­lie rück­gän­gig zu ma­chen. Weil vie­le Un­ter­la­gen ver­nich­tet wa­ren, muss­te Do­ra sich vor­läu­fi­ge Zeug­nis­se und Do­ku­men­te aus­stel­len las­sen, um bei der Ab­wick­lungs­stel­le des frü­he­ren Ober­prä­si­den­ten der Nord-Rhein­pro­vinz ih­ren per­sön­li­chen und be­ruf­li­chen Wer­de­gang zu be­le­gen. Er­hal­ten blieb das aus­ge­füll­te um­fang­rei­che Merk­blatt zur Neu­an­la­ge von Per­so­nal­ak­ten, das sie der Ab­wick­lungs­stel­le zu­rücksand­te mit dem nach­drück­li­chen Ver­merk: „Da trotz mei­nes Ju­den­tums und mei­ner nach deut­schen und bri­ti­schen Richt­li­ni­en gül­ti­gen An­er­ken­nung als ras­sisch Ver­folg­te von Ih­nen ein po­li­ti­scher Fra­ge­bo­gen und Ent­na­zi­sie­rung [sic!] ge­for­dert wor­den ist, fü­ge ich bei­des als An­la­ge bei. Ich möch­te aber mit al­lem Nach­druck ge­gen die An­for­de­rung und Form die­ser 'Ent­na­zi­sie­rung' durch deut­sche Dienst­stel­len pro­tes­tie­ren; ei­ne sol­che 'Ent­las­tung' ist ein bit­te­rer Hohn auf die Ver­fol­gun­gen und Lei­den, die im Na­men des deut­schen Vol­kes über mich wie al­le mei­ne Glau­bens­brü­der und = schwes­tern ver­fügt wor­den sind.“

In den fol­gen­den Jah­ren war Do­ra Phil­ipp­son ma­ß­geb­lich am Wie­der­auf­bau der Bon­ner Syn­ago­gen­ge­mein­de be­tei­ligt. 1954 war sie Mit­be­grün­de­rin der Bon­ner Ge­sell­schaft für Christ­lich-Jü­di­sche Zu­sam­men­ar­beit, de­ren Vor­stand sie vie­le Jah­re an­ge­hör­te. 1955 grün­de­te sie den Jü­di­schen Frau­en­ver­ein in Bonn neu und ver­such­te die ma­te­ri­el­le Not zu lin­dern, die un­ter ei­ni­gen Ge­mein­de­mit­glie­dern herrsch­te. Sie blieb ihr Le­ben lang ak­ti­ves Mit­glied in der Ge­mein­de und en­ga­gier­te sich bis kurz vor ih­rem Tod für die christ­lich-jü­di­sche Zu­sam­men­ar­beit. Do­ra Phil­ipp­son starb am 18.8.1980 im Al­ter von 84 Jah­ren und wur­de auf dem Jü­di­schen Fried­hof in Bonn Ecke Rö­mer­stra­ße/Au­gus­tus­ring be­er­digt.

Quellen

Ar­chiv des Geo­gra­phi­schen In­sti­tuts der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn (AGIB) NL-Phil­ipp­son 134-136.
Uni­ver­si­täts­ar­chiv Bonn: An­mel­de­buch und Ex­ma­tri­kel GI Bn IX-62 und Ex­ma­tri­kel vom 26.3.1920.
Al­fred Phil­ipp­son Collec­tion Leo Ba­eck In­sti­tu­te New York.
Phil­ipp­son, Al­fred, Wie ich zum Geo­gra­phen wur­de. Auf­ge­zeich­net im ­Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger T­he­re­si­en­stadt zwi­schen 1942 und 1945, 2. Auf­la­ge, Bonn 2000.

Literatur

Ad­ler, Hans Gün­ther, The­re­si­en­stadt 1941-1945. Das Ant­litz ei­ner Zwangs­ge­mein­schaft, Tü­bin­gen 1955.
Bran­den­burg, Bea­te/Meh­mel, As­trid, Mar­ga­re­te Kirch­ber­ger, ver­hei­ra­te­te Phil­ipp­son, in: Kuhn, An­net­te [u.a.] (Hg.), 100 Jah­re Frau­en­stu­di­um: Frau­en der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn. Dort­mund 1996, S. 156-159.
Meh­mel, As­trid, Do­ra Phil­ipp­son, in: Kuhn, An­net­te [u.a.] (Hg.), 100 Jah­re Frau­en­stu­di­um: Frau­en der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn. Dort­mund 1996, S. 200-204.
Phil­ipp­son, Al­fred, Wie ich zum Geo­gra­phen wur­de. Auf­ge­zeich­net im ­Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger T­he­re­si­en­stadt zwi­schen 1942 und 1945. Hg. und kom­men­tiert von Hans Böhm und As­trid Meh­mel, Bonn 1996, 2. er­wei­ter­te und kom­men­tier­te Auf­la­ge, Bonn 2000.
Ro­the, Va­len­ti­ne, Jü­din­nen in Bonn 1933-1945, in: Kuhn, An­net­te (Hg.), Frau­en­le­ben im NS-All­tag. Bon­ner Stu­di­en zur Frau­en­geschich­te, Pfaf­fen­wei­ler 1994, S. 281-320.
Do­ra Phil­ipp­son hat nach der Be­frei­ung des La­gers 1945 in ei­nem Be­richt ih­re De­por­ta­ti­on und das Über­le­ben in The­re­si­en­stadt ge­schil­dert. Die­ser ist ab­ge­druckt in: Ro­the, Va­len­ti­ne: Jü­din­nen in Bonn 1933-1945, in: Kuhn, An­net­te (Hg.), Frau­en­le­ben im NS-All­tag. Bon­ner Stu­di­en zur Frau­en­geschich­te, Pfaf­fen­wei­ler 1994, S. 303–320; er liegt au­ßer­dem in der Dau­er­aus­stel­lung der Ge­denk­stät­te für die Bon­ner Op­fer des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus – An der Syn­ago­ge e.V. in der Fran­zis­ka­ner­stra­ße 9 in Bonn aus.

Dora Philippson, Porträtfoto. (Archiv des Geographischen Instituts der Universität Bonn)

 
Zitationshinweis

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Mehmel, Astrid, Dora Philippson, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/dora-philippson/DE-2086/lido/57c95a53809125.71313918 (abgerufen am 09.12.2024)