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Eberhard Welty war einer der führenden katholischen Sozialwissenschaftler der Nachkriegszeit. Seit 1930 war er Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Dominikaner in Walberberg. In seiner wissenschaftlichen Arbeit bemühte er sich, eine moderne Sozialtheorie auf der Grundlage der Sozialphilosophie des mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin (1225-1274) zu entwerfen. Während der Naziherrschaft war er Mitglied der Widerstandsgruppe „Kölner Kreis“. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte er sich für die Gründung der CDU als überkonfessionelle christliche Partei. Seine Idee eines „christlichen Sozialismus“ fand ihren Niederschlag in ersten programmatischen Entwicklungen der CDU (Kölner Leitsätze, Ahlener Programm), konnte sich letztlich aber nicht durchsetzen.
Welty wurde am 15.9.1902 im westfälischen Anholt geboren. Er wuchs auf als das älteste von elf Kindern der Familie eines Schneidermeisters. Nach dem Abschluss der Rektoratsschule in Anholt besuchte er das Gymnasialkolleg der Dominikaner in Vechta. Sein Abitur legte er 1922 am Gymnasium in Emmerich ab. Danach trat er in den Dominikanerorden (Ordo fratrum Praedicatorum, Ordenskürzel OP) ein. Er studierte Theologie an der ordenseigenen Hochschule in Düsseldorf, die später zu dem 1924 gegründeten Kloster nach Walberberg verlegt wurde. 1929 wurde Welty zum Priester geweiht. Im Anschluss an sein theologisches Lektoratsexamen absolvierte er ein sozialwissenschaftliches Studium an der Universität Köln, das er 1934 mit der Promotion abschloss. Bereits seit 1930 wirkte er als Dozent für Moraltheologie und Sozialethik in Walberberg. 1937 wählte der Konvent Welty für zwei Jahre zum Prior des Klosters, von 1939 bis 1955 bekleidete er das Amt des Studienregens.
In seiner Doktorarbeit, die 1935 unter dem Titel „Gemeinschaft und Einzelmensch“ publiziert wurde, beteiligte er sich an der vor allem zwischen Sozialethikern des Jesuiten- und des Dominikanerordens kontrovers geführten Diskussion über die theoretische Grundlegung der kirchlichen Soziallehre. Wie auch andere Dominikaner übte Welty in seiner Dissertation scharfe Kritik an der Sozialkonzeption des „Solidarismus“, die von dem Jesuiten Heinrich Pesch begründet worden war und einen vermittelnden „dritten Weg“ zwischen dem Liberalismus einerseits und dem Sozialismus andererseits darstellen sollte. Nicht zu Unrecht diagnostizierte Welty entgegen diesem theoretischen Selbstanspruch in Peschs Solidarismus eine Schlagseite zum Liberalismus und Individualismus. Denn in der Tat ist bei Pesch die Bestimmung des Verhältnisses des Einzelnen zur Gemeinschaft der Ausgangspunkt für die Formulierung der eigenen Konzeption des Solidarismus wie auch der Abgrenzung gegenüber Liberalismus und Sozialismus. „Pesch“, so Weltys Kritik, „deutet das Verhältnis von Einzelmensch und Gemeinschaft weitgehend in die Richtung des Verhältnisses von Zweck und Mittel.“
Welty und andere Dominikaner sahen in der Theorie des Solidarismus eine Abkehr von der Sozialphilosophie ihres Ordensbruders Thomas von Aquin (um 1225-1274), dessen Werk 1879 durch die Enzyklika „Aeterni Patris“ von Papst Leo XIII. (Pontifikat 1878-1903) zur Grundlage der katholischen akademischen Ausbildung erhoben worden war und die Epoche der neuscholastischen katholischen Theologie prägte. Und in der Tat ist bei Thomas, wie auch bei anderen vormodernen Denkern, nicht das Individuum der Ausgangspunkt der Sozialphilosophie, sondern das Gemeinwohl, das sich auf eine natürliche, von Gott gegebene Ordnung bezieht. Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft wird in diesem Ansatz vom Gemeinwohl abgeleitet. Welty erkannte im Solidarismus eine Abkehr von dieser thomanischen Konzeption. Demgegenüber vertrat er in seiner Dissertation eine Sozialtheorie, die die „Selbstbezogenheit“ und „Selbstzwecklichkeit“ der Gemeinschaft betont. Er sprach gar von einer „eigenen Sinnhaftigkeit“ der Gemeinschaft. Es ging Welty dabei um eine ausgewogene „Gegenseitigkeit der beiden Pole“ von Individuum und Gemeinschaft. Deshalb grenzte er sich genauso scharf von der holistischen Staatstheorie Othmar Spanns (1878-1950) ab.
Während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur hielt sich Welty zunächst vorsichtig zurück; er forschte und publizierte zu politisch unverfänglichen Themen. Über seinen Provinzial Laurentius Siemer, der von Anfang an nicht vor der Konfrontation mit den nationalsozialistischen Machthabern zurückschreckte, kam Welty aber während des Krieges in Kontakt mit dem organisierten Widerstand gegen das Regime. Seit 1941 traf sich Siemer im sogenannten „Kölner Kreis“ mit führenden Vertretern der ehemaligen christlichen Gewerkschaften und der katholischen Arbeiterbewegung, um den politischen Neuanfang nach der NS-Diktatur vorzubereiten. Zu der Gruppe gehörten unter anderem Johannes Albers (1890-1963), Wilhelm Elfes, Nikolaus Groß, Andreas Hermes, Jakob Kaiser (1888-1961), Heinrich Körner, Bernhard Letterhaus, Otto Müller und Christine Teusch. Man traf sich regelmäßig im Kölner Kettelerhaus und erörterte Fragen der politischen und wirtschaftlichen Neuordnung auf der Grundlage der katholischen Staats- und Gesellschaftslehre. Da Siemer selbst kein Sozialethiker war, bat er seinen Ordensbruder Eberhard Welty, Vorlagen für die Diskussionen des Kölner Kreises zu erarbeiten. Da das Kloster Walberberg seit 1941 beschlagnahmt war und zwischenzeitlich auch die Gestapo beherbergte, nahm Welty, um keine Aufmerksamkeit bei seinen „Mitbewohnern“ zu erregen, an den Sitzungen im Kettelerhaus mit einer Ausnahme persönlich nie teil. Siemer trug vielmehr die Manuskripte Weltys vor und gab sie ihm später, versehen mit Anmerkungen aus der Diskussion, zur weiteren Bearbeitung zurück.
Der Kölner Kreis hatte auch Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen, der Berliner Gruppe um Carl Goerdeler (1884-1945) und dem Kreisauer Kreis. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20.7.1944 wurden diese Verbindungen den Behörden offenkundig, und auch die Mitglieder des Kölner Kreis gerieten in das Visier der Gestapo. Zahlreiche Mitglieder der Gruppe wurden verhaftet, Groß, Körner und Letterhaus wurden als Mitverschwörer zum Tode verurteilt und hingerichtet. Siemer entging der Verhaftung nur um Haaresbreite und blieb bis zum Ende der Naziherrschaft auf der ständigen Flucht. Die Zugehörigkeit Weltys zu dem Kreis blieb den Häschern aber verborgen, so dass er unbehelligt in Walberberg bleiben konnte.
Nach dem Ende des Krieges kehrte auch Siemer nach Walberberg zurück. Er und Welty machten sich nun daran, die theoretischen Überlegungen des Kölner Kreises in den politischen Neubeginn einzubringen. Noch 1945 gaben sie Weltys gesammelte Referate aus dem Kölner Kreis als Manuskript heraus unter dem Titel „Was nun?“; 1946 erschien die erheblich erweiterte Buchfassung mit dem Titel „Entscheidung in die Zukunft“. Durch dieses Engagement wurde das Kloster Walberberg zu einer der geistigen Keimzellen für das Bestreben, eine neue überkonfessionelle, christlich-soziale beziehungsweise christlich-demokratische Partei zu gründen. Bereits im Juni 1945 fanden in dem Kloster Beratungen über die Gründung einer solchen Partei statt. Als Resultat wurden am 1.7.1945 die „Kölner Leitsätze“ verabschiedet, gleichsam das „Urprogramm“ der CDU, das stark von Weltys Vorstellungen geprägt war.
Auch die Gründung der Zeitschrift „Die neue Ordnung“ durch Welty im Jahr 1946 diente dem Zweck, aus Walberberger Perspektive Einfluss auf die politische Neuordnung zu gewinnen. Welty und Siemer verfochten die Idee eines „christlichen Sozialismus“, den Welty bereits in seinen später publizierten Referaten für den Kölner Kreis skizziert hatte. Diesen christlichen Sozialismus grenzte er scharf vom marxistischen Sozialismus ab, insbesondere von dessen materialistischer Geschichtsauffassung und Anthropologie. In seiner Konzeption knüpfte Welty an die aristotelisch-thomanische Lehre vom Menschen als animal sociale (Sozialwesen) an, die er bereits in seiner Dissertation zum Ausgangspunkt einer Sozialethik gemacht hatte, deren Fluchtpunkt das Gemeinwohl war. „Christlicher Sozialismus ist“, so Weltys prägnante Definition in vier Punkten, „das Bekenntnis zum ganzen Menschen, d.h. zum Menschen, der gleichursprünglich selbstverantwortliche und sozialgebundene Person ist; die unbedingte Treue in Gesinnung und Tat zur Gemeinschaft, d.h. zu sämtlichen Grundrechten und Pflichten, die in der Ordnungseinheit sozialgebundener Personen obwalten und geltend gemacht werden können; der Wille und der Mut zum Gemeingut als Mitte des sozialen Lebens, als dem Hochziel, das die einzelnen Menschen als Eigenziele umgreift, sich eingliedert und in dieser Eingliederung zur allein naturwahren Vollendung bringt; der unerbittliche Ernst zu einer Wirtschafts- und Besitzordnung, in der die Leistungen und die Güter, in der die Arbeit und das Eigentum nach Maßgabe des Gemeingutes, d.h zum Besten der ganzen Gemeinschaft und aller in ihr, eingesetzt, verteilt und zu echter Ergiebigkeit gebracht werden.“
In Konsequenz dieser sozialethischen Vorstellungen lehnte Welty das liberale Modell der wettbewerblichen Marktwirtschaft ab und forderte in der Wirtschaftspolitik eine Rückkehr zum „Prinzip der Bedarfsdeckung“. Die Produktion und Allokation der auf Erden notorisch knappen Güter dürfe nicht dem abstrakten Mechanismus von Angebot und Nachfrage überlassen, sondern müsse nach den allein vertretbaren Gesichtspunkten der Notwendigkeit und Gehörigkeit geregelt werden.
Weltys Idee eines christlichen Sozialismus beeinflusste die frühe programmatische Ausrichtung der CDU von den Kölner Leitsätzen bis zum Ahlener Programm von 1947, auch wenn sie von Anfang an umstritten war. Mit der Entscheidung, Konrad Adenauers, den Liberalen Ludwig Erhard (1897-1977) zum Autor des wirtschaftspolitischen Programms der CDU zu machen und so auch die für Wahlen erforderliche glasklare Abgrenzung zur Sozialdemokratie herbeizuführen, war die Idee eines christlichen Sozialismus in den Unionsparteien gestorben. Mit dem Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft ging die Zeit vollends über sie hinweg.
Welty selbst blieb der Politik der jungen Bundesrepublik ein willkommener Gesprächspartner. Besonders nahe stand er den Sozialausschüssen der CDU. Aber er pflegte auch den Austausch mit führenden Sozialdemokraten. Bereits im Herbst 1945 diskutierten er und Siemer in Walberberg mit SPD-Politikern über das Verhältnis von kirchlicher Soziallehre und Sozialdemokratie. In den fünfziger Jahren organisierte Welty in Walberberg einen informellen Gesprächskreis zwischen Politikern der SPD und Persönlichkeiten aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken sowie einigen Prälaten.
1951 gründete Welty das „Institut für Gesellschaftswissen Walberberg“, das sich der sozialethischen Forschung und Publizistik widmen sollte. Im gleichen Jahr erschien sein auf ursprünglich vier, dann auf fünf Bände angelegter „Sozialkatechismus“, ein, wie es im Untertitel heißt, „Werkbuch der katholischen Sozialethik“. Dieses Werk blieb unvollendet. Während der Arbeit am vierten Band, dem zweiten Teilband zur Wirtschaftsethik, starb er. Er war gerade in Freiburg im Breisgau auf dem Weg zum Herder-Verlag, um über den Fortgang des Projektes zu sprechen, als am 2.6.1965 auf offener Straße plötzlich sein Herz versagte und er tot zusammenbrach.
Werke (Auswahl)
Gemeinschaft und Einzelmensch. Eine sozialmetaphysische Untersuchung. Bearbeitet nach den Grundsätzen des Hl. Thomas von Aquin, Salzburg/Leipzig 1935.
Vom Sinn und Wert der menschlichen Arbeit. Aus der Gedankenwelt des hl. Thomas von Aquin, Heidelberg 1946.
Was nun? Grundsätze und Hinweise zur Neuordnung im deutschen Lebensraum, Heidelberg 1945. Deutlich erweiterte Fassung: Die Entscheidung in die Zukunft. Grundsätze und Hinweise zur Neuordnung im deutschen Lebensraum, Heidelberg 1946.
Christlicher Sozialismus, in: Die Neue Ordnung 1 (1946/47), S. 39-69, 132-157.
Herders Sozialkatechismus, 3 Bände, Freiburg i. Br. 1951-1958.
Literatur
Bücker, Vera, Der Kölner Kreis und seine Konzeption für ein Deutschland nach Hitler, in: Historisch-politische Mitteilungen 2 (1995), S. 49-82.
Corman, Gilbert, Ein Prediger der katholischen Soziallehre, in: Die Neue Ordnung 19 (1965), S. 302-303.
Ockenfels, Wolfgang, Eberhard Welty (1902-1965), in: Aretz, Jürgen/Morsey, Rudolf/Rauscher, Anton (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Band 4, Mainz 1980, S. 240-249.
Stegmann, Franz Josef, Die katholische Kirche in der Sozialgeschichte. Die Gegenwart, München/Wien 1983.
Uertz, Rudolf, Christentum und Sozialismus in der frühen CDU. Grundlagen und Wirkungen der christlich-sozialen Ideen in der Union 1945-1949, Stuttgart 1981.
Uertz, Rudolf, Walberberg und Die Neue Ordnung. Vor 60 Jahren: Laurentius Siemer und Eberhard Welty, in: Die Neue Ordnung 60 (2006), S. 133-139.
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Küppers, Arnd, Eberhard Welty, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/eberhard-welty/DE-2086/lido/57c92cb4c901f0.46472678 (abgerufen am 06.11.2024)