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Im Bereich der zeitgenössischen sakralen Kunst erscheint das Werk Egino Weinerts für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als einzigartig, ist es einerseits dem verhinderten Benediktinermönch und Missionar gelungen, von Köln aus Auftraggeber und Anhänger seiner Kunst auf allen Erdteilen zu finden und hat er andererseits sein unverkennbares, mehrere tausend Einzelstücke umfassendes Oeuvre als Goldschmied, Bildhauer und Maler nach einem Sprengunfall im Herbst 1945 nur mit der linken Hand geschaffen.
Als Franz Stanislaus Günter Przybilski wurde Egino Günter Weinert am 3.3.1920 in Berlin-Schöneberg geboren, wo er mit einigen Geschwistern aufwuchs und sein Vater im Schöneberger Rathaus als Angestellter arbeitete. In den 1930er Jahren ließ der Vater den Familiennamen Przybilski in Weinert umändern. Schon früh kam der Sohn Günter als junger Schüler über das Elternhaus mit Kunst in Verbindung: die später noch wesentlich berühmter gewordenen Maler Max Pechstein (1881-1955) und Emil Nolde (1867-1956) waren Berliner Nachbarn und besuchten die Familie häufig. Auch Otto Mueller (1874-1930), Georg Grosz (1893-1959) und Otto Dix (1891-1969) kamen hinzu. Sie präsentierten im Schöneberger Rathaus in den Weimarer Jahren in Ausstellungen hin und wieder ihre Werke, die dann im Anschluss im Elternhaus bei dem Rathausangestellten Weinert zwischengelagert wurden und die Faszination für Kunst bei dem jungen Schüler weckten.
Mit 14 Jahren trat Günter Weinert 1934 als Klosterschüler in die unterfränkische Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg ein – er wollte Missionar bei den Benediktinern und zugleich Maler werden. Weinert arbeitete in dieser Zeit dort auch in der Landwirtschaft mit und machte zudem zwei Jahre eine kaufmännische Lehre. Ab 1936 begann er im Kloster eine Lehre als Restaurator und Kirchenmaler, ein Jahr später trat er als Postulant den Benediktinern in Münsterschwarzach bei und begann in der neu eingerichteten Klosterwerkstatt eine Lehre als Goldschmied. Ebenso erlernte der überaus begabte Weinert dort die Bildhauerei bei dem Benediktiner Professor Valentin Kraus OSB (1873-1941). In dieser Phase wurde er 1938 Novize in der Abtei und erhielt den Klosternamen des Heiligen Bischofs Egino von Verona, den Weinert fortan zeitlebens als ersten Vornamen beibehielt.
Mit Auszeichnung legte er 1941 seine Gesellenprüfung als Gold- und Silberschmied ab, doch endete das Leben im Kloster kurz darauf mit der durch die Nationalsozialisten veranlassten Auflösung des Klosters. Egino Weinert selbst wurde sogar verhaftet und für wenige Monate inhaftiert, weil er in der Ottostraße in Würzburg den Hitlergruß verweigert hatte.
Ende 1941 wurde Weinert zum Militärdienst eingezogen, hatte aber die Weiterentwicklung seiner künstlerischen Laufbahn nicht aus den Augen verloren. Mit den Freunden und Malern Günther Blunk und Ewald Jorzig (1905-1983) aus Düsseldorf zeichnete er 1942, wenn es kriegsbedingt möglich war, ein Jahr lang gemeinsam. Im folgenden Jahr legte er in Bremen während eines Fronturlaubs seine Meisterprüfung als Gold- und Silberschmied ab. Der Meisterunterricht fand im Schutzbunker statt, die nötigen Werkzeuge hatte Weinert immer griffbereit bei sich.
Als er wieder an die Front zurückkam - er war bei der Marine eingesetzt in Küstrin und in Schleswig-Holstein - wurde er wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt und zum Tode durch Erschießen verurteilt. Nur knapp entkam er der Vollstreckung des Todesurteils, was er dem Fürstenhaus Thurn und Taxis verdanken konnte, mit dessen Hilfe er sich nun vor den Nationalsozialisten versteckte und sich schließlich nach Berlin durchschlug, wo er seine Mutter suchte, die er damals in einer von Russen kontrollierten Gemeinde Berlins fand.
Kurz vor Kriegsende kehrte Egino Weinert in das aufgelöste Kloster Münsterschwarzach zurück, wo er allein in der Goldschmiede wieder zu arbeiten begann und froh war, die letzten Jahre unversehrt überstanden zu haben. Ältere Mitbrüder hatten in den Kriegsjahren zumindest die Landwirtschaft aufrecht gehalten. Im Herbst 1945 besuchte er seine Mutter in Berlin. Diese bat ihn, eine Sicherung im Keller des Elternhauses auszutauschen, nicht ahnend, dass russische Soldaten die Elektrosicherung als Sprengfalle umgebaut hatten. Diese Falle zerriss Weinert die rechte Hand, die amputiert werden musste – ein furchtbarer Einschnitt im Leben des jungen Künstlers, der nun mühsam lernte, alle seine Ideen mit der verbliebenen linken Hand umzusetzen und dafür spezielle Techniken entwarf, um sein Kunsthandwerk weiter ausüben zu können.
Er kehrte niedergeschlagen zurück ins Kloster Münsterschwarzach und erhielt vom Abt die Erlaubnis, eine Goldschmiedearbeit nach eigenen Vorstellungen zu schaffen. Es entstand seine erste Arbeit mit der linken Hand, die gleichsam zu den schönsten und handwerklich anspruchsvollsten seiner frühen Schaffensphase zählt: eine Pax-Tafel mit einem Rauchquarz in der Mitte, der für Christus steht, und zwölf Aposteln aus Emaille, die den Quarz umrahmen. Sein Freund, der Maler Ewald Jorzig, besuchte Weinert 1947 im Kloster und bewegte den Abt, Egino die Erlaubnis zu geben, nach Köln zu gehen und die dortige Werkkunstschule zu besuchen. Als Bewerbung diente die vorzügliche Pax-Tafel. Mit seiner sofortigen Aufnahme in Köln ergab sich – noch unwissentlich – für Egino Weinert ein neuer Wirkungskreis, der ihn für den Rest seines Lebens an das Rheinland und besonders an Köln binden sollte.
Es begann in Köln eine erste spannende Arbeitsphase: Weinert studierte bei den Professoren Josef Jaekel (1907-1985) Metallbildhauerei, bei Heinrich Hußmann (1899-1982) Grafik und bei Friedrich Vordemberge (1897-1981) freie Malerei. Besonders prägte ihn die Professorin Elisabeth Treskow, bei der er die Feinheiten des Kunsthandwerkes als Gold- und Silberschmied an einem herausragenden Objekt studieren konnte: Treskow hatte 1948 den Auftrag erhalten, den während des Zweiten Weltkrieges aus dem Kölner Dom an einen sicheren Ort gebrachten und zerlegten Dreikönigsschrein wieder zusammenzusetzen – eine Arbeit, die sie gemeinsam mit ihrem Studenten Egino Weinert ausführte. In den reichen ersten zwei Kölner Jahren orientierte sich Weinert an den großen Künstlern seiner Zeit, ihn beeindruckten der Architekt Le Corbusier (1887-1965), der Maler Pablo Picasso (1881-1973), der Bildhauer Ewald Mataré (1887-1965), auch verfolgte er den Weg der früheren Berliner Künstlernachbarn und Freunde der Eltern.
Als er erfolgreich sein Studium an der Kölner Werkkunstschule beendet hatte, kehrte Egino Weinert 1949 in das Kloster Münsterschwarzach zurück, fest in dem Glauben, als Bruder endgültig in den Konvent aufgenommen zu werden und seine Ewige Profess ablegen zu können. Er zeigte den Brüdern und dem Abt seine Kölner Arbeiten: weibliche Akt-Zeichnungen und Anatomie-Studien gehörten freilich dazu neben anderen Objekten, die seine moderne Kunstauffassung und künstlerische Eigenständigkeit dokumentieren. Dies war jedoch seinen in Kunstfragen sehr konservativ denkenden Mitbrüdern und dem Abt gar nicht genehm, die nichts davon sehen wollten. Im Gegenteil – mit Mehrheitsbeschluss wurde der angehende Mönch Egino 14 Tage vor seiner Ewigen Profess aus der Klostergemeinschaft ausgeschlossen. Weinert blieb nichts anderes übrig, als Kloster Münsterschwarzach tief getroffen zu verlassen und den Wunsch, Benediktiner zu werden, aufzugeben, wenngleich er als freischaffender Künstler nie innerlich von seiner eigentlichen Berufung abgerückt ist, sie versucht hat zu leben, auch außerhalb von Klostermauern.
Nun stand er aber zunächst ohne jede Existenz da. Weinert fuhr zurück ins Rheinland und ließ sich erst einmal in Bonn nieder – ohne Geld und Bleibe. Wer würde ihn anstellen als Goldschmied oder Bildhauer mit einer Hand? Er musste selbständig, freischaffend arbeiten. Hauseingänge, Flure und Schlafplätze bei Bettlern waren die ersten Unterkünfte, ehe er einen Kohlekeller in der Nähe des Bonner Hauptbahnhofes fand, der sein erstes eigenes Atelier wurde. Er besuchte wieder die Kölner Kunstschule und studierte dort weiter freie Malerei bei dem Direktor Vordemberge. In der Kronprinzenstraße in Bonn gründete Weinert 1950 sein eigenes Atelier für Goldschmiede, Malerei und Bildhauerei. Er lernte die Buchhändlerin Anneliese Leopold kennen, in deren Buchhandlung er seine ersten Werke ausstellen konnte, und die er 1951 heiratete. In den Jahren 1952 bis 1954 arbeitete Weinert auch in der Schweiz, wo er in der Luzerner Weihestraße eine Werkstatt gründete. Inzwischen wuchs die Kinderzahl, die Tochter Gisela kam 1951 zur Welt, 1953 folgte Sohn Clemens. Das Atelier in Bonn wurde 1954 zur Galerie erweitert und mittlerweile war der Name Weinerts als bedeutender zeitgenössischer Künstler in der frühen Nachkriegszeit über die Grenzen der Stadt bekannt geworden – nicht nur Konrad Adenauer oder Carlo Schmid (1896-1979) kamen nun in sein Bonner Atelier, um sich vor Ort die neuesten Kunstwerke anzusehen oder ihm abzukaufen.
Die Familie Weinert beschloss schließlich, nach Köln überzusiedeln und ein Haus zu bauen, das Wohn- und Werkstatt, Atelier und Verkaufsraum in einem war. In der Marzellenstraße 42 im Schatten des Kölner Doms bezog man 1956 - damals noch inmitten von Kriegstrümmern - den Neubau, der Ausgangspunkt für das weitere Schaffen des Künstlers bleiben sollte. Im Jahr 1957 wurde Sohn Egino geboren, 1961 folgte noch der jüngste Sohn Fidelis.
Innerhalb der modernen sakralen Kunst war der Name Egino Weinerts mittlerweile eine feste Größe geworden, seine Bekanntheit sorgte für Aufträge und Aufmerksamkeit in aller Welt. Priester, Bischöfe und Kardinäle ließen sich Kelche, Bischofsstäbe, Kreuze und an¬ dere sakrale Gegenstände anfertigen. Weinert schuf Kirchenfenster, Tabernakel, Altäre, Kreuzwege, Madonnen, Taufbecken und Leuchter für mehrere hundert Kirchen auf allen Erdteilen. 1961 lernte er Pablo Picasso am Rande eines Liturgie-Kongresses im Kloster Montserat in Spanien persönlich kennen. Sehr beeindruckte ihn das Schaffen von Marc Chagall (1887-1985), mit dem er zur gleichen Zeit in der Kathedrale von Metz gearbeitet hatte. Auch mit Georg Meistermann (1911-1990) arbeitete er auf diese Weise in Mayen und in Solingen zusammen – Weinert schuf die Ausstattungstücke der Kirchen, Chagall oder Meistermann jeweils die Fenster.
Ein besonderer Verehrer der Kunst von Egino Weinert war 1963 zum Papst gewählt worden – noch im selben Jahr seiner Wahl schickte Papst Paul VI. (Pontifikat 1963-1978) Weinert ein Telegramm, er möge so schnell wie möglich zu ihm nach Rom kommen. Weinert machte sich nach Erhalt des Telegramms nur mit einem Koffer voller Kunstgegenstände sofort auf den Weg. Es folgten Jahre intensiver Begegnungen mit einem Papst, der den Vatikanischen Museen eine neue Abteilung für moderne Sakralkunst hinzufügen wollte und der Egino Weinert als einen wichtigen Vertreter dieser Kunst besonders schätzte und mit ihm darüber diskutieren wollte. Eine Vielzahl von Werken Weinerts findet sich heute in der Sammlung Moderner Religiöser Kunst in den Vatikanischen Museen. Zu den Verehrern seiner Kunst gehörte später auch Papst Johannes Paul II. (Pontifikat 1978-2005), mit dem Weinert ebenfalls in Rom zusammentraf.
Mehr und mehr machte Weinert eine Stirnhöhlenerkrankung zu schaffen. Sein Arzt riet ihm, mediterranes Klima zu bevorzugen. Im spanischen Dénia an der Costa Blanca fand Weinert einen Ort, der ihm zur zweiten Heimat werden sollte. 1963 baute er dort eine zweite Werkstatt und ein Haus; bis zu seinem Tod verbrachte er immer mehrere Monate des Jahres an der spanischen Ostküste. Es entstanden Freundschaften mit den Menschen vor Ort, die den deutschen Künstler im Laufe der Zeit wie einen Einheimischen annahmen. Er fuhr mit den Fischern aufs Meer hinaus – immer ausgestattet mit Block und Stiften - oder suchte im Hafen der Stadt nach Motiven zum Malen. Weinert wurde 1992 Ehrenbürger Dénias und stattete eine der Kirchen unter anderem mit einem vier mal fünf Meter hohen Emaillekreuz aus. Fast alle Motive seiner bekannten Bronzeplaketten, mit denen er religiöse Kunst jedermann zugänglich machen wollte, entstanden in Spanien. Weinert hatte die Idee, da im Zweiten Weltkrieg sehr viele Einrichtungsgegenstände und der Hausrat bei vielen Familien unwiederbringlich verloren gegangen war, Plaketten von Heiligen, Namenspatrone, Kreuze und andere christliche Motive zu entwerfen und vervielfältigen zu lassen, so dass es auch für wenig Geld möglich war, ein Werk von Egino Weinert im eigenen Heim zu haben. Über 1.300 Vorlagen für Bronzearbeiten dieser Art hat der Künstler geschaffen.
Das Kölner Atelier ließ er 1980 noch einmal erweitern. Er gründete die Ursula Kunstwerkstätten Egino G. Weinert GmbH und errichtete in Frechen-Königsdorf ein neues Ausstellungshaus für seine Werke, mit denen er so verbunden war, dass sie nicht immer verkäuflich waren. Seine Ehefrau Anneliese starb 1985 nach langer Krankheit, im Oktober 1985 heiratete Weinert seine zweite Frau Waltraud Förster, die sich fortan um den Verkauf der Arbeiten in Köln kümmerte.
Eine besondere Liebe Weinerts galt dem Emaillieren. Über 1.400 Emaille-Bilder entstanden im Laufe der Jahre; sie stechen hervor durch ihre einfachen, oft karikaturenhaften Darstellungen bei gleichzeitiger handwerklich-künstlerischer Perfektion. Bis ins hohe Alter, mit noch über 90 Jahren konnte man den Künstler – mittlerweile auch gehbehindert und im Rollstuhl sitzend – gebeugt über seinen Emaille-Bildern oder anderen Werken in seiner Kölner Werkstatt am Dom erleben, der linken Hand die hohe Arbeitsbelastung eines langen Schaffensreichtums deutlich ansehend. In fast benediktinischer Konzentration ganz der Arbeit hingegeben, erschien Weinert so vielen oftmals mehr noch als Theologe, denn als Künstler, was die Tiefe seiner Interpretationen anging. Das Werk, das er schuf, erreichte und faszinierte Menschen in aller Welt. Diese missionarische Ausbreitung seiner Werke hätte der verhinderte Mönch im Kloster Münsterschwarzach freilich nie erreichen können, doch verlor er mit seinem Arbeitspensum seine eigentliche Berufung nie aus den Augen.
Am 4.9.2012 starb Egino Weinert im Alter von 92 Jahren in Frechen-Königsdorf und wurde dort auf dem Friedhof beigesetzt. Seine Kinder sind ebenfalls in künstlerisch-freischaffenden Berufen tätig und setzen die Tradition des Vaters auf ihre Weise fort.
Im Jahr 2007 wurde die Egino Weinert-Stiftung ins Leben gerufen, deren Sitz mit dem Stiftungshaus sich in Frechen-Königsdorf befindet. Ihr Anliegen ist der Schutz und die Erhaltung des Lebenswerkers des Künstlers über seine 75-jährige Schaffenszeit hinaus. Eine große Dauerausstellung zeigt einen beeindruckenden Querschnitt seiner Arbeit.
Literatur
Rolf, Antonia, „Seine Zeit in deinen Händen“. Biographie des Goldschmiedemeisters, Malers und Bildhauers Egino G. Weinert, Köln 2000.
Online
Herfen, Bert P. (RheintalTV), Seine Zeit in deinen Händen - Egino G Weinert - Maler, Goldschmied und Bildhauer. Filmdokumentation. YouTube, 3. Juli 2013, abgerufen am 3. Dezember 2016. [online]
Website der Ursula Kunstwerkstätten und der Egino Weinert-Stiftung. [online]
Alles mit links gemacht. „Kunst ist Glaube, Hoffnung, Liebe" - Egino G. Weinert. [online]
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Burtscheidt, Andreas, Egino G. Weinert, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/egino-g.-weinert/DE-2086/lido/5e42866c0b8d58.27291717 (abgerufen am 07.09.2024)