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Emil Steffann gehörte zu den Stillen im Lande, mit denen sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Hoffnung auf einen Wiederaufbau in Bescheidenheit, Einfachheit und Sinnhaftigkeit verband. Baukunst war für ihn „ein Wissen des Herzens“. Sein Name ist vor allem mit dem Kirchenbau verknüpft.
Geboren am 31.1.1899 in Bethel bei Bielefeld als Sohn eines Arztes, lagen seine beruflichen Anfänge in Lübeck. Dort war er auch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zum leitenden Baudirektor gewählt worden. Der mit ihm befreundete Architekt und Kölner Generalplaner Rudolf Schwarz holte ihn nach Köln, wo er zunächst das Siedlungswerk des Erzbistums Köln leitete und dann, mit dem Sitz in Mehlem bei Bonn, ab 1950 als freier Architekt arbeitete. In seinem kleinen Atelier entstanden über 40 katholische Pfarrkirchen und Ordensbauten. Viele von ihnen waren von einem neuen Verständnis der Liturgie bestimmt, noch bevor es sich auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) verbreitete.
Emil Steffann war als halber Autodidakt zur Architektur gekommen. Der Bildhauerei, aber auch dem Bau von Segelflugzeugen ging er schon während seiner Schulzeit nach. Es folgten Studien an der Kunstgewerbeschule Berlin-Charlottenburg, Arbeiten in privaten Ateliers und Werkstätten, ein Lehrgang an der Lübecker Baugewerkschule sowie Auslandsaufenthalte. Vor allem das Jahr, das er im umbrischen Assisi verbrachte, dem Geburtsort des Heiligen Franziskus (1181/1182-1226), prägte sein religiöses wie sein architektonisches Denken. Franziskanische Askese lässt sich auch von seinen Kirchbauten sagen. 1926 konvertierte er, der in einer protestantischen Arzt- und Theologenfamilie aufgewachsen war, zum katholischen Glauben. Den Begriff "Glaubenswechsel" fand er aber nicht angemessen: Er habe die Kirche in den Kirchen entdeckt.
Zu einer wichtigen Bezugsperson wurde Rudolf Schwarz, dessen asketische Fronleichnamskirche Steffann 1931 in Aachen aufgesucht hatte. Mit Schwarz plante Steffann in den 1930er Jahren mehrfach gemeinsam. Ihm verdankte er die Einführung in den Kreis um die katholische Quickborn-Bewegung, deren Zentrum die mainfränkische Burg Rothenfels bildete, und die Bekanntschaft mit dem Theologen der Liturgiebewegung Romano Guardini (1885-1968). Für dessen von Schwarz entworfenes Berliner Wohnhaus übernahm er 1936 die Bauleitung. Auch die Beauftragung mit Wiederaufbauplanungen in Ostlothringen, das während des Zweiten Weltkriegs von deutschen Truppen besetzt war und mit der Pfalz und dem Saarland zu einem „Gau Westmark “ vereinigt werden sollte, ging auf Kontakte von Schwarz zurück.
Nach dem Kriege ist die Gemeinschaftsscheune, die Steffann 1943 im lothringischen Dorf Boust bei Thionville errichtet hatte, zu einer Inkunabel des einfachen Bauens gemacht worden. Daran war ihr Ruf als Dokument des gebauten Widerstands nicht unbeteiligt. Steffann hatte sich damals einen späteren Gebrauch der Scheune als Kirche vorgestellt. In ihren Giebel neben dem großen Rundbogenportal mauerte er einen Gewölbeschlussstein mit dem Lamm Christi ein, der aus einer zerstörten Dorfkapelle stammte und den er mit Lehm überstreichen ließ. Andererseits enthält das Material seiner noch im „Dritten Reich“ geplanten Veröffentlichung, der „Baufibel für Lothringen“, eine Zeichnung, die unübersehbar mit „Scheunenkirche“ betitelt ist. War es also doch kein lebensgefährlicher Akt des Widerstands, für eine Scheune eine spätere kirchliche Nutzung vorzusehen?
Steffann nahm den Eindruck der verschlossenen lothringischen Dörfer in sein späteres Berufsleben mit. Wie die mauerschweren Bauten von Assisi oder die frühchristliche Kirche S. Stefano Rotondo in Rom, deren Neuordnung er plante, gingen die geduckten Bauernhäuser in seinen inneren Bildervorrat ein. Die langen Schleppdächer, die gewaltigen Strebepfeiler, die Hausmauern, die sich in Gartenmauern fortsetzen, finden sich bei den Kirchen wieder, die Steffann nach dem Kriege baute. Gäbe es nicht den monumentalen Entwurf einer Pfarrkirche in Lübeck-Schlutup schon aus dem Jahre 1938, so könnte man meinen, von den lothringischen Bauernhäusern habe Steffann die „zeitlose Urform des Bauens in Stein“ gelernt.
Die Kirchen, die den wichtigsten Teil von Steffanns Werk ausmachen, sind ernste Bauwerke, ernst wie der Mann selbst. In ihrem geschlossenen Mauerwerk aus Ziegel- oder Bruchstein zeigen sie einfache, elementare Gestalten und vermitteln das Gefühl bergender Nähe. Fenster und Tore sind oft rundbogig, die Öffnungen mit tiefem, geschrägtem Gewände, das die Schwere der Mauer verdeutlicht. Die Römer waren für ihn die Meister des gemauerten Bogens. Der Wiederaufbau der kriegszerstörten neugotischen Kölner Franziskanerkirche St. Marien (1947-1951) wirkt in der Verwendung alter Trümmersteine - „das Heilen und Verwandeln des Verachteten zu neuem Leben“ - und den groß gesehenen Formen wie eine Hinterlassenschaft des antiken Rom. Tradition stand bei Steffann jedoch nicht im Gegensatz zu zeitgenössischer Technik. Als er in Lothringen zerstörte Bauerngehöfte neu errichtete, setzte er eisenunterspannte Rundhölzer ein. Er meldete sie ebenso wie ein selbsttragendes Betonziegeldach zum Patent an.
Steffanns Kirchen - im Rheinland unter anderem in Dormagen, Düsseldorf-Wersten, Duisburg, Euskirchen, Langenhorst bei Velbert, Merkstein bei Aachen, Oedekoven bei Bonn, Opladen (heute Stadt Leverkusen), Steinfeld (Gemeinde Kall), jeweils mehrere Bauten in Bonn und Köln - und erst recht die Siedlungs- und Wohnhäuser halten sich fern von allem, was er „emotionelle Aufwendigkeiten“ und „private Expressionen“ nannte: „Ein betonierter Schrei, zeitbedingt, der nicht wieder aufhört, gleicht einer Alarmsirene, die nicht abzustellen ist.“ Es fiele nicht schwer, im zeitgenössischen deutschen Kirchbau Beispiele auszumachen, an die Steffann gedacht haben mag. Sie begegneten ihm auch bei dem großen Kollegen, an dem sich in den 1950er Jahren die Geister schieden, bei Le Corbusier (1887-1965).
Die Wege beider kreuzten sich vermutlich beim Kartäuserkloster Marienau im oberschwäbischen Allgäu, das Steffann und Gisbert Hülsmann (geboren 1935) 1962-1964 bauten. Le Corbusier soll Interesse an diesem Auftrag gezeigt haben. Sicher hätte er es anders und besser gebaut, meinte Steffann. Aber hätte ein Oeuvre des Stararchitekten auch der besonderen Spiritualität dieses Ordens von Handwerkern und Einsiedlern entsprochen? Steffann baute seine Klöster uneitel, schweigsam wie seine Bauherren, handwerksgerecht. Der Ordensbruder, der am Strick das Glöckchen zieht, würde es wohl kaum verstehen, wenn man ihm vorschlüge, seine Tätigkeit einer Maschine zu überlassen, schrieb Steffann. Und wenn er es verstünde, würde er antworten, man dürfe doch auch ein Gebet nicht einer Maschine übertragen.
So erdnah und unerschütterlich Steffanns Kirchen auf dem Boden stehen, der Vergänglichkeit seines Tuns war ihr Architekt sich bewusst. Gern zitierte er den Spruch, den er an einem alten Haus entdeckt hatte: „Wir bauen nicht so feste/ wir sind ja hier nur Gäste". Zeitlebens begleitete ihn der Zweifel, ob seine Zeit - Diaspora-Zeit - noch Kirchen bauen könne. Er, der die festen Mauern und großen Rundbögen liebte, pflegte auch seine Sakralbauten für Behelfswerk zu halten, „weil wir heute in einer Behelfssituation leben“. Die Tore, die anderen Zeiten offen standen, seien heute verschlossen. Vielleicht baute er deshalb gern fassadenhohe Tore als Eingänge oder Chorfenster.
1940 hatte Steffann Jutta Lützow geheiratet, mit der er drei Töchter hatte. In seinen letzten Lebensjahren wurden ihm hohe Auszeichnungen zuteil: 1964 verlieh ihm die Technische Hochschule Darmstadt die Ehrendoktorwürde, ebenfalls 1964 ehrte das Land Nordrhein-Westfalen sein Lebenswerk mit dem Staatspreis für Architektur, 1965 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz.
Am 23.7.1968 erlag Emil Steffann in Bonn den Folgen eines Autounfalls.
Bauten (Auswahl)
1926-1936 – Einfamilienhäuser in Lübeck.
1942-1945 - Bauten für das Dorf Boust/Lothringen.
1947-1949 - Siedlungsplanungen für Wohnungsbaugesellschaften in Köln.
1947-1951- Wiederaufbau Franziskanerkirche St. Marien, Köln.
1962-1964 - Kartäuserkloster Marienau/Allgäu.
1953-1958 - St. Elisabeth, Opladen (heute Stadt Leverkusen).
1953-1958 - St. Bonifatius, Dortmund.
1955-1956 - St.Laurentius, München-Gern.
1956-1959 - Maria in den Benden, Düsseldorf-Wersten.
1959 - St.Hedwig, Bayreuth.
1961 - St.Helena, Bonn.
1962 - St.Laurentius, Köln-Lindenthal.
1965 - Franziskanerkloster St.Matthias ,Euskirchen.
1966 -1969 - St.Walburga ,Hausberge/Porta
1965 -1968 - St.Hedwig, Köln-Höhenhaus.
Werke (Auswahl)
Baufibel für Lothringen, Manuskript im Deutschen Architekturmuseum, Frankfurt am Main, Teilabdruck in: Arch + , 72 (1983), S. 7-26.
Können wir noch Kirchen bauen?, [u.a]. in: Baumeister 49 (1952), Heft 1, S.48ff.
Literatur (Auswahl)
Akademie der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Deutsche Unesco-Kommission (Hg.), Emil Steffann, mit Texten von Gisberth Hülsmann, Manfred Sundermann, Günter Rombold, Nikolaus Rosiny, 2. Auflage, Düsseldorf 1981.
Grexa, Susanne, Der Architekt Emil Steffann 1899-1968. Der Verzicht auf Originalität als Programm, Diss. Marburg 1997, Marburg 1999 [Mikrofiche].
Grisi, Tino, Handlung ist alles. Form ist nichts. Die Wandlung des Raumes: Romano Guardini und Emil Steffann zum 40. Todesjahr. L'azione è tutto. La forma è nulla. Tributo a Romano Guardini ed Emil Steffann a 40 anni dalla morte, Dessau 2009.
Kappel, Kai, Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen, München, Berlin 2008.
Lienhardt, Conrad [u.a.] (Hg.), Emil Steffann (1899-1968). Werk Theorie Wirkung, Regensburg 1999.
Pantle, Ulrich, Leitbild Reduktion, Beiträge zum Kirchenbau in Deutschland von 1945-1950, Regensburg 2005.
Pehnt, Wolfgang, Rudolf Schwarz und seine Zeitgenossen, Köln 2011.
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Pehnt, Wolfgang, Emil Steffann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/emil-steffann/DE-2086/lido/57c9551684fbe2.21568005 (abgerufen am 15.10.2024)