Erich Koch

NS-Gauleiter (1896-1986)

Ralf Meindl (Freiburg / Breisgau)

Erich Koch, Oberpräsident und Gauleiter von Ostpreußen, Porträtfoto, 1938. (Bundesarchiv, Bild 183-H13717/CC-BY-SA)

Erich (Ri­chard) Koch ge­hör­te als Gau­lei­ter von Ost­preu­ßen und Reichs­kom­mis­sar für die Ukrai­ne zu den be­deu­tends­ten Po­lit­kern und Funk­tio­nä­ren des "Drit­ten Rei­ches". In der Wei­ma­rer Re­pu­blik trug er ma­ß­geb­lich zum Auf­bau der NS­DAP im Ruhr­ge­biet und in Ost­deutsch­land bei. Wäh­rend der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tur war er Gau­lei­ter von Ost­preu­ßen, im Zwei­ten Welt­krieg war er als Chef der Be­sat­zungs­ver­wal­tung in der Ukrai­ne ver­ant­wort­lich für den Tod Hun­dert­tau­sen­der Ju­den, Po­len und Ukrai­ner. 1945 ver­schul­de­te er die ver­spä­te­te Eva­ku­ie­rung der ost­preus­si­schen Be­völ­ke­rung und die ihr dar­aus ent­ste­hen­den Lei­den.

Kochs po­li­ti­sche Kar­rie­re wur­de ma­ß­geb­lich durch sei­ne Her­kunft aus nied­ri­gen so­zia­len Ver­hält­nis­sen in El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) ge­prägt. Der am 19.6.1896 Ge­bo­re­ne stamm­te aus ei­ner Ar­bei­ter­fa­mi­lie, die aber kei­ner­lei Kon­takt zur Ar­bei­ter­be­we­gung pfleg­te. Die El­tern sa­hen sich viel­mehr als pa­trio­ti­sche Pro­tes­tan­ten und fühl­ten sich eher dem Klein­bür­ger­tum als der Ar­bei­ter­schaft zu­ge­hö­rig. Ih­re Kin­der er­zo­gen sie dem­entspre­chend zur Lie­be zu Gott und zum Va­ter­land, ih­ren Sohn Erich dräng­ten sie 1914 zu ei­ner si­che­ren und pres­ti­ge­träch­ti­gen Be­am­ten­lauf­bahn bei der Ei­sen­bahn. Erich Koch kam erst wäh­rend sei­ner Mi­li­tär­zeit an der Ost­front mit so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ar­bei­tern in Kon­takt und war ent­setzt, dass die­se we­der sei­ner Re­li­gi­on noch sei­ner Va­ter­lands­lie­be et­was ab­ge­win­nen konn­ten. Zu­gleich scho­ckier­ten ihn die so­zia­len Ver­wer­fun­gen in Deutsch­land, von de­nen er durch sei­ne Ka­me­ra­den er­fuhr.

Die­se Be­geg­nun­gen an der Front so­wie die be­schei­de­nen ma­te­ri­el­len Ver­hält­nis­se der ei­ge­nen Fa­mi­lie ver­an­lass­ten ihn nach sei­ner Rück­kehr aus dem Krieg da­zu, sich po­li­tisch zu en­ga­gie­ren – Koch fühl­te sich vom Ge­sell­schafts­sys­tem be­tro­gen, da es ihm sei­nen sehn­lichs­ten Wunsch, Arzt zu wer­den, ver­wei­ger­te. Sei­ne pro­tes­tan­tisch-na­tio­na­lis­ti­sche Grund­ein­stel­lung ver­bot ihm aber ein En­ga­ge­ment bei den Links­par­tei­en. Er schloss sich viel­mehr der Ma­ri­neb­ri­ga­de Ehr­hardt an, für die er Ku­rier­fahr­ten nach Mün­chen über­nahm. Dort hör­te er Adolf Hit­ler (1889-1945) re­den. Be­geis­tert trat Koch 1921 der NS­DAP bei, wur­de im glei­chen Jahr in Ober­schle­si­en und 1923 im „Ruhr­kampf" aber auch für die Frei­korps (pa­ra­mi­li­tä­ri­sche Ein­hei­ten) ak­tiv. In der NS­DAP ge­hör­te Koch zum so­zi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren „Stra­ßer-Flü­gel", der in El­ber­feld ei­ne Hoch­burg be­saß. Oh­ne die­sen Zu­fall wä­re Kochs po­li­ti­sche Kar­rie­re even­tu­ell im San­de ver­lau­fen, so aber in­ves­tier­te er der­art viel Zeit und En­er­gie in die Par­tei­ar­beit, dass er dar­über sei­nen Be­ruf ver­nach­läs­sig­te und 1926 so­gar ent­las­sen wur­de.

Zu die­sem Zeit­punkt hat­te sich Koch in der NS­DAP be­reits ei­nen Ruf als gu­ter und en­ga­gier­ter Or­ga­ni­sa­tor und als mit­rei­ßen­der Red­ner er­wor­ben, der so­gar Ver­an­stal­tun­gen un­ter per­sön­li­cher Be­tei­li­gung Hit­lers mo­de­rie­ren durf­te. In der par­tei­in­ter­nen Hier­ar­chie stieg er schnell zum Orts­grup­pen- und Be­zirks­lei­ter für das Ber­gi­sche Land auf, dann so­gar zum stell­ver­tre­ten­den Gau­lei­ter des „Gro­ßgau­es Ruhr". Er war da­mit für den Auf­bau der Par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on in ei­ner der be­deu­tends­ten Re­gio­nen des Deut­schen Rei­ches zu­stän­dig und trug da­zu bei, dass sich der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus auch au­ßer­halb Bay­erns eta­blie­ren konn­te. Zu­gleich er­warb er das po­li­ti­sche Rüst­zeug, mit des­sen Hil­fe er zu ei­nem der er­folg­reichs­ten Pa­la­di­ne Hit­lers auf­stieg.

Die NS­DAP konn­te zu die­ser Zeit nur ih­re re­gio­na­len Spit­zen­funk­tio­nä­re, die Gau­lei­ter, be­zah­len. Wenn der ar­beits­lo­se Koch Be­rufs­po­li­ti­ker wer­den woll­te, muss­te er al­so selbst Gau­lei­ter wer­den oder ein Man­dat er­rin­gen. An letz­te­rem schei­ter­te er bei der Reichs­tags­wahl im Mai 1928 im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost nur sehr knapp. Bei dem Ver­such, Gau­lei­ter zu wer­den, ver­strick­te er sich so sehr in In­tri­gen in­ner­halb der Gau­füh­rung des Ruhr­ge­biets, dass er bei­na­he aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wur­de. Kochs po­li­ti­sche Kar­rie­re wur­de da­durch ge­ret­tet, dass für Ost­preu­ßen, wo die Par­tei erst noch auf­ge­baut wer­den muss­te, ein fä­hi­ger Gau­lei­ter ge­sucht wur­de. Koch such­te nicht nur nach ei­nem neu­en Wir­kungs­be­reich, er galt auf­grund sei­ner bis­he­ri­gen Er­fol­ge auch als qua­li­fi­ziert und wur­de des­halb am 3.9.1928 zum Gau­lei­ter von Ost­preu­ßen er­nannt. Mit sei­ner En­er­gie, den po­li­ti­schen Agi­ta­ti­ons­for­men, die er im Ruhr­ge­biet ken­nen ge­lernt hat­te, und mit sei­ner mit­tel­stän­disch-so­zi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren Ideo­lo­gie war Koch der rich­ti­ge Mann da­für, die öst­lichs­te Pro­vinz Preu­ßens für Hit­ler zu er­obern. Es ge­lang ihm in kür­zes­ter Zeit, ei­ne schlag­kräf­ti­ge Or­ga­ni­sa­ti­on auf­zu­bau­en und den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus so ge­schickt zu pro­pa­gie­ren, dass die NS­DAP 1932 und 1933 in Ost­preu­ßen über zehn Pro­zent mehr Stim­men er­rang als im Reichs­durch­schnitt. Der Gau­lei­ter selbst zog 1930 in den Reichs­tag ein. Er galt schnell als „Füh­rer der Pro­vinz" und Per­so­ni­fi­zie­rung des ost­preu­ßi­schen Na­tio­nal­so­zia­lis­mus.

Nach der „Macht­er­grei­fung" 1933 bau­te Koch die­se Po­si­ti­on wei­ter aus. Mit Hil­fe von In­tri­gen und ei­ner ge­schickt ma­ni­pu­lier­ten Öf­fent­lich­keit setz­te er ge­gen den an­fäng­li­chen Wi­der­stand des Reichs­prä­si­den­ten Paul von Hin­den­burg (1847-1934, Reichs­prä­si­dent 1925-1934) sei­ne Er­nen­nung zum Ober­prä­si­den­ten der Pro­vinz durch. Durch ei­ne eben­so ge­schick­te wie bru­ta­le Po­li­tik ge­lang es ihm, die Be­am­ten für sich ein­zu­neh­men, sie ein­zu­schüch­tern oder durch sei­ne ei­ge­nen Ge­folgs­leu­te zu er­set­zen. Er re­gier­te wie ein „Gau­kö­nig", und selbst der preu­ßi­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Her­mann Gö­ring (1893-1946) gab an, er ha­be kei­nen Ein­fluss auf die Vor­gän­ge in Ost­preu­ßen.

In der Pro­pa­gan­da wur­de Koch zum Va­ter der Pro­vinz hoch­sti­li­siert, von dem jeg­li­che Ak­ti­vi­tät aus­ge­he – Koch nahm da­mit in Ost­preu­ßen die Rol­le ein, die Hit­ler für das ge­sam­te Reich in­ne hat­te. Ähn­lich wie sein „Füh­rer" hat­te auch Koch Er­fol­ge vor­zu­wei­sen, die die­se Dar­stel­lung sei­ner Per­son in den Au­gen vie­ler Ost­preu­ßen recht­fer­tig­ten. 1933 wur­de in Ost­preu­ßen die „Ar­beits­schlacht" ge­schla­gen – in der Kri­sen­pro­vinz wur­de die Ar­beits­lo­sig­keit in ei­ner Pro­pa­gan­da­ak­ti­on „aus­ge­merzt", die für das gan­ze Reich Vor­bild­cha­rak­ter ha­ben und al­len Deut­schen be­wei­sen soll­te, dass das neue Re­gime in der La­ge sei, auch das grö­ß­te Elend zu be­sie­gen. Im Mit­tel­punkt die­ser Pro­pa­gan­da­ak­ti­on stand Gau­lei­ter Koch. Nach ihm wur­de auch die von sei­nen Be­ra­tern kon­zi­pier­te um­fas­sen­de In­fra­struk­tur­re­form für Ost­preu­ßen be­nannt – der „Erich-Koch-Plan". Der wirt­schaft­li­che Auf­schwung, den die­se Re­form in Ost­preu­ßen be­wirk­te, stei­ger­te die Po­pu­la­ri­tät des Gau­lei­ters und des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gimes.

In Ber­lin galt Koch dank die­ser Er­fol­ge als Wirt­schafts­fach­mann. Ihm wur­den des­halb und auf­grund der geo­gra­phi­schen La­ge sei­nes Gau­es 1939 und 1941 er­ober­te pol­ni­sche Ter­ri­to­ri­en un­ter­stellt, au­ßer­dem wur­de er zum „Reichs­kom­mis­sar für die Ukrai­ne" er­nannt. In die­sen Ge­bie­ten er­rich­te­te er ein selbst in­ner­halb der NS-Füh­rung ob sei­ner Bru­ta­li­tät scharf ver­ur­teil­tes Ter­ror­re­gime. Er stell­te die Er­fül­lung von Lie­fer­quo­ten für Le­bens­mit­tel und Ar­beits­kräf­te ins Reich weit über das Le­ben der Men­schen und be­stärk­te Hit­ler dar­in, dass im Os­ten ein­zig ei­ne aus­schlie­ß­lich auf Bru­ta­li­tät und Ge­walt ge­grün­de­te Be­sat­zungs­po­li­tik mög­lich sei.

In Um­set­zung die­ser An­sich­ten wur­den Hun­dert­tau­sen­de Ju­den, Po­len und Ukrai­ner er­mor­det oder als Zwangs­ar­bei­ter ver­schleppt. Letzt­lich schlug Kochs Bru­ta­li­tät aber auf die deut­schen Be­sat­zer und so­gar auf die Zi­vil­be­völ­ke­rung Ost­preu­ßens zu­rück. In der Ukrai­ne bil­de­te sich ei­ne Par­ti­sa­nen­be­we­gung, die den Ok­ku­pan­ten schwe­ren Scha­den zu­füg­te. Als die Ro­te Ar­mee im Win­ter 1944/1945 nach Ost­preu­ßen ein­drang, wur­den ih­re Sol­da­ten auch mit dem Hin­weis, dies sei die Hei­mat Erich Kochs, des Statt­hal­ters der Ukrai­ne, zu Gräu­el­ta­ten an­ge­sta­chelt. Koch hielt sich bei dem An­griff zu­nächst an die Be­feh­le aus dem „Füh­rer­haupt­quar­tier", kei­ne Eva­ku­ie­run­gen durch­zu­füh­ren. Er ge­hör­te zu den In­itia­to­ren des „Volks­sturms" und träum­te da­von, sei­nen Gau als „Volks­ge­ne­ral" zu ver­tei­di­gen. Um die Ret­tung der ihm an­ver­trau­ten „Volks­ge­nos­sen" be­müh­te er sich erst, als es zu spät war. Er wur­de des­halb für das Leid und den Tod un­ge­zähl­ter ost­preu­ßi­scher Flücht­lin­ge ver­ant­wort­lich ge­macht. Sei­ne frü­he­re Po­pu­la­ri­tät schlug in Hass und Ver­ach­tung um.

Koch floh am 24.4.1945 aus Ost­preu­ßen und tauch­te in Schles­wig-Hol­stein un­ter. Er wur­de erst 1949 er­kannt und an Po­len aus­ge­lie­fert. Dort wur­de ihm 1959 der Pro­zess ge­macht. Jetzt er­in­ner­te er sich wie­der an sei­ne al­te Hei­mat: Mit den Ein­nah­men aus ei­nem in El­ber­feld ge­erb­ten Grund­stück soll­ten sei­ne Ver­tei­di­ger be­zahlt wer­den, der pro­tes­tan­ti­sche Wi­der­stands­kämp­fer Mar­tin Nie­m­öl­ler (1892-1984) und ein El­ber­fel­der Pfar­rer ver­fass­ten auf Ver­an­las­sung sei­ner Fa­mi­lie – eher dis­tan­ziert klin­gen­de – Gna­den­ge­su­che. Der ehe­ma­li­ge Gau­lei­ter wur­de den­noch zum To­de ver­ur­teilt, al­ler­dings wur­de die Stra­fe in le­bens­lan­ge Haft um­ge­wan­delt. Der Häft­ling Erich Koch ver­starb am 12.11.1986 in Al­len­stein.

Literatur

Fuh­rer, Ar­min/Scho­en, Heinz, Erich Koch. Hit­lers brau­ner Zar. Gau­lei­ter von Ost­preu­ßen un­d ­Reichs­kom­mis­s­ar ­der Ukrai­ne, Mün­chen 2010.
Klein, Ul­rich, „Mek­ka des deut­schen So­zia­lis­mus" oder „Kloa­ke der Be­we­gung"? Der Auf­stieg der NS­DAP in Wup­per­tal 1920 bis 1934, in: Goe­bel, Klaus (Hg.), Über al­lem die Par­tei. Schu­le, Kunst, Mu­sik in Wup­per­tal 1933-1945, Ober­hau­sen 1987, S. 105-149.
Kos­sert, An­dre­as, Ost­preu­ßen. Ge­schich­te un­d My­thos, Ber­lin 2005.
Lu­cas-Bu­se­mann, Er­hard, So fie­len Kö­nigs­berg und Bres­lau. Nach­den­ken über ei­ne Ka­ta­stro­phe ein hal­bes Jahr­hun­dert da­nach, Ber­lin 1994.
Meindl, Ralf, Ost­preu­ßens Gau­lei­ter. Erich Koch – ei­ne po­li­ti­sche Bio­gra­phie, Os­na­brück 2007.

Online

Erich Koch in der Da­ten­bank der deut­schen Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ten (In­for­ma­ti­ons­por­tal der Baye­ri­schen Staats­bi­blio­thek). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Meindl, Ralf, Erich Koch, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/erich-koch/DE-2086/lido/57c93684e751d2.41638850 (abgerufen am 05.12.2024)