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Erich (Richard) Koch gehörte als Gauleiter von Ostpreußen und Reichskommissar für die Ukraine zu den bedeutendsten Politkern und Funktionären des "Dritten Reiches". In der Weimarer Republik trug er maßgeblich zum Aufbau der NSDAP im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland bei. Während der nationalsozialistischen Diktatur war er Gauleiter von Ostpreußen, im Zweiten Weltkrieg war er als Chef der Besatzungsverwaltung in der Ukraine verantwortlich für den Tod Hunderttausender Juden, Polen und Ukrainer. 1945 verschuldete er die verspätete Evakuierung der ostpreussischen Bevölkerung und die ihr daraus entstehenden Leiden.
Kochs politische Karriere wurde maßgeblich durch seine Herkunft aus niedrigen sozialen Verhältnissen in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) geprägt. Der am 19.6.1896 Geborene stammte aus einer Arbeiterfamilie, die aber keinerlei Kontakt zur Arbeiterbewegung pflegte. Die Eltern sahen sich vielmehr als patriotische Protestanten und fühlten sich eher dem Kleinbürgertum als der Arbeiterschaft zugehörig. Ihre Kinder erzogen sie dementsprechend zur Liebe zu Gott und zum Vaterland, ihren Sohn Erich drängten sie 1914 zu einer sicheren und prestigeträchtigen Beamtenlaufbahn bei der Eisenbahn. Erich Koch kam erst während seiner Militärzeit an der Ostfront mit sozialdemokratischen Arbeitern in Kontakt und war entsetzt, dass diese weder seiner Religion noch seiner Vaterlandsliebe etwas abgewinnen konnten. Zugleich schockierten ihn die sozialen Verwerfungen in Deutschland, von denen er durch seine Kameraden erfuhr.
Diese Begegnungen an der Front sowie die bescheidenen materiellen Verhältnisse der eigenen Familie veranlassten ihn nach seiner Rückkehr aus dem Krieg dazu, sich politisch zu engagieren – Koch fühlte sich vom Gesellschaftssystem betrogen, da es ihm seinen sehnlichsten Wunsch, Arzt zu werden, verweigerte. Seine protestantisch-nationalistische Grundeinstellung verbot ihm aber ein Engagement bei den Linksparteien. Er schloss sich vielmehr der Marinebrigade Ehrhardt an, für die er Kurierfahrten nach München übernahm. Dort hörte er Adolf Hitler (1889-1945) reden. Begeistert trat Koch 1921 der NSDAP bei, wurde im gleichen Jahr in Oberschlesien und 1923 im „Ruhrkampf" aber auch für die Freikorps (paramilitärische Einheiten) aktiv. In der NSDAP gehörte Koch zum sozialrevolutionären „Straßer-Flügel", der in Elberfeld eine Hochburg besaß. Ohne diesen Zufall wäre Kochs politische Karriere eventuell im Sande verlaufen, so aber investierte er derart viel Zeit und Energie in die Parteiarbeit, dass er darüber seinen Beruf vernachlässigte und 1926 sogar entlassen wurde.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Koch in der NSDAP bereits einen Ruf als guter und engagierter Organisator und als mitreißender Redner erworben, der sogar Veranstaltungen unter persönlicher Beteiligung Hitlers moderieren durfte. In der parteiinternen Hierarchie stieg er schnell zum Ortsgruppen- und Bezirksleiter für das Bergische Land auf, dann sogar zum stellvertretenden Gauleiter des „Großgaues Ruhr". Er war damit für den Aufbau der Parteiorganisation in einer der bedeutendsten Regionen des Deutschen Reiches zuständig und trug dazu bei, dass sich der Nationalsozialismus auch außerhalb Bayerns etablieren konnte. Zugleich erwarb er das politische Rüstzeug, mit dessen Hilfe er zu einem der erfolgreichsten Paladine Hitlers aufstieg.
Die NSDAP konnte zu dieser Zeit nur ihre regionalen Spitzenfunktionäre, die Gauleiter, bezahlen. Wenn der arbeitslose Koch Berufspolitiker werden wollte, musste er also selbst Gauleiter werden oder ein Mandat erringen. An letzterem scheiterte er bei der Reichstagswahl im Mai 1928 im Wahlkreis Düsseldorf-Ost nur sehr knapp. Bei dem Versuch, Gauleiter zu werden, verstrickte er sich so sehr in Intrigen innerhalb der Gauführung des Ruhrgebiets, dass er beinahe aus der Partei ausgeschlossen wurde. Kochs politische Karriere wurde dadurch gerettet, dass für Ostpreußen, wo die Partei erst noch aufgebaut werden musste, ein fähiger Gauleiter gesucht wurde. Koch suchte nicht nur nach einem neuen Wirkungsbereich, er galt aufgrund seiner bisherigen Erfolge auch als qualifiziert und wurde deshalb am 3.9.1928 zum Gauleiter von Ostpreußen ernannt. Mit seiner Energie, den politischen Agitationsformen, die er im Ruhrgebiet kennen gelernt hatte, und mit seiner mittelständisch-sozialrevolutionären Ideologie war Koch der richtige Mann dafür, die östlichste Provinz Preußens für Hitler zu erobern. Es gelang ihm in kürzester Zeit, eine schlagkräftige Organisation aufzubauen und den Nationalsozialismus so geschickt zu propagieren, dass die NSDAP 1932 und 1933 in Ostpreußen über zehn Prozent mehr Stimmen errang als im Reichsdurchschnitt. Der Gauleiter selbst zog 1930 in den Reichstag ein. Er galt schnell als „Führer der Provinz" und Personifizierung des ostpreußischen Nationalsozialismus.
Nach der „Machtergreifung" 1933 baute Koch diese Position weiter aus. Mit Hilfe von Intrigen und einer geschickt manipulierten Öffentlichkeit setzte er gegen den anfänglichen Widerstand des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847-1934, Reichspräsident 1925-1934) seine Ernennung zum Oberpräsidenten der Provinz durch. Durch eine ebenso geschickte wie brutale Politik gelang es ihm, die Beamten für sich einzunehmen, sie einzuschüchtern oder durch seine eigenen Gefolgsleute zu ersetzen. Er regierte wie ein „Gaukönig", und selbst der preußische Ministerpräsident Hermann Göring (1893-1946) gab an, er habe keinen Einfluss auf die Vorgänge in Ostpreußen.
In der Propaganda wurde Koch zum Vater der Provinz hochstilisiert, von dem jegliche Aktivität ausgehe – Koch nahm damit in Ostpreußen die Rolle ein, die Hitler für das gesamte Reich inne hatte. Ähnlich wie sein „Führer" hatte auch Koch Erfolge vorzuweisen, die diese Darstellung seiner Person in den Augen vieler Ostpreußen rechtfertigten. 1933 wurde in Ostpreußen die „Arbeitsschlacht" geschlagen – in der Krisenprovinz wurde die Arbeitslosigkeit in einer Propagandaaktion „ausgemerzt", die für das ganze Reich Vorbildcharakter haben und allen Deutschen beweisen sollte, dass das neue Regime in der Lage sei, auch das größte Elend zu besiegen. Im Mittelpunkt dieser Propagandaaktion stand Gauleiter Koch. Nach ihm wurde auch die von seinen Beratern konzipierte umfassende Infrastrukturreform für Ostpreußen benannt – der „Erich-Koch-Plan". Der wirtschaftliche Aufschwung, den diese Reform in Ostpreußen bewirkte, steigerte die Popularität des Gauleiters und des nationalsozialistischen Regimes.
In Berlin galt Koch dank dieser Erfolge als Wirtschaftsfachmann. Ihm wurden deshalb und aufgrund der geographischen Lage seines Gaues 1939 und 1941 eroberte polnische Territorien unterstellt, außerdem wurde er zum „Reichskommissar für die Ukraine" ernannt. In diesen Gebieten errichtete er ein selbst innerhalb der NS-Führung ob seiner Brutalität scharf verurteiltes Terrorregime. Er stellte die Erfüllung von Lieferquoten für Lebensmittel und Arbeitskräfte ins Reich weit über das Leben der Menschen und bestärkte Hitler darin, dass im Osten einzig eine ausschließlich auf Brutalität und Gewalt gegründete Besatzungspolitik möglich sei.
In Umsetzung dieser Ansichten wurden Hunderttausende Juden, Polen und Ukrainer ermordet oder als Zwangsarbeiter verschleppt. Letztlich schlug Kochs Brutalität aber auf die deutschen Besatzer und sogar auf die Zivilbevölkerung Ostpreußens zurück. In der Ukraine bildete sich eine Partisanenbewegung, die den Okkupanten schweren Schaden zufügte. Als die Rote Armee im Winter 1944/1945 nach Ostpreußen eindrang, wurden ihre Soldaten auch mit dem Hinweis, dies sei die Heimat Erich Kochs, des Statthalters der Ukraine, zu Gräueltaten angestachelt. Koch hielt sich bei dem Angriff zunächst an die Befehle aus dem „Führerhauptquartier", keine Evakuierungen durchzuführen. Er gehörte zu den Initiatoren des „Volkssturms" und träumte davon, seinen Gau als „Volksgeneral" zu verteidigen. Um die Rettung der ihm anvertrauten „Volksgenossen" bemühte er sich erst, als es zu spät war. Er wurde deshalb für das Leid und den Tod ungezählter ostpreußischer Flüchtlinge verantwortlich gemacht. Seine frühere Popularität schlug in Hass und Verachtung um.
Koch floh am 24.4.1945 aus Ostpreußen und tauchte in Schleswig-Holstein unter. Er wurde erst 1949 erkannt und an Polen ausgeliefert. Dort wurde ihm 1959 der Prozess gemacht. Jetzt erinnerte er sich wieder an seine alte Heimat: Mit den Einnahmen aus einem in Elberfeld geerbten Grundstück sollten seine Verteidiger bezahlt werden, der protestantische Widerstandskämpfer Martin Niemöller (1892-1984) und ein Elberfelder Pfarrer verfassten auf Veranlassung seiner Familie – eher distanziert klingende – Gnadengesuche. Der ehemalige Gauleiter wurde dennoch zum Tode verurteilt, allerdings wurde die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. Der Häftling Erich Koch verstarb am 12.11.1986 in Allenstein.
Literatur
Fuhrer, Armin/Schoen, Heinz, Erich Koch. Hitlers brauner Zar. Gauleiter von Ostpreußen und Reichskommissar der Ukraine, München 2010.
Klein, Ulrich, „Mekka des deutschen Sozialismus" oder „Kloake der Bewegung"? Der Aufstieg der NSDAP in Wuppertal 1920 bis 1934, in: Goebel, Klaus (Hg.), Über allem die Partei. Schule, Kunst, Musik in Wuppertal 1933-1945, Oberhausen 1987, S. 105-149.
Kossert, Andreas, Ostpreußen. Geschichte und Mythos, Berlin 2005.
Lucas-Busemann, Erhard, So fielen Königsberg und Breslau. Nachdenken über eine Katastrophe ein halbes Jahrhundert danach, Berlin 1994.
Meindl, Ralf, Ostpreußens Gauleiter. Erich Koch – eine politische Biographie, Osnabrück 2007.
Online
Erich Koch in der Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten (Informationsportal der Bayerischen Staatsbibliothek). [Online]
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Meindl, Ralf, Erich Koch, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/erich-koch/DE-2086/lido/57c93684e751d2.41638850 (abgerufen am 05.12.2024)