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Der gebürtige Bonner Fabrikantensohn Ernst aus’m Werth wirkte als Mitglied verschiedener rheinischer Geschichtsvereine, insbesondere als Präsident des „Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande", entscheidend an der systematischen Erforschung rheinischer Kunstdenkmäler mit. Auf seine Initiative geht die 1875 erfolgte Gründung des Rheinischen Provinzialmuseums in Bonn zurück, dessen Direktor er bis zu einem Skandal 1882 war. Neben vielen anderen bedeutenden Objekten kaufte er 1876 für das Museum die Neandertaler-Funde an.
Ernst aus’m Weerth wurde am 11.4.1829 in Bonn als Sohn von Friedrich (1779-1852) und Konstanze aus’m Weerth (gestorben 1832) geboren. Der aus Barmen (heute Stadt Wuppertal) stammende Vater, in der Franzosenzeit reich geworden, gründete 1804 zusammen mit einem Partner eine Spinnerei, Weberei und Druckerei in Bonn. Ab 1807 führte aus’m Weerth die Fabrik allein, vergrößerte sie 1810 und schaffte sich ein zweites Standbein: Er wurde Bankier. 1810 heiratete er Konstanze Schneider. Anfang der 1820er Jahre erwarb er den in Bonn-Kessenich gelegenen Burbacher Hof des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters Mariabrunn als "Sommerfrische", dann das ehemalige Klostergut Marienforst in Godesberg (heute Stadt Bonn), dem 1846 die Rittergutsqualität verliehen wurde. 1823 wurde er Königlich-Preußischer Kommerzienrat, 1825 Stadtrat. 1836 wurde ihm der preußische Rote Adler-Orden (4. Klasse) verliehen. Von 1843 bis 1845 war er Abgeordneter des Rheinischen Provinziallandtags für die Wahlkreise Bonn, Münstereifel, Euskirchen und Zülpich. Als Vertreter des rheinischen Industriekapitalismus setzte er sich im Landtag für Schutzzölle gegen England ein, stand aber auch für die Judenemanzipation und die „Pressfreiheit".
Die kurze Beschreibung des Vaters bliebe unvollständig, erwähnte man nicht, dass die Familie evangelisch war. Friedrich aus’m Weerth war 1816 in der ersten evangelischen Bonner Gemeinde Kirchenältester. Auf dem Grundstück der Sommerfrische ließ er das erste evangelische Bethaus für die damals noch selbständige Gemeinde Kessenich errichten. In der Kirche des preußischen Herrscherhauses verwurzelt und engagiert, für Stadt und Staat tätig, im Geschäftsleben erfolgreich: Das Haus aus’m Weerth war ein Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Bonn. Hier verkehrten Ernst Moritz Arndt, das Ehepaar Gottfried und Johanna Kinkel, Karl Simrock, Carl Schurz, Adele Schopenhauer, der königliche Student Kronprinz Wilhelm, der spätere König Wilhelm I. (Regierungszeit 1861-1888).
Fünf der Söhne wurden in die Fabrik gesteckt, zur Bewirtschaftung des Gutes Marienforst abgeschoben oder als Bankiers installiert. Die einzige Tochter heiratete in höhere evangelische Kreise. Der Jüngste, Ernst aus’m Weerth, besuchte die höhere Real- und Gewerbeschule in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal). Im Mai 1848 schrieb er sich an der Bonner Universität für Philosophie ein. Er hörte unter anderem bei Gottfried Kinkel, „Professor extraordinarii für neuere Kunst-Litteratur". Vom 31.10.1849 bis 27.1.1953 studierte er in Berlin. 1853/1854 hielt er sich als Sekretär von Peter von Cornelius in Italien auf. 1854 wurde er in Jena mit „Studien zur Geschichte des Niederrheins" promoviert. Bei seiner Heirat im August 1855 mit der Tischlerstochter Emma Bullerdieck (geboren wohl 1834) aus Berlin wurde sein Beruf mit "Gutsbesitzer" angegeben. Einer der Trauzeugen war Ernst Moritz Arndt. Zwei Kinder aus dieser Ehe sind bezeugt; bei der Taufe der Tochter 1858 wurde sein Beruf als "Rentier" notiert. Die Familie wohnte in Kessenich.
1856 trat aus’m Weerth in den 1841 gegründeten „Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande" ein; von 1859 bis 1870 war er Sekretär des Vereins. Er, dem immer wieder die „nicht fachmäßige Ausbildung in den Altertumswissenschaften" vorgeworfen wurde - vor allem war er unbewandert in den so genannten alten Sprachen - , grub das Bad der römischen Villa bei Allenz (heute Stadt Mayen) aus; er war mit dem Teil „Rheinlande" an der zweibändigen "Histoire de Jules César" Napoleons III. (Regierungszeit 1851-1870), die 1862 erschien, beteiligt. 1857 begann er sein Hauptwerk, die „Kunstdenkmäler des christlichen Mittelalters in den Rheinlanden". Für die Vorarbeiten - er gilt als der erste, der das Rheinland mit seinen Denkmälern systematisch bereist hat - hatte er sich bereits 1854 in Berlin Unterstützung verschafft bis hin zu der Sicherheit, dass das Werk an öffentliche Anstalten verteilt werden würde. Für den dritten Band verlieh der preußische Kultusminister Moritz August von Bethmann-Hollweg, ehemals Kurator der Universität Bonn, aus’m Weerth 1860 den Professorentitel.
Umtriebig nutzte er seine Position im Altertumsverein: Er warb um neue Mitglieder und inventarisierte zusammen mit einem Fachkollegen ab 1863 die über die Jahre entstandene Vereinssammlung. Hier kam ihm wohl seine „ungeheure Materialkenntnis" zugute, die immer wieder hervorgehoben wurde. Außerdem veröffentlichte er in der Zeitschrift des Vereins, dem Bonner Jahrbuch. 1864 wurde er in die "Kgl. Kommission zur Erhaltung und Erforschung der Kunstdenkmäler" berufen. Er wurde auch Mitglied des „Historischen Vereins für den Niederrhein". Im September 1868 war er Mitorganisator des „Internationalen Kongresses für Altertumskunde und Geschichte", der erst zum zweiten Mal, eben in Bonn, stattfand. Im Mai 1870 wurde das Museum Vaterländischer Altertümer vom Akademischen Kunstmuseum der Bonner Universität - beides Gründungen aus der 1820er Jahren - getrennt und fortan wurde eine auf längere Sicht annehmbare Bleibe für das Museum der Vaterländischen Altertümer gesucht. Außerdem sollte die Sammlung des Altertumsvereins zugänglich gemacht werden. Zu dieser Zeit wurde aus’m Weerth Vizepräsident des Vereins und ab 1875 bis zu seinem Ausscheiden elf Jahre später dessen Präsident. Schon 1869 hatte er begonnen, fast jährlich so genannte Denkschriften nach Berlin zu richten, in denen er die Einrichtung einer staatlichen Stelle im Rheinland zum Sammeln, Bewahren und Erforschen der "Altertümer" forderte, ein Museum, in dem die Sammlungen des Altertumsvereins und das Museum Vaterländischer Altertümer aufgehen sollten. Direktor, Vereinspräsident, möglichst noch die neu zu schaffende Position eines Provinzialkonservators sollten in Personalunion besetzt werden – natürlich durch ihn, Ernst aus’m Weerth.
Im März 1874 beschloss der Rheinische Provinziallandtag die Gründung von Provinzialmuseen in Bonn und Trier. Für Bonn hieß das: Fusion der Sammlung des Altertumsvereins mit dem Museum Vaterländischer Altertümer. Im Februar 1875 erfolgte der offizielle Gründungserlass aus dem preußischen „Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten", dem die beiden Museen lange Zeit unterstellt blieben. Aus’m Weerth wurde vom Provinzialverwaltungsrat in Düsseldorf als Direktor vorgeschlagen, allerdings erst im Juli 1876 von Berlin bestätigt – ein Zeichen, dass man die Bedenken der Fachleute, vor allem aus der Universität Bonn, gegen ihn ernst nahm. Zur Kompensation seiner „dürftigen wissenschaftlichen Ausstattung" halfen auch die bereits angesammelten Orden nichts: der Rote Adler-Orden erst der 4. Klasse, dann der 3. Klasse, der Wasa-Orden, die Verdienstmedaille in Gold aus Mecklenburg (der Königliche Kronen-Orden, 3. Klasse, und das „Croix l’officier de L’Étoile de Roumanie" sollten noch folgen). Den Museen in Bonn und Trier wurde eine neunköpfige Kommission beigesellt, bestehend aus je vier vom Staat Preußen und der Rheinprovinz bestellten Persönlichkeiten, während der Staat den Vorsitzenden bestimmte.
Das Entstehen des Museums ist eine eigene Geschichte – zwischen dem Ankauf des Grundstücks an der Colmantstraße 1882 und der Eröffnung des Museums 1893 liegen elf Jahre, die Ernst aus’m Weerth nicht mehr als Direktor erlebte. Ende 1882 vergriff er sich an einem 17-jährigen Jungen. Das wurde publik und aus’m Weerth zog sich Anfang 1883 wegen „reizbarer Nervenschwäche" zu einer Kur zurück. Der Erste Staatsanwalt in Bonn nahm ein Verfahren wegen „widernatürlicher Unzucht und unsittlichen Handlungen" auf; im März stellte aus’m Weerth sein Amt zur Verfügung, Ende März wurde er entlassen, im Juni für schuldig erkannt. Die Gefängnisstrafe wurde in eine Geldstrafe umgewandelt. Aus’m Weerth war damit gesellschaftlich und wissenschaftlich ruiniert; bis zu seinem Ableben am 23.3.1909 wurde er totgeschwiegen. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Alten Friedhof in Bonn.
Bereits 1883 hatte er durch das Auktionshaus Lempertz in Bonn seine Bibliothek versteigern lassen, 1886 war er aus dem Altertumsverein ausgetreten; 1895 kam seine Privatsammlung, aus der das Provinzialmuseum einige Stücke erwarb, zur Versteigerung. Nach seinem Tod folgte eine dritte Versteigerung. Das Haus in Kessenich wurde von den Erben verkauft.
Quellen
Zu Ernst aus’m Weerth finden sich Quellen in folgenden Institutionen: im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland in Düsseldorf, im Landesarchiv Koblenz, Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem, ferner in den Archiven der Humboldt-Universität zu Berlin, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Landschaftsverbandes Rheinland in Pulheim-Brauweiler, des Evangelischen Gemeinde- und Kirchenkreisverbands Bonn sowie im Stadtarchiv Bonn.
Deutsches Kunstblatt 1853/54, Mittheilungen aus Rom in 5 Folgen.
Deutsche Revue, November-Heft, 32, (1908), S. 171-190.
Kunstchronik. Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe, Neue Folge 20. Jahrgang 1908/1909, Nr. 22, 16. April.
Schriften (Auswahl)
Studien zur Geschichte des Nieder Rheins (Dissertation, handschriftlich), Jena 1854Kunstdenkmäler des christlichen Mittelalters in den Rheinlanden, 7 Bände, Leipzig 1857–1880.
Die Bronce-Statue von Xanten, gefunden am 16. Februar 1858, Bonn 1858.
Das Bad der römischen Villa bei Allenz, Bonn 1861.
Das Siegeskreuz der byzantinischen Kaiser Constantinus VII. Porphyrogenitus und Romanus II. und der Hirtenstab des Apostels Petrus: 2 Kunstdenkmäler byzantinischer und deutscher Arbeit des 10. Jahrhunderts in der Domkirche zu Limburg a. d. L. (= Winckelmanns Geburtstag), Bonn 1866.
Bonn. Beiträge zu seiner Geschichte und seinen Denkmälern, von Fr. Ritter, J. Freudenberg, K. Simrock, W. Harless, E. v. Schaumburg, C. Varrentrapp, E. aus’m Weerth, A. Wuerst, Bonn 1868.
Verhandlungen des internationalen Congresses für Alterthumskunde und Geschichte zu Bonn im September 1868, Bonn 1871.
Der Mosaikboden in St. Gereon zu Cöln nebst den damit verwandten Mosaikböden Italiens, Bonn 1873.
Die Münsterkirche zu Bonn, [1885].
Die Wandmalereien in der Kirche Schwarzrheindorf, Bonn 1891.
Die Wandmalereien in der Kappelle der Commende des deutschen Ordens zu Ramersdorf, Bonn 1901.
Literatur
Füllner, Bernd (Hg.), Marie Weerth, Georg Weerth. 1822–1856. Ein Lebensbild, Bielefeld 2009.
John, Gabriele, 150 Jahre Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande, Köln/Bonn 1991.
Niesen, Josef, Bonner Personenlexikon, 3., verbesserte und erweiterte Auflage, Bonn 2011, S. 30.
Rheinisches Landesmuseum Bonn. 150 Jahre Sammlungen 1820–1970, Düsseldorf 1971.
Online
Die Geschichte des LVR_LandesMuseums Bonn (Information auf der Website des LVR-LandesMuseum Bonn). [Online]
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Widmann, Marion, Ernst aus’m Weerth, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ernst-aus%25E2%2580%2599m-weerth/DE-2086/lido/57c929c5059d53.21757755 (abgerufen am 09.12.2024)