Zu den Kapiteln
Schlagworte
Erwin Nasse war Nationalökonom und Politiker sowie Mitbegründer und Vorsitzender des "Vereins für Socialpolitik".
Nasse wurde am 2.12.1829 als achtes von neun Kindern des renommierten Internisten und Psychiaters Christian Friedrich Nasse (1778-1851) und dessen Ehefrau Henriette Weber (1788-1878) in Bonn geboren. Die Religiosität und das vielfältige Interesse seines protestantischen Vaters an Politik, Religion, Kunst und Literatur sollten ihn zeitlebens prägen. Von Nasse ist überliefert, er sei stets mit einem Band von Shakespeare oder Goethe in der Hosentasche anzutreffen gewesen. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Bonn nahm er dort 1846 das Studium der Klassischen Philologie auf. Zwei Jahre später wechselte er kurzfristig nach Göttingen, wurde dann aber 1851 wieder in Bonn mit der Dissertation „Meletemata de publica cura annonae apud Romanos" promoviert, einer philologisch-historischen Arbeit, bei der sein sozialwissenschaftliches Interesse allerdings bereits anklingt.
Nach der Promotion absolvierte er seinen Militärdienst und beschloss währenddessen, sich fortan der Nationalökonomie zu widmen. Dem weiteren Studium in Berlin sowie einem längeren Aufenthalt in England folgte 1854 die Habilitation über das britische Steuerwesen in Bonn. Im Frühjahr 1856 wurde Nasse zum Professor der Staatswissenschaften in Basel berufen, nur ein halbes Jahr später wechselte er nach Rostock. 1860 kehrte er als Professor für /span> in seine Heimatstadt Bonn zurück, wo er zeitweise das Dekanat der philosophischen Fakultät sowie das Rektorat innehatte. 1869 wurde er als Angehöriger der Freikonservativen Partei ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt und engagierte sich dort vor allem in der Budgetkommission. Wegen zunehmender Lehrverpflichtungen an der Universität und aus Unzufriedenheit über Otto von Bismarcks (1815-1898) Schutzzollpolitik schied er zehn Jahre später aus dem Parlament aus.
1873 war Nasse Mitbegründer des "Vereins für Socialpolitik", dessen Vorsitzender er im Jahr darauf bis zu seinem Tod wurde. Ein Jahr vor seinem Tod ernannte ihn die Bonner Universität zu ihrem Vertreter im preußischen Herrenhaus. Bevor er jedoch erstmals an einer Sitzung teilnehmen konnte, raffte ihn am 4.1.1890 in Bonn eine Grippeepidemie dahin. Sein Grab befindet sich auf dem Poppelsdorfer Friedhof in Bonn. Als Wissenschaftler fiel Nasse durch seine vielfältigen Interessen auf. Der historischen Schule der Nationalökonomie nahe stehend, wenngleich nicht völlig mit ihr identifiziert, verwies er häufig darauf, wie wertvoll seine philologische Schulung gewesen sei und motivierte seine acht Kinder aus seiner Ehe mit Hermine von Hogendorp, die er 1858 geheiratet hatte, sich umfassend geschichtlich zu bilden. Nasse veröffentlichte Schriften über das Geld- und das Bankwesen, die englische und preussische Steuerpolitik, das englische Parlament und das preussische Beamtentum, wobei vor allem seine Abhandlungen über das Bank- und das Geldwesen Beachtung fanden, die sein berühmter Kollege Joseph Schumpeter (1883-1950) später zu den besten deutschen Publikationen zählte.
Die ersten rein volkswirtschaftlichen Schriften, in denen er sich mit der englischen Steuerpolitik und dem preussischen Bankwesen befasste, erschienen Mitte der 1850er Jahre. Ab 1863 widmete er sich vermehrt wirtschaftsgeschichtlichen Themen, was seinen Höhepunkt 1869 in der Veröffentlichung „Über die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Einhegung des 16. Jahrhunderts in England" fand.
Geprägt von seinem tiefreligiösen Elternhaus engagierte sich Nasse in der Gemeindevertretung seiner Kirche und begann, sich zunächst im Rahmen christlicher Gemeinschaften mit Fragen der Sozialpolitik zu befassen und Ende der 1860er Jahre Vorträge über Armenpflege und die Arbeiterfrage zu halten. Sein Engagement mündete schließlich in der Mitbegründung des "Vereins für Socialpolitik", der es sich auf die Fahnen geschrieben hatte, dem Laissez-faire-Denken des deutschen Manchesterliberalismus, der sich gegen eine aktive Sozialpolitik einsetzte, entgegen zu treten, was den Gründern des Vereins alsbald das Etikett „Kathedersozialisten" eintrug.
Der Verein sollte zu einer bedeutenden ökonomischen Vereinigung heranwachsen, nachdem er sich rund um die Jahrhundertwende von einer sozialpolitisch klar positionierten Interessengruppe zu einer politisch neutralen Gesellschaft wandelte. Als Vorsitzender des Vereins gab Nasse gemeinsam mit seinem Kollegen Adolph Wagner (1835-1917), einem der bekanntesten Ökonomen der Ära Bismarck, eine Neuauflage des mehrbändigen „Lehrbuch der Politischen Ökonomie" von Karl Heinrich Rau (1792-1870) heraus, ein wichtiges Lehrbuch seiner Zeit, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde.
Werke (Auswahl)
Armenpflege und Selbsthilfe, Bonn 1868.
Bemerkungen über das preußische Steuersystem, Bonn 1861.
Meletemata de publica cura annonae apud Romanos, Dissertationsschrift, Bonn 1851.
Die Preußische Bank und die Ausdehnung ihres Geschäftskreises in Deutschland, Bonn 1866.
Über die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Einhegung des 16. Jahrhunderts in England, Bonn 1869.
Über die Reformen im britischen Steuerwesen seit der Wiedereinführung der Einkommen-Steuer durch Sir Robert Peel, Habilitationsschrift, Bonn 1854.
Literatur
Mann, Bernhard/Doerry, Martin/Rauh, Cornelia,/Kühne, Thomas (Hg.), Biographisches Handbuch für das Preussische Abgeordnetenhaus 1867–1918, Düsseldorf 1988, S. 280.
Online
Pohl, Hans, "Nasse, Erwin", in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 742. [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Streeck, Nina, Erwin Nasse, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/erwin-nasse/DE-2086/lido/57c95254b9cf87.03197788 (abgerufen am 09.12.2024)