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Eugen Richter gehörte in der späten Bismarck-Zeit und zu Beginn der wilhelminischen Ära neben August Bebel und Ludwig Windthorst (1812-1891) zu den bekanntesten Oppositionspolitikern. Als führendes Mitglied der Deutschen Fortschrittspartei erwies er sich als ein vehementer Kritiker des Kulturkampfes und der Sozialistengesetzgebung wie auch des außenpolitischen Kurses des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815-1898) und seiner Nachfolger.
Eugen Richter wurde am 30.7.1838 in Düsseldorf als Sohn des preußischen Militärarztes Adolf Leopold Richter geboren. Seine Jugend verlebte er im Rheinland und besuchte das Gymnasium in Koblenz. Nach dem Abitur studierte er von 1856 bis 1859 Rechtswissenschaften in Berlin, Heidelberg und Bonn. Seine juristische Karriere im Staatsdienst, unter anderem als Referendar beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf, endete jedoch schon nach wenigen Jahren, weil er sich in satirischen Schriften kritisch mit bürokratische Hürden und der Beschränkung der Gewerbefreiheit auseinandergsetzt hatte. Wegen seiner liberalen Gesinnung wurde 1864 auch seine Wahl zum Bürgermeister von Neuwied durch den preußischen König und späteren Kaiser Wilhelm I. (Regentschaft 1858-1888) nicht bestätigt. Otto von Bismarck soll diese Entscheidung später angesichts der häufigen parlamentarischen und publizistischen Attacken Richters sehr bedauert haben.
Bald darauf verlegte Richter seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin und wurde zu einem der ersten Berufspolitiker in Deutschland, der vor allem von seiner Publizistik, unter anderem als Herausgeber der „Freisinnigen Zeitung", lebte. „Von allen Rücksichten los und ledig, war ich nunmehr meinem innersten Beruf zurückgegeben, nach meiner eigensten selbständigen Überzeugung in Wort und Schrift zur Verbesserung der Zustände im Gemeinwesen mitzuwirken", heißt es dazu in Richters Lebenserinnerungen. 1867 wurde er als Abgeordneter des mitteldeutschen Wahlkreises Schwarzburg-Rudolstadt erstmals in den konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt. Dort machte er sich bald einen Namen als finanzpolitischer Fachmann. Von 1871 bis zu seinem Tod im Jahr 1906 gehörte er dem Deutschen Reichstag an und vertrat ab 1874 den Wahlkreis Hagen-Schwelm. 1875 übernahm Richter den Fraktionsvorsitz der linksliberalen Deutschen Fortschrittspartei, eine Funktion, die er trotz organisatorischer Veränderungen im Linksliberalismus praktisch bis zu seinem Lebensende innehatte. Richter galt als energischer Kritiker von Bismarcks Innen- und Außenpolitik; seine oppositionelle Haltung setzte sich aber auch unter späteren Reichskanzlern fort. So lehnte er – vor allem aus finanziellen Erwägungen – ein deutsches Ausgreifen nach Übersee immer ab. Obwohl gebürtiger Rheinländer und auch später dem Westen Deutschlands, unter anderem über seinen langjährigen Reichs- und Landtags-Wahlkreis Hagen, weiterhin verbunden, konstatierten sowohl Zeitgenossen als auch spätere Historiker bei Eugen Richter sowohl politisch als auch persönlich mehr „preußische" als „rheinische Züge": Als Parteiführer lag seine Stärke eher im Polarisieren als im Integrieren, was nicht ohne Folgen auf den organisatorischen Zusammenhalt des Linksliberalismus blieb. So war hauptsächlich seine Person 1893 Ursache für die Spaltung der Linksliberalen in zwei „freisinnige" Fraktionen. Nicht unumstritten im eigenen Lager war auch die von ihm bevorzugte Taktik, den Liberalismus sowohl gegen den Konservativismus als auch die Sozialdemokratie in Stellung zu bringen. Unter seiner Ägide gelang es nicht, in dem entstehenden breitgefächerten Parteienspektrum für den Linksliberalismus neue Wählerschichten zu erschließen, was sich bei einer schnell ansteigenden Wahlbeteiligung negativ auf die parlamentarische Position der Liberalen auswirkte. Richter selbst hat dies nicht unbedingt negativ gesehen; in einer Laudatio auf seinen Gesinnungsfreund Rudolf Virchow (1821-1902) meinte er 1896: „Es gereicht uns zur Ehre, weil wir deshalb weniger geworden sind, weil wir uns niemals eingelassen haben auf Kompromisse."
Positiv wird dagegen vor allem von vielen heutigen Liberalen Richters anhaltender Widerstand gegen die Einrichtung eines staatlich gelenkten Wohlfahrtsystems mit Zwangsmitgliedschaften angesehen. Seine diesbezügliche Streitschrift „Sozialdemokratische Zukunftsbilder – frei nach Bebel" von 1891 hatte ebenso wie sein mehrfach aufgelegtes „Politisches ABC-Buch. Ein Lexikon parlamentarischer Zeit- und Streitfragen" durchaus Bestseller-Charakter. Richters wirtschaftspolitischem Credo vom Vorrang von Markt und Handelsfreiheit entsprach sozialpolitisch sein Glaube an Freiwilligkeit und Eigeninitiative. So führte er in einer Reichstagsrede 1879 nicht allein auf den Schutzzoll gemünzt aus: „das Versprechen von Staatshilfe, dass alles besser werden würde durch den Zolltarif, ist eine sozialistische (Methode), nicht geeignet, die Arbeitslust, die Selbsttätigkeit, die Energie in den Produktionskreisen wachzurufen".
Als einen Akt der von Richter zeit seines Lebens hochgehaltenen „freiwilligen Solidarität" kann man auch den Umstand bewerten, dass er, der eingefleischte Junggeselle, im Alter von 63 Jahren die Witwe eines langjährigen politischen Lebensgefährten heiratete, um diese zu versorgen.
Im ausgehenden Kaiserreich galt Eugen Richter als Verkörperung eines deutschen Liberalen, wie ihn beispielsweise Heinrich Mann (1871-1950) in seinem kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen berühmten Roman „Der Untertan" gezeichnet hat. Insgesamt war Richters Politik und Strategie durch einen defensiven Charakter gekennzeichnet, vor allem als sich 1888 durch den frühen Tod von Kaiser Friedrich III. (Regentschaft 1888) die Hoffnungen auf einen liberalen Wechsel an der Staatsspitze endgültig zerschlugen. Friedrich Naumann (1860-1919) schrieb in seinem Nachruf auf den „Reichskritikus" Richter: „Er hatte das Schicksal, das Rückzugsgefecht des deutschen Liberalismus führen zu müssen und konnte dabei wenig wirklich frohe Tage erleben." Naumann sorgte selbst dafür, dass der Linksliberalismus nach Richters Tod im März 1906 zunächst sich wiedervereinte und dann eine offenere Haltung zur kaiserlichen Politik, damit auch zur Kolonialpolitik und zum Wohlfahrtsstaat einnahm. Ob dadurch der Linksliberalismus seine politische Position mittelfristig deutlich hätte verbessern können, lässt sich im heute nicht mehr entscheiden, da der Ausbruch des Ersten Weltkriegs auch innenpolitisch die Rahmenbedingungen vollkommen veränderte.
Seiner rheinischen Heimat hat sich Eugen Richter auch nach vielen Jahrzehnten in Berlin gern erinnert. Über seine Gymnasialzeit heißt es in den „Jugenderinnerungen": „(A)uch heute noch danke dem Koblenzer Gymnasium die nachhaltige Gewöhnung an ernstes und ausdauerndes Lernen." Und zu seiner Geburtsstadt kann man an gleicher Stelle lesen: „Auch sonst hat es im heiteren Düsseldorf niemals an Gelegenheit zur Geselligkeit gefehlt."
Eugen Richter starb am 10.3.1906 in Berlin Lichterfelde.
Schriften (Auswahl)
Im alten Reichstag, 2 Bände, Berlin 1894
Jugenderinnerungen, Berlin 1892
Der liberale Urwähler oder was man zum Wählen wissen muß. Politisches Handbüchlein nach dem ABC geordnet, Berlin 1879
Sozialdemokratische Zukunftsbilder - frei nach Bebel, Berlin 1891/Nachdruck 2006
Literatur
Doering, Detmar, Eugen Richters Bedeutung für die Gegenwart, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 19 (2007), S. 211-223.
Kieseritzky, Wolther von, Liberalismus und Sozialstaat. Liberale Politik in Deutschland zwischen Machtstaat und Arbeiterbewegung, Köln/Weimar 2002.
Lorenz, Ina Susanne, Eugen Richter. Der entschiedene Liberalismus in wilhelminischer Zeit 1871 bis 1906, Husum 1981.
Online
Eugen Richter in der Datenbank der deutschen Reichstagsabgeordneten (Informationsportal der Bayerischen Staatsbibliothek). [Online]
Website des Eugen-Richter-Archivs. [Online]
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Frölich, Jürgen, Eugen Richter, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/eugen-richter/DE-2086/lido/57cd1f647a93d1.45330922 (abgerufen am 03.12.2024)