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Einleitung
Die aus Lothringen (Audun-le-Tiche) stammende Familie Boch baute ein weltweit führendes Unternehmen auf, das hauptsächlich Geschirr, Fliesen und Sanitärkeramik produziert und vertreibt. Mit dem Erwerb der säkularisierten Benediktinerabtei St. Peter in Mettlach im Jahre 1809 fasste sie Fuß an der Saar. Die ehemalige Abtei beherbergte bis weit ins 20. Jahrhundert den Hauptsitz des Unternehmens beziehungsweise die Konzernzentrale. Im ehemaligen Klostergarten befindet sich auch die Familiengruft.
Bis 1748 war der Eisengießer François Boch (1700-1754) Bombenbauer des französischen Königs, dann begann er mit der Keramikherstellung. Seine drei Söhne und sein Schwiegersohn stellten Alltagsgeschirr (Töpfe, Schüssel, Kannen) her, für das sie Steingut, das „Porzellan des Bürgertums", verwandten. Die Brüder Boch verlegten 1767 ihr Unternehmen in das luxemburgische Septfontaines, wo sie durch den Waldbestand und die Wasserverhältnisse günstige Produktionsbedingungen und dank fehlender Konkurrenz einen guten Absatzmarkt besaßen. Nach dem ältesten der Brüder nannten sie das Unternehmen Jean-François Boch et Frères. Lothringische Facharbeiter folgten der Firma, die den Übergang vom Handwerks- zum Industriebetrieb mit 300 Beschäftigten erreichte. In Brüssel richtete sie 1775 ein Verkaufslager ein.
Pierre-Joseph Boch
Seit 1792 war Pierre-Joseph Boch (1737-1818), der Künstler und Handwerker der Familie, alleiniger Eigentümer des Unternehmens. Nach der Zerstörung seines Anwesens durch die Revolutionstruppen meisterte er den Neuanfang: Produkte aus Septfontaines konnten bereits 1802 auf einer Pariser Industrieausstellung gezeigt werden. Im Jahre 1811 hatte Pierre-Joseph 150 Arbeiter beschäftigt.
Jean-François Boch
Die wirtschaftlichen Chancen der napoleonischen Zeit, nicht zuletzt dank des Ausschlusses der englischen Konkurrenz vom europäischen Markt infolge der Kontinentalsperre, nutzte auch sein Sohn Jean-François Boch (1782-1858). Er genoss eine naturwissenschaftliche Ausbildung als Chemiker und Physiker an der Pariser École des Sciences. Danach stieg er nicht in das väterliche Unternehmen ein, sondern gründete mit seiner aus den Ardennen stammenden Ehefrau eine eigene Fabrik, die Firma Boch-Buschmann, und zwar in der säkularisierten Benediktinerabtei in Mettlach, die er 1809 einem Trierer Buchdrucker, der sie im Zuge der Nationalgüterversteigerung erworben hatte, abkaufte.
Mit Jean-François Boch hielt der technische Fortschritt Einzug in die Steingutfabrikation. Er entwickelte ein neues Ofensystem, bei dem er Kohle verwandte und das Äußerste an Heizwert herausholte. Mit einem Pyrometer konnte er die Temperatur ziemlich genau ablesen und den Brennvorgang exakter als bis dahin steuern. Die Töpferscheiben betrieb er durch Wasserkraft. Seine erste Belegschaft rekrutierte er aus bewährten Kräften der älteren Familienbetriebe in Lothringen beziehungsweise Luxemburg. Modernsten Beispielen folgend, trug er Muster auf das Geschirr auf. Nachdem sein Vater 1818 gestorben war, kümmerte er sich verstärkt um das luxemburgische Werk in Septfontaines, das ihm und seinem Schwager je zur Hälfte gehörte. Nach dem Tod des Schwagers 1829 siedelte er ganz nach Septfontaines um und überließ die Leitung des Mettlacher Werkes seinem 20jährigen Sohn Eugen (1809-1898), dem berühmtesten Spross der Familie.
Jean-François Boch entwickelte einen kreativen Umgang mit konkurrierenden Betrieben und strebte Fusionen und Beteiligungen statt eines Wirtschaftskrieges an. Mit der innovativen Wallerfanger Keramikfabrik Villeroy kooperierte er schon viele Jahre, bevor es 1836 zu einer Fusion kam. 1842 trat zu dem geschäftlichen ein privates Band, denn Eugen Boch heiratete Octavie Villeroy (1823-1899), die Tochter von Charles Villeroy (1788-1848), des Leiters der Steingutfabrik. In diesen Jahren erhielt Jean-François Boch durch die Société de l’Industrie Luxembourgeoise einen Konkurrenten für das Werk in Septfontaines. Durch eine Beteiligung an der konkurrierenden Gesellschaft löste er einen möglichen Wettbewerbskonflikt und wurde Geschäftsführer von drei vereinigten Steingutfabriken, die unter dem Namen Jean-François Boch & Cie. KG produzierten.
Analog verfuhr er, als infolge der Gründung des belgischen Staates 1831 die Geschäftsverbindungen gestört wurden. Die Kinder von Jean-François, die Söhne Eugen und Frédéric-Victor (1817-1920) sowie der Schwiegersohn Jean-Baptiste Baron Nothomb (1805-1881) gründeten in La Louvière eine Steingutfabrik namens Keramis, die 1844 den Betrieb aufnahm. Die ersten Mitarbeiter stellte das Luxemburger Unternehmen, Leiter der Zweigfirma wurde Frédéric-Victor. 1862 waren hier 500 Leute beschäftigt. Auf dem Gebiet der Malerei machten sich Frédéric-Victors Kinder Anna (1848-1936) und Eugène (1855-1941) einen Namen. Sie wirkten in Belgien und Frankreich als Künstler und Kunstmäzene.
Dank der fähigen Familienmitglieder konnte der Verantwortungsbereich räumlich aufgeteilt werden. Jean-François Boch betrieb Septfontaines allein weiter, wo er 1846 die neue Technik der Trockenpressung für Fliesen einführte. Im Jahre 1842 hatte er die Geschäftsführung für das Unternehmen Villeroy & Boch definitiv dem Sohn Eugen überlassen; dessen Kompagnon war Alfred Villeroy (1818-1908).
Die neue Generation
Die neue Generation führte den technischen Fortschritt weiter und weitete Produktion und Absatz aus. Angeregt vom altrömischen Mosaik kreierte Eugen Boch nach dem Motto billig und schön die so genannten Mettlacher Platten. Im Jahre 1869 nahm die erste auf Fliesen spezialisierte Fabrik Europas den Betrieb auf. Ihr Direktor war René Boch (1843-1908), Eugens ältester Sohn, der in Paris Ingenieurwesen studiert hatte. Zu den Bodenfliesen traten seit 1876 Wandfliesen. Gefördert von einem gewaltigen Bauboom im Industriezeitalter verlagerte sich der Schwerpunkt der Produktion vom Geschirr auf Fliesen.
Eugen Boch und Alfred Villeroy erwarben das Dresdener Bürgerrecht, um ein Unternehmen für Hartsteingut gründen zu können (1856). Kachelöfen aus Dresden wurden ein Statussymbol im bürgerlichen Wohnzimmer. Außerdem produzierte das Dresdner Werk Waschtischgarnituren. Um 1900 war es das größte Zweigunternehmen von Villeroy & Boch, und der Konzern insgesamt der bedeutendste der keramischen Industrie. In ihm sammelte sich eine herausragende technische Kompetenz. Durch das Schlickergießverfahren war zum Beispiel eine industrielle Fertigung von Sanitärkeramik möglich.
Neben dem unternehmerischen Erfolgsstreben wurde das soziale Engagement nicht vernachlässigt. Dazu gehörten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und vor Armut sowie der Bau von einigen hundert Arbeiterwohnhäusern zu günstigen Konditionen. Eugen Boch finanzierte auf eigene Kosten Bauten im kommunalen Interesse wie die Mettlacher Saarbrücke. Mehr als eine Liebhaberei stellte seine Beschäftigung mit Ackerbau und Viehzucht dar. Er gründete Mustergüter, eröffnete eine Kunstdüngerfabrik und unterhielt das erste private Gestüt in Rheinpreußen. 1875 wurde er Direktor des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen. Im Jahre 1878, mit fast 70 Jahren, zog sich Eugen Boch von der Geschäftsführung zurück. Als Generaldirektor folgte ihm sein Sohn René Boch. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Firma Villeroy & Boch 7.000 Mitarbeiter in sieben Werken und Niederlassungen beschäftigt.
Das in der Familie virulente künstlerische Talent war auch Eugen zueigen. Im Jahre 1851 richtete er eine Zeichenschule in Mettlach ein, die auch für die industrielle Fertigung wichtig war. Er stellte in Mettlach eine Keramiksammlung zusammen, die einen Bestandteil des heutigen Museums bildet. Seine Sammlung antiker und antikisierender Vasen diente als Anschauungsmaterial und als Vorlage für die Produktion. Der Unternehmer empfing für sein öffentliches Wirken Orden und Ehrenzeichen. Anlässlich seiner Goldenen Hochzeit im Jahre 1892 wurde er in den erblichen Adelsstand gehoben. Hoch betagt starb er 1898 in Mettlach.
Eugen Bochs Sohn René übernahm nach seinem Studium in Paris zum Diplom-Ingenieur mit 23 Jahren die Leitung der neuen Mosaikfabrik in Mettlach und förderte maßgeblich den triumphalen Weg der Mettlacher Platten. Zu den repräsentativen Aufträgen der Mettlacher Fabrik zählt die Ausstattung des Kölner Doms im Jahre 1890 mit einer Fläche von 1.300 Quadratmetern. Weitere 60 Kirchen konnte sie mit Platten beliefern. Unter René (seit 1892 von) Boch wurde die Sanitärkeramik zum dritten Standbein des Konzerns nach dem Geschirr und den Fliesen. Dieses Standbein ist heute mit mehr als 40 Prozent am Gesamtumsatz beteiligt.
René von Boch behielt wie sein Vater technische Innovationen und Mitarbeiterfürsorge gleichermaßen im Blick. In Mettlach setzte er 1902 den ersten gasbeheizten Tunnelofen Europas in Betrieb, der bis in die 1980er Jahre Anwendung fand. Seine Arbeiter suchte er vor allem vor der Bleikrankheit zu schützen. Die diesbezüglichen Betriebsvorschriften wurden 1905 in die staatliche Gewerbeordnung übernommen.
Die Expansion des Unternehmens wurde mit der Errichtung eines Werkes in Dänischburg bei Lübeck weitergeführt, das zuerst auf Wandfliesen spezialisiert war, später auch Sanitärkeramik in die Produktpalette aufnahm. Das Zweigunternehmen entwickelte sich zum größten Keramikwerk Deutschlands. Die in Merzig an der Saar angesiedelte Terracottaproduktion wurde zu einem weltweiten Erfolg. Sie hatte ihren Ursprung in der Gründung eines Schwagers von Eugen Boch, Wilhelm Tell von Fellenberg (1798-1880), aus dem Jahre 1857, der zuerst Drainageröhren, später auch Dachziegel und Abwasserleitungen produzierte. Unter René von Boch erzielte die Terracottaproduktion ab 1878 nennenswerte Erfolge. Sie erreichte im Historismus ihre Blüte. Im Jahre 1939 wurde die Produktion eingestellt.
Eine Fusion familiärer Art führte zur Erweiterung des Adelstitels von Boch um Galhau. Ein Schwippschwager von Eugen Boch war Nicolas Adolphe de Galhau (1814-1889), der Besitzer des Gutes Linslerhof im saarländischen Überherrn. Das kinderlose Paar vermachte den Hof an Eugen Boch mit der Auflage, dass die Familien Boch und Villeroy den Zusatz Galhau in ihren Familiennamen aufnehmen würden. Dies wurde 1907, kurz vor dem Tod von René von Boch durch Kaiser Wilhelm II. (Regentschaft 1888-1918) genehmigt.
Als René von Boch 1908 starb, hinterließ er seinen Söhnen Roger (1873-1917) und Luitwin (1874-1932) einen in der keramischen Industrie führenden Konzern mit neun Werken und mehr als 8.000 Beschäftigten. Fünf Werke befanden sich an der Saar, je eines in Luxemburg, in Sachsen, in Schleswig-Holstein und in Baden-Württemberg, daneben gab es viele Vertriebsniederlassungen. Die Generaldirektion fiel zunächst Roger zu, der im Ersten Weltkrieg fiel. 1914 übernahm Luitwin die Leitung. Die Schwester Martha (1880-1961) war seit 1905 mit dem Politiker Franz von Papen (1879-1969) verheiratet.
Luitwin von Boch
Nach dem Ersten Weltkrieg, in der Völkerbundszeit, wurden die saarländischen Unternehmen vom deutschen Markt getrennt, für Villeroy & Boch wurde Frankreich zum zweiten Heimatmarkt. Auf Luitwin folgte nach dessen Tod 1932 der gleichnamige Sohn (1906-1988) als Generaldirektor. Er blieb vier Jahrzehnte an der Spitze des Konzerns. Das Unternehmen konnte sich durch die Zeit der Weltkriege retten und einen Wiederaufstieg anstreben. Im Kalten Krieg verlor die Unternehmerfamilie die hinter dem Eisernen Vorhang liegenden Werke, so zum Beispiel die Dresdener Niederlassung. Im Übrigen begann sie ab 1947 wieder mit der Produktion von Geschirr, Fliesen und Sanitärkeramik. Die ersten außereuropäischen Werke entstanden in Kanada und Argentinien, der Schwerpunkt des internationalen Ausbaues lag in Frankreich. Es war von Vorteil, dass die Villeroys immer noch die überkommene französische Staatsbürgerschaft besaßen.
Im Jahre 1972 trat Luitwin die Leitung des Unternehmens seinem Sohn Luitwin Gisbert (geboren 1936) ab und behielt noch den Vorsitz des Kontrollgremiums Familienrat. Die Geschäftsleitung wurde von 1985 an auf einen sechsköpfigen Vorstand verteilt. Im Jahre 1987 wurde der Konzern in eine Aktiengesellschaft übergeführt, im Jahre 1990 erfolgte der Gang an die Börse. Die Aktienmehrheit liegt aber in Händen der Familie. Seit 1993 ist Luitwin Gisbert im Aufsichtsrat. 1998 wurde sein Kleincousin Wendelin von Boch-Galhau (geboren 1942) Vorstandsvorsitzender. Das Management wird mittlerweile auch in familienfremde Hände gelegt.
Literatur
Desens, Rainer, Villeroy & Boch. Ein Vierteljahrtausend europäische Industriegeschichte 1748-1998. Fortgeschrieben bis ins Jahr 2005, Mettlach 2006.
Gorges, Karl-Heinz, Der christlich geführte Industriebetrieb im 19. Jahrhundert und das Modell Villeroy & Boch, Wiesbaden 1989.
Gruner, Erhard, Geschichte der Familie Boch, Saarbrücken 1968.
Thomas, Thérèse, Eugen-Anton von Boch, in: Saarländische Lebensbilder 2 (1984), S. 185-199.
Online
Historie (Informationen zur Firmengeschichte auf der Homepage des Unternehmens Villeroy & Boch). [Online]
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Burg, Peter, Familie Boch, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-boch-/DE-2086/lido/57c6896c9e1928.63705866 (abgerufen am 14.11.2024)