Zu den Kapiteln
Die Mitglieder der einflussreichen rheinischen Unternehmerdynastie Mallinckrodt gingen aus einem seit dem späten Mittelalter nachweisbaren westfälischen Patriziergeschlecht hervor. Neben ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit betätigten sie sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch auf politischer beziehungsweise auf sozialpolitischer Ebene.
Gustav Mallinckrodt (I) wurde am 7.8.1799 als Sohn des Kaufmanns Theodor Mallinckrodt (1774-1822) und seiner Frau Sophie Fabricius (1777-1801) in Dortmund geboren. Er entstammte dem bürgerlichen Zweig einer lutheranischen Familie, die seit 1491 in Dortmund nachweisbar ist. Nach dem Besuch des Dortmunder Archigymnasiums absolvierte Gustav Mallinckrodt eine kaufmännische Lehre in Lippstadt. Es schloss sich eine Bildungsreise nach Frankreich und die Militärdienstzeit in Münster an.
Im November 1820 eröffnete er zusammen mit seinem Freund Jakob August Voigt ein Kommissions- und Speditionsgeschäft in St. Petersburg. Die Stadt war Anfang des 19. Jahrhunderts einer der bedeutendsten europäischen Handelsplätze. Hier und in seinem Hafen Kronstadt wurden russische und sibirische Waren gehandelt und Russland wurde dort mit ausländischen Gütern versorgt. Trotz eines erfolgreichen unternehmerischen Aufbruchs musste Gustav Mallinckrodt (I) St. Petersburg nach dem Tod seines Vaters schon im Oktober 1822 wieder verlassen. Er kehrte nach Dortmund zurück, gründete dort eine Siamosefabrik und eröffnete im Mai 1823 zusammen mit Hermann Meininghaus (gestorben 1856) die Wollhandlung Mallinckrodt & Meininghaus.
Nachdem Gustav (I) am 27.10.1823 Maria Strohn (1804-1824), Tochter eines Lederhändlers aus Herdecke, geheiratet hatte, entschloss er sich zur Aufgabe der Dortmunder Unternehmen. Die Siamosefabrik wurde an Mitarbeiter des Unternehmens abgegeben und die Wollhandlung von Hermann Meininghaus und seinem Sohn August weitergeführt.
Maria Mallinckrodt starb 1824 bei der Geburt des ersten Sohnes. Drei Jahre später heiratete Gustav Mallinckrodt (I) die Schwester von Maria, Emilie Strohn (1809-1884). Der Vater von Emilie, Georg Strohn (1763-1822), war in Wehringhausen bei Hagen Inhaber einer Gerberei gewesen und hatte schon 1817 eine weitere Gerberei in Krombach bei Siegen gegründet. Die Leitung des Krombacher Unternehmens erfolgte nicht zur Zufriedenheit der Familie Strohn und es wurde beschlossen, dass Gustav Mallinckrodt (I) und seine Frau nach Krombach zogen, um die Unternehmensleitung vor Ort wahrzunehmen. Im April 1825 entschloss sich Gustav Mallinckrodt (I), die Krombacher Gerberei weiterzuführen und das Hagener Unternehmen zu liquidieren. Zusammen mit Heinrich Vollmann begründete er die Gerberei Mallinckrodt & Co. in Krombach. Die Standortverlagerung ergab sich aus den für die Sohlledergerbung benötigten Rohstoffe: Wasser und der Gerbstoff Eichenrinde waren in unmittelbarer Umgebung der Gerberei reichlich vorhanden, so dass die Konzentration auf den Krombacher Standort konsequent war.
Bis Mitte der 1830er Jahre hatte Gustav Mallinckrodt (I) erkannt, dass der Kölner Häutehandel eine dominierende Stellung in der Rheinprovinz gewinnen würde. Nach dem Wegfall der Kontinentalsperre hatte dieser Handelszweig eine rasche Wiederbelebung erfahren, seit Mitte der 1820er Jahre begannen die Kölner Häutehändler den holländischen Zwischenhandel auszuschalten. Weitere Faktoren für das Aufblühen der Kölner Häutebranche lagen im Erlass der Rheinschiffahrtsakte, in der Gründung des Deutschen Zollvereins und der zentralen Lage Kölns als Mittelpunkt einer bedeutenden Lederfabrikation in der Rheinprovinz.
Im November 1836 verlegte Gustav Mallinckrodt (I) sein schon in Krombach betriebenes Importgeschäft für südamerikanische Wildhäute nach Köln und eröffnete die Häutehandlung Mallinckrodt & Cie., die südamerikanische Wildhäute nach Deutschland, insbesondere in das Rheinland und das Siegerland, importierte. Zwischen 1848 und 1859 hielten die Mallinckrodts aus familiärem Interesse eine Beteiligung an der Tuchfabrik Mallinckrodt & Cie. in Burtscheid bei Aachen. Außerdem war Gustav Mallinckrodt (I) maßgeblich am Aufbau mehrerer Aktiengesellschaften in den Bereichen Verkehr, Bergbau, Versicherungs- und Bankwesen sowie Maschinenbau im rheinisch-westfälischen Industriegebiet beteiligt. 1844 gehörte er dem Direktorium der Rheinischen Eisenbahngesellschaft an, wobei er sich auf den Ausbau der Strecke von Bonn über Koblenz nach Bingen konzentrierte.
Im Bereich des Bergbaus gehörte Gustav Mallinckrodt (I) zusammen mit Gustav Mevissen zu den Gründern des Kölner Bergwerks-Vereins. Mallinckrodt war zu Beginn der Gesellschaft in der technischen Leitung des Unternehmens tätig. Das Vorhaben, zusammen mit Mevissen die „Kölnische Bank" zu gründen, scheiterte an der preußischen Gesetzgebung.
Auf politischem Feld trat Gustav Mallinckrodt (I) für einen reformatorischen Liberalismus und eine kleindeutsche Lösung mit einer konstitutionellen Monarchie unter preußischer Führung ein. Mit diesen Forderungen stand er in Opposition zu den in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierenden Schichten des preußischen Adels und der Beamtenschaft. Auf wirtschaftlichem Gebiet stemmten sich die Beamten gegen eine Gleichstellung mit dem aufstrebenden Bürgertum, da sie durch den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmer ihre soziale Position bedroht sahen. Auf dem Feld der Politik war es der Adel, der sich den Reformbemühungen des Bürgertums widersetzte. Nach der gescheiterten Revolution von 1848/ 1849 blieb die preußische Aristokratie die sozial maßgebende Schicht auf politischem und gesellschaftlichem Gebiet.
Gustav Mallinckrodt (I) zog im April 1850 für den Regierungsbezirk Arnsberg in die Erste Preußische Kammer ****ein. In seiner Zeit als Abgeordneter blieb er weitgehend isoliert und zur politischen Untätigkeit verurteilt, so dass er sein Mandat schon 1853, drei Jahre vor Ablauf der Legislaturperiode, aufgab. In den folgenden Jahren widmete er sich wiederum dem Aufbau verschiedener Aktiengesellschaften. Er unterstützte Gustav Mevissen bei der Umwandlung des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins in eine Aktiengesellschaft. Darüber hinaus war er 1852 an der Gründung der Concordia Lebensversicherungs AG und 1855 an der Kölnischen Maschinenbau AG beteiligt. Zugleich engagierte er sich sehr für die Fortentwicklung des Siegerländer Erzbergbaus. Mit Hilfe des Schaaffhausen’schen Bankvereins wurde 1856 der Köln-Müsener Bergwerksverein gegründet.
Gustav Mallinckrodt (I) starb am 17.11.1856 in Köln. Sein Sohn Gustav Mallinckrodt (II) wurde am 29.11.1829 in Krombach geboren. Nach Abschluss der Höheren Bürgerschule in Köln arbeitete er zwischen Februar und Oktober 1845 in der Krombacher Gerberei, um praktische Erfahrungen im Gerbereiwesen zu gewinnen. Zwischen dem Wintersemester 1845/46 und dem Sommersemester 1847 besuchte er Vorlesungen an den Universitäten in Berlin, Bonn und in Gießen. Im Oktober 1847 begann er eine kaufmännische Tätigkeit im Bankhaus Deichmann & vom Rath in Amsterdam. Diese Arbeit konnte er aber nur bis zum 29.3.1848 fortsetzen, da das Bankhaus zu diesem Zeitpunkt liquidiert wurde. Gustav Mallinckrodt (II) ging daraufhin als Korrespondent für die Kölnische Zeitung nach Frankfurt, um von den Plenarsitzungen der Nationalversammlung zu berichten. Weitere kaufmännische Erfahrungen konnte Gustav Mallinckrodt (II) beim A. Schaaffhausen’schen Bankverein in Köln und beim Londoner Handelshaus John Cater und Collet gewinnen.
1855 änderte sich das Leben für Gustav Mallinckrodt (II): Er heiratete die Tochter des wohlhabenden Kölner Bankiers Wilhelm Ludwig Deichmann, Bertha Deichmann (1836-1901). Zugleich übernahm er die Leitung der Burtscheider Tuchfabrik. Dieses Unternehmen musste 1859 aufgrund unzureichender Produktqualitäten liquidiert werden. Und auch bei den übrigen Familienunternehmen machten sich die Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen negativ bemerkbar. Die Gerberei Mallinckrodt & Co. musste 1881 aufgrund neuer Gerbverfahren mit neuen Gerbstoffen und der Mechanisierung bei der Weiterverarbeitung aufgegeben werden. Hier kam Gustav (II) einer Strukturkrise dieses Gewerbezweiges im Siegerland durch die Veräußerung zuvor. Infolge der Verlagerung des Wildhäutehandels in die Seestädte und einer zunehmenden Ausschaltung des Zwischenhandels musste Gustav Mallinckrodt (II) auch die Kölner Importhandlung Mallinckrodt & Cie. liquidieren. Die Auflösung wurde schließlich nach seinem Tode durch seinen Sohn vollzogen. Nachhaltige Strukturveränderungen innerhalb der deutschen Wirtschaft machten eine rentable Weiterführung beider Unternehmen unmöglich.
Das väterliche Engagement beim Aufbau von Aktiengesellschaften wurde von Gustav (II) nur noch sehr begrenzt fortgesetzt. Er gehörte zwar noch den Kontrollgremien aller vom Vater mitbegründeten Aktiengesellschaften an, doch auf dem Gebiet des Neuaufbaus von Aktienunternehmungen war er nur noch im Fall der 1894 gegründeten Rheinisch-Westfälischen Bodenkreditbank aktiv. Diese geringe Initiative ist umso erstaunlicher, da Gustav (II) in den Zeiten des Gründerbooms nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 große wirtschaftliche Erfolge mit der Gerberei und der Häutehandlung verzeichnen konnte.
Das politische Engagement Gustav Mallinckrodts (II) beschränkte sich auf die Kommentierung verschiedener politischer Ereignisse. Anlässlich der Beratungen einer Verfassung auf dem Erfurter Unionsparlament im Jahre 1850 und der sich zuspitzenden Konfrontation zwischen Österreich und Preußen um das preußische Durchmarschrecht in Kurhessen lässt sich bei Gustav (II) ein Eintreten für eine kleindeutsche Lösung im Rahmen einer konstitutionellen Verfassung belegen. Gustav Mallinckrodt (II) verharrte jedoch in einer passiven Rolle, bis zu seinem Tode übernahm er kein politisches Mandat. Er starb am 6.3.1904. Sein Sohn Gustav Mallinckrodt (III) wurde am 2.6.1859 in Köln geboren. Nachdem er 1877 das Abitur bestanden hatte, begann er im Wintersemester desselben Jahres Jura zu studieren, zunächst in Heidelberg, später in Straßburg, um dort auch seinen Militärdienstpflichten nachzukommen und schließlich in Göttingen. Hier beendete er das Jurastudium mit einer Promotion zu einem Thema der Eigentumslehre. Es folgten Aufenthalte in London und Antwerpen, um sich mit den Gewohnheiten des Häutehandels vertraut zu machen.
Im Fall von Gustav Mallinckrodt (III) ist nach einem vergeblichen Versuch zum Aufbau einer Werkzeugfabrik ein starker Rückgang unternehmerischer Innovation und Risikoübernahmen festzustellen. Die Mitgliedschaft in zahlreichen Aufsichtsräten (unter anderem Eisen- und Stahlwerke Hoesch AG, Colonia Kölnische Feuer- und Kölnische Unfall-Versicherungs AG, A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Kölnische Rückversicherung, Vereinigte Köln-Rottweiler Pulverfabriken) bildeten neben seinem umfangreichen Vermögen die Grundlage für die Wiederaufnahme des politischen und sozialpolitischen Wirkens.
Gustav Mallinckrodt (III) knüpfte in gewissem Maße an die großväterlichen Traditionen an, aber die Ziele und die Bühne seines Engagements unterschieden sich stark von denen des Großvaters. Er gehörte der Nationalliberalen Partei an und wechselte 1919 zur Deutschen Demokratischen Partei. Innerhalb der Nationalliberalen Partei gehörte er dem Kölner Parteivorstand und dem Zentralvorstand der Rheinprovinz an. Gustav Mallinckrodt (III) war zwischen 1900 und 1919 als Stadtverordneter in Köln vor allem um die Gründung der Handelshochschule und des Museums für Handel und Industrie bemüht.
Mallinckrodt war Vorstandsmitglied des Vereins für Handel und Industrie, stellvertretender Vorsitzender des Vereins für Volkshygiene, stellvertretender Vorsitzender des Kölner Verkehrsvereins, Mitbegründer des Kölner Frauen-Fortbildungsvereins, Vorsitzender des Vereins für Naturkunde, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Vorstandsmitglied des Provinzialvereins vom Roten Kreuz in Köln und Mitbegründer sowie Ehrenmitglied des Kölner Rennvereins. 1914 gründete und leitete er den ersten deutschen Verwundeten- und Vermisstennachweis des Deutschen Roten Kreuzes in Köln. Hier war er bis 1919 tätig. Auf seine maßgebliche Initiative hin wurde dem Kölner Zweig der Familie am 8.9.1902 die Zugehörigkeit zum Adel durch Kaiser Wilhelm II. (Regierungszeit 1888-1918) bestätigt.
Gustav von Mallinckrodt (III) starb am 3.3.1939 in Köln. Im Verlauf von drei Generationen zog sich die Familie von Mallinckrodt von ihrer Tätigkeit als Unternehmer mehr und mehr zurück. Die Mallinckrodts gehörten dem Typus des Kölner Händler-Unternehmers an, der die im Häutehandel und im Gerbereiwesen erwirtschafteten Gewinne in die Industrialisierung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes investierte. Ein Übergang zur industriellen Lederproduktion gelang den Mallinckrodts, wie auch anderen Händler-Unternehmern, allerdings nicht. Politisch lässt sich in der gleichen Zeit ein Wandel vom reformatorischen Liberalismus zu einer monarchisch-konservativen Richtung feststellen. Gustav Mallinckrodt (I) war an einem Wandel Preußens hin zu einer konstitutionellen Verfassung und verbunden mit einer kleindeutschen Lösung interessiert. Sein Enkel förderte den Aufbau Kölns zu einer modernen Großstadt, ohne die Partizipation breiterer Bevölkerungsschichten an der Kommunalpolitik zu unterstützen.
Literatur
Deres, Thomas, Der Kölner Rat. Biographisches Lexikon, Band 1, 1794-1919, Köln 2001, S. 133-134.
Franke, Christoph, Die (von) Mallinckrodts. Unternehmer und liberale Politiker im 19. Jahrhundert, in: Siegerland 72 (1995), S. 28-48.
Franke, Christoph, Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung? Die Kölner Unternehmerfamilie Mallinckrodt, in: Geschichte in Köln 38 (1995), S. 96-116.
Franke, Christoph, Wirtschaft und Politik als Herausforderung. Die liberalen Unternehmer (von) Mallinckrodt im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995.
Scheibler, Hans Carl / Wülfrath, Karl, Westdeutsche Ahnentafeln I, Weimar 1939, S. 67-123.
Zunkel, Friedrich, Gustav Mallinckrodt (1799-1856), in: Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien, Band 12, Münster 1986, S. 96-120.
Online
Zunkel, Friedrich, Artikel "Mallinckrodt, Gustav", in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 733-734. [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Franke, Christoph, Familie Mallinckrodt, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-mallinckrodt/DE-2086/lido/57c946bf725fa4.84111709 (abgerufen am 05.12.2024)