Zu den Kapiteln
Einleitung
Die aus Westfalen stammende Familie Röchling baute an der Saar ein Unternehmen auf, das auf dem Gebiet des Handels mit Rohstoffen (Kohle, Erze, Eisen und Stahl) und der Montanindustrie eine führende Stellung in Deutschland errang. Dessen geographischer Schwerpunkt befand sich jahrzehntelang in der Grenzregion, in die die ersten Familienmitglieder um 1730 zogen. Die Neuankömmlinge und ihre Nachkommen verbanden sich sofort mit dem ansässigen Besitz- und Bildungsbürgertum.
Aus dem von Johann Thomas Röchling (1690-1764) abgeleiteten Stamm widmeten sich einige Mitglieder dem Kohle- und Holzhandel. Zu den bekannteren Nachfahren zählt Ludwig Heinrich Röchling (1796-1870), Abgeordneter des Rheinischen Provinziallandtags und der Preußischen Zweiten Kammer, ein konstitutioneller Liberaler. Von dieser Linie hat sich bis heute ein Ast in Völklingen erhalten. Die bekannte Unternehmerfamilie ging aber nicht aus diesem Zweig hervor. Wenige Jahre nach Johann Thomas Röchling machten sich seine Neffen, Kinder des Halbbruders Johann Caspar Röchling (1669-1738) von Westfalen aus auf den Weg ins Linksrheinische. Der jüngere Georg Heinrich (1708-1778) fand in der Pfalz (Grünstadt) seine neue Heimat. Der ältere Johann Gottfried (1703-1780) suchte im Fürstentum Nassau-Saarbrücken sein Auskommen. Von diesem leitet sich die Unternehmerdynastie ab.
Johann Gottfried Röchling (1703-1780)
Als Hofkeller war Johann Gottfried einer der bestbezahlten Beamten der fürstlichen Verwaltung. Seine Ehefrau, die Pfarrerstochter Catharina Elisabeth Beltzer (1717-1773), gebar ihm zwischen 1736 und 1754 sieben Kinder. Im Jahre 1755 wurde er zum Leiter der Rentkammer ernannt. Seit 1763 verwaltete er erfolgreich das Eisenwerk Schönau und das Stahlhammerwerk Contwig in Pfalz-Zweibrücken. Damit kam er in Berührung mit dem Gewerbe, das für seine Urenkel so bedeutungsvoll werden sollte. Sein Nachfolger als Verwalter wurde Friedrich Philipp Stumm (1751-1835), so dass sich hier die Wege der beiden großen saarländischen Eisenhüttenfamilien erstmals kreuzten.
Johann Friedrich Röchling (1736-1814)
Johann Gottfrieds ältester Sohn, der Pfarrer Johann Friedrich (1736-1814), wurde zum Stammvater der Dynastie. Über einen weiteren Sohn war er der Urgroßvater des Schlachtenmalers und Buchillustrators Carl Röchling (1855-1920), dessen Werke um 1900 sehr geschätzt wurden und der auch Auftragsarbeiten von seinen entfernten Verwandten erhielt. Der Linie des in Saarbrücken tätigen Pfarrers entstammte der Arzt Christian Röchling (1772-1855), des Vaters der vier Brüder, die den Aufstieg des Industrieunternehmens meisterten.
Carl Röchling (1827-1910)
Die Brüder bauten auf dem Erbe ihres Onkels Friedrich Ludwig Röchling (1774-1836) auf, der mit der Eröffnung eines Saarbrücker Kohlenhandels 1822 das Familienunternehmen aus der Taufe hob. Friedrich Ludwig vermachte das Unternehmen den vier Söhnen des Arztes: Theodor (1823-1885), Ernst (1825-1877), Carl (1827-1910) und Fritz (1833-1892) sowie dem Sohn der ältesten Schwester Maria Carolina (1768-1845), Johann Carl Schmidtborn (1794-1877), der kinderlos blieb und seine Unternehmensanteile im Jahre 1875 an die vier Cousins vererbte. Als Arzt sammelte Christian Röchling gleichfalls ein beachtliches Vermögen an Immobilien und Kapital an. 1818 hatte er am Saarbrücker Schlossplatz ein Haus erworben.
Die Ausbildung der vier Söhne erfolgte in verschiedenen europäischen Handelshäusern, was für die spätere Pflege der Geschäftsbeziehungen von großem Vorteil war. Seit 1861 nannte sich die Firma Schmidtborn & Gebr. Röchling. Die Brüder teilten die Aufgaben unter sich auf. Ernst war Stellvertreter der Familie für das 1849 in Ludwigshafen gegründete Handelshaus. Dort fand er über seine Heirat Anschluss an das Mannheimer Großbürgertum. In dieser Zeit begann bereits die Ausbildung eines geographischen Nebenschwerpunktes des Unternehmens am Rhein. Der für die Firmengeschichte bedeutendste der Brüder war dank seiner Begabung als Techniker, Organisator und Kaufmann Carl Röchling. Er dachte früh daran, den Geschäftsbereich vom Handel auf die Produktion auszuweiten. Über seine Ehefrau Alwine Vopelius (1837-1918), die Tochter eines Sulzbacher Glashüttenbesitzers, fielen ihm Anteile an der Grube Hostenbach zu. Nach der deutschen Reichsgründung von 1870/1871 erwarb das Unternehmen weitere Kohlefelder, 1904 im westfälischen Revier. Konzessionen zum Erzabbau konnte es in Lothringen gewinnen.
Über Zweigbetriebe erfolgte die räumliche Expansion des Familienunternehmens. Auf diesem Wege vollzog sie auch den Schritt in das Produktionsgewerbe. Begonnen wurde mit der Kohleverarbeitung in Koks, der für die Eisenverhüttung benötigt wurde. Der Staat, in dessen Besitz sich die Gruben an der Saar bis auf Ausnahmen befanden, ließ die Kokserzeugung durch die Privatwirtschaft zu. Erste Erfahrungen mit der Eisenverhüttung sammelten die Röchlings in Frankreich. Vermittelt durch die Saarbrücker Firma Haldy übernahm Carl Röchling im Jahre 1862 einen Anteil an der Hütte von Pont-à-Mousson. In den Rheinischen Stahlwerken in Meiderich (heute Stadt Duisburg) engagierte er sich ein weiteres Mal und gelangte hier nach kurzer Zeit in den Aufsichtsrat. 1879 war er maßgeblich am Erwerb des Thomaspatents durch dieses Unternehmen beteiligt. Nach der Produktionsaufnahme in Völklingen gaben die Röchlings den Anteil am Ruhrunternehmen aber wieder auf.
Die Völklinger Hütte wurde von den Röchlings übernommen, nicht neu gegründet. Die Firma Haldy hielt auch hier die Steigbügel. Sie ersteigerte ein im Jahre 1879 bankrottes Unternehmen und überließ es sogleich dem aufstrebenden Familienunternehmen. Gesellschafter waren die Brüder Theodor, Carl und Fritz, stille Teilhaberin die Witwe von Ernst Röchling. Die Hütte stand gleichberechtigt neben den Handelshäusern in Saarbrücken und Ludwigshafen.
Der unangefochtene Familienpatriarch war 25 Jahre lang Carl Röchling. Die Völklinger Hütte war sein wichtigstes Lebenswerk, doch damit war das Unternehmen noch keineswegs saturiert. Der Ausbau zum Konzern schritt kontinuierlich fort. Im lothringischen Thionville wurde ein Zweigbetrieb, die „Carlshütte", eröffnet, in der Nähe der aufgekauften Algringer Minettefelder, der „Carlsstollen". Die preußische Regierung verlieh Carl Röchling aufgrund seiner Verdienste den Titel eines Königlichen Geheimen Kommerzienrats, eine Nobilitierung, wie sie seinem großen Konkurrenten an der Saar, Karl Ferdinand Stumm, zuteil wurde, blieb ihm aber versagt.
Hermann Röchling (1872-1955)
Für die Nachfolge der vier Röchlingbrüder sorgte eine große Kinderschar. Für leitende Stellungen wurden in erster Linie die männlichen Namensträger herangezogen, seit dem Ersten Weltkrieg kamen über den Einsatz der Schwiegersöhne indirekt auch die weiblichen Nachkommen zur Geltung. Für die Zweigunternehmen und die verschiedenen Aufgabenbereiche standen genügend Führungskräfte zur Verfügung. Hermann Röchling (1872-1955), der siebte Sohn Carls, technisch und kaufmännisch gleichermaßen talentiert, entwickelte sich in den Fußstapfen seines Vaters zum neuen Patriarchen des Familienunternehmens. Neben ihm agierte eine Reihe von Brüdern und Vettern. Anfangs leitete Hermann das Werk in Thionville, ihm folgte ab 1905 sein Bruder Robert (1877-1948).
In der neuen Generation traten die Techniker in den Vordergrund und lösten die vorwiegend kaufmännisch orientierten Brüder der Gründergeneration ab. Ein modernes Drahtwalzwerk ersetzte 1903 das Puddelverfahren. Die metallurgischen Arbeitsabläufe wurden verbessert. Mittels Soda gelang die Entschwefelung des Roheisens. Die Belegschaft des Hauptwerks, der Völklinger Hütte, belief sich 1900 auf rund 6.000. In der Algringer Erzförderung waren über 1.000 Arbeiter beschäftigt.
Der Besitzanteil der einzelnen Familienmitglieder an dem Unternehmen änderte sich fortwährend, nicht nur infolge der unterschiedlichen Kinderzahl, sondern auch der individuellen Leistung. In Gesellschaftsverträgen wurden die Beteiligungsverhältnisse nach dem Ausscheiden und der Aufnahme von Mitgliedern von Zeit zu Zeit auf den neuesten Stand gebracht. 1885 entfielen auf Carl Röchling 50 Prozent des Kapitals, bis 1896 wuchs der von ihm und seinen Kindern gehaltene Anteil noch weiter an.
Auf dieser starken Position konnte der zu einem autoritären Führungsstil neigende Hermann Röchling aufbauen. Die andere Seite seines Patriarchentums war sein gemeinnütziges Handeln, die Unterstützung der Evangelischen Kirche sowie soziale und karitative Schenkungen und Stiftungen. In politischer Hinsicht kennzeichnete ihn eine nationalistische Gesinnung. Im Ersten Weltkrieg trat er für eine weitere Westausdehnung des Deutschen Reiches ein. Die Völklinger Hütte wurde auf eine Kriegsproduktion umgestellt. Sie lieferte 90 Prozent des Spezialstahls, der für die Helme des Frontheeres verwandt wurde. Hermann Röchling wurde nach dem verlorenen Krieg Mitglied der Waffenstillstandskommission.
Frankreich warf den Brüdern Robert und Hermann Röchling schweren Diebstahl und Sachbeschädigung als Kriegsverbrechen vor und verurteilte sie zu zehn Jahren Gefängnis. Die Vermögensschäden der Familie in Frankreich beliefen sich auf 115 Millionen Mark, während die Ausgleichszahlung nur etwa 5 Prozent betrug. Robert wurde nach 22 Monaten Haft vorzeitig entlassen. Der in Heidelberg wohnhafte Hermann Röchling entging der drohenden Gefängnisstrafe, doch eine Rückkehr an die Saar war ihm vorerst nicht möglich. Als politisch unbelastetes Familienmitglied hielt Louis Röchling (1863-1926) zwischenzeitlich in Völklingen die Stellung. Eine französische Einflussnahme konnten die Röchlings – anders als die Familie Stumm, deren Werk zu 60 Prozent in französische Hand geriet – abwehren.
Als die Zeit der Völkerbundsherrschaft über das Saargebiet 1935 ablief und die Bevölkerung das Recht erhielt, über den Status quo oder die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich abzustimmen, engagierte sich Hermann Röchling unter dem Motto „Wir halten die Saar!" für die Rückkehr. Er schloss sich dem nationalsozialistischen Zeitgeist an und stellte sich in den Dienst der Regierung. Mit der Suspendierung der demokratischen Parteien war er einverstanden.
Hermann Röchling und seine beiden Kinder Karl Theodor (1902-1944) und Ellenruth (1900-1977), verheiratet mit Hans-Lothar Freiherr von Gemmingen-Hornberg (1893-1975), besaßen nach dem Familienvertrag von 1936 18 Prozent der Anteile bei einem Gesellschafterkreis von 47 Personen. Der Schwiegersohn von Hermann trat in die Geschäftsführung des Edelstahlwerks Röchling und der Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke ein, was ein Novum darstellte. Auf Familientagen traf sich die inzwischen beträchtlich angewachsene Nachkommenschaft der Industriellendynastie.
Am 30.1.1938 wurde Hermann Röchling von Hermann Göring (1893-1946) zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Er war Mitglied des Wehrwirtschaftsrates bei der Reichswirtschaftskammer und als Treuhänder in Polen und Frankreich tätig. Albert Speer (1905-1981) ernannte ihn zum Reichsbeauftragten für Eisen und Stahl in den besetzten Gebieten. Die Carlshütte gewann er, nachdem das Werk in der Völkerbundszeit von Frankreich eingezogen worden war, wieder zurück. Hermann Röchling wurde 1941 Präsident der Industrie- und Handelskammer in Metz. Seit dem Frühsommer 1940 kamen in den Röchlingwerken auch Zwangsarbeiter zum Einsatz.
Alle Aktivitäten in der nationalsozialistischen Zeit wurden ihm in Gerichtsverfahren zur Last gelegt, ferner seinem Neffen Ernst Röchling (1888-1964), seinem Schwiegersohn Freiherr von Gemmingen-Hornberg sowie den Direktoren Albert Maier und Wilhelm Rodenhauser. Die Anklagepunkte lauteten: Kriegshetze, Raub und Plünderung in den besetzten Gebieten sowie Ausbeutung fremder Arbeitskräfte. Nach einem Revisionsverfahren wurde die Gefängnisstrafe für Hermann Röchling von sieben auf zehn Jahre erhöht, der zuerst freigesprochene Ernst Röchling erhielt fünf Jahre Haft, die Urteile für Freiherr von Gemmingen und Rodenhauser blieben bei drei Jahren, Albert Maier wurde in beiden Verfahren freigesprochen.
Alle Inhaftierten wurden vorzeitig entlassen, Rodenhauser 1949, Ernst und Hermann Röchling 1951. Das Völklinger Werk wurde von Frankreich beschlagnahmt und unter die Sequesterverwaltung von Georges Thédrel gestellt. Im Jahre 1949 wurde der Unternehmenssitz nach Mannheim verlegt, dem heutigen Standort des Familienkonzerns. Mittlerweile lebten viele Familienmitglieder im Rhein-Neckar-Gebiet. Die Eigentümerzahl war auf 70 gewachsen. Ein Mitgliederausschuss leitete das Unternehmen.
Das Referendum der saarländischen Bevölkerung vom 23.10.1955, in dem das Europastatut abgelehnt wurde, verbesserte die Chance der Röchlings, ihr Eigentum zurückzuerhalten, ganz erheblich. Frankreich ließ seine Ansprüche fallen, verlangte aber eine Entschädigung von 36 Millionen Mark für die während des Zweiten Weltkrieges betriebene Carlshütte im lothringischen Thionville. Die Sequesterverwaltung der Hütte Völklingen wurde am 27.11.1956 aufgehoben. Auch die Gebr. Röchling Bank kehrte 1957 wieder an die Saar zurück, an deren Stelle 1947 die Banque Nationale pour le Commerce et l’Industrie getreten war. Der Prozess der Verlagerung des Konzerns von der Saar an den Rhein war aber nur aufgeschoben.
Im Jahre 1969 erreichte der Belegschaftsstand der Völklinger Hütte den Rekordstand von 17.000 Beschäftigten. Nur wenige Jahre später, 1978, trennten sich die Nachfahren der Röchlings von ihr und der Gebr. Röchling Bank. In dem Düsseldorfer Unternehmen Rheinmetall (Produktionsbereich: Waffen, Maschinenbau, Elektronik) hatten sie zwischenzeitlich einen adäquaten Nachfolger gefunden und die Aktienmehrheit erworben. Ein Richtungsstreit um den Sitz der Zentrale in Saarbrücken oder Mannheim ging zu Gunsten der letzteren Stadt aus. Die Zahl der Gesellschafter war auf über 200 angewachsen. Der Zusammenhalt der Familie bröckelte; Austritte und Kündigungen führten zu einer Verkleinerung des Verbandes auf rund 180.
Michael Röchling, ein Urenkel von Carl Röchling, war der letzte Namensträger, der eine leitende Position im Unternehmen wahrnahm. Er schied 1987 aus. Nur vereinzelt finden sich noch Blutsverwandte im Topmanagement. Im Jahre 1990 kam es zur Gründung einer Röchling Stiftung GmbH, einer gemeinnützigen Gesellschaft, in die kinderlose Röchlings ihr Erbe einfließen lassen können. Ein Familienrat und ein Exekutivausschuss beaufsichtigen und verwalten heute die global verstreuten Beteiligungen. Alle sechs Jahre findet in der Regel ein Familientag statt.
Literatur
Bartmann, Dominik, Carl Röchling, in: Saarländische Lebensbilder, Band 3, Saarbrücken 1986, S. 199-217.
Fuchs, Konrad, Hermann Röchling, in: Saarländische Lebensbilder, Band 2, Saarbrücken 1984, S. 221-251.
Jaeger, Hans, Karl Röchling, in: Saarländische Lebensbilder, Band 2, Saarbrücken 1984, S. 201-220.
Seibold, Gerhard, Röchling. Kontinuität und Wandel, Stuttgart 2001.
Online
Banken, Ralf, "Röchling", in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 702-703. [Online]
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Burg, Peter, Familie Röchling, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-roechling/DE-2086/lido/57cd2113c42191.01427025 (abgerufen am 03.12.2024)