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Johann Christian Stumm (1640-1719) aus Rhaunen-Sulzbach (Hunsrück) war nicht nur der Ahnherr der bekannten Eisenhüttenunternehmer Stumm, sondern über den jüngsten Sohn Johann Michael (1683-1732) auch einer namhaften Orgelbauerfamilie, die sich dem Handwerk über mehr als zwei Jahrhunderte hinweg widmete. Der Schwerpunkt ihres Wirkungskreises, dessen Radius sich bis Saarbrücken, Luxemburg, Köln und Amorbach im Odenwald erstreckte, lag im Mittelrheingebiet. Insgesamt sind 370 Orgeln nachgewiesen, von denen heute noch 140 – zum Teil mehr oder weniger stark überarbeitet – erhalten sind. Bei den Renovaturen bewiesen die Restauratoren nicht immer eine glückliche Hand. Gegenwärtig erhält eine Orientierung am Original den Vorzug vor Anpassungen an den Zeitgeist.
Johann Michael Stumm, der Stammvater, war Goldschmied, bevor er sich dem Orgelbau verschrieb. Während der Wanderzeit als Geselle begegnete er dem berühmten elsässischen Orgelbaumeister Andreas Silbermann (1678-1734). Inspiriert von dessen Arbeit absolvierte er auch in diesem Metier eine Lehre, und zwar bei Jakob Irrlacher in Kirn. Nach der Meisterprüfung im Jahre 1714 eröffnete er eine eigene Werkstatt in Sulzbach. Er stand unter dem Einfluss der französischen und der süddeutschen Technik und bevorzugte kräftige Zungenstimmen. Sein Ruf ging bald über den Hunsrück und das Rheinland hinaus.
Für den Fürsten Karl August von Nassau-Weilburg (1658-1753) erbaute er 1743/ 1745 eine prachtvolle Orgel, die heute noch in der Schlosskirche von Kirchheimbolanden zu besichtigen ist. Sie wird als Mozartorgel bezeichnet, weil der große Komponist während eines einwöchigen Aufenthaltes am Fürstenhof von Carl-Christian von Nassau-Weilburg (1735-1788) zu Ehren des Gastgebers ein Konzert auf ihr gab. Es ist eine der am besten erhaltenen Barockorgeln Deutschlands. Mit dem Namen Mozarts wurde sie aber erst 1943 belegt, als die Orgelpfeifen in Gefahr standen, für die Rüstungsindustrie eingeschmolzen zu werden. Im Jahre 1746 schenkte Johann Michael Stumm der Heimatgemeinde Sulzbach seine letzte Orgel. Der örtliche Stumm-Orgelverein restaurierte sie 1981 vorbildlich zur Erinnerung an den großen Meister.
In der zweiten Generation, unter den Söhnen Johann Philipp (1705-1776) und Johann Heinrich (circa 1715-1788), erlebte das Unternehmen seine größten Erfolge. Neben Sulzbach wurde Kastellaun zur Produktionsstätte. Im Jahre 1757 schufen sie eine einmanualige Orgel für die Trierer Welschnonnenkirche. Es handelt sich um die einzige in Trier erhaltene Stummorgel. Zu den prachtvollsten Werken dieser Epoche gehört die Orgel auf der Westempore der Augustinerkirche in Mainz (1773). Von 1774 bis 1782 arbeiteten die Brüder an dem berühmtesten von all ihren Werken, der größten viermanualigen Stummorgel für die Abteikirche von Amorbach, seit der Säkularisation ein Besitztum der Fürsten zu Leiningen. Die Orgel verfügt nach Ergänzungen – ursprünglich hatte sie 45 Register – heute über 66 Register und 5.116 Pfeifen. Die regelmäßig stattfindenden Abteikonzerte, zu denen namhafte Interpreten eingeladen werden, besitzen einen internationalen Rang.
In der dritten Generation widmeten sich Nachkommen von drei Brüdern dem Orgelbau: Philipp (1734-1814), Franz (1748-1826) und Friedrich Carl (1744-1823). In Form und Stilistik orientierten sie sich an ihren Vorgängern. Auf der um 1800 geschaffenen Orgel der Evangelischen Johanniskirche zu Kronberg sollte im Jahre 1845 Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) spielen. Heute ist nur noch das alte Gehäuse erhalten. Die Cousins führten auch Gemeinschaftsarbeiten durch, so etwa Philipp und Franz Stumm beim Bau der Orgel der Evangelischen Kirche von Gensingen (1774/ 1779).
Die Vertreter der vierten Generation, Carl (1783-1845) und Franz Heinrich Stumm (1788-1859), gehörten im Wesentlichen der Epoche des Spätbarock an. Im Klangstil öffneten sie sich der Romantik. Die Pfarrei Alsenborn beauftragte sie für zwei Filialkirchen mit dem Bau von zwei baugleichen Orgeln, die im Jahre 1833 geliefert wurden. In Treis (1836) gaben sie dem Gehäuse allerdings klassizistische Züge. In der St. Paulin Kirche von Bischofsdhron wurde 1828 eine Orgel eingebaut, die sich heute noch im Originalzustand befindet. Aus diesem Grund handelt es sich um eine Rarität. Auch die Innenausstattung der Kirche im Barockstil ist erhalten geblieben. Im Jahre 1834 gelangte die erste Stummorgel in das Gebiet des heutigen Saarlandes, und zwar in die Evangelische Pfarrkirche Wolfersheim. Die Katholische Pfarrkirche Mariä Heimsuchung folgte wenige Jahre später (1838) in Mandelbachtal-Ommersheim.
Die fünfte Generation, Friedrich Carl (1819-1891) und Georg Karl Ernst Stumm (1824-1869) hielt die Klangfarben grundtöniger, die Gehäuse waren im Stil der Zeit meist neuromanisch oder neugotisch. Nur in Thalfang (1876) wies das Gehäuse ähnlich wie in Treis noch einmal klassizistische Züge auf. In dieser Epoche waren die „Eisen"-Stumms Kunden ihrer entfernten Verwandten, der „Orgel"-Stumms. Der Hüttenpatriarch Karl Ferdinand von Stumm (1836-1901) bemühte sich in Neunkirchen auch um eine Hebung des evangelischen Kirchenlebens. Er initiierte in der Unterstadt den Bau einer großen neugotischen Kirche, deren Grundsteinlegung im Jahre 1867 erfolgte. Die Hüttenfamilie schenkte 1869 der Kirchengemeinde anlässlich der Einweihung eine Stummorgel mit 24 Registern.
Die Orgelbauer der sechsten Generation waren Friedrich (1846-1921) und Karl Stumm (1847-1926). Sie setzten keine neuen stilistischen Akzente. Ein in seiner Originaldisposition erhaltenes Werk aus dem Jahre 1890 befindet sich in der Evangelischen Kirche von Mülheim (Mosel). Nach dem Bau der letzten Orgel im Jahre 1896 für Niederhosenbach folgte noch die Unterhaltung einer Werkstatt in Kirn durch Gustav (1855-1906) und Julius Stumm (1858-1885). 1906 wurde die Firma geschlossen, Teile der Werkstatt wurden den Erben von einer benachbarten Orgelbauerfamilie, Gebrüder Oberlinger in Windesheim, abgekauft.
Nach einer längeren Unterbrechung wird in der Gegenwart die Familientradition von Fabian Stumm weiter geführt. 1975 wurde ein Stumm-Orgelverein in Rhaunen-Sulzbach gegründet, der die Erinnerung an die Familie pflegt und zur Erhaltung des Werkes beiträgt. 1978 wurde die Orgel aus dem Jahre 1723 und 1981 die aus dem Jahre 1746 nach streng historischen Maßstäben restauriert. Wo immer heute noch eine funktionstüchtige Stumm-Orgel steht, wird sie zu Konzerten verwendet. Dadurch bleibt das Wirken der Familie gleichfalls weiterhin präsent.
Literatur
Bösken, Franz, Die Orgelbauerfamilie Stumm aus Rhaunen-Sulzbach und ihr Werk. Ein Beitrag zur Geschichte des Orgelbaus am Mittelrhein, Mainz 1960.
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Burg, Peter, Familie Stumm II, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-stumm-ii/DE-2086/lido/57c958e60dd169.74210142 (abgerufen am 05.12.2024)