Zu den Kapiteln
Wallraf wurde aus Liebe zu seiner Heimatstadt Köln und begünstigt durch die Zeitumstände zu einem bedeutenden Sammler von Kunst und Altertum. Nach seinem Tod erbte die Stadt die umfangreichen Kunstsammlungen, die später auf mehrere Einrichtungen aufgeteilt, den Grundstock der heutigen Kölner Museumslandschaft bilden.
Geboren am 20.7.1748 als Sohn des Schneiders Kaspar Wallraf und dessen Frau Anna Elisabeth Nettersheim in Köln, konnte Wallraf den Beruf des Lehrers nur durch Eintritt in den geistlichen Stand (Priesterweihe 1772) erreichen. Mit 21 Jahren unterrichtete er am Gymnasium Montanum, einer der drei höheren Schulen in Köln, die zugleich das Vorstudium an der Kölner Universität vermittelten. Wallraf spezialisierte sich auf die Naturwissenschaften, die innerhalb der medizinischen Fakultät gelehrt wurden. Dort erwarb er seine akademischen Grade (1778 Baccalaureus, 1780 Lizentiat, 1788 Doktor) und 1784 einen Lehrstuhl für Botanik, Naturgeschichte und Ästhetik, womit eine Besoldung als Kanoniker am Stift St. Maria im Kapitol verbunden war.
Seit 1777 war er mit Dichtungen an die Öffentlichkeit getreten, von denen einige viel Beifall im Rheinland fanden und wiederholt veröffentlicht wurden (Kaiser Joseph II. 1777, 1785, 1799; Hymnus an die Natur 1779, 1784, 1794, 1798, 1799). Bald war Wallraf auch berühmt für seine Meisterschaft im Entwerfen von Inschriften und Dekorationen für Trauerfeiern, Fürstenempfänge und bürgerliche Feste aller Art. Auch am Kölner Musikleben nahm Wallraf durch Arrangements von Konzerten aktiv Anteil.
Als Förderer des jungen Wallraf erwiesen sich der Professor für Chemie Johann Georg Menn (1730-1781) und seine Frau, Dorothea Schauberg (1725-1789), in deren Haus er lange wohnte und wo auch die "Kölner Reichs-Oberpostamts-Zeitung" gedruckt wurde. Hier lernte Wallraf den Domvikar Kaspar Bernhard Hardy (1726-1819) kennen. Hardy genoss hohes Ansehen, vor allem wegen seiner Arbeiten in Wachs. Er war der erste, der Wallraf mit der zeitgenössischen kunsttheoretischen Literatur bekannt machte, wofür dieser sich 1803 mit seiner aufwändigsten Dichtung, der "Ode an Hardy", bedankte. Ein weiterer Gönner, der Kölner Dompropst Franz Wilhelm Graf Oettingen (1725-1798), überließ Wallraf 1794 seine Residenz als Wohnung, die Wallraf nie mehr verließ. Über Oettingen lernte Wallraf auch Franz Pick (1750-1819) kennen, einen Geistlichen und Sammler wie er, mit dem er ein Jahrzehnt zusammenlebte.
Als 1786 in Bonn eine Universität errichtet wurde, sah die Reichsstadt Köln sich veranlasst, die ihrige zu modernisieren. Im Auftrag des Rates erarbeitete Wallraf einen Reformvorschlag. Da aber die ihm nahestehenden aufgeklärten Politiker Kölns zeitgleich eine Niederlage in der Toleranzfrage hinnehmen mussten, war an eine Realisierung des umfassenden Wallrafschen Reformplanes nicht zu denken. Immerhin wurde er trotz vieler Anfeindungen von seiten seiner Gymnasiumskollegen 1793 zum Rektor der Universität erhoben. Doch noch während seines Rektorats besetzten französischen Truppen am 6.10.1794 Köln und läuteten damit eine Zeitenwende ein.
Hatte Wallrafs schon früh vorhandene Sammelleidenschaft zuerst Mineralien und naturgeschichtlichen Objekten gegolten, so fiel er bald durch Bücherkäufe weit über das übliche Maß hinaus auf. Auch auf dem Kunstmarkt war Wallraf als Käufer wie Verkäufer tätig. Die französische Besatzung beraubte die geistlichen Institute vielfach ihrer Einkünfte, so dass sie Kunstgegenstände und überflüssiges Inventar verkaufen mussten. Dem Sammler ergaben sich damit vielfältige Gelegenheiten, die selbst dann noch nicht endeten, als der geistliche Besitz durch die Säkularisation 1802 auf den Staat überging. Auch aus der Bibliothek und den Sammlungen auf Schloss Blankenheim in der Eifel durfte Wallraf sich bedienen. Ihr Eigentümer Franz Josef Graf Sternberg (1763-1830), seinerzeit ein vertrauter Schüler Wallrafs, hatte sie bei seiner Flucht vor der Revolution zurücklassen müssen, aber seinem Lehrer den Zugriff gestattet. Über einige der Blankenheimer antiken Denkmäler kam es allerdings zum Streit mit Pick, der nur oberflächlich beigelegt werden konnte. Wallrafs Sammlungen wuchsen ebenso stark wie seine Schulden. Sein lang gehegtes Vorhaben, dem Unterricht wie der Öffentlichkeit seine Schätze zur allgemeinen Bildung zur Verfügung zu stellen, wurde 1807 offenkundig, als er sie der stadtkölnischen Schulverwaltung zum Kauf anbot. In Köln war man durchaus willens, Wallrafs Wunsch zu erfüllen, doch war zuvor eine Erfassung der Sammlungen unumgänglich. Sie begann mit Gemälden und Mineralien, für die 1810 Verzeichnisse und Wertangaben vorlagen. Da die finanziellen Mittel der Schulverwaltung aber nicht ausreichten, auch der Staat die Schule nicht so förderte, wie Wallraf gehofft hatte, kam es zu keinem Abschluss.
Seit der französischen Herrschaft gab es nur noch eine öffentliche höhere Schule in Köln, an der Wallraf seit 1799 "Schöne Wissenschaften und Künste" unterrichtete. Soweit junge Kölner diese Schule besuchten, waren sie daher seine Schüler und viele wurden später tatkräftige Freunde und Helfer: Matthias Josef DeNoël (1782-1849), Johann Peter Fuchs (1782-1857) und Eberhard von Groote machten sich um die Ordnung und Verwaltung der Wallrafschen Sammlungen verdient, Franz Gau und Jakob Ignaz Hittorf, beide Architekten in Paris, hat Wallraf noch selbst 1820 in einem Aufsatz als "ehrenhafte Kölner" vorgestellt.
Der Besuch Napoleons in Köln 1804 bot Wallraf erneut die Gelegenheit, in Dekorationen und sinnreichen Inschriften zu brillieren, die in Latein, Französisch und Deutsch gedruckt und nach Paris eingesandt wurden. Erhalten bis heute sind seine Inschriften für den 1809 eröffneten Friedhof Melaten. Auch in den heutigen Straßennamen sind noch Spuren seiner Namensgebung zu erkennen, da er beteiligt wurde, als 1812 die Namen in Deutsch und Französisch zum ersten Mal amtlich festgelegt wurden. Die zahlreichen weiteren öffentlichen Aufträge ähnlicher Art aus dem ganzen Roerdépartement, die Freundschaft mit dem Ehepaar Friedrich Schlegel (1772-1829) und Dorothea Veit, geborene Mendelssohn (1763-1839), die "Olympische Gesellschaft", die seit 1811 in seiner Wohnung tagte, seine Paris-Reise 1812 – all dies kennzeichnet die Jahre der Zugehörigkeit des Rheinlands zu Frankreich als Höhepunkt in Wallrafs Leben, da er sich in Übereinstimmung mit Staat und Gesellschaft fühlen durfte wie nie zuvor.
Dennoch schwenkte Wallraf 1814 sofort zur preußischen Verwaltung um, vermutlich aus Sorge um den Fortbestand seiner Sammlungen, den nur die öffentliche Hand zu garantieren vermochte. Zugunsten Kölns übernahm er die Abfassung zweier Denkschriften, eine für die Wiederherstellung der Universität, die zweite über Kölns Verluste während der französischen Zeit. Am 19.10.1815, dem Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, konnte Wallraf erleben, wie das Altarbild der Kirche St. Peter, von Peter Paul Rubens gemalt und eben deshalb 1794 von den Franzosen geraubt, triumphal seinen Einzug in Köln hielt.
Allen mangelhaften Vorarbeiten zum Trotz setzte Wallraf 1816 die Stadt Köln zur Haupterbin seines Vermögens ein und erneuerte diese Verfügung 1818 in seinem endgültigen Testament. Dafür wurde ihm eine lebenslängliche Rente gewährt, die ihn von materiellen Sorgen weitgehend befreite. Wallrafs Wunsch, die alte Dompropstei als Eigentum überlassen zu bekommen, blieb unerfüllt. Nach seinem Tod wurde das stadtgeschichtlich bedeutende Gebäude abgerissen.
Wallraf sammelte weiterhin unermüdlich, inzwischen auf allen Gebieten der Kunst. Von einem römischen Kunsthändler erwarb er Antiken aus Italien, die nur noch wenige Bezüge zu Köln aufwiesen, aber dem enzyklopädischen Anspruch seiner Sammlung gerecht wurden. Da Wallraf zeitlebens einem Kunstideal der Aufklärung verhaftet blieb, wusste er die einzigartige Kunst zur Zeit der Kölner mittelalterlichen Malerschule noch nicht zu schätzen, mit der Folge, dass seine jüngeren Konkurrenten, die Brüder Sulpiz und Melchior Boisserée, die besseren Stücke erwerben konnten.
Als 1823 Wallrafs 75. Geburtstag anstand, wurde zugleich sein 50-jähriges Jubiläum als Priester und Lehrer begangen: mit einem Festzug von der Art, wie er sie selbst so gerne arrangiert hatte, mit der Überreichung eines Eichenkranzes als Bürgerkrone und der Ausstellung seines Portraits auf dem Rathaus. Sein Museum, das er so beharrlich erstrebt hatte, wurde aber erst nach fast 40 Jahren und allein dank der überreichen Spende von Johann Heinrich Richartz errichtet.
Wallrafs vielfältige Beziehungen, auch seine (wenigen) lebenslänglichen Freundschaften, lassen darauf schließen, dass er ein Mensch der Mündlichkeit und des Gesprächs war, wogegen sein dichterisches, schriftstellerisches und publizistisches Œeuvre zwar vielfältig, im einzelnen aber von geringem Umfang war. Größere Arbeiten fielen ihm schwer und blieben oft unvollendet. Die Passion zum Sammeln wuchs wie bei vielen anderen seinesgleichen zu einer rücksichtslosen Leidenschaft. Die Freundschaft mit Franz Pick wandelte sich aufgrund des gleichen Strebens zu einer versteckten Feindschaft, die sich nach Picks Tod 1818 in einem gehässigen Schriftsatz über den Verstorbenen entlud. Wallrafs pädagogischer Eros und vor allem die Liebe zu seiner Vaterstadt Köln wirkten aber oft als Korrektiv. Die Wallrafschen Sammlungen sind nach Motivation und Entstehung anderen vergleichbar, durch ihren Bezug zu Köln ragen sie unter ihnen hervor.
Am 18.3.1824 starb Ferdinand Wallraf in Köln. Sein Grab auf dem Friedhof Melaten wurde im Krieg zerstört und ist heute nur Erinnerungsstätte. Die Stadt ehrte ihn 1900 mit einem Denkmal vor "seinem" Museum. An der Stelle der über Jahrzehnte von ihm bewohnten Dompropstei befindet sich heute der Wallrafplatz. Das 1861 eröffnete "Wallraf-Richartz-Museum", seit 2001 "Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud", beherbergt die weltweit größte Sammlung mittelalterlicher Malerei.
Literatur
Deeters, Joachim (Hg.), Der Nachlass Ferdinand Franz Wallraf, Köln/Wien 1987.
Kier, Hiltrud/Zehnder, Frank Günter (Hg.), Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995 .
Kier, Hiltrud, Lust und Verlust II. Corpus-Band zu Kölner Gemäldesammlungen 1800 – 1860, Köln 1998.
Thierhoff, Bianca, Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824). Eine Gemäldesammlung für Köln, Köln 1997.
Online
Das Neue Mittelalter im Wallraf (Information auf der Website des Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corbud). [Online]
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Deeters, Joachim, Ferdinand Franz Wallraf, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ferdinand-franz-wallraf/DE-2086/lido/57c831c97d97e1.25310331 (abgerufen am 06.12.2024)