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Franz Steinbach war einer der führenden rheinischen Landeshistoriker des 20. Jahrhunderts.
Franz Steinbach wurde am 10.10.1895 im bergischen Rommersberg bei Engelskirchen als zehntes von zwölf Kindern geboren. Nach dem Besuch der Volksschulen in Engelskirchen und Lindlar sowie des Progymnasiums in Bergisch Gladbach machte er 1915 am humanistischen Gymnasium in Neuss das Kriegsabitur. Nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg, an dem er als Kriegsfreiwilliger teilgenommen hatte, begann er im Herbst 1918 sein Studium in Bonn in den Fächern Geschichte, Germanistik, Staatswissenschaften und Philosophie. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten neben Walter Platzhoff (1881-1969), Aloys Schulte und Wilhelm Levison vor allem Hermann Aubin und Theodor Frings, unter deren Ägide 1920 das Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (IGL) an der Universität Bonn gegründet wurde.
Von der sich an diesem Institut etablierenden neuen Landesgeschichte mit ihrem Interesse an Wirtschaft und Gesellschaft, Recht und Verfassung, Siedlungs- und Stadtgeschichte in interdisziplinärer Verbindung mit Sprachgeschichte und Volkskunde empfing Steinbach die entscheidenden Anregungen für seine wissenschaftliche Tätigkeit. Die Rheinlande in den Grenzen der alten preußischen Rheinprovinz boten für diese kulturgeschichtlichen und kulturvergleichenden Forschungen zunächst den regionalen Rahmen, verbunden mit dem Anspruch, die für das Rheinland gewonnenen Erkenntnisse auch für die allgemeine Geschichte fruchtbar zu machen.
1922 wurde Steinbach bei Aubin summa cum laude mit einer Arbeit über „Vererbung und Mobilisierung des ländlichen Grundbesitzes im bergischen Hügelland" promoviert und anschließend erster Assistent am Bonner Institut. Fragen der Agrargeschichte und der ländlich-bäuerlichen Rechts- und Sozialordnung gehörten seitdem zu einem seiner bevorzugten Forschungsfelder. Hervorhebung verdient in diesem Zusammenhang seine mit Erich Becker (1906-1981) verfasste Arbeit über die „Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung" sowie sein viel beachteter Aufsatz über „Gewanndorf und Einzelhof", der zur Aufgabe der bis dahin gültigen Lehre von der altgermanischen Herkunft der Markgenossenschaft führte.
1925 in Bonn habilitiert, übernahm er bereits ein Jahr später - 1926 - nach der Wegberufung Aubins nach Gießen die Leitung des IGL. 1928 erhielt er das neu geschaffene Extraordinariat für Rheinische Geschichte und allgemeine Wirtschaftsgeschichte und wurde formell zum Direktor des IGL ernannt.
In seiner Habilitationsschrift „Studien zur westdeutschen Stammes- und Volksgeschichte", die mit ihrem Erkenntnisinteresse weit über das Rheinland hinausreichte und westeuropäische Zusammenhänge in den Blick nahm, knüpfte Steinbach methodisch an den kulturräumlichen Ansatz seiner Lehrer Aubin und Frings an. Unter Einbeziehung historischer, sprachlicher und volkskundlicher Befunde kam er in fachvergleichender Synthese zu dem Ergebnis, dass Völker und Stämme nicht aus urgermanischer Zeit überkommene Gemeinschaften seien, sondern dem historischen Wandel unterworfene zeitbedingte Gebilde. Im Zusammenhang mit diesem neuen kulturdynamischen Verständnis von „Volk" und „Stamm" konstatierte er in einem zweiten Schritt einen germanisch (= fränkisch) dominierten Kulturraum zwischen Rhein und Loire und interpretierte die deutsch-französische Sprachgrenze als eine Rückzugslinie der fränkischen Siedlungsbewegung in Gallien. Diese viel beachtete, aber nicht unwidersprochen gebliebene These wurde auf seine Anregung hin von Franz Petri in dessen Habilitationsschrift weiter verfolgt. Den Kulturraum zwischen Rhein und Loire bezeichnete er in einer späteren Publikation („Zur Grundlegung der europäischen Einheit durch die Franken", 1939) als „kerneuropäischen Raum".
Im Anschluss an seine Habilitationsschrift standen seit Ausgang der 1920er und in den 30er Jahren Fragen nach den Wechselwirkungen und zunehmend den Antagonismen zwischen germanischem und romanischem „Volkstum" sowie nach der „Volksgrenze im Westen" im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Interessen. In diesem Kontext stehen auch seine umfassenden Aktivitäten im Vorfeld der Saarabstimmung von 1935. In den Zusammenhang der „Westforschung" gehörte ebenfalls sein Engagement in der 1931 gegründeten Rheinischen bzw. Westdeutschen Forschungsgemeinschaft, die er von 1931-1935 leitete. Mit diesen Forschungen, die von einem entschiedenen Nationalgefühl motiviert waren, das nationalistischer Züge nicht entbehrte, und auf eine Sichtbarmachung germanischer Kultureinflüsse in den westlichen Nachbarländern zielte, empfahl sich Steinbach den NS-Machthabern, denen sie als wissenschaftliche Begründung für ihre Annexionsbestrebungen im Westen dienten. Gleichwohl war das Verhältnis des bekennenden Katholiken Steinbach zum „Dritten Reich" ambivalent. Steinbach war Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) und des Nationalsozialistischen Dozentenbundes (NSD), nicht jedoch der NSDAP.
Vom August 1939 bis September 1945 befand sich Steinbach mit geringfügigen Unterbrechungen im Kriegseinsatz. Im Frühjahr 1940 war er kurzzeitig als Leiter der Abteilung „Kultur und Volkstum" bei der Militärverwaltung für Belgien und Nordfrankreich vorgesehen gewesen, aber auf Intervention des SD nicht eingestellt worden. Auf Veranlassung der Militärverwaltung nahm er dann im Wintersemester 1940 / 1941 eine Gastprofessur an der Universität in Gent wahr, in deren Anschluss er für die Schaffung eines deutschen wissenschaftlichen Instituts daselbst plädierte, das auf die Verbundenheit Belgiens mit dem Reich hinarbeiten sollte. Anschließend war er bis Kriegsende bei der Wehrmacht in Norwegen eingesetzt, zuletzt als Regimentskommandeur.
Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg im September 1945 erlangte Steinbach im Februar 1946 die Wiederzulassung als Hochschullehrer. 1949 wurde sein Extraordinariat - nach zweimaligem vergeblichen Versuch in den 1930er Jahren - in ein planmäßiges Ordinariat umgewandelt und seine Lehrbefugnis zugleich auf „Sozial- und Wirtschaftsgeschichte" und „Geschichte der Rheinlande" erweitert. Im akademischen Jahr 1949 / 1950 war er Dekan.
Nach dem Krieg knüpfte Steinbach in weiten Teilen thematisch und methodisch an seine Arbeiten der 1920er und 30er Jahre an, allerdings mit einer stärkeren Berücksichtigung der Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Neben agrargeschichtlichen Themen im weitesten Sinne, insbesondere der Frage nach dem Ursprung der Landgemeinde, die er aus der Gerichtsgemeinde herleitete, richtete sich sein Blick nun verstärkt auch auf Bürgertum und Stadt. Seine Forschungen zur Geschichte der deutschen Westgrenze nahm er nicht wieder auf, ebenso wie die Thematik des „Volkstums" aus dem Blick geriet. Von „der hohen Bedeutung des fränkischen Anteils an den französischen Volksgrundlagen" blieb er gleichwohl zeitlebens überzeugt (Franz Petri). In der Tradition der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft wurde 1950 unter seinem Vorsitz die vom Gesamtdeutschen Ministerium geförderte Arbeitsgemeinschaft für westdeutsche Landes- und Volksforschung gegründet, die er bis 1964 leitete und deren Geschäftsführung im IGL lag. Vor allem auch über diese Arbeitsgemeinschaft wurden wissenschaftliche Kontakte ins westliche Ausland gepflegt und erneuert.
Das Lebenswerk von Steinbach ist untrennbar verknüpft mit dem IGL, dessen wissenschaftliche Ausrichtung er in der Tradition seiner Lehrer Aubin und Frings prägte und das seit seiner Gründung viele Jahrzehnte als „Leitinstitut" (Matthias Werner) der neuen deutschen Landesgeschichte wahrgenommen wurde. Steinbach führte die 1922 ins Leben gerufene Reihe „Rheinisches Archiv" fort, begründete 1931 zusammen mit Adolf Bach und Joseph Müller die Institutszeitschrift „Rheinische Vierteljahrsblätter" und war von 1926 bis 1961 Schriftführer des dem IGL nahe stehenden „Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande". Unter seinem 35jährigen Direktorat wurde das IGL zum Mittelpunkt der landesgeschichtlichen Forschungen im Rheinland.
1960 wurde Steinbach emeritiert. Bei der Wiederbesetzung wurde sein Lehrstuhl in eine Professur für Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Wolfgang Zorn) und eine für Rheinische Landesgeschichte (Franz Petri) geteilt. Am 7.11.1964 verstarb Franz Steinbach in Bonn und wurde auf dem Poppelsdorfer Friedhof beigesetzt.
Werke
Beiträge zur Bergischen Agrargeschichte. Vererbung und Mobilisierung des ländlichen Grundbesitzes im bergischen Hügelland, Phil. Diss., Bonn 1922.
Collectanea Franz Steinbach. Aufsätze und Abhandlungen zur Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, geschichtlichen Landeskunde und Kulturraumforschung, hg. von Franz Petri und Georg Droege, Bonn 1967 [mit Schriftenverzeichnis].
Geschichtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland. Unter Mitwirkung von Erich Becker, Bonn 1932 [Abdruck der von Steinbach verfassten Passagen in: Collectanea Franz Steinbach, Bonn 1967, S. 487-555] .
Studien zur westdeutschen Stammes- und Volksgeschichte, Jena 1926, Nachdruck Darmstadt 1962.
Festschrift, Nachruf
Braubach, Max/Petri, Franz/Weisgerber, Leo (Hg.), Aus Geschichte und Landeskunde. Forschungen und Darstellungen. Franz Steinbach zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Freunden und Schülern, Bonn 1960.
Petri, Franz, Franz Steinbach zum Gedächtnis, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 29 (1964), S. 1-27.
Literatur
Nikolay-Panter, Marlene, Geschichte, Methode, Politik. Das Institut und die geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 60 (1996), S. 233-262.
Rusinek, Bernd A., >Westforschungs<-Traditionen nach 1945, in: Dietz, Burkhard/Gabel, Helmut/Tiedau, Ulrich (Hg.), Griff nach dem Westen. Die >Westforschung< der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919-1960), Münster u.a. 2003, S. 1141-1201.
Tiedau, Ulrich, Franz Steinbach, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften, München 2008, S. 661-666.
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Nikolay-Panter, Marlene, Franz Steinbach, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franz-steinbach/DE-2086/lido/57c95564389fa8.83735719 (abgerufen am 12.10.2024)