Zu den Kapiteln
Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach war Fürstäbtissin der freiweltlichen Frauenstifte Essen und Thorn, die in Personalunion verbunden waren. In Essen regierte sie während der letzten Blütezeit des Stifts. Die in Teilen erhaltene Barock- beziehungsweise Rokoko-Ausstattung der Essener Stifts- wie der Johanneskirche und der Kapelle des von ihr gestifteten Waisenhauses in Steele ist ihr zu verdanken und zeigt den großen Einfluss der Jesuiten während ihrer Regierungszeit in Essen.
Franziska Christine wurde am 16.5.1696 als drittes von neun Kindern des Herzogs Theodor Pfalzgraf zu Sulzbach (1659-1730) und seiner Gemahlin Maria Eleonore Amalie von Hessen-Rheinfels-Rothenburg (1675-1730) in Sulzbach geboren. Drei der Geschwister starben im Kindesalter, die übrigen sechs erreichten das Erwachsenenalter. Über die Erziehung der vier Töchter ist wenig bekannt. Frömmigkeit, Andacht, Zurückgezogenheit, Sittsamkeit und Tugendhaftigkeit waren die Hauptmerkmale der adeligen Mädchenerziehung der Zeit, die wohl auch ihnen zuteil geworden ist. Zur Ausbildung gehörte das Erlernen der französischen Sprache, um in der hochadeligen Gesellschaft bestehen zu können, während Latein nur durch den täglichen Gebrauch in der Messe vermittelt wurde.
Der älteste Sohn der Familie, Erbprinz Joseph Karl (1694-1729), wurde 1703 mit erst neun Jahren Domherr in Köln und erhielt am Hof seines Vetters Karl (III.) Philipp eine standesgemäße Erziehung und Ausbildung. Seine außerordentlich guten Kontakte sollten für die Schwester stets von Vorteil sein.
Franziska Christine lebte wohl bereits mit fünf Jahren zeitweise bei ihrer Tante Eleonore von Löwenstein-Wertheim-Rochefort im Frauenstift Thorn bei Roermond, wo diese Äbtissin war (Amtszeit 1690-1706). Sie bestimmte die Nichte zu ihrer Alleinerbin. Damit Franziska Christine auch in Essen Stiftsdame werden konnte, musste sie ihre Aufschwörung, den Nachweis ihrer adeligen Abstammung, vorlegen, der sowohl in Essen als auch in Thorn Voraussetzung für die Aufnahme war. Das Essener Stiftskapitel stimmte der Aufnahme Franziska Christines unter der Bedingung zu, dass sie kein Stimmrecht bei Kapitelsentscheidungen erhalten sollte. Damit sollte ein zu großer Einfluss des Hauses Pfalz-Sulzbach vermieden werden, da dem aus zehn Frauen bestehenden Essener Kapitel bereits zwei Schwestern Franziska Christines angehörten.
Trotz dieser Einschränkung begann Franziska Christine am 10.11.1712 ihren Pflichtaufenthalt – ihre Residenz – in Essen, um sich die Möglichkeit, später doch noch das Stimmrecht zu erhalten, offen zu halten. Nachdem ihre Schwester Maria Anna das Essener Stift verlassen hatte, wurde Franziska Christine am 30.9.1715 vollständig aufgenommen. Ihre unregelmäßigen Aufenthalte in Essen, die 1717 in eine ständige Abwesenheit übergingen, hängen wohl mit ihrer Wahl zur Äbtissin von Thorn zusammen. Dort wurde sie am 31.3.1717 trotz ihres jugendlichen Alters von gerade 21 Jahren mittels päpstlicher Erlaubnis zur Nachfolgerin der am 12. Januar verstorbenen Äbtissin Anna Juliana Helena von Manderscheid-Blankenheim (1665-1717) gewählt. Da sie nicht die Wunschkandidatin des Kapitels war, waren für ihre Wahl vor allem äußere Einflüsse ausschlaggebend, die wohl den guten Kontakten ihres Bruders Joseph Karl zuzuschreiben waren.
Ähnlich verlief es in Essen, wo sie am 15.10.1726 zur Äbtissin gewählt wurde. Auch hier spielte der Einfluss ihres ältesten Bruders die entscheidende Rolle. Mit ihrem Amtsantritt begann die längste Amtszeit einer Essener Äbtissin (1726–1776) überhaupt. Diese war, wie die ihrer Vorgängerin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg (1654-1726), von Streitigkeiten zwischen Stift und Stadt geprägt. Ute Küppers-Braun zufolge lag das allerdings weniger an Franziska Christine als an ihren Beratern aus dem Jesuitenorden. Völlig unvorbereitet auf das Amt der Äbtissin, war sie ihren Beratern regelrecht ausgeliefert. Ihr erster Berater in geistlichen und weltlichen Dingen, P. Christoph Neander (gestorben 1747), war etwa 20 Jahre lang bis zu seinem Tod auch ihr persönlicher Beichtvater. Nach seinem Tod übernahm P. Thomas Mantels (gestorben 1765), ebenfalls Jesuit, das Amt. Als er starb, wurde der Jesuitenpater Nikolaus Marner letzter Berater und Beichtvater der Äbtissin. Laut Ute Küppers-Braun ist der Einfluss dieser Männer auf die Fürstinäbtissin kaum zu überschätzen.
Franziska Christine bemühte sich während ihrer Regierungszeit um eine straff organisierte und effiziente Verwaltung. Sie erließ eine neue Steuerordnung, um die Einnahmen des Stiftes zu mehren, gefolgt von einer Hypotheken- und einer Gerichtsordnung. Diese Ordnungen trugen immer deutlichere Züge absolutistischer Herrschaftsauffassung – und die Handschrift der Berater. Das führte in beiden Stiften, Essen und Thorn, zu ständigen Konflikten mit Stiftsfrauen, Kanonikern und Untertanen.
Ihr bis heute bekanntestes und berühmtestes Werk war die Gründung des Waisenhauses in Steele, das 1769 erstmals Kinder aufnahm. Um die wirtschaftliche Basis des Waisenhauses auch nach ihrem Tod zu sichern, gründete sie die Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung, die das Waisenhaus noch heute unterhält. Mit der Gründung bezweckte sie auch die Verbreitung des katholischen Glaubens. Das Waisenhaus sollte ein „Bollwerk gegen den Protestantismus und Hort und Pflanzstätte des katholischen Glaubens“ sein (Küppers-Braun 1998, S. 74). Verwaiste Kinder wurden hier im katholischen Glauben erzogen, die Jesuiten erhielten eine neue Niederlassung und die Fürstäbtissin eine weitere Residenz.
Wie viele ihrer Vorgängerinnen residierte Franziska Christine vorzugsweise auf Schloss Borbeck (heute Stadt Essen), das ihr seine heutige Gestalt verdankt. Da die Residenz in den Essener Abteigebäuden in einem schlechten Zustand war, kam ihr die neue Residenz in Steele sehr gelegen. Vor allem ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie bescheiden mit einem kleinen, wenig repräsentativen „Hofstaat“. Am ehesten entsprach noch Franziska Christines Kammermohr fürstlicher Repräsentation: Ignatius Friedericus Maximilian, wie man ihn in Essen taufte, stand von 1737 bis zum ihrem Tod in ihren Diensten. Neben ihrem Beichtvater genoss er eine besondere Vertrauensstellung und durfte nach ihrem Tod im Waisenhaus verbleiben. Als er 1789 starb, wurde er als einer ihrer wichtigsten Begleiter nahe ihrem Grab in der Kirche des Waisenhauses beigesetzt.
Franziska Christine starb am 16.7.1776 im Alter von 80 Jahren, kurz vor ihrem 50-jährigen Regierungsjubiläum. Ihr Leichnam wurde zunächst im Audienzsaal der Abtei in Essen unter einem Baldachin aufgebahrt. Zwei Tage später wurde sie, entsprechend ihren testamentarischen Vorgaben, in der Mitte der Kapelle des Waisenhauses beigesetzt.
Literatur
Friederichs, Otto, Die Fürstin Franziska Christine-Stiftung in Essen-Steele, vornehmlich die künstlerisch wertvollen drei Altäre ihrer Kapelle, in: Das Münster am Hellweg 27 (1974), S. 3–18.
Hövelmann, Franz, Die Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Essen-Steele. 1769–1962, Essen 1962.
Küppers-Braun, Ute, Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach (1726–1776), in: Frauen des hohen Adels im kaiserlich-freiweltlichen Damenstift Essen. Eine verfassungs- und sozialgeschichtliche Studie. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Stifte Thorn, Elten, Vreden und St. Ursula in Köln, Essen 1997, S. 152–165.
Küppers-Braun, Ute, Fürstin-Äbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach (1696-1776), in: Christen an der Ruhr, hg. v. Alfred Pothmann und Reimund Haas, Band 2, Bottrop 1998, S. 61–82. Zitiert: Küppers-Braun 1998.
Küppers-Braun, Ute, Macht in Frauenhand – 1000 Jahre Herrschaft adeliger Frauen in Essen, Essen 2002.
Küppers-Braun, Ute, Zu hässlich zum Heiraten? Maria Kunigunde von Sachsen und Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach, in: Stela historica 6 (2010), S. 11–17.
Schilp, Thomas, Artikel „Essen, Stift“, in: Nordrheinisches Klosterbuch, hg. v. Manfred Groten [u.a.], Band 2, Siegburg 2012, S. 296-319.
Wegener, Andrea, Letzte Blüte. Ausstattung der Essener Stiftskirchen im 18. Jahrhundert – ein Forschungsbericht, in: Frauen bauen Europa. Internationale Verflechtungen des Frauenstifts Essen, Essen 2011, S. 391–411.
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Wegener, Andrea, Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franziska-christine-von-pfalz-sulzbach/DE-2086/lido/57c6bee94eace7.94756063 (abgerufen am 09.12.2024)