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Friederike Wilhelmine Fliedner, geborene Münster, war als Ehefrau und Mitarbeiterin des evangelischen Pfarrers Theodor Fliedner wesentlich an der Gründung und erfolgreichen Entwicklung der Diakonissenanstalt beteiligt.
Friederike Wilhelmine Münster wurde am 25.1.1800 in Braunfels, der Residenz der Fürsten von Solms-Braunfels im heutigen Hessen, geboren. Ihr Vater Andreas Münster (1775-1849) hatte es, aus ungebildeten Verhältnissen stammend, zum Lehrer gebracht. Ihre Mutter Louise Philippine, geborene Hartmann (1770-1816) war Zofe. Friederike war die älteste von sieben Kindern.
Friederikes Kindheit war von Entbehrungen geprägt. Als ihre Mutter 1816 an Flecktyphus starb, übernahm die damals 16-jährige den großen Haushalt, versorgte ihren Vater, eine Großmutter und ihre Geschwister. Im selben Jahr erhielt der Vater eine Vertrauensstellung beim Fürsten von Solms-Braunfels auf der Domäne Altenberg bei Wetzlar. Acht Monate nach dem Tod seiner Frau heiratete Münster erneut. Friederike blieb jedoch weiterhin für ihre kleinen Geschwister verantwortlich. Halt gab ihr der reformatorisch-evangelische Glaube, der sie von früher Jugend an begleitete. Tief beeindruckt hat sie die Begegnung mit zwei Basler Missionaren, die völlig mittellos im Süden Russlands missionieren wollten.
Als ihre jüngeren Geschwister alt genug waren, musste Friederike für ihr eigenes Auskommen sorgen. So begann sie 1826 als Erzieherin in den Düsselthaler (heute Stadt Düsseldorf) Rettungsanstalten für verwahrloste Mädchen des Grafen Adalbert von der Recke-Volmerstein zu arbeiten. Während ihrer Tätigkeit erkrankte Friederike lebensbedrohlich. Außerdem gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Anstalt sowie zwischen Friederike und der Anstaltsleitung, so dass sie 1828 die Anstalten verließ. Auf Anraten ihres Arztes erholte sie sich anschließend einige Monate bei der Familie Jacobi auf Gut Pempelfort (heute Stadt Düsseldorf).
Während dieser Zeit erreichte sie der Antragsbrief Theodor Fliedners, in dem dieser in sachlichem Ton um ihre Hand anhielt. Fliedner hatte offenbar ihre Arbeit in den Rettungsanstalten beobachtet. In seinem Brief stellte Fliedner gleich die Bedingungen für die Ehe klar: Friederike sollte ihn als „Herr im Haus" akzeptieren sowie seinen Einsatz für die Rheinische Gefängnisgesellschaft, die er kurz zuvor mitgegründet hatte, bedingungslos unterstützen. Friederike, die sich gerade in einer Phase der Neuorientierung befand, nahm das Angebot ebenso sachlich an.
Am 15.4.1828 heiratete das Paar in Oberbiel (heute Stadt Solms). Ende April zog Friederike Fliedner in das Kaiserswerther Pfarrhaus ein. Dort übernahm sie die Haushaltsführung, während Theodor auf Reisen ging, um Geld für seine Projekte zu sammeln. Am 23.4.1830 brachte sie ein Mädchen, Luise, zur Welt. Zuvor war ein Junge tot geboren worden. Von elf geborenen Kindern erreichten nur Luise (1830-1916), Wilhelmine (Mina) (1835-1904) und Georg (1840-1916) das Erwachsenenalter. Das Engagement Friederike Fliedners für das Werk ihres Mannes muss vor diesem Hintergrund der hohen körperlichen und seelischen Belastung durch die vielen Geburten gesehen werden.
1833 begannen die Fliedners mit ihrem ersten gemeinsamen Projekt, einem Asyl für entlassene weibliche Strafgefangene. Friederike gewann eine Freundin, Katharina Göbel (1788-1855), als Vorsteherin des Hauses. Friederike sammelte Spenden für die neue Einrichtung, sorgte für passendes Mobiliar und kümmerte sich um die Buchführung. Den Sinn in dem Asyl sah Friederike in seiner Wirkung als „Zufluchtsort unter den inländischen Heiden", und: „Möchte der Herr einen rechten Missionssinn unter den Gläubigen für die Gefangenen erwecken!" Dieser Gedanke taucht bereits auf, bevor Johann Hinrich Wichern (1808-1881) 15 Jahre später den Begriff der Inneren Mission prägte.
Die Arbeit mit den straffällig gewordenen Frauen erwies sich als sehr mühsam. Das Übel der Verwahrlosung sollte nun an der Wurzel angepackt werden. Nachdem Theodor Fliedner an einer Kleinkinderschule in Düsseldorf mitwirkte, schlug Friederike die Einrichtung einer solchen Schule auch in Kaiserswerth vor. Beide Institutionen, das Asyl und die Kleinkinderschule, waren wichtige Vorläufer der 1836 gegründeten Diakonissenanstalt.
Die „Pflegerinnen- oder Diakonissenanstalt" am Kaiserswerther Markt beruhte auf der Idee, die Krankenpflege zu professionalisieren und gleichzeitig unverheirateten Frauen eine fundierte Ausbildung zu bieten, so dass sich ihnen eine Alternative zur Heirat eröffnete. Das Haus in Kaiserswerth wurde als „Mutterhaus" bezeichnet, da sich dort das Leben der Diakonissen in der Gemeinschaft abspielte. Um dieses Leben, das auf Treue und Gehorsam gegründet war, zu organisieren, musste das Amt der Vorsteherin mit einer geeigneten Persönlichkeit besetzt werden. Als erstes kam Gertrude Reichert (1788-1869), die jedoch bald überfordert war. Fliedner bemühte sich sehr, Amalie Sieveking (1794-1859) aus Hamburg für das Amt zu gewinnen. Diese lehnte jedoch nach langer Bedenkzeit ab. Die von ihr empfohlene Franziska Lehnert (geboren 1800) erwies sich allerdings als charakterlich ungeeignet. Um eine weitere längere Vakanz des Vorsteherinnenamts zu vermeiden, übernahm im Januar 1837 schließlich Friederike Fliedner selbst die Stelle, zusätzlich zu ihren Pflichten als Ehefrau, Mutter und Versorgerin des Pfarrhaushaltes. Sie übernahm das Amt in dem Bewusstsein, vom Herrn als Gehilfin ihres Mannes berufen zu sein.
Friederikes Tätigkeit als Vorsteherin prägte in den ersten Jahren wesentlich die innere Entwicklung der Diakonissenanstalt. Der Beginn war durchaus von Spannungen geprägt, da sich zum Beispiel der Anstaltsarzt nichts von einer Frau sagen lassen wollte. Daraufhin entwickelte Theodor Fliedner die „Instruktion für die Vorsteherin der Diakonissenanstalt", in der die Aufgaben der Vorsteherin genau definiert waren. Die Vorsteherin war neben der ökonomischen und personellen Leiterin des Mutterhauses auch Erzieherin und Mutter für die eintretenden Diakonissen. Zusätzlich beteiligte sie sich aktiv an der Betreuung und Pflege der Kranken. „Überhaupt, alle hat sie mit unparteilicher Liebe zu umfassen und dahin zu wirken, daß jedes Glied der Anstalt in Einigkeit und pünktlichem, willigem Gehorsam harmonisch zum Wohl des Ganzen wie seiner selbst wirke."
Friederike reiste auch zu den entstehenden Außenstationen der Diakonie, um sich vor Ort um die hauswirtschaftlichen Belange und die dort tätigen Diakonissen zu kümmern. Sie füllte das Amt mit Hingabe bis zur Selbstverleugnung aus. Diese Art der Frömmigkeit wirkte prägend auf die erste Diakonissengeneration und die Arbeit im Mutterhaus insgesamt.
Friederikes persönliche Frömmigkeit half ihr auch, einige Schicksalsschläge zu verkraften. Neben Fehl- und Totgeburten verlor sie 1841 bei einer Typhusepidemie zwei ihrer Kinder, Johanna und Simonetta.
Geschwächt durch die Anstrengungen der vielen Geburten und das arbeitsreiche Leben starb Friederike Fliedner am 22.4.1842 bei der Geburt ihres elften Kindes, das am 25. April mit ihr zusammen auf dem Kaiserswerther Friedhof beerdigt wurde.
Nachlass
Der Nachlass Friederike Fliedners befindet sich im Archiv der Fliedner-Kulturstiftung.
Quellen (Auswahl)
Sticker, Anna, Friederike Fliedner und die Anfänge der Frauendiakonie. Ein Quellenbuch, Neukirchen-Vluyn 1961.
Literatur
Fliedner, Luise, Friederike Fliedner. Aus dem Leben der ersten Diakonissenmutter zu Kaiserswerth, Düsseldorf-Kaiserswerth o.J.
Friedrich, Norbert, Die Fliedners von Kaiserswerth. Theodor, Friederike und Caroline Fliedner. Ein gemeinsames Lebensbild, in: Mau, Rudolf (Hg.): Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte, Band 2: Vom Unionsaufruf 1817 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 2009, S. 215-241.
Köhler-Lutterbeck, Ursula/Siedentopf, Monika, Friederike Wilhelmine Fliedner (1800-1842), in: Köhler-Lutterbeck, Ursula/Siedentopf, Monika, Frauen im Rheinland. Außergewöhnliche Biographien aus der Mitte Europas, Köln 2001, S. 78-83.
Sticker, Anna, Theodor und Friederike Fliedner, Wuppertal/Zürich 1989.
Online
Die Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth (Unfangreiches Informationsangebot über das Wirken Friederike und Theodor Fliedners, inklusive Kurzbiographien). [Online]
Fliednerarchiv – Nachlässe der Familie Fliedner (PDF-Datei auf der Website der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth). [Online]
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Küntzel, Astrid, Friederike Fliedner, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friederike-fliedner-/DE-2086/lido/57c6ade39d12e1.47950339 (abgerufen am 20.01.2025)