Friedrich Middelhauve

Verleger und Politiker (1896-1966)

Kristian Buchna (Augsburg)

Friedrich Middelhauve, Porträtfoto. (Landtag NRW)

Oh­ne Be­rück­sich­ti­gung Fried­rich Mid­del­hau­ves lässt sich die Früh­ge­schich­te der FDP kaum er­zäh­len. Der Mit­be­grün­der des grö­ß­ten li­be­ra­len Lan­des­ver­ban­des stieg 1952 zum stell­ver­tre­ten­den Par­tei­vor­sit­zen­den der FDP auf, doch mit dem Schei­tern sei­nes Kon­zep­tes ei­ner Samm­lung al­ler po­li­ti­schen Kräf­te rechts von der CDU be­gann sein in­ner­par­tei­li­cher Ein­fluss zu sin­ken. Von 1954 bis 1956 am­tier­te Mid­del­hauve im Ka­bi­nett von Mi­nis­ter­prä­si­den­t Karl Ar­nold als des­sen Stell­ver­tre­ter so­wie als Wirt­schafts- und Ver­kehrs­mi­nis­ter. Au­ßer­dem be­tä­tig­te er sich seit den 1920er Jah­ren als Un­ter­neh­mer und Ver­le­ger.

Fried­rich Wil­helm Hein­rich Mid­del­hauve wur­de am 17.11.1896 in Sie­gen ge­bo­ren. Sei­ne Mut­ter, Ju­lie Mid­del­hauve (ge­bo­ren 1874), ge­bo­re­ne Schweis­furth, ent­stamm­te ei­ner dort an­säs­si­gen Kauf­manns­fa­mi­lie, sein Va­ter, Louis Mid­del­hauve (1870-1950), brach­te es vom ein­fa­chen Schlos­ser­lehr­ling zum Ober­inge­nieur beim Reichs­bahn­aus­bes­se­rungs­werk Op­la­den (heu­te Stadt Le­ver­ku­sen). Im Kreis So­lin­gen la­gen auch die Sta­tio­nen der schu­li­schen Lauf­bahn sei­nes Soh­nes Fried­rich, die ihn von El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) über Op­la­den ins Re­al­gym­na­si­um von Oh­ligs (heu­te Stadt So­lin­gen) führ­ten, wo er 1916 schlie­ß­lich sein Ab­itur ab­leg­te. Noch im sel­ben Jahr wur­de Mid­del­hauve als Sol­dat ein­ge­zo­gen, wo­bei er sei­nen Dienst nicht in den Schüt­zen­grä­ben des Ers­ten Welt­krie­ges, son­dern als Dol­met­scher im nie­der­rhei­ni­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Fried­richs­feld bei We­sel ver­rich­te­te.

In Mid­del­hau­ves aka­de­mi­scher Lauf­bahn spie­gelt sich sei­ne schön­geis­ti­ge Ver­an­la­gung deut­lich wi­der: Ei­nem Stu­di­um der Li­te­ra­tur­ge­schich­te, Ge­schich­te und Kunst­ge­schich­te in Mar­burg, Bonn und Müns­ter folg­te schlie­ß­lich 1921 an der Uni­ver­si­tät zu Köln die Pro­mo­ti­on mit ei­ner Ar­beit über Adal­bert Stif­ters „Nach­som­mer“. Schwe­ren Her­zens ent­schied sich der jun­ge Dr. phil. ge­gen ei­ne uni­ver­si­tä­re Kar­rie­re und grün­de­te noch 1921 in Wies­dorf, dem heu­ti­gen Le­ver­ku­sen, ei­ne Buch­hand­lung. Die In­fla­ti­ons­kri­se der frü­hen Wei­ma­rer Re­pu­blik führ­te zwar zum Schei­tern des 1922 ge­grün­de­ten „Dr. Fried­rich Mid­del­hauve Ver­la­ges Köln“, doch von die­ser ne­ga­ti­ven Er­fah­rung ließ sich der ri­si­ko­freu­di­ge Un­ter­neh­mer nicht ab­schre­cken; schon im Jahr 1924 grün­de­te er in Op­la­den sei­ne ers­te Dru­cke­rei. Eben dort lern­te er auch sei­ne spä­te­re Ehe­frau Ber­tha Rei­chert (1893-1988) ken­nen, die als Leh­re­rin am Ly­ze­um Ma­ria­num ar­bei­te­te. Kon­fes­si­ons­gren­zen spiel­ten bei ih­rer 1928 voll­zo­ge­nen Hoch­zeit kei­ne Rol­le: Mid­del­hauve war be­ken­nen­der Pro­tes­tant, Rei­chert prak­ti­zie­ren­de Ka­tho­li­kin. Aus die­ser Ehe gin­gen drei Kin­der her­vor.

Die po­li­ti­sche Büh­ne be­trat Mid­del­hauve mit sei­nem Bei­tritt zur Deut­schen Staats­par­tei (DStP), die 1930 zu­nächst als ein Wahl­bünd­nis zwi­schen der links­li­be­ra­len Deut­schen De­mo­kra­ti­schen Par­tei (DDP) und dem bün­disch-au­to­ri­tä­ren Jung­deut­schen Or­den ins Le­ben ge­ru­fen wur­de. Als Vor­sit­zen­der der DStP im Rhein-Wup­per-Kreis so­wie als stell­ver­tre­ten­der Wahl­kreis­vor­sit­zen­der in Düs­sel­dorf er­leb­te Mid­del­hauve haut­nah den Ero­si­ons­pro­zess des Li­be­ra­lis­mus am Aus­gang der Wei­ma­rer Re­pu­blik; mit den 1932 er­reich­ten Re­sul­ta­ten von 0,3 Pro­zent war die DStP auch und ge­ra­de im rhei­nisch-west­fä­li­schen Raum zu ei­ner un­be­deu­ten­den Split­ter­par­tei ge­wor­den.

Über Mid­del­hau­ves Tä­tig­keit zur Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus gibt es nur we­ni­ge In­for­ma­tio­nen. Mit­glied der NS­DAP ist Mid­del­hauve nie ge­we­sen, doch trat er 1935 der Reichs­kam­mer der bil­den­den Küns­te und der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Volks­wohl­fahrt so­wie ein Jahr spä­ter dem Reichs­ko­lo­ni­al­bund bei. Da er wei­ter­hin als Ver­le­ger tä­tig war, gab es zu sei­nen Mit­glied­schaf­ten in der Deut­schen Ar­beits­front (seit 1934) und in der Reichs­schrift­tums­kam­mer (seit 1942) ver­mut­lich kaum ei­ne Al­ter­na­ti­ve. So wur­de Mid­del­hauve auch von der Wehr­pflicht ent­bun­den, da sei­ne Dru­cke­rei als kriegs­wich­ti­ger Be­trieb ein­ge­stuft wor­den war.

Nach Kriegs­en­de en­ga­gier­te sich Mid­del­hauve so­wohl auf kom­mu­na­ler wie auch re­gio­na­ler Ebe­ne für den Neu­auf­bau ei­ner li­be­ra­len Par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on – be­son­ders im west­deut­schen Raum war dies kein leich­tes Vor­ha­ben, denn auf­grund der ka­tho­li­schen Be­völ­ke­rungs­mehr­heit so­wie der in­dus­tri­el­len Prä­gung hat­te der Li­be­ra­lis­mus hier schon im­mer ei­nen schwe­ren Stand ge­habt.

Am 6.10.1945 grün­de­te Mid­del­hauve in Op­la­den die Deut­sche Auf­bau­par­tei, knapp zwei Mo­na­te spä­ter wur­de er zum ers­ten Vor­sit­zen­den des li­be­ra­len Lan­des­ver­ban­des in der Nord-Rhein­pro­vinz ge­wählt. Un­ter­mau­ert wur­de sein in­ner­par­tei­li­cher Füh­rungs­an­spruch zu­dem durch die im Ok­to­ber 1946 er­folg­te Über­nah­me des Vor­sit­zes der klei­nen li­be­ra­len Frak­ti­on in dem von der bri­ti­schen Be­sat­zungs­macht zu­nächst er­nann­ten Land­tag so­wie durch die Wahl zum Vor­sit­zen­den des nord­rhein-west­fä­li­schen Lan­des­ver­ban­des der FDP im Au­gust 1947. Die nun an­bre­chen­de „Ära Mid­del­hau­ve“ war ge­prägt von dem Be­stre­ben, die FDP ne­ben den So­zi­al- und Christ­de­mo­kra­ten zu ei­ner drit­ten po­li­ti­schen Kraft zu ma­chen. Un­ter dem Schlag­wort der „Na­tio­na­len Samm­lun­g“ woll­te Mid­del­hauve bei der not­wen­di­gen Su­che nach neu­en Wäh­ler­schich­ten frü­he­re Deutsch­na­tio­na­le aus Wei­ma­rer Zei­ten ge­nau­so an­spre­chen wie ehe­ma­li­ge Wehr­machts­sol­da­ten und Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. Die hier­für not­wen­di­ge Kli­en­tel­po­li­tik stieß bei links­li­be­ra­len Par­tei­freun­den auf Un­ver­ständ­nis. Mid­del­hauve be­kann­te sich noch zu Be­ginn der fünf­zi­ger Jah­re zum „Deut­schen Reich“, er for­der­te die Ab­schaf­fung des Län­der­par­la­men­ta­ris­mus und sprach sich für ei­nen star­ken, vom Volk ge­wähl­ten Prä­si­den­ten als Staats­ober­haupt aus, der die Be­fug­nis zur Auf­lö­sung des Par­la­ments so­wie zur Er­nen­nung und Ent­las­sung der Re­gie­rung ha­ben soll­te. In­ner­par­tei­li­che Kri­tik ent­zün­de­te sich auch an der For­de­rung nach ei­ner Ge­ne­ral­am­nes­tie für al­le in der NS-Zeit be­gan­ge­nen Ver­bre­chen so­wie am ge­ziel­ten Ein­satz ehe­ma­li­ger Na­tio­nal­so­zia­lis­ten bei der Re­or­ga­ni­sa­ti­on des Lan­des­ver­ban­des.

Dass Mid­del­hauve mit Wolf­gang Die­wer­ge (1906-1977) aus­ge­rech­net ei­nen geis­ti­gen Weg­be­rei­ter des Ho­lo­caust zu sei­nem per­sön­li­chen Se­kre­tär mach­te, kann als der wohl frag­wür­digs­te Er­folg je­ner In­te­gra­ti­ons­po­li­tik gel­ten. Die­wer­ge stand auch in en­gem Kon­takt zum so ge­nann­ten „Nau­mann-Kreis“, ei­nem kon­spi­ra­ti­ven Zir­kel ehe­ma­li­ger rang­ho­her Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, die sich um den frü­he­ren Go­eb­bels-Staats­se­kre­tär Wer­ner Nau­mann (1909-1982) grup­piert hat­ten. Mit der am 14./15.1.1953 er­folg­ten Ver­haf­tung von Nau­mann und sechs wei­te­ren Mit­glie­dern je­nes Krei­ses durch die bri­ti­sche Be­sat­zungs­macht ge­rie­ten zu­neh­mend auch de­ren Ver­bin­dun­gen zur nord­rhein-west­fä­li­schen FDP in den Mit­tel­punkt des öf­fent­li­chen In­ter­es­ses. Ei­ne par­tei­in­ter­ne Un­ter­su­chungs­kom­mis­si­on kam zu dem Be­fund, dass in­ner­halb des FDP-Lan­des­ver­ban­des al­le Schlüs­sel­po­si­tio­nen nicht po­li­tisch er­prob­ten Per­sön­lich­kei­ten, son­dern frü­he­ren pro­mi­nen­ten Na­tio­nal­so­zia­lis­ten an­ver­traut wor­den sind.

Ob­wohl Mid­del­hauve für die­se Ent­wick­lung die Ver­ant­wor­tung trug, durf­te er all sei­ne Par­tei­äm­ter be­hal­ten, doch mit der Dis­kre­di­tie­rung je­nes na­tio­na­len Samm­lungs­kur­ses be­gann auch sein in­ner­par­tei­li­ches An­se­hen zu schwin­den. Ent­spre­chend groß war sei­ne Ent­täu­schung, dass die im No­vem­ber 1952 er­folg­te Wahl zum stell­ver­tre­ten­den Bun­des­vor­sit­zen­den der FDP nicht mit ei­nem Ge­winn an Ein­fluss auf die wei­te­ren Ge­schi­cke der Par­tei ver­bun­den war. Zwar be­klei­de­te er von 1954 bis 1956 noch das Amt des nord­rhein-west­fä­li­schen Wirt­schafts- und Ver­kehrs­mi­nis­ters, doch der hin­ter sei­nem Rü­cken von den ei­ge­nen Par­tei­freun­den be­trie­be­ne Sturz der Re­gie­rung Ar­nold zur Er­rich­tung ei­ner so­zi­al­li­be­ra­len Ko­ali­ti­on ver­deut­licht die zu­neh­men­de Ent­frem­dung zwi­schen Mid­del­hauve und sei­ner Par­tei. 1958 zog er sich schlie­ß­lich aus der ak­ti­ven Po­li­tik zu­rück.

Ne­ben dem um­strit­te­nen Po­li­ti­ker droht stets der um­trie­bi­ge Ver­le­ger Mid­del­hauve aus dem Blick­feld zu ge­ra­ten. Zu sei­nen Ver­diens­ten ge­hört nicht nur die Grün­dung des re­nom­mier­ten wis­sen­schafts­ori­en­tier­ten „West­deut­schen Ver­la­ge­s“ so­wie des schön­geis­ti­gen „Fried­rich Mid­del­hauve Ver­la­ge­s“ (bei­de 1947 in Op­la­den), son­dern et­wa auch die Ent­de­ckung des in der Nach­kriegs­zeit noch völ­lig un­be­kann­ten und mit­tel­lo­sen Schrift­stel­lers Hein­rich Böll, der bei Mid­del­hauve erst­mals ei­nen Au­to­ren­ver­trag er­hielt.

Lan­ge vor sei­nem Tod am 14.7.1966 hat­te Mid­del­hauve das klei­ne Un­ter­neh­mensim­pe­ri­um der Ob­hut sei­ner Kin­der an­ver­traut, dar­über hin­aus wur­den ihm zahl­rei­che Wür­di­gun­gen zu­teil. An sei­nem 65. Ge­burts­tag ver­lieh ihm der nord­rhein-west­fä­li­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Franz Mey­ers das Gro­ße Bun­des­ver­dienst­kreuz mit Stern und Schul­ter­band, 1965 folg­ten die Eh­ren­bür­ger­wür­de der Rhei­nisch-West­fä­li­schen Tech­ni­schen Hoch­schu­le Aa­chen so­wie kurz dar­auf der Eh­ren­dok­tor­ti­tel der Wirt­schafts- und So­zi­al­wis­sen­schaft­li­chen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät zu Köln.

Quellen

FDP-Bun­des­vor­stand. Die Li­be­ra­len un­ter dem Vor­sitz von Theo­dor Heuss und Franz Blü­cher. Sit­zungs­pro­to­kol­le 1949-1954, be­arb. von Udo Wengst, 2 Halb­bän­de, Düs­sel­dorf 1990.
Po­li­ti­scher ­Li­be­ra­lis­mus in der bri­ti­schen Be­sat­zungs­zo­ne 1946-1948. Füh­rungs­or­ga­ne und Po­li­tik der FDP, ein­ge­lei­tet von Lo­thar Al­ber­tin, be­arb. von Hans F. W. Gring­muth, in Ver­bin­dung mit Lo­thar Al­ber­tin, Düs­sel­dorf 1995.

Literatur

Bier­bach, Wolf, Fried­rich Mid­del­hauve, in: Först, Wal­ter (Hg.), Bei­der­seits der Gren­zen, Köln 1987, S. 185-211.
Buch­na, Kris­ti­an, Na­tio­na­le Samm­lung an Rhein und Ruhr. Fried­rich Mid­del­hauve und die nord­rhein-west­fä­li­sche FDP 1945-1953, Mün­chen 2010.
Hax, Karl, Fried­rich Mid­del­hauve zum Ge­dächt­nis, in: Schma­len­bachs Zeit­schrift für be­triebs­wirt­schaft­li­che For­schung 18 (1966), S. 613-615.
Hen­ning, Fried­rich, Fried­rich Mid­del­hauve, in: Först, Wal­ter (Hg.), Zwi­schen Ruhr­kampf und Wie­der­auf­bau, Köln 1972, S. 166-172.

 
Zitationshinweis

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Buchna, Kristian, Friedrich Middelhauve, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-middelhauve/DE-2086/lido/57c94f11aaaf20.64853105 (abgerufen am 10.11.2024)