Zu den Kapiteln
Die Brüder Friedrich und Heinrich von der Leyen verschafften mit der von ihnen 1730 gegründeten Firma Friedrich & Heinrich von der Leyen dem Krefelder Seidengewerbe eine über Deutschland hinausreichende Geltung.
Friedrich von der Leyen wurde am 20.6.1701 in Krefeld geboren, sein Bruder Heinrich dort am 18.7.1708, beide als Söhne des Seidenverlegers Wilhelm von der Leyen (1650-1722) und seiner zweiten Ehefrau Maria von Voorst (1671-1739). Die Familie von der Leyen stammte aus Radevormwald und gehörte der dortigen kleinen Täufergemeinde an, die zumeist aus Posamentwirkern bestand. Nachdem Herzog Philipp Wilhelm von Jülich-Berg (Regentschaft: 1653-1679) allen noch im Land verbliebenen Täufern angedroht hatte, den vierten Teil ihres Vermögens einzuziehen, ließ sich Friedrichs und Heinrichs Großvater Adolf von der Leyen (ca. 1624/1625-1698) 1656 im damals oranischen Krefeld nieder und schloss sich der dortigen Täufergemeinde an. Er legte als Posamentwirker und Posamenthändler, wie Engelbert vom Bruck schrieb, „den Grund zu den hiesigen Seidenmanufakturen“. Seine Söhne Wilhelm und Friedrich (ca. 1656-1724) führten das Geschäft fort. Wilhelm machte noch vor 1719 die Bandmühle in Krefeld heimisch und tat damit den entscheidenden Schritt in die Zukunft. Die Produktion von Bändern war der Ausgangspunkt des Krefelder Seidengewerbes. Seiden- und Samtbänder erlaubten, anders als die sehr viel teureren Seidentücher und -stoffe, auch denjenigen, die über ein vergleichsweise geringes Einkommen verfügten, einer einfachen Kleidung das Aussehen von etwas Besonderem zu geben.
Über Kindheit und Jugend Friedrich und Heinrich von der Leyens ist nichts bekannt. Vollgültige Mitglieder der Krefelder Mennonitengemeinde wurden sie mit der in der dortigen Mennonitenkirche vollzogenen Bekenntnistaufe am 2.4.1724 und am 10.4.1729. Auf die Taufe folgte alsbald die Heirat. Friedrich heiratete am 27.8.1726 die Krefelderin Margaretha von Aaken (1705-1779), eine Tochter des Linnenreiders Conrad von Aaken (1666-1725), Heinrich am 27.10.1732 die Burtscheiderin Maria Schorn (1713-1787). Beide Frauen gehörten der mennonitischen Glaubensgemeinschaft an. Mit diesen Heiraten zeigten die Brüder an, dass sie sich an das religiöse Gebot hielten, ausschließlich innerhalb der eigenen Gemeinschaft zu heiraten (Endogamie). Während in Friedrichs Ehe allem Anschein nach keine größeren Probleme auftraten – die silberne und insbesondere die goldene Hochzeit wurden in großem Stil gefeiert –, war die von Heinrich erheblichen Belastungen ausgesetzt. Maria Schorn war, wie ihr Briefwechsel mit Gerhard Tersteegen zeigt, eine religiös sehr ansprechbare, zugleich aber auch psychisch stark belastete Frau. Ihr Mann konnte damit offenbar nur schlecht umgehen, wie der Verweis auf ihr „widriges Betragen“ und die Bemerkung, sie hätte „zu dem während der Ehe Erworben- und Gewonnenem nicht nur gar nichts beygetragen, sondern auch für die Beybehaltung nicht einmal im geringsten gesorget“, in seinem Testament erahnen lassen.
Beide Brüder traten bereits vor ihrer Taufe an verantwortlicher Stelle in das Seidenwarengeschäft ein. Nachdem ihnen ihr Bruder Peter (1697-1742) Anfang 1721 mit der Eröffnung einer Rohseidenhandlung vorangegangen war, gründete Friedrich mit seinem sehr viel älteren Stiefbruder Johann von der Leyen (1686-1764) im Frühjahr desselben Jahres ein Unternehmen, das sich der Produktion von Bändern und von Samt annahm. Nachdem sich um 1726/1727 der Kreis der Teilhaber um die Witwe Wilhelm von der Leyens erweitert hatte, wahrscheinlich in ihrer Eigenschaft als Vormund ihres Sohnes Heinrich, trat dieser 1730 nach Erreichung der Volljährigkeit an die Stelle seiner Mutter. Doch bereits am Ende des Jahres kam es zur Trennung. Friedrich und Heinrich gründeten die Firma Friedrich & Heinrich von der Leyen, während Johann von der Leyen ein eigenes Unternehmen aufbaute. Die Produktionsbereiche wurden offenbar bei dieser Gelegenheit gegeneinander abgegrenzt. Johann von der Leyen blieb die Herstellung von Samtbändern und Samt vorbehalten, diejenige von Seidenbändern ging an Friedrich & Heinrich von der Leyen.
Friedrich und Heinrich von der Leyen steuerten, offenbar stark geprägt vom Wirtschaftsverhalten, wie es sich in der Mennonitengemeinde herausgebildet hatte, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einen Expansionskurs, der alles andere, was sich in dieser Zeit in Krefeld regte, an Dynamik übertraf. Die Zahl der Webstühle, die für sie arbeiteten, stieg bis 1763 auf 735. Noch vor der Jahrhundertmitte kam zur Fertigung von Seidenbändern die von seidenen Tüchern und Zeugen hinzu. Alsbald wurden auch seidene Stoffe in das Produktionsprogramm aufgenommen. Die Bilanzsumme stieg zwischen 1733 und 1756 von 147.861 auf 520.363 Reichstaler und bis 1782 weiter auf 1.287.390 Reichstaler. Das in den Bilanzen ausgewiesene Kapital erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 37.814 über 280.018 auf 995.250 Reichstaler. Noch in ihren letzten Lebensjahren begannen Friedrich und Heinrich von der Leyen damit, einen größeren Komplex von manufakturellen Werkbauten mit Seidenmagazin, Scheidenzwirnerei und Seidenschärerei westlich des späteren Friedrichplatzes zu errichten. Bisher hatte sich das Verwaltungszentrum des Verlages in der späteren Friedrichstraße zwischen den Häusern Friedrich und Heinrich von der Leyens befunden. Von den beiden Färbereien hatte die eine zunächst innerhalb der Stadtmauern an der heutigen Scheutenstraße gelegen. Sie wurde 1778/1779 nach Leyenthal (in der Nähe von Crakau) verlegt, wo bereits seit längerer Zeit die zweite Färberei angesiedelt war. Von den in Manufakturen konzentrierten Arbeitsschritten abgesehen, war das Unternehmen in der Form eines Verlages organisiert. Die Weber arbeiteten in ihren Häusern und Wohnungen nach den Vorgaben der von der Leyen, die neben dem Rohmaterial auch die Webstühle und Bandmühlen stellten.
Hatte sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts das Krefelder Seidengewerbe zur Gänze in der Hand von aus der Familie von der Leyen hervorgegangenen Unternehmen befunden (neben F. & H. von Leyen Johann von der Leyen & Co. und Peter von der Leyen / Witwe Peter von der Leyen), traten seitdem die ersten Konkurrenzfirmen auf den Plan. Friedrich und Heinrich von Leyen waren jedoch nicht bereit, auf das von ihnen bislang faktisch ausgeübte Monopol vollständig zu verzichten. Mit Hilfe der staatlichen Behörden gelang es ihnen, in den seit 1759 andauernden Auseinandersetzungen mit Gerhard Lingen & Co., Cornelius & Johannes Floh (hervorgegangen aus J. von der Leyen & Co.) und Paulus Preyers & Co. ein Teilmonopol durchzusetzen. Dieses beinhaltete den Einsatz von Zwirnmühlen und Bandmühlen und im Zusammenhang damit die Herstellung von gezwirnter Rohseide und seidenen Bändern sowie ferner die Fertigung bestimmter Arten von seidenen Tüchern und Stoffen. Zugute kam ihnen dabei, dass es ihnen beim Besuch des preußischen Königs Friedrich II. (Regentschaft: 1740-1786) in Krefeld im Juni 1763 gelungen war, diesen dauerhaft für sich einzunehmen und eine Beziehung aufzubauen, auf die sie künftig setzten konnten. Am Ende der Auseinandersetzungen stand eine stillschweigende Übereinkunft der von der Leyen mit den anderen Verlagen (F.H. & J. Heydweiller, C. & J. Floh, G. Lingen & Co.), dass anderen Verleger-Kaufleuten der Zugang zum Seidengewerbe künftig verwehrt sein sollte. Auf diese Weise entstand ein Verbund von wenigen Anbietern (Oligopol), der ein Vollmonopol für die Herstellung von Seidenwaren in Krefeld beanspruchte. Innerhalb dieses Vollmonopols übten die von der Leyen künftig ihr Teilmonopol aus.
Spätestens seit den 1750er-Jahren war die Stellung des von der Leyenschen Unternehmens als des weitaus größten Arbeitgebers in Krefeld so überragend, dass Friedrich und Heinrich von der Leyen als die alles beherrschenden Gestalten in Krefeld gelten konnten. In der Mennonitengemeinde stützten sie nachhaltig den Kurs, der diese immer näher an ihre Umwelt heranführte. So schenkten sie der Gemeinde eine Orgel, die dort 1768 zum ersten Mal zu hören war. Bislang war das Orgelspiel wie auch jede andere Art von Kirchenmusik in der Mennonitenkirche verpönt gewesen. 1766 gaben Friedrich und Heinrich von der Leyen mit der Stiftung eines Kapitals von 2.500 Reichstalern den Anstoß zur Ablösung der Laienprediger durch akademisch ausgebildete Berufsprediger. Was die Stadt anlangt, verhielten sie sich immer mehr so, als ob sie deren wahre Herren seien. Darin, dass Friedrich II. sie unter Umgehung des Magistrats zu „Kommissaren“ der Stadterweiterung von 1766 ernannte, konnten sie nicht anders als eine Bestätigung dieser Auffassung sehen. Sie trugen keine Bedenken, sich in nahezu alles einzumischen, was ihnen bedeutsam erschien. Dazu gehörten die Steuerverfassung, die Postkurse, die Versorgung mit Kohlen und Währungsfragen. Sie zögerten auch nicht, sich unter Umgehung des Magistrats direkt an die Behörden in Berlin zu wenden.
Bei alledem hat es den Anschein, dass es eine gewisse Rollenverteilung zwischen den Brüdern gab. Friedrich konzentrierte sich auf die Leitung der Firma und alles das, was mit ihr zu tun hatte, während Heinrich Funktionen außerhalb dieses engeren Bereichs wahrnahm. Er amtierte zeitweise als einer der Diakone der Mennonitengemeinde. Des Weiteren beteiligte er sich im Zusammenhang mit den hohen finanziellen Lasten, die der Siebenjährige Krieg (1756-1763) für die Stadt mit sich brachte, als städtischer Deputierter am Stadtregiment.
Je weniger die Stellung der beiden von der Leyen in der Krefelder Gesellschaft angefochten wurde, desto mehr achteten sie auf Distinktion und gesellschaftliche Exklusivität. 1754 erreichten sie die Befreiung von der Jurisdiktion des Krefelder Magistrats und die direkte Unterstellung unter die Regierung in Moers. Sie wurden damit der oberen Schicht des Bürgerstandes zugeordnet und, rechtlich gesehen, dem Adel gleichgestellt. Schon im folgenden Jahr ernannte sie der König zu Kommerzienräten. Das Haus, das sich Friedrich von der Leyen am Eingang der späteren Friedrichstraße erbauen ließ (später als „Haus in den Ketten“ bezeichnet), brachte mit seinen bereits klassizistisch wirkenden Formen symbolträchtig die Ansprüche zum Ausdruck, von denen sich die Familie leiten ließ.
Friedrich von der Leyen starb am 23.11.1778, sein Bruder Heinrich am 7.6.1782. Da ihre Ehen kinderlos geblieben waren, hatten sie zu Beginn der sechziger Jahre ihre Neffen Conrad (1730-1797), Friedrich (1732-1787) und Johann (1734-1795), Söhne ihres früh verstorbenen Bruders Peter, in die Firma aufgenommen und sie von 1766 an zu je einem Sechstel und ab 1772 zu je einem Fünftel beteiligt. Wie der „generale Societaets-Contract“ von 1766 und ihre Testamente von 1778 und 1780 erkennen lassen, war ihnen daran gelegen, das von ihnen aufgebaute Unternehmen, dessen Geschicke sie mit denen des gesamten Krefelder Seidengewerbes gleichsetzten, über ihren Tod hinaus auf Dauer zu stellen. „mir nichts so sehr zu Gemüth und Hertzen dringe, als daß bei meiner Familie dieser dem allgemeinen Besten ersprieslichsten Fleiß und Eifer in beständiger Activität erhalten und die Fabriquen ... in Stand und Wesen sorgfältigst unterhalten und conserviret bleiben mögen“, hieß es im Testament Friedrich von der Leyens. Dem war insofern Erfolg beschieden, als das Unternehmen bis zur Spaltung von 1823 (in die Firmen Friedrich Heinrich von Friedrich von der Leyen & Peter von Loevenich, 1823-1845, und Friedrich Heinrich von Conrad von der Leyen & Co., 1823-1855), d.h. bis weit in die übernächste Generation, Bestand hatte.
Quellen
Schmoller, Gustav, und Hintze, Otto (Bearb.), Die preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den Großen, Berlin 1892, S. 579-672
Literatur
Kisch, Herbert, Preußischer Merkantilismus und der Aufstieg des Krefelder Seidengewerbes: Variationen über ein Thema des 18. Jahrhunderts, in: Ders., Die hausindustriellen Textilgewerbe am Niederrhein vor der industriellen Revolution. Von der ursprünglichen zur kapitalistischen Akkumulation, Göttingen 1981, S. 317-360
Kriedte, Peter, La dynastie von der Leyen de Krefeld. Une famille de soyeux au 18e siècle entre mennonisme et monde moderne, in: Annales. Histoire, Sciences Sociales 50 (1995), S. 725-752
Kriedte, Peter, Taufgesinnte und großes Kapital. Die niederrheinisch-bergischen Mennoniten und der Aufstieg des Krefelder Seidengewerbes (Mitte des 17. Jahrhunderts-1815), Göttingen 2007
Kurschat, Wilhelm, Das Haus Friedrich & Heinrich von der Leyen in Krefeld. Zur Geschichte der Rheinlande in der Zeit der Fremdherrschaft 1794-1814, Frankfurt 1933
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Kriedte, Peter, Friedrich und Heinrich von der Leyen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-und-heinrich-von-der-leyen-/DE-2086/lido/57c9417213b7b0.19821793 (abgerufen am 10.11.2024)