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Fritz Worm war Buchhändler, Literaturredakteur beim Westdeutschen Rundfunk (1928-1933), Pionier der Akustischen Kunst und Verfolgter des NS-Regimes, einer der bedeutendsten Kulturvermittler aus der Frühzeit des Rundfunks.
Fritz Worm (geboren 1887, das genaue Geburtsdatum ist nicht bekannt) entstammte einer jüdisch-assimilierten Familie aus dem oberschlesischen Ort Leobschütz (heute Głubczyce /Polen). Er besuchte das Franziskanergymnasium in seiner Heimatstadt und absolvierte eine Buchhandelslehre. Spätestens im Jahre 1910 zog Worm nachDüsseldorf. Hier übernahm er die auf der Königsallee 54/Ecke Steinstraße gelegene Ohle’sche Buchhandlung, einen Intellektuellen- und Bibliophilentreffpunkt, der unter anderem den Schriftsteller Adolf von Hatzfeld (1892-1957) oder den Kunsthändler Alfred Flechtheim zu seinen Kunden zählte. Den kaufmännischen Aspekten seiner Tätigkeit stand Worm eher beziehungslos gegenüber – für ihn zählten allein der hochwertige Inhalt und die künstlerische Gestaltung. Triviale literarische Massenware lehnte er ab. Worm war ein Liebhaber der Deutschen Klassik und Romantik, ein Idealist und Bildungsbürger, der hohe Qualitätsansprüche hegte und einer typisch kaiserzeitlichen „Bildungsreligion“(Thomas Nipperdey) huldigte.
Nach dem Ersten Weltkrieg, den Worm als Soldat in einem Infanterieregiment an der Westfront erlebte, kehrte er nach Düsseldorf zurück und engagierte sich in dem 1919 gegründeten Immermannbund. Den Einladungen zu Veranstaltungen des Düsseldorfer Kulturbundes folgten hochkarätige Schriftsteller, Musiker, Architekten oder Wissenschaftler wie Thomas und Heinrich Mann (1875-1955, 1871-1950), Stefan Zweig (1881-1942), Arnold Schönberg (1874-1951), Paul Hindemith (1895-1963), Walter Gropius (1883-1969), Ernst Robert Curtius oder Georg Dehio (1850-1932).
Im Jahre 1927 knüpfte Worm Kontakte zu der 1924 in Münster gegründeten und 1926 nach Köln übersiedelten Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG). Ab Dezember dieses Jahres übertrug diese vier Folgen der Reihe „Deutsche Plastik des Mittelalters“ aus der Feder von Fritz Worm, 1928 folgte eine 20-teilige Sendereihe zum Thema „Persönlichkeit und Werk Albrecht Dürers“. Über die freie Mitarbeit gelangte Worm zur Festanstellung als „Dezernent für Literatur und Geisteswissenschaften“ bei der WERAG.
Hier kreierte Worm die sonntägliche Sendereihe „Wert und Ehre deutscher Sprache“. In ihr waren alle literarischen Gattungen mit Ausnahme der Epik (die Worm als nicht-„funkische“ Gattung betrachtete) vertreten. Innerhalb der Sendereihe „Eine Stunde Kurzweil“ stellte Worm ein Potpourri aus Literatur- und Musikanteilen vor. Um bildungsferne Schichten am Apparat zu halten, verzichtete er bewusst auf literatur- und musikwissenschaftliche Diskurse und ließ die Hörer erst am Ende des Sendung wissen, welche Werke vorgestellt worden waren.
Worms Experimente zur Schaffung eines radiophonen Gesamtkunstwerkes und seine Überlegungen, wie Werke der Bildenden Kunst im Rundfunk präsentiert werden könnten, kulminierten im Jahre 1930 in der legendären 75-minütigen „Dom-Reportage“. Die Sendung unter dem Titel „Mit dem Mikrophon durch den Kölner Dom“ vom 28.4.1930, die von den meisten deutschen Sendern übernommen und sogar im Ausland ausgestrahlt wurde, erfuhr eine überschwängliche Aufnahme seitens der Kritik. In der Dom-Reportage wurden Geräusche nicht nur als akustische Kulisse verwendet wie in vielen zeitgenössischen „Hörbildern“, sie standen vielmehr im Sinne der ars acustica gleichberechtigt in einer Reihe mit Gesang, Glockengeläut, Sprache, Musik oder der Stille. Ziel der Reportage war es, den Kölner Dom mit seinen Kunstschätzen hör- und erfahrbar zu machen. Dabei operierte Worm unter anderem mit verschiedenen Klangperspektiven, zum Beispiel mit der Kontrastierung der O-Töne vom belebten Domvorplatz und der feierlichen Stille im Gotteshaus selbst beziehungsweise durch einen Wechselgesang der Chorknaben zwischen Langhaus und Triforium. Er vermittelte einen Eindruck von der Höhe des Gebäudes, während die am Eingang des Domes und in der Vierung platzierten Mikrophone den ab- und anschwellenden Gesang der Chorknaben beim Abschreiten des Langhauses aufnahmen und so einen Eindruck von seiner Dimension vermittelten. Geistliche Betrachtungen, Orgelimprovisationen, ein Interview mit den Chorknaben, Rezitation von Lyrik und die Beschreibung von Kunstwerken wie der „Madonna im Rosenhag“ von Stefan Lochner oder dem Gerokreuz komplettierten die Reportage, die – nach einer retardierenden Pause von einer Minute – mit dem Vollgeläut des Kölner Domes endete.
Am 20.3.1933 wurde Fritz Worm nach jahrelangen Angriffen seitens der NS-Gauzeitung „Westdeutscher Beobachter“ als einer der ersten Mitarbeiter der Westdeutschen Rundfunk GmbH durch die Nationalsozialisten vom Dienst suspendiert. Er zog sich mit seiner Familie ins Bergische Land zurück und fristete seinen Lebensunterhalt durch die Kündigung einer Lebensversicherung und Lektoratsarbeiten, die ihm seine früheren Redaktionskollegen unter falschem Namen – und hinter dem Rücken des NS-Intendanten Heinrich Glasmeier – zukommen ließen. Radio Basel übernahm Worms „Kurzweilstunde“ in größeren Abständen ins Programm, außerdem „tingelte“ Worm mit der „Kurzweilstunde“ für den Jüdischen Kulturbund Rhein-Ruhr, jetzt in Live-Veranstaltungen am Niederrhein und im Ruhrgebiet.
Im August 1934 emigrierte Worms Sohn Gottfried (geboren 1913) nach Brasilien. Er hatte nach dem Abbruch seines Studiums eine Lehre zum Automechaniker begonnen, die ihm nun bei der Existenzgründung in Rio de Janeiro von Nutzen war. Am 1.11.1935 folgten Fritz und Luise Worm mit der gleichnamigen Tochter ihrem Sohn beziehungsweise Bruder in die Emigration nach Brasilien. Worms kostbare Bibliothek und ein Gemälde von Franz Marc (1880-1916) konnten gerettet werden.
Zunächst fand Worm eine Anstellung in der von Ernst Viebig (1897-1959), dem Sohn der Schriftstellerin Clara Viebig, betriebenen Zweigstelle der „Livraria transatlậntica“. Als diese jedoch im April 1936 liquidiert wurde, stand er erneut vor dem Nichts. Eine Mitarbeit im Rundfunk scheiterte an unzureichenden Sprachkenntnissen. So bestritt Worm seinen Lebensunterhalt notdürftig als Privatlehrer mit Deutschunterricht, mit Vorträgen, etwa zum Thema „Geistige Heimat. Werte deutscher Dichtung und Weisheit“ in der Escola Nacional de Belas Artes , mittels Übersetzungen und durch die Unterstützung der beiden Kinder. Insgesamt gestaltete sich sein Betätigungsfeld jedoch bescheiden. Aus seiner sinnstiftenden Tätigkeit als Kulturvermittler war er 1933 entfernt worden, von der deutschen Gemeinde in Rio, in der die Nationalsozialisten stetigen Zulauf verzeichneten, hielt er sich fern, und er litt unter dem tropischen Klima. Kurz vor seinem Tod distanzierte sich Worm, der nach Aussage seines Sohnes in „fuenf muehseligen Jahren“ niemals in Rio heimisch wurde, resigniert von seinem lebenslangen Idealismus und dem Ideal der Aufklärung des Menschen durch Bildung. Er starb am 9.5.1940 in Rio de Janeiro an Herzversagen.
Literatur
Bernard, Birgit/Schumacher, Renate, Fritz Worm oder der obsolet gewordene Bildungsauftrag, in: StadtLandFluß. Festschrift für Gertrude Cepl-Kaufmann, hg. von Antje Johanning [u.a.], Neuss 2002, S. 109-128.
Bernard, Birgit, Ernst Hardt (1876-1947). „Den Menschen immer mehr zum Menschen machen“, Essen 2015.
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Bernard, Birgit, Fritz Worm, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/fritz-worm-/DE-2086/lido/582b05915e1058.19253491 (abgerufen am 06.12.2024)