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Georg Fritze – auch „Der rote Pfarrer von Köln“ genannt - war evangelischer Theologe und Pfarrer an der Kölner Kartäuserkirche. Er engagierte sich für einen christlichen Sozialismus und war im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er verstand sich als dezidierter Antifaschist.
Georg Fritze wurde am 1.12.1874 als Sohn des Magdeburger Kaufmanns Albrecht und dessen Ehefrau Bertha geboren. Nach dem Tod seines Vaters 1885 besuchte er als Alumne eine Klosterschule und studierte von 1892 bis 1895, evangelische Theologie in Halle und Marburg. Zeitweise musste seine Mutter das Studium durch die Arbeit als Wäscherin finanzieren. Nach seinem Militärdienst (1889–1890) und seiner Ordination 1900 wurde er1902 Pfarrer in der belgischen Bergarbeiterstadt Charleroi. 1904 kehrte er nach Sachsen zurück, zunächst als Provinzialvikar in Artern bei Magdeburg und ab 1904 bis 1916 als Pfarrer in Nordhausen. 1905 heiratete er die aus Haarlem stammende Holländerin Katharina Anna Havelaer (1883 geboren).
Bei Kriegsbeginn 1914 hielt er Friedenspredigten – seit 1916 als Pfarrer an der Trinitatiskirche in Köln. Konträr zu seiner Überzeugung lobte die Gemeinde bei seiner Einführung in diesem Kriegsjahr den seit Theodor Körner „Lenker der Schlachten“ genannten Gott: „Brüllend umwölkt mich der Dampf der Geschütze; / Sprühend umzucken mich rasselnde Blitze; / Lenker der Schlachten, ich rufe dich. / Vater, du führe mich!“ Fritzes Amtsbruder Louis Waldemar Radecke hatte bereits 1914 verkündet, man führe „für eine gerechte Sache den uns aufgezwungenen Kampf “. Dazu gehöre es, „die russische Ländergier, die französische Prahlerei, die japanische Niedertracht und die britische Heuchelei“ zu hassen. „Jesus hätte es auch getan!“
Georg Fritze predigte dagegen 1917, das Reich Gottes, das allen Völkern geltende Reich Gottes und das Vaterland seien nicht dasselbe, und es könne „nur eines von ihnen das Höchste sein“. In seinem Haus trafen sich 30 bis 50 Gleichgesinnte. 1917 nahm er das Reformationsfest zum Anlass, in der Zeitschrift „Die Christliche Welt“ im Namen einer keineswegs vorhandenen Mehrheit zu erklären, die deutschen Protestanten reichten „allen Glaubensgenossen, auch denen in den feindlichen Staaten, von Herzen die Bruderhand. Wir erkennen die tiefsten Ursachen dieses Krieges in den widerchristlichen Mächten, die das Völkerleben beherrschen, in Misstrauen, Gewaltvergötterung und Begehrlichkeit, und erblicken in einem Frieden der Verständigung und der Versöhnung den erstrebenswerten Frieden.“ Man fühle die Gewissenspflicht, fortan danach zu streben, „daß der Krieg als Mittel der Auseinandersetzung unter den Völkern verschwindet“.
Gegenerklärungen und Verurteilungen prasselten auf Fritze herab. Trotz Not und Niederlagen verbreiteten seine Kollegen noch im letzten Kriegsjahr Durchhalteparolen. Nach Kriegsende 1918 herrschte trostlose Ratlosigkeit fern aller Selbstkritik in der Gemeinde. Immerhin wurde Fritze kaum noch als „vaterlandsloser Geselle“ beschimpft. Unter dem Eindruck der Revolution von 1918 und der Errichtung der Weimarer Republik plädierte er – inzwischen SPD-Mitglied – für eine Annäherung von Kirche und Sozialdemokratie.
Im Januar 1919 forderte er im überfüllten Kölner Gürzenich ein Ende der Gegnerschaft der Kirche zur Arbeiterbewegung und kritisierte zugleich die Religionsfeindschaft der SPD. Er gehörte damit zu den Männern, die jetzt überall in Deutschland zu einer entsprechenden Bewegung aufriefen und sich später (seit 1928) zum „Bund der Religiösen Sozialisten“ zusammenschlossen.
1920 hielt er in einer Kirche eine „Religiöse Maifeier“. Nach mehrfachen Beschwerden beschwichtigte sein Vorgesetzter, Superintendent Georg Klingenburg (1878-1951), das Konsistorium in Koblenz mit dem Hinweis, gerade Fritze habe „vielleicht mitbewirkt, daß in Köln die Zahl der Kirchenaustritte aus sozialdemokratischen Kreisen gegenüber der aus Barmen und Düsseldorf weit zurückgeblieben“ sei. Als solche Maifeier 1928 sogar vom Rundfunk übertragen wurde, bat die „Vereinigung der deutschen Arbeitgeber-Verbände“ den Evangelischen Oberkirchenrat der preußischen Landeskirche in Berlin um eine Stellungnahme, die dieser an den Kölner Superintendenten weiterleitete, der die Maifeier wiederum als „volksmissionarische Möglichkeit“ bezeichnete.
Fritze selbst wollte – so seine Erklärung dem Konsistorium gegenüber – kirchlichen Kreisen die „Bedeutung der sozialen Seite der evangelischen Botschaft stärker zum Bewußtsein bringen“. Die begrenzte Wirksamkeit volksmissionarischer Aufklärungsarbeit hatte er schon 1921 bei einem Vortrag in Nürnberg beim Namen genannt: „Alles Predigen und Unterrichten und alles Verkündigen der schönsten ethischen Wahrheiten prallt ab an der Wand des privatkapitalistischen Gesellschaftssystems, das den Privategoismus zum Prinzip erhebt.“
Nach Hitlers „Machtergreifung“ forderte der rheinische Generalsuperintendent Ernst Stoltenhoff die Pfarrer 1933 in einem vertraulichen Schreiben zu einem „von Herzen“ kommenden Ja auf. Daraufhin erinnerte Fritze ihn daran, „wie heute deutsche Menschen um ihr Brot fürchten müssen, wenn sie heute für in unserem Volk Entrechtete eintreten, wie statt Freiheit weithin Angst und Sorge herrscht, zu sagen, was man denkt, weil Spitzeltum, Angeberei, heuchlerisches Wesen sich breit machen“. Und wieso stehe in diesem Schreiben angesichts der Ariergesetze „nicht ein deutliches Wort zur Judenfrage“?
1936 ging Fritze gegen die vom Presbyterium willfährig vollzogene Einordnung der evangelischen Jugendarbeit in die „Hitler-Jugend“ an. Als er sich weigerte, entsprechende Richtlinien zu befolgen, reagierte das Presbyterium mit der Sperrung von Räumen. Fritze erklärte dieses Vorgehen für unvereinbar mit Bibel und Bekenntnis. Zwar sei Gehorsam dem Staat gegenüber gefordert, nicht aber „das Eintreten für eine bestimmte Staatsidee“. Das Presbyterium, empört über seine „bewußte Störung der Ordnung der Gemeinde“, legte ihm – erfolglos – nahe, sich einen anderen Wirkungskreis zu suchen.
1938 verpflichteten fast alle Landeskirchen ihre Pfarrer zu einem „Treueid“ auf den „Führer“. Selbst die regimekritische „Bekennende Kirche“ (BK) reagierte – von Ausnahmen abgesehen – loyal. Im Rheinland wollten BK-Pfarrer dem Gelöbnis, Hitler „treu und gehorsam zu sein“, allerdings nur folgen, wenn es ihr Ordinationsgelübde nicht verletzte. Der Schweizer Theologe Karl Barth („Vater der Bekennenden Kirche“) hoffte auf Einzelne, die sich weigern würden, und verwies die Loyalen sarkastisch auf Pfarrer Martin Niemöller (1892-1984): „Er sitzt im Konzentrationslager auf besonderen Befehl des Mannes, dem die preußischen Pfarrer auf ‚Anweisung’ ihrer Bekenntnissynode Treue und Gehorsam schwören sollen“.
Zur Minderheit der Eidverweiger gehörte auch Georg Fritze. Ein evangelischer Verkündiger sei nur der Wahrheit des Evangeliums verpflichtet, so der Theologe. Das sei in der Eidesformel nicht gewährleistet, denn Angriffe der NS-Weltanschauung auf christliche Werte dürften ja nicht abgewehrt werden. Neben seinen kritischen Äußerungen bot auch seine familiäre Situation Angriffsflächen. Die Ehe mit einer Holländerin galt den Nazis als ebenso verdächtig wie das Verhalten seines Sohnes Klaus, der Mitglied der sozialistisch-demokratischen Studentenschaft Köln gewesen war und 1933 mit seiner Flucht in die Niederlande und seiner Ehe mit einer Holländerin den „Mangel an Deutschtum“ bewiesen habe.
Der Leiter der kirchlichen Finanzabteilung ließ nun Fritzes Gehalt sperren. Einsprüche seines Rechtsanwaltes machten die Widerrechtlichkeit deutlich. Das Konsistorium wollte jedoch weder dem Presbyterium, das „hinter der Kirchenleitung“ stehe, noch einer anderen Gemeinde den „missliebigen“ Pfarrer zumuten. Als Ausweg wurde eine sofortige Beurlaubung bis Ende Dezember 1938 bei vollem Gehalt beschlossen – mit nachfolgender rechtlich möglicher Versetzung in den Ruhestand. Da wurde, für viele überraschend, im August 1938 ein Rundschreiben des NSDAP-Kanzleichefs Martin Bormann publik, der das staatliche Desinteresse am Pfarrer-Eid unmissverständlich zum Ausdruck brachte.
184 rheinische Pfarrer waren trotz wachsendem Druck standhaft bei ihrer Verweigerung geblieben und standen nun gerechtfertigt da. Georg Fritze konnte das nicht mehr miterleben. Er starb am 2.1.1939 an den Folgen eines Herzinfarktes und eines Schlaganfalls.
1980 kam es zu einer öffentlichen Entschuldigung seitens des Kölner Stadtkirchenverbands. Im Innenhof der Kartäuserkirche wurde 1981 eine Gedenktafel für Georg Fritze angebracht. Seit jenem Jahr wird vom Kirchenkreis Köln-Mitte alle zwei Jahre die mit 5.000 Euro dotierte „Georg-Fritze-Gedächtnisgabe“ an „Menschen und Gruppen, die sich in besonderer Weise für die Opfer von Diktatur und Gewalt einsetzen“ vergeben, so beispielsweise 1984 an den südafrikanischen Theologen Allan Boesak für seinen Widerstand gegen die Apartheidpolitik, 1995 an eine Selbsthilfegruppe für vergewaltigte Frauen und Mädchen in Bosnien, 1997 an den Förderverein „Kölner Flüchtlingsrat“ oder 2006 an die „Aktion Sühnezeichen“.
In Köln-Seeberg wurde eine Nebenstraße zur Karl-Marx-Allee Georg-Fritze-Weg genannt. 1992 stiftete die Evangelische Gemeinde eine entsprechende Figur für den Turm des Kölner Rathauses.
Werke (Auswahl)
Die Aussichten des Evangeliums in Belgien, 1902.
Kirche und Sozialdemokratie, Köln 1919.
Beitrag (ohne Überschrift) in: 40 Jahre „Christliche Welt“ – Festgabe für Martin Rade zum 70. Geburtstag 1927, S. 89-92.
Internationaler Kongreß gegen koloniale Unterdrückung und den Imperialismus, in: Sonntagsblatt des arbeitenden Volkes 15/1927
Der Sündenfall der Kirche – Über Christentum, Staat und Krieg, in: Die Christliche Welt 4/1929
Dein Reich komme! Morgenfeier im Westdeutschen Rundfunk am 19.7.1931, in: Kartäuser Pfarrblätter 7/1931
Literatur
Prolingheuer, Hans, Der rote Pfarrer. Leben und Kampf des Georg Fritze (1874-1939)., 2., neu überarb. u. erw. Auflage, Köln 1989.
Rauthe, Simone, Georg Fritze, in: Rauthe, Simone, Scharfe Gegner. Die Disziplinierung kirchlicher Mitarbeiter durch das Evangelische Konsistorium der Rheinprovinz und seine Finanzabteilungen von 1933 bis 1945, , Bd. 162, S. 180-183.
Lekebusch, Sigrid, Der „rote Pfarrer“ von Köln. Georg Fritzes (kirchen-)politische Verfolgung, in: Sie schwammen gegen den Strom. Widersetzlichkeit und Verfolgung rheinischer Protestanten im „Dritten Reich“, 2. Auflage, Köln 2006, S. 178-181.
Schmidt, Klaus, Der religiöse Sozialist Georg Fritze…, in: Schmidt, Klaus, Glaube, Macht und Freiheitskämpfe. 500 Jahre Protestanten im Rheinland, Köln 2007, S. 163-166, 173-189.
Online
Pfarrer Georg Fritze - Kartäuserkirche. [online]
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Schmidt, Klaus, Georg Fritze, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/georg-fritze/DE-2086/lido/5e81ec12efca14.70378974 (abgerufen am 06.12.2024)