Zu den Kapiteln
Der Jurist Gerhard Westerburg, der aus einer reichen Kölner Kaufmannsfamilie stammte, wandte sich 1521 der Lehre Martin Luthers zu und versuchte ab 1524 der Reformation in seiner Heimatstadt den Boden zu bereiten. Die Beteiligung am Aufstand der Zünfte 1525 in Frankfurt am Main büßte er nach dessen Niederschlagung mit der Ausweisung aus der Stadt. Er wandte sich dem Täufertum zu und wurde 1534 der Gründer einer Täufergemeinde in Köln. Einer Ausweisung aus der Stadt entkam er 1535 durch Flucht. Schließlich erreichte er eine reformierte Pfarrstelle in Ostfriesland, die er bis zu seinem Tod 1558 innehatte.
Gerhard Westerburg wurde 1486 (nach Altersangabe auf seinem Porträt von 1524) als Sohn des Eisenhändlers Arnold (Arnt) van Westerburg in Köln geboren. Dieser stammte aus der Westerburg, wo er Berg- und Hüttenwerke betrieb, mit seiner Frau Gertrud nach Köln auswanderte, dort 1471 das Bürgerrecht erwarb und 1481 erstmals in den Rat gewählt wurde. Neben dem Stahlgeschäft war er im Handel mit Wein und Tuch engagiert und zählte zu den 30 bedeutendsten Kölner Kaufleuten seiner Zeit. Er hatte neben Gerhard drei weitere Söhne und eine Tochter.
Gerhard Westerburg absolvierte sein Grundstudium in Trier und Köln (Montaner Burse), wo er 1515 den Grad eines Magister artium erwarb. Philosophische und juristische Studien dort und in Bologna schloss er 1517 als Doktor des weltlichen und kirchlichen Rechts ab. Sein ererbtes Vermögen verschaffte ihm eine sichere Existenzgrundlage. Von Martin Luther (1483-1546) beeindruckt ging er Ende 1521 nach Wittenberg. Dort nahm er mit den von Martin Luther spöttisch genannten „Zwickauer Propheten“ Kontakt auf. Im Mittelpunkt dieser 72 Personen umfassenden Gruppe standen zwei Tuchknappen, ein Student und der Prediger Thomas Müntzer (1489-1525), die sich nach einem gescheiterten Aufruhr gegen den Zwickauer Magistrat in Wittenberg niedergelassen hatten. Aufgrund ihrer Kritik an der Obrigkeit, von der sie eine strikte Befolgung evangelischer Glaubensgrundsätze verlangten, waren sie aus Luthers obrigkeitskonformer Sicht inakzeptabel. Doch mit ihrem Auftreten und ihrer Bibelkenntnis beeinflussten sie zeitweise sogar lutherische Wortführer wie Philipp Melanchthon (1497-1560) und Andreas Bodenstein genannt Karlstadt (1486-1541) – und Gerhard Westerburg.
Westerburg hielt Kontakt zu Karlstadt, heiratete eine Schwester von dessen Ehefrau Anna von Mochau und ließ sich 1523 nahe der Orlamünder Pfarrei seines Schwagers in Jena nieder. Dort verfasste er ein Jahr später eine als Auftakt zur Reformation in seiner Heimatstadt Köln an Bürgermeister und Rat adressierte Flugschrift gegen die Fegefeuerlehre, die zwar vom Rat unterdrückt, aber dennoch weit verbreitet wurde. Beim anschließenden Versuch, mit Beistand eines gleich gesinnten Predigers in Köln eine öffentliche Debatte darüber anzustoßen, wurden beide Ende Oktober 1523 der Stadt verwiesen.
Im Herbst 1524 nahm Westerburg im Auftrag Karlstadts mit dem radikalreformatorischen, die Säuglingstaufe ablehnenden Züricher Kreis um Felix Mantz (um 1498-1527) und Konrad Grebel (um 1498-1526) Kontakt auf. Gemeinsam veranlassten sie in Basel die Drucklegung mehrerer Schriften von Karlstadt, die Westerburg mitgebracht hatte. Bei seiner Rückkehr nach Jena fand er Anfang Oktober 1524 den Ausweisungsbefehl aus Kursachsen vor und begab sich nach Frankfurt am Main. Dort half er bei der Formulierung von Forderungen an den Stadtrat, der Grundlage des nun folgenden Bürgeraufstands wurde. Der Frankfurter Rat hatte sich auf Druck des Mainzer Erzbischofs und aus Furcht vor einem Verlust des Messeprivilegs trotz aller Sympathien mit der neuen Lehre für deren Eindämmung eingesetzt, und so kam es 1525 zu einem Aufstand der Zünfte. Er richtete sich nicht nur gegen den altgläubigen Klerus, sondern auch gegen das patrizische Stadtregiment. Ihre Forderungen legten die Aufständischen in 46 Artikeln nieder, die vom Rat zunächst auch anerkannt wurden. Nach der Niederschlagung der Bauernkriegsbewegung wurden die Artikel jedoch annulliert und die alten Herrschaftsverhältnisse wiederhergestellt. Zur Beruhigung der Lage stellte die Stadt immerhin zwei evangelische Prädikanten ein.
Nach der Niederlage der Aufständischen wurde Westerburg Mitte Mai 1525 aus der Stadt gewiesen. Er kehrte nach Köln zurück und lebte dort im Schutz seiner angesehenen Familie. Einer Disputation der Theologischen Fakultät gegen ihn blieb er fern. Nach zwei vom Rat erzwungenen Verhandlungen vor Inquisitoren, bei denen er jeden Widerruf verweigerte, verurteilte ihn das Geistliche Gericht ein Jahr später als Ketzer. Er intervenierte beim Reichskammergericht und wurde vorläufig in Köln geduldet. 1533 kam er einem Haftbefehl zuvor und verließ die Stadt. In Marburg veröffentlichte er seine Prozess-Erfahrungen in der Schrift „Wie die Hochgelehrten von Köln den Doctor Gerhart Westerburg als einen ungläubigen verdammt haben“. Die Veröffentlichung wurde populär und brachte ihm den Namen „Doctor Fegefeuer“ ein.
Als „Taufgesinnter“ nahm Westerburg mit Begeisterung die Entwicklung des Täuferreichs in Münster auf. Zusammen mit seinem Bruder Arnold ließ er sich dort taufen. Nach seiner Rückkehr nach Köln im Januar 1534 begann er nun selbst die Taufe zu spenden und wurde so einer der Gründer der Kölner Täufergemeinde, die bis zu 700 Mitglieder hatte. Er taufte seine Ehefrau, den gelegentlich am Niederrhein reformatorisch wirkenden Glasmaler Richard von Richrath sowie dessen Ehefrau und Bruder, ferner zahlreiche Kölner Bürger und deren Ehefrauen. Verschiedenste Berufe waren dabei vertreten: Glasmaler, Schmied, Rietmacher, Buchhändler, Brauer, Buchhändler, Feuersteinhändler, Taschenmacher, Salpetermacher, Hutmacher.
Inzwischen war 1529 auf dem Reichstag in Speyer mit Zustimmung aller Stände beschlossen worden, dass alle Wiedertäufer, alle wiedergetauften Mann- und Weibspersonen verständigen Alters durch Feuer und Schwert vom Leben zum Tode gebracht werden sollten. Die Bemühungen des Landgrafen Philipp von Hessen (1504-1567), die Lutheraner von dieser Zustimmung abzuhalten, blieben erfolglos. Als auf dem Augsburger Reichstag ein Jahr später mit der „Augsburgischen Konfession“ eine Aufforderung an reformatorische Christen verbunden wurde, sich in Staat und Gesellschaft zu engagieren, wurde die Vollstreckung der Todesstrafe an Wiedertäufern bekräftigt. Der Mitverfasser Philipp Melanchthon bezeichnete sie als „vom Satan verhärtet“.
Für Gerhard Westerburg wurde die Situation in Köln immer gefährlicher. Im Juni 1534 wurden alle Zunftgenossen ermahnt, keinem Wiedertäufer oder Mitglied der „lutherischen Sekte“ eine Wohnung oder ein Zimmer zu vermieten. Alle Pfarrer sollten entsprechende Verbote von der Kanzel herab verlesen. Der Erzbischof verstärkte den Druck auf den Rat durch Warnungen vor Aufruhr und Empörung. Der Rat reagierte entsprechend und ließ Richard von Richrath, den Glasmaler Gothard sowie einen Mann namens Johann Mey verhaften. Nach bei Folter vorgenommenem („peinlichem“) Verhör wurde Richrath im November auf dem Scheiterhaufen verbrannt, Gothard und May wurden mit dem Schwert hingerichtet.
Im Februar 1535 musste auch der aus Kölner Haft entflohene ehemalige Büdericher Kaplan Johann Klopreis (um 1500-1535) bei Brühl den Scheiterhaufen besteigen. Klopreis hatte begonnen, reformatorisch zu predigen, war in Köln 1526 zum Widerruf gezwungen und nach seiner fortgesetzten Predigttätigkeit zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. 1528 war ihm die Flucht gelungen. Danach hatte er vier Jahre lang im niederrheinischen Wassenberg als evangelischer Prediger gewirkt, sich in Münster wiedertaufen lassen, in Warendorf missioniert und war von dort aus an den Kölner Erzbischof ausgeliefert worden.
Im Mai 1535 wurde gegen Gerhard Westerburg ein Haftbefehl erlassen. Doch der hatte die Stadt bereits verlassen – mit vorerst unbekanntem Ziel. 1542 war er für einige Zeit als reformierter Geistlicher im Dienste Herzog Albrechts von Preußen (1490-1568) in Königsberg tätig. Im Juni 1543 wurde er daraus entlassen und aus dem Herzogtum ausgewiesen. Nach einem Zwischenaufenthalt im ostfriesischen Emden versuchte er 1550 vergeblich, nach Köln zurückzukehren.
Der Augsburger Religionsfriede von 1555 schützte nur Lutheraner und Reformierte. So wurde der aus Imbroich bei Aachen stammende Täufer-Lehrer Thomas Drucker 1556 in Köln im Alter von 25 Jahren enthauptet. Er hinterließ Lieder, die weit verbreitet wurden. Ebenfalls in Köln wurden wenig später vier Täufer ertränkt, ein fünfter „begnadigt“ und verbannt. Der vormalige katholische Pfarrer und Kirchenlieddichter Wilhelm von Keppel wurde 1562 zusammen mit dem Kirchenlieddichter Georg Ladenmacher inhaftiert und gefoltert. Ladenmacher wurde im Rhein ertränkt, Keppel widerrief danach seine „Ketzerei“ und wurde aus der Stadt verbannt. Die von ihm und seinem Freund Ladenmacher gemeinsam durchlebte Zeit der Inhaftierung und das Martyrium seines Freundes beschrieb er später in einem 45 Strophen umfassenden geistlichen Lied, das in Liedersammlungen der Täuferbewegung aufgenommen wurde. Der Lehrer Mathias Zerfaß wurde 1566 denunziert, gefoltert und unter Anteilnahme vieler Menschen verbrannt.
Gerhard Westerburg ist dieses Schicksal erspart geblieben. Er hatte eine reformierte Pfarrstelle im ostfriesischen Dykhausen (heute Gemeinde Sande) übernommen, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1558 versah. Er hinterließ Frau und zwölf Kinder, die später in die reformierte Kurpfalz übersiedelten.
Werke
Vom fegefewer und standt der verscheyden selen eyn Chrystliche meynung, Köln 1523.
De purgatorio et animarum statu sententia ex sacris literis collecta, Straßburg 1524. Sammelband, Marburg 1533.
Wie die hochgelerten von Cölln Doctores in der Gottheit vnd Ketzermeister den Doctor Gerhart Westerburg des Fegfewrs halben als einen vnglaubigen verurtheilt vnd verdampt haben, Marburg 1533
Von dem grossen Gottesdienst der löblichen Statt Cöllen, Straßburg 1545.
Von dem Anbetten des H. Sacraments ein kurtzer Bericht: an den hochlöblichen Adel des wirdigsten Cöllschen Thurmcapittels dienstlich vorgetragen, Straßburg 1545.
An die weltlichen stende, Nemlich Grauen, Ritterschafft, Stette vnnd gemeine Landschafft des löblichen Cöllschen Ertzbischtumbs, Straßburg 1545.
Von dem grossen bedrug, list vnd verfürung, etlicher gelerten vnd Geystlichen der Stat Cöllen, Straßburg 1546.
Quellen
Beschlüsse des Rates der Stadt Köln 1320-1550, Band 3 u. 4, bearb. v. Manfred Groten, Düsseldorf 1988.
Krafft, Karl u. Wilhelm (Hg.), Briefe und Dokumente aus der Zeit der Reformation, Elberfeld 1876, S. 84-91.
Tschackert, Paul, Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte des Herzogtums Preußen, Band 3, Leipzig 1890, S. 17-40.
Literatur
Ennen, Leonard, Geschichte der Stadt Köln, Band 4, Köln/Neuss 1875, bes. S. 241-263.
Goeters, J. F. Gerhard, Studien zur niederrheinischen Reformationsgeschichte, Köln 2002, S. 48-50, 77-80.
Irsigler, Franz, Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spätmittelalterlichen Exportgewerbe- und Fernhandelsstadt, Wiesbaden 1979.
Schmidt, Klaus, Gewalt gegen gewaltlose Täufer, in: Schmidt, Klaus, Glaube, Macht und Freiheitskämpfe. 500 Jahre Protestanten im Rheinland, 2. Auflage, Köln 2007, S. 31-34.
Seidel, Jürgen, Gerhard Westerburg, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) 11 (1996), Sp. 580-582.
Steitz, Georg Eduard, Dr. Gerhard Westerburg, der Leiter des Bürgeraufstandes zu Frankfurt a. M. im Jahre 1525, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 5 (1872), S. 1-215.
Online
Brecher, Adolf, Westerburg, Gerhard, in: Allgemeine Deutsche Biographie 42 (1897), S. 182–184. Crous, Ernst, Westerburg, Gerhard, in: Mennonite Encyclopedia, Band 4, S. 930-931. [Online]
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Schmidt, Klaus, Gerhard Westerburg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gerhard-westerburg/DE-2086/lido/6093a56a3ce889.66760885 (abgerufen am 15.10.2024)