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Gertrud Büchel (auch: Buchel) war eine herausragend gebildete Nonne im Benediktinerinnenkloster Rolandswerth, wo sie als versierte Schreiberin und Buchmalerin sowie seit 1507 als Äbtissin wirkte. Johannes Butzbach widmete ihr 1505 seine Schrift „Von den berühmten Malern (De praeclaris picturae professoribus)“, eine frühe Darstellung zur Kunstgeschichte aus Deutschland.
Gertrud Büchel lebte in der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit als Nonne im Benediktinerinnenkloster von Rolandswerth, einer Rheininsel, die heute zu Remagen gehört. Das Kloster war damals der Bursfelder Reformkongregation angegliedert. Quellen zu Gertruds Leben und Wirken sind die erwähnte Schrift des Laacher Benediktiners Johannes Butzbach (1478-1516/17), ferner der Nekrolog und die Klosterchronistik von Rolandswerth sowie von Gertrud als Äbtissin ausgestellte Urkunden. Unmittelbares Zeugnis von ihrer lateinischen Bildung und handwerklichen Kunstfertigkeit geben einzelne erhaltene, von Gertrud gefertigte Bücher.
Für Gertruds Geburtsjahr, das gemeinhin mit 1467 angegeben wird, fand sich kein Beleg. Dass sie eine Tochter der Eheleute Johann von Büchel und Agnes von Stromberg war und demzufolge aus dem Kurkölner Niederadel stammte, ist jedoch durch eine Urkunde (LHA Koblenz, Bestand 161 Nr. 17) und die Akten eines Reichskammergerichtsprozesses um das Erbe des Ehepaars (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland, Reichskammergericht AA 0627, Nr. 1552 – E 351/1235) belegt.
Ihre Ausbildung dürfte Gertrud im Kloster Rolandswerth erhalten haben, denn Mädchen war der Zugang zu Lateinschulen verwehrt. Künftige Nonnen benötigten Kenntnisse der lateinischen Sprache, liturgischer Texte und der Evangelien, damit sie ihr liturgisches Offizium erfüllen konnten. Nach den Vorstellungen der Bursfelder Reformer sollten sie sogar lateinisch sprechen können, also ein hohes Niveau an Sprachkenntnissen erreichen. Von Butzbach wissen wir, dass Gertrud sehr belesen war. Das Interesse an geistlicher Literatur war in reformierten Nonnenklöstern ausgeprägt. Bücher abzuschreiben galt als angemessene Handarbeit für Mönche und Nonnen, als Schutz vor Müßiggang und fromme Übung.
Die Rolandswerther Klosterhistoriographie berichtet über Gertruds Lebensweg, dass sie sich besondere kalligraphische und malerische Fertigkeiten außerhalb ihres eigenen Klosters aneignete. Sie habe ein halbes Jahr im Augustinerchorfrauenstift Engelthal in Bonn gelebt, um dort das Schreiben und Illuminieren von Handschriften zu erlernen. Anscheinend betrieben die Bonner Kanonissen ein Skriptorium von gutem Ruf, für das andere Zeugnisse aber fehlen. Bevor die adlige Nonne Gertrud als Nachfolgerin ihrer leiblichen Schwester Demodis, welche am 22.11.1507 starb, zur 4. Äbtissin nach der Reform von Rolandswerth gewählt wurde, berichtet die Chronik weiter, habe sie sich als Schreiberin betätigt. Gertrud habe die sechs großen Chorbücher auf Pergament geschrieben, die 1700 noch in Rolandswerth vorlagen, darunter zwei Graduale und vier Antiphonale. Diese Handschriften habe sie mit großen goldenen Initialen verziert. Daneben habe sie kleinere Gebetbücher geschrieben, von denen etliche noch vorhanden, andere aber Kriegsverluste seien.
Ob Gertrud ihr Handwerk allein wegen der Beanspruchung als Äbtissin aufgab, steht dahin. Denn in der Epoche setzte sich der Buchdruck mehr und mehr durch, während die handschriftliche Buchproduktion abnahm, sieht man von kostbarer Buchmalerei für ein exklusives Publikum ab. Gertrud habe ihr Amt, so der Nekrolog, über 36 Jahre hinweg bis zu ihrem Tod am 7.10.1543 bekleidet. Sie wurde im Nonnenchor der Klosterkirche beigesetzt.
Gertrud zu Ehren verfasste Johannes Butzbach 1505 eine kunstgeschichtliche Darstellung nach dem Vorbild antiker Künstlerviten. Sie gilt in der Forschung als bedeutende Etappe der Kunstgeschichtsschreibung in Deutschland allgemein und der Entwicklung der dafür gewählten Textgattung im Besonderen. Er stellte dem Traktat einen Widmungsbrief voran, in dem Gertrud als fromme Nonne und hervorragende Malerin angesprochen wird. Rolandswerth erstrahle vor anderen Klöstern „im Ruhme der Feder und des Pinsels“ und zwar durch Gertruds Werk und das ihrer gelehrten Zeitgenossin und Mitschwester Aleydis Raiscop. Jene genoss als Autorin und Übersetzerin seine hohe Wertschätzung und auch die anderer humanistisch gebildeter Mönche. Butzbach präsentiert den Traktat als Geste der Dankbarkeit für das Nonnenkloster, nicht ohne den Wunsch einzuflechten, künftig noch weitere, wertvollere illuminierte Handschriften zu erhalten. Geschöpft aus anderen Schriften sollte seine Darstellung das Wissen seiner gebildeten Adressatin mehren. Gewiss stellte der Verfasser auf diese Weise auch seine eigene Bildung zur Schau. Bei etwaigen Verständnisschwierigkeiten möge Gertrud ihre Mitschwester Aleydis zu Rate ziehen. Zur weiteren Lektüre empfiehlt ihr Butzbach seine Schrift „Über berühmte und gelehrte Frauen“, die er Aleydis Raiscop kurze Zeit zuvor gewidmet hatte. Kunstgeschichtlich hebt Butzbach an mit der Antike, aus der auch einige Künstlerinnen vorgestellt werden. In erbaulichem Duktus behandelt er danach die christliche Kunst, um abschließend den Blick auf Gertrudis und die eigene Epoche zu richten: In neuerer Zeit habe ein gewisser Giotto in den Tagen Benedikts XI. die Geschichten der Märtyrer in Avignon gemalt und dadurch der Kunst ihre alte Würde wiedergegeben, gerade so wie Du und mehrere andere jüngere, künstlerisch hochstehende Maler sie wieder berühmt machen. Seine große Bewunderung für Gertrud brachte Butzbach dadurch zum Ausdruck, dass er sie mit dem bedeutenden italienischen Maler verglich, der im lateinischen Originaltext mit seinem latinisierten Namen „Zetus“ bezeichnet ist. Von Giotto (gest. 1337) wusste Butzbach wohl aus der Literatur, ohne über genauere Kenntnisse zu verfügen. Ein Aufenthalt Giottos in Avignon wird nur in einem Kommentar zu Dante erwähnt, den Butzbach oder seine literarischen Vorlagen rezipiert haben mögen. Irrtümlich ist die Datierung in den Pontifikat Benedikts XI. (gest. 1304), denn nach dem Stand der Forschung kämen für den mutmaßlichen Aufenthalt nur die Jahre 1316/17 in Betracht.
Die Reihe der zeitgenössischen Künstler, denen Gertrud zur Seite gestellt wird, beginnt mit Israhel van Meckenem (gest. 1503). Dieser werde als hervorragender Kupferstecher gerühmt, während man Gertrud als die talentvollste Malerin bewundere. Nur namentlich erscheinen die Buchmaler Abt Johannes von Sankt Marien zu den Märtyrern in Trier - wahrscheinlich Abt Johannes II. aus Trier, der 1492-1509 amtierte - und der bereits verstorbene Abt Konrad Rodenberg (gest. 1486) von Johannisberg im Rheingau. Ausführlicher würdigt der Verfasser zwei Mönche der Abtei Laach, deren Werke Gertrud ganz sicher kannte: Benedikt Fabri alias Chrysanth (um 1468-1517), den Lehrer und Briefpartner der Aleydis Raiscop, der Handschriften kunstvoll mit floraler Buchmalerei ausgestattet habe, und den gerade verstorbenen Heinrich aus Koblenz, der in den Chorbüchern viele Initialen mit Blattwerk und Blumen verziert habe.
Zu Gertruds Arbeiten äußert sich Butzbach in der Vorrede. Zunächst erwähnt er Miniaturen, die Gertruds Beichtvater, Pater Thomas aus Laach, seinen Mitbrüdern zum Geschenk mitgebracht habe: nämlich Herzlein unseres gnädigen Heilandes und Erlösers. In Rolandswerth und Laach pflegte man anscheinend die in der mittelalterlichen Mystik ausgebildete Herz-Jesu-Verehrung, die Jesus Christus unter dem Symbol seines Herzens als die personifizierte göttliche Liebe betrachtete. Da Gertruds Bilder nicht erhalten sind, wissen wir nicht, in welcher Weise sie das Motiv konkret ausgestaltete. Miniaturen, wie sie etwa aus der Benediktinerinnenabtei Eichstätt überliefert sind, wurden damals gern als Neujahrsglückwünsche verschenkt. Nach den Herzchen würdigt Butzbach Codices, die Gertrud für Laach illuminiert hatte: die Mönche waren geradezu erstaunt wie über ein Wunder, als Du bald darnach in hoheitsvollerem Gange zum Gipfel der Kunst schrittest und die Chorbücher, die Bruder Gerhard von Vreden und Peter von Weiden […] mit eifriger Feder geschrieben haben, in wunderbarer Ziersamkeit herrlich schmücktest. Die Bücher waren als Gemeinschaftswerke entstanden, wobei Schreiber und Malerin nicht im selben Skriptorium arbeiteten. Die Handschriften, die Butzbach und die Rolandswerther Chronik aufzählen, sind verschollen. Es sind aber drei weitere Manuskripte von Gertruds Hand bekannt und auch erhalten. So wird es möglich, ihre Leistungen unabhängig von Butzbachs Einschätzung näher einzuordnen. Zwei der betreffenden Codices tragen am Schluss sogenannte Kolophone, die Auskunft über die Schreiberin sowie Ort und Zeit der Entstehung geben. Da viele Werke aus frommer Demut nicht signiert wurden, weist nur rund ein Fünftel der spätmittelalterlichen Handschriften aus deutschen Frauenkonventen Kolophone auf. So ist das dritte in Rede stehende Manuskript unsigniert, wird Gertrud Büchel jedoch zugeschrieben.
Die erste Handschrift gelangte nach der Aufhebung des Klosters Rolandswerth 1802 über bibliophile Sammler nach Washington. Dort ist sie als Library of Congress MS 92 (Faye and Bond 122) zu finden. Der Bibliothekskatalog gibt an, dass die gebundene Papierhandschrift weitgehend schmucklos sei. Sie weise nur eine größere Initiale auf, der rote Buchstabe sei mit weißen geschwungenen Linien leicht dekoriert. Im Kolophon teilt die Kopistin in lateinischer Sprache mit, die kleine Abhandlung von den Gliedern der seligen Gottesgebärerin und Jungfrau Maria, genannt Weinberg des Herrn Sabaoth 1493 in der Oktav des Hochfestes der Erscheinung des Herrn, also am 13.1., fertiggestellt zu haben. Sie nennt ihren Namen und gibt sich als Professnonne von Rolandswerth zu erkennen. Abschließend bittet sie um Gebete für sich (f. 186v). Es handelt sich um einen geistlichen Traktat der Marienverehrung, verfasst vom erwähnten Johannisberger Abt Konrad von Rodenberg (vgl. Johannes Trithemius, Annales Hirsaugienses, Bd. 2, 1690, S. 525). Wie zwei Besitzvermerke erkennen lassen, hatte Gertrud Büchel das Buch für den Gebrauch im eigenen Kloster kopiert. Es war sowohl zur Tischlesung als auch für die private geistliche Lektüre geeignet.
Die zweite Handschrift, Staatsbibliothek Berlin Ms. germ. qu. 555, enthält eine deutsche Übersetzung und Bearbeitung des Bursfelder Ordinarius und der Caeremoniae für Frauenklöster. Auf Blatt 143v findet sich das lateinische Kolophon, welches übersetzt lautet: Beendet und fertiggestellt wurde dieses Buch von mir, Schwester Gertrudis Buchel, Nonne von Rolandswerth, im Jahr des Herrn 1497 am Fest des Apostels Matthias (24.2.). Betet für mich zu Gott dem Herrn. Auch diesen auf Papier geschriebenen Band schmückte die Schreiberin mit zwei farbigen Fleuronné Initialen eher sparsam aus.
Auf wertvollerem Pergament geschrieben und prächtiger mit Buchmalerei ausgestattet ist die unsignierte kleinformatige Handschrift eines lateinischen Breviers, Gotha Memb. II 158. Einträge auf dem Vorsatz verweisen auf Gertrud Büchel. So hielt Heinrich von Büchel, ein Familienmitglied, Ende des 16. Jahrhunderts in seinem Besitzvermerk fest, dass Gertrud von Büchel, die Magistra auf der Insel, das kostbare Büchlein eigenhändig geschrieben habe. Er habe es am 22.2.1588 von der Klosterfrau Christina von Enzenberg zum Geschenk erhalten, als die Nonnen die Klosterinsel zeitweise verlassen mussten. Bei näherer Betrachtung unterscheidet sich der Schriftduktus des Breviers von demjenigen des vorgenannten deutschen Manuskripts. Dies ist durch die unterschiedlichen Schreibsprachen aber gut zu erklären, stellt die Zuweisung an Gertrud also nicht grundsätzlich in Frage. Sehr wahrscheinlich bietet das Buch das hochkarätigste Zeugnis ihres malerischen Könnens. Es enthält mehrfarbige Zierinitialen und drei mit Initialen und Bordüren, die das ganze Blatt verzieren, bemalte Seiten. Die Arbeit ist kunstfertig und kostbar ausgeführt, dabei wurde reichlich Blattgold verwandt und gekonnt aufgetragen. Es ist nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass wir Einiges über Gertrud Büchel wissen: der Begeisterung des monastischen Schriftstellers Butzbach, der Klosterhistoriographie und zufällig vorhandenen Kolophonen. Gertrud Büchel schuf demnach qualitätvolle Handschriften und war eine von ihren Zeitgenossen bewunderte Künstlerin. Die Rolandswerther Nonne steht aber auch für eine größere Anzahl von Klosterfrauen, die in spätmittelalterlichen Skriptorien ähnliche Werke geschrieben und mit Buchschmuck versehen haben, dabei aber anonym blieben und heute vergessen sind.
Quellen
Butzbach, Johannes Butzbach, ‚De praeclaris picturae professoribus‘ (Von den berühmten Malern) (1505), hrsg. u. eingeleitet von Margaret Daly Davis, Fontes 30, 2009. [Online]
Literatur
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Floß, Heinrich Joseph, Das Kloster Rolandswerth, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 19 (1868), S. 76-219.
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Hopf, Cornelia, Die abendländischen Handschriften der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha. Bestandsverzeichnis, 2: Kleinformatige Pergamenthandschriften Memb. II, Gotha 1997.
Schutzner, Svato, Medieval and Renaissance Manuscript Books in the Library of Congress, A Descriptive Catalog, 2: Theology and Canon Law, Washington 1999.
Schwester Paula [=Maria Paula Münster], Geschichte der Insel Nonnenwerth, 3. vermehrte und umgearbeitete Auflage, Regensburg o.J. [um 1925].
Resmini, Bertram, Die Benediktinerabtei Laach (Germania Sacra NF 31, Bd. 7), Berlin/New York 1993.
Online
Schwarz, Michael Victor/Theis, Pia, Giotto, in: Allgemeines Künstlerlexikon [Online]
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Ostrowitzki, Anja, Gertrud Büchel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gertrud-buechel/DE-2086/lido/666c3d9b14f3d2.65534463 (abgerufen am 07.12.2024)