Gottfried Hagen

Kölner Stadtschreiber und Chronikautor (um 1230–1299)

Thomas Bohn (Koblenz)

Gottfried Hagen, Skulptur am Kölner Rathausturm, 1992, Bildhauer: Karl Matthäus Winter. (Kölner Stadtkonservator)

Von Gott­fried Ha­gen stammt die ers­te deutsch­spra­chi­ge Stadt­chro­nik über­haupt, das 1270/1271 in 6.293 vier­he­bi­gen Re­impaar­ver­sen ver­fass­te "Boich van der ste­de Col­ne" über die kon­flikt­rei­che Kölner Stadt­ge­schich­te von 1250-1270. Die Reim­chro­nik hat die städ­ti­sche Ideo­lo­gie Kölns wie kei­ne an­de­re ar­ti­ku­liert und ge­formt (Gro­ten 1997, S. 50). Im Mit­tel­punkt steht der Kampf um die städ­ti­sche Frei­heit zwi­schen den letzt­lich sieg­rei­chen Pa­tri­zi­er­ge­schlech­tern (ins­be­son­de­re der Over­stol­zen) und ih­ren erz­bi­schöf­li­chen Stadt­her­ren. Gott­fried war da­bei als po­li­tisch-ju­ris­ti­scher Be­ra­ter, Ur­kun­den­schrei­ber und an­schlie­ßend als Chro­nist er­folg­reich tä­tig.

Ob­wohl die spät­mit­tel­al­ter­li­chen Chro­ni­ken des Hein­rich von Beeck und Ko­el­hoffs ganz we­sent­lich auf ih­rem hoch­mit­tel­al­ter­li­chen Vor­bild be­ruh­ten, ge­riet Gott­frieds Werk im 16. Jahr­hun­dert in Ver­ges­sen­heit. Erst mit sei­ner Wie­der­ent­de­ckung im 19. Jahr­hun­dert wur­de Gott­fried Ha­gen zu ei­ner der po­pu­lärs­ten Ge­stal­ten des Köl­ner Mit­tel­al­ters: sein Stand­bild ziert die Fas­sa­de des 1897 er­öff­ne­ten Stadt­ar­chivs eben­so wie er in dem 1990 er­rich­te­ten Fi­gu­ren­pro­gramm für den Rat­haus­turm sei­nen Platz fand.

Gott­fried Ha­gen wur­de um 1230 als Sohn von Ger­hard Vet­schol­der, des Sub­dia­kons am Xan­te­ner Vik­tor­stift (ab 1233) ge­bo­ren, al­so un­ehe­lich. Wie bei sei­nem Va­ter und sei­nen bei­den Brü­dern Ger­hard und Pe­ter, die Vi­ka­re am Köl­ner Dom wur­den, war Gott­frieds Kon­takt zur Köl­ner Pa­tri­zi­er­fa­mi­lie Vet­schol­der of­fen­bar ab­ge­ris­sen. Erst 1262 tritt Gott­fried dann wie­der ins Licht der Ge­schich­te, näm­lich mit Au­gen­zeu­gen­be­rich­ten der ak­tu­el­len Ge­scheh­nis­se in Köln im Rah­men sei­ner 1271 ab­ge­schlos­se­nen Reim­chro­nik und als Schrei­ber da­mals völ­lig neu­ar­ti­ger deutsch­spra­chi­ger Ur­kun­den für die Stadt Köln.

Sein Wer­de­gang bis da­hin lässt sich mit ei­ni­ger Si­cher­heit nur aus den An­deu­tun­gen sei­ner Reim­chro­nik ent­neh­men. Dem­nach hat er als Kle­ri­ker­sohn in Pa­ris (Vers 2.644 meis­ter van Pa­ris) das Stu­di­um der Sie­ben Frei­en Küns­te und wohl auch des Kir­chen­rechts mit dem Ma­gis­ter­ti­tel ab­ge­schlos­sen und viel­leicht auch Ita­li­en be­reist. Sei­ne mar­kan­te form­schö­ne Schrei­ber­hand, die auch ver­zier­te Pr­un­kur­kun­den (Fl­eu­ron­né­stil) her­vor­brin­gen konn­te, dürf­te sich eben­falls in den uni­ver­si­tä­ren Schreib­schu­len aus­ge­bil­det ha­ben

Ab 1259 war der schon lan­ge schwe­len­de Kon­flikt zwi­schen dem macht­be­wuss­ten Erz­bi­schof Kon­rad von Hoch­sta­den und den Köl­ner Pa­tri­zi­ern of­fen aus­ge­bro­chen. Die Re­bel­li­on der al­ten, als Schöf­fen ab­ge­setz­ten Pa­tri­zi­er­ge­schlech­ter ge­gen das 1260 von Kon­rad ein­ge­setz­te neue Re­gi­ment war zu­nächst ge­schei­tert. Nach dem Tod des al­ten Erz­bi­schofs ver­schärf­te sich die La­ge un­ter sei­nem Nach­fol­ger En­gel­bert II. von Fal­ken­burg wei­ter, so dass die Köl­ner Bür­ger­schaft und die ver­trie­be­nen Ge­schlech­ter ge­mein­sam am 8.6.1262 die von erz­bi­schöf­li­chen Trup­pen be­setz­ten Stadt­mau­ern wie­der zu­rück­er­ober­ten, wie der erst­mals au­gen­zeu­gen­ar­ti­ge Chro­nik­be­richt Gott­frieds (Vers 2.421-2.668) de­tail­liert über­lie­fert. Die (vor­läu­fi­ge) deut­sche Süh­neur­kun­de zwi­schen Stadt­herr und Ge­mein­de vom 16.6.1262 ist die ers­te über­lie­fer­te Ar­beit Gott­fried Ha­gens.

Der in den Jah­ren des Um­stur­zes ver­dräng­te, na­ment­lich un­be­kann­te al­te Stadt­schrei­ber blieb ab 1262 bis 1271 nur noch für das la­tei­ni­sche Ur­kun­den­we­sen zu­stän­dig. Die mi­li­tä­risch not­wen­di­gen Bünd­nis­se mit den Hoch­ad­li­gen der Re­gi­on for­mu­lier­te und schrieb Gott­fried ab Mai 1263 in deut­scher Spra­che in Form der in Deutsch­land neu­ar­ti­gen Au­ßen­bür­ger­ver­trä­ge. 1264 war – ab­ge­se­hen von ei­ner deutsch­spra­chi­gen Aus­fer­ti­gung für die in Köln wohn­haf­te Grä­fin­nen­wit­we Mecht­hild von Sayn - da­mit aber sei­ne si­cher­lich gut do­tier­te Schrei­ber­tä­tig­keit zu­nächst er­le­digt. Ne­ben be­zie­hungs­wei­se nach sei­ner mut­ma­ß­li­chen Tä­tig­keit als Schul­meis­ter an ei­ner städ­ti­schen Pfarr­schu­le fand er wohl durch Ver­mitt­lung sei­ner Le­bens­ge­fähr­tin seit 1266 Be­schäf­ti­gung als Schrei­ber der Köl­ner Schreins­bü­cher im Auf­trag der Amt­leu­te des Kirch­spiels St. Apos­teln. Mit der aus der an­ge­se­he­nen Fa­mi­lie Ger­ne­grois stam­men­den Wit­we Pe­t­ris­sa hat­te der Kle­ri­ker Gott­fried, ob­wohl er mut­ma­ß­lich schon die hö­he­ren Wei­hen emp­fan­gen hat­te, ei­nen Sohn na­mens Go­be­li­nus, der spä­ter eben­falls Schrei­ber und Ka­no­ni­ker am Stift St. Se­ve­rin wur­de.nach oben

Erst 1268 konn­te Gott­fried sei­ne kir­chen­recht­li­chen Kennt­nis­se wie­der in den Dienst der Stadt stel­len. Dort hat­ten sich zu­vor die Span­nun­gen in­ner­halb des Pa­tri­zi­ats in ge­walt­tä­ti­gen Ak­tio­nen ent­la­den, die Par­tei der von der Müh­len­gas­se, die ‚Wei­sen’ (wi­sen), wa­ren von den Over­stol­zen und de­ren An­hän­gern am 10.1.1268 aus der Stadt ver­trie­ben wor­den. Da der vom Gra­fen Wil­helm IV. von Jü­lich (1210-1278), dem engs­ten Ver­bün­de­ten der sieg­rei­chen Köl­ner Ge­schlech­ter, ab 1267 ge­fan­gen ge­hal­te­ne Köl­ner Erz­bi­schof En­gel­bert II. nicht frei­kam, ver­häng­te der päpst­li­che Ge­sand­te Bern­hard von Cas­ta­ne­to in Bonn am 2.8.1268 Bann und In­ter­dikt über die Stadt, was bis 1275 be­ste­hen blieb. Ge­gen die Ver­le­sung die­ser Bann­bul­le am 7. Au­gust im Ka­pi­tel­saal des Köl­ner Doms (Vers 6.167ff.) leg­te der mit ei­nem Spe­zi­al­man­dat ver­se­he­ne Gott­fried mit sei­ner Ap­pel­la­ti­on förm­lich Pro­test ein (ego ma­gis­ter Go­de­fri­dus cle­ri­cus Co­lo­ni­en­sis pro­cu­ra­tor iu­di­ci­um, sca­bi­n­o­rum, con­silii et alio­rum ci­vi­um Co­lo­niae). Das wie­der­hol­te sich nach ei­ner Ver­schär­fung der Kir­chen­stra­fen ge­gen Köln im Sep­tem­ber 1270 noch­mals. Erst nach dem blu­tig ge­schei­ter­ten Über­fall erz­bi­schöf­li­cher Ver­bün­de­ter auf Köln bei der Ul­re­pfor­te in der Nacht zum 15.10.1268, über den Gott­fried in sei­ner Chro­nik als Au­gen­zeu­ge be­rich­ten konn­te (Vers 5.388ff.), hat­te sich die Si­tua­ti­on in Köln zu­nächst ge­klärt.

Da­her ver­fass­te der im­mer noch un­be­pfrün­de­te Gott­fried in den Kri­sen­jah­ren 1269/1270 ei­ne al­len ver­ständ­li­che deutsch­spra­chi­ge Reim­chro­nik für sei­ne Köl­ner Re­zi­pi­en­ten­schaft. Im Sti­le der Welt­chro­ni­ken be­ginnt er mit der le­gen­da­ri­schen Chris­tia­ni­sie­rung Kölns in der Spät­an­ti­ke, um dann aber bald mit dem Tod Kai­ser Fried­richs II. (Re­gie­rungs­zeit 1212-1250) in die Vor­ge­schich­te sei­ner Ge­gen­wart zu kom­men (Vers 687ff. synt der kei­ser vre­de­rich starff / ind des ri­ches macht ver­darff). Un­ter dem Maß­stab der Quel­len­gat­tung An­na­len blei­ben sei­ne An­ga­ben zu­meist recht va­ge, doch geht es ihm in sei­ner Dar­stel­lung mehr um Un­ter­hal­tung mit der di­dak­tisch-lehr­haf­ten War­nung, dass die Frei­heit der ’hei­li­gen’ Stadt Köln nur durch Ei­nig­keit im In­ne­ren ge­gen die äu­ße­ren Fein­de ver­tei­digt wer­den kann. Sei­ne oft­mals plas­ti­schen und far­bi­gen Schil­de­run­gen der Kämp­fe ge­lin­gen ihm in ri­pua­ri­schem Schreib­dia­lekt mit nie­der­rhei­ni­schen Ein­spreng­seln sei­ner Hei­mat sehr gut; sein eher schlich­ter Sprach­stil wird durch Hu­mor, Sen­ten­zen und all­ge­mei­ne, sprich­wört­lich ge­präg­te For­mu­lie­run­gen ver­ziert, die bis in das heu­ti­ge „Köl­sch“ ver­wei­sen.

Dass die über 20 ori­gi­nal über­lie­fer­ten deutsch­spra­chi­gen Ur­kun­den, die ihm auch auf pa­läo­gra­phi­scher Ba­sis zu­ge­wie­sen wer­den konn­ten, sprach­lich da­von ab­wei­chend eher dem Hoch­deut­schen ge­gen­über of­fen sind, kann da­durch er­klärt wer­den, dass der ein­zi­ge voll­stän­di­ge pri­mä­re Text­zeu­ge, die Hand­schrift F (Frank­furt Stadt- und Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Ms. Germ. 8° 26), erst aus dem 15. Jahr­hun­dert stammt.

Sein Ein­satz und die­se Chro­nik ver­schaff­ten Gott­fried im Früh­jahr 1271 die Stel­le des Stadt­schrei­bers, als der er am 20.4.1271 in St. Ma­ri­en­gra­den die la­tei­ni­sche Süh­neur­kun­de des frei­ge­las­se­nen Erz­bi­schofs En­gel­bert II. ver­las und über­setz­te. Un­ter dem Ein­druck die­ser Er­eig­nis­se und viel­leicht auch um sei­ne Rol­le zu be­kräf­ti­gen, füg­te Gott­fried 1271 noch cir­ca 300 Schlu­ß­ver­se hin­zu. Dass die frü­her des­halb manch­mal be­strit­te­ne Iden­ti­tät zwi­schen dem Chro­nik­au­tor, der sich zum Schluss selbst nennt (Vers 6.291 Meis­ter Go­de­frit Ha­ge­ne maich­de mich al­lein) und dem viel­fach be­zeug­ten Stadt­schrei­ber ma­gis­ter go­de­fri­dus (Vers 6.282f. die so­ne Meis­ter Go­de­frit over­las / die der ste­de schri­ver was) heu­te als si­cher gel­ten kann, hat die jüngs­te For­schung ein­deu­tig er­wie­sen. Die ein­ma­li­ge Selbst­be­zeich­nung ’Ha­gen’ des aus Xan­ten stam­men­den, li­te­ra­risch am­bi­tio­nier­ten Chro­nis­ten be­zieht sich auf die Ni­be­lun­gen­sa­ge aus der äl­te­ren ger­ma­nisch-deut­schen Hel­de­ne­pik, der auch ei­ne po­si­ti­ve Wer­tung Ha­gens von Tron­je be­kannt war.

Ein Pro­zess­ro­tu­lus des spä­ten 13. Jahr­hun­derts be­rich­tet über die wei­te­re Kar­rie­re Gott­frieds, von dem kei­ne an­de­re his­to­risch-li­te­ra­ri­sche Leis­tung be­kannt ist. Nach län­ge­ren Kon­flik­ten, ei­ner Rei­se an die päpst­li­che Ku­rie nach Ly­on und mit Un­ter­stüt­zung mäch­ti­ger Pfarr­ge­nos­sen ge­lang es dem tat­kräf­ti­gen Stadt­schrei­ber 1275, auch die Stadt­pfarr­stel­le von Klein St. Mar­tin zu be­set­zen. In bei­den Äm­tern blieb er – auch auf reichs­po­li­ti­scher Ebe­ne agie­rend - bis 1287 tä­tig. Den End­punkt sei­ner Kle­ri­ker­kar­rie­re bil­de­te aber der Auf­stieg in das Köl­ner Prio­ren­kol­le­gi­um, das De­ka­nat des Stif­tes St. Ge­org, als der er am 4.7.1299 ver­starb.

Quellen

Gott­fried Ha­gen. Reim­chro­nik der Stadt Köln, hg. von Kurt Gärt­ner, An­drea Rapp, Dé­si­rée Wel­ter und Man­fred Gro­ten. His­to­ri­scher Kom­men­tar Tho­mas Bohn, Düs­sel­dorf 2008.

Literatur

Gro­ten, Man­fred, Gott­fried Ha­gen (ca. 1230-1299), In: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 17 (1997), S. 41-56.
Gro­ten, Man­fred, Köln im 13. Jahr­hun­dert. Ge­sell­schaft­li­cher Wan­del und Ver­fas­sungs­ent­wick­lung, 2. Auf­la­ge, Köln/Wei­mar/Wien 1998.
Hab­scheid, Ste­fan, Fle­xi­ons­mor­pho­lo­gi­sche Un­ter­su­chun­gen zur Köl­ner Ur­kun­den­spra­che des 13. Jahr­hun­derts. Die deut­schen Ur­kun­den Gott­fried Ha­gens (1262-1274), Köln/Wei­mar/Wien 1997.

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Bohn, Thomas, Gottfried Hagen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gottfried-hagen/DE-2086/lido/57c8253c139671.01524028 (abgerufen am 08.12.2024)