Zu den Kapiteln
Von Gottfried Hagen stammt die erste deutschsprachige Stadtchronik überhaupt, das 1270/1271 in 6.293 vierhebigen Reimpaarversen verfasste "Boich van der stede Colne" über die konfliktreiche Kölner Stadtgeschichte von 1250-1270. Die Reimchronik hat die städtische Ideologie Kölns wie keine andere artikuliert und geformt (Groten 1997, S. 50). Im Mittelpunkt steht der Kampf um die städtische Freiheit zwischen den letztlich siegreichen Patriziergeschlechtern (insbesondere der Overstolzen) und ihren erzbischöflichen Stadtherren. Gottfried war dabei als politisch-juristischer Berater, Urkundenschreiber und anschließend als Chronist erfolgreich tätig.
Obwohl die spätmittelalterlichen Chroniken des Heinrich von Beeck und Koelhoffs ganz wesentlich auf ihrem hochmittelalterlichen Vorbild beruhten, geriet Gottfrieds Werk im 16. Jahrhundert in Vergessenheit. Erst mit seiner Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert wurde Gottfried Hagen zu einer der populärsten Gestalten des Kölner Mittelalters: sein Standbild ziert die Fassade des 1897 eröffneten Stadtarchivs ebenso wie er in dem 1990 errichteten Figurenprogramm für den Rathausturm seinen Platz fand.
Gottfried Hagen wurde um 1230 als Sohn von Gerhard Vetscholder, des Subdiakons am Xantener Viktorstift (ab 1233) geboren, also unehelich. Wie bei seinem Vater und seinen beiden Brüdern Gerhard und Peter, die Vikare am Kölner Dom wurden, war Gottfrieds Kontakt zur Kölner Patrizierfamilie Vetscholder offenbar abgerissen. Erst 1262 tritt Gottfried dann wieder ins Licht der Geschichte, nämlich mit Augenzeugenberichten der aktuellen Geschehnisse in Köln im Rahmen seiner 1271 abgeschlossenen Reimchronik und als Schreiber damals völlig neuartiger deutschsprachiger Urkunden für die Stadt Köln.
Sein Werdegang bis dahin lässt sich mit einiger Sicherheit nur aus den Andeutungen seiner Reimchronik entnehmen. Demnach hat er als Klerikersohn in Paris (Vers 2.644 meister van Paris) das Studium der Sieben Freien Künste und wohl auch des Kirchenrechts mit dem Magistertitel abgeschlossen und vielleicht auch Italien bereist. Seine markante formschöne Schreiberhand, die auch verzierte Prunkurkunden (Fleuronnéstil) hervorbringen konnte, dürfte sich ebenfalls in den universitären Schreibschulen ausgebildet haben
Ab 1259 war der schon lange schwelende Konflikt zwischen dem machtbewussten Erzbischof Konrad von Hochstaden und den Kölner Patriziern offen ausgebrochen. Die Rebellion der alten, als Schöffen abgesetzten Patriziergeschlechter gegen das 1260 von Konrad eingesetzte neue Regiment war zunächst gescheitert. Nach dem Tod des alten Erzbischofs verschärfte sich die Lage unter seinem Nachfolger Engelbert II. von Falkenburg weiter, so dass die Kölner Bürgerschaft und die vertriebenen Geschlechter gemeinsam am 8.6.1262 die von erzbischöflichen Truppen besetzten Stadtmauern wieder zurückeroberten, wie der erstmals augenzeugenartige Chronikbericht Gottfrieds (Vers 2.421-2.668) detailliert überliefert. Die (vorläufige) deutsche Sühneurkunde zwischen Stadtherr und Gemeinde vom 16.6.1262 ist die erste überlieferte Arbeit Gottfried Hagens.
Der in den Jahren des Umsturzes verdrängte, namentlich unbekannte alte Stadtschreiber blieb ab 1262 bis 1271 nur noch für das lateinische Urkundenwesen zuständig. Die militärisch notwendigen Bündnisse mit den Hochadligen der Region formulierte und schrieb Gottfried ab Mai 1263 in deutscher Sprache in Form der in Deutschland neuartigen Außenbürgerverträge. 1264 war – abgesehen von einer deutschsprachigen Ausfertigung für die in Köln wohnhafte Gräfinnenwitwe Mechthild von Sayn - damit aber seine sicherlich gut dotierte Schreibertätigkeit zunächst erledigt. Neben beziehungsweise nach seiner mutmaßlichen Tätigkeit als Schulmeister an einer städtischen Pfarrschule fand er wohl durch Vermittlung seiner Lebensgefährtin seit 1266 Beschäftigung als Schreiber der Kölner Schreinsbücher im Auftrag der Amtleute des Kirchspiels St. Aposteln. Mit der aus der angesehenen Familie Gernegrois stammenden Witwe Petrissa hatte der Kleriker Gottfried, obwohl er mutmaßlich schon die höheren Weihen empfangen hatte, einen Sohn namens Gobelinus, der später ebenfalls Schreiber und Kanoniker am Stift St. Severin wurde.nach oben
Erst 1268 konnte Gottfried seine kirchenrechtlichen Kenntnisse wieder in den Dienst der Stadt stellen. Dort hatten sich zuvor die Spannungen innerhalb des Patriziats in gewalttätigen Aktionen entladen, die Partei der von der Mühlengasse, die ‚Weisen’ (wisen), waren von den Overstolzen und deren Anhängern am 10.1.1268 aus der Stadt vertrieben worden. Da der vom Grafen Wilhelm IV. von Jülich (1210-1278), dem engsten Verbündeten der siegreichen Kölner Geschlechter, ab 1267 gefangen gehaltene Kölner Erzbischof Engelbert II. nicht freikam, verhängte der päpstliche Gesandte Bernhard von Castaneto in Bonn am 2.8.1268 Bann und Interdikt über die Stadt, was bis 1275 bestehen blieb. Gegen die Verlesung dieser Bannbulle am 7. August im Kapitelsaal des Kölner Doms (Vers 6.167ff.) legte der mit einem Spezialmandat versehene Gottfried mit seiner Appellation förmlich Protest ein (ego magister Godefridus clericus Coloniensis procurator iudicium, scabinorum, consilii et aliorum civium Coloniae). Das wiederholte sich nach einer Verschärfung der Kirchenstrafen gegen Köln im September 1270 nochmals. Erst nach dem blutig gescheiterten Überfall erzbischöflicher Verbündeter auf Köln bei der Ulrepforte in der Nacht zum 15.10.1268, über den Gottfried in seiner Chronik als Augenzeuge berichten konnte (Vers 5.388ff.), hatte sich die Situation in Köln zunächst geklärt.
Daher verfasste der immer noch unbepfründete Gottfried in den Krisenjahren 1269/1270 eine allen verständliche deutschsprachige Reimchronik für seine Kölner Rezipientenschaft. Im Stile der Weltchroniken beginnt er mit der legendarischen Christianisierung Kölns in der Spätantike, um dann aber bald mit dem Tod Kaiser Friedrichs II. (Regierungszeit 1212-1250) in die Vorgeschichte seiner Gegenwart zu kommen (Vers 687ff. synt der keiser vrederich starff / ind des riches macht verdarff). Unter dem Maßstab der Quellengattung Annalen bleiben seine Angaben zumeist recht vage, doch geht es ihm in seiner Darstellung mehr um Unterhaltung mit der didaktisch-lehrhaften Warnung, dass die Freiheit der ’heiligen’ Stadt Köln nur durch Einigkeit im Inneren gegen die äußeren Feinde verteidigt werden kann. Seine oftmals plastischen und farbigen Schilderungen der Kämpfe gelingen ihm in ripuarischem Schreibdialekt mit niederrheinischen Einsprengseln seiner Heimat sehr gut; sein eher schlichter Sprachstil wird durch Humor, Sentenzen und allgemeine, sprichwörtlich geprägte Formulierungen verziert, die bis in das heutige „Kölsch“ verweisen.
Dass die über 20 original überlieferten deutschsprachigen Urkunden, die ihm auch auf paläographischer Basis zugewiesen werden konnten, sprachlich davon abweichend eher dem Hochdeutschen gegenüber offen sind, kann dadurch erklärt werden, dass der einzige vollständige primäre Textzeuge, die Handschrift F (Frankfurt Stadt- und Universitätsbibliothek Ms. Germ. 8° 26), erst aus dem 15. Jahrhundert stammt.
Sein Einsatz und diese Chronik verschafften Gottfried im Frühjahr 1271 die Stelle des Stadtschreibers, als der er am 20.4.1271 in St. Mariengraden die lateinische Sühneurkunde des freigelassenen Erzbischofs Engelbert II. verlas und übersetzte. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse und vielleicht auch um seine Rolle zu bekräftigen, fügte Gottfried 1271 noch circa 300 Schlußverse hinzu. Dass die früher deshalb manchmal bestrittene Identität zwischen dem Chronikautor, der sich zum Schluss selbst nennt (Vers 6.291 Meister Godefrit Hagene maichde mich allein) und dem vielfach bezeugten Stadtschreiber magister godefridus (Vers 6.282f. die sone Meister Godefrit overlas / die der stede schriver was) heute als sicher gelten kann, hat die jüngste Forschung eindeutig erwiesen. Die einmalige Selbstbezeichnung ’Hagen’ des aus Xanten stammenden, literarisch ambitionierten Chronisten bezieht sich auf die Nibelungensage aus der älteren germanisch-deutschen Heldenepik, der auch eine positive Wertung Hagens von Tronje bekannt war.
Ein Prozessrotulus des späten 13. Jahrhunderts berichtet über die weitere Karriere Gottfrieds, von dem keine andere historisch-literarische Leistung bekannt ist. Nach längeren Konflikten, einer Reise an die päpstliche Kurie nach Lyon und mit Unterstützung mächtiger Pfarrgenossen gelang es dem tatkräftigen Stadtschreiber 1275, auch die Stadtpfarrstelle von Klein St. Martin zu besetzen. In beiden Ämtern blieb er – auch auf reichspolitischer Ebene agierend - bis 1287 tätig. Den Endpunkt seiner Klerikerkarriere bildete aber der Aufstieg in das Kölner Priorenkollegium, das Dekanat des Stiftes St. Georg, als der er am 4.7.1299 verstarb.
Quellen
Gottfried Hagen. Reimchronik der Stadt Köln, hg. von Kurt Gärtner, Andrea Rapp, Désirée Welter und Manfred Groten. Historischer Kommentar Thomas Bohn, Düsseldorf 2008.
Literatur
Groten, Manfred, Gottfried Hagen (ca. 1230-1299), In: Rheinische Lebensbilder 17 (1997), S. 41-56.
Groten, Manfred, Köln im 13. Jahrhundert. Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung, 2. Auflage, Köln/Weimar/Wien 1998.
Habscheid, Stefan, Flexionsmorphologische Untersuchungen zur Kölner Urkundensprache des 13. Jahrhunderts. Die deutschen Urkunden Gottfried Hagens (1262-1274), Köln/Weimar/Wien 1997.
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Bohn, Thomas, Gottfried Hagen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gottfried-hagen/DE-2086/lido/57c8253c139671.01524028 (abgerufen am 05.11.2024)