Gunthar

Erzbischof von Köln (850-863)

Letha Böhringer (Bonn)

Originalheft einer Propagandaschrift, die Gunthar von Köln 865 an Erzbischof Hinkmar von Reims übermittelte; letztes Blatt: Anweisung zur Verbreitung der Schrift. (Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln, Handschrift 117 fol. 97v)

Erz­bi­schof Gunthar von Köln war ei­ner der engs­ten Be­ra­ter und Erz­kanz­ler von Kö­ni­g Lo­thar II. (Re­gie­rungs­zeit 855-869); als Be­für­wor­ter von ­des­sen ­Schei­dungs­plä­nen wur­de er 863 von Papst Ni­ko­laus I. (Pon­ti­fi­kat 858-867) ab­ge­setzt und kämpf­te fort­an ver­geb­lich um sei­ne Re­ha­bi­li­ta­ti­on. 866 ver­füg­te Gunthar ei­ne Gü­ter­zu­wei­sung an ver­schie­de­ne Stifts­kir­chen („Gunthar­sche Gü­ter­um­schrei­bun­g“), ein Mei­len­stein in der Köl­ner Bis­tums­or­ga­ni­sa­ti­on. 

Nach dem Ver­trag von Ver­dun 843 ge­hör­te Köln zum Mit­tel­reich Lo­thars I., doch ge­lang es dem Kai­ser nicht, dort sei­nen Erz­ka­plan Hil­du­in zu eta­blie­ren. Hil­du­in ver­zich­te­te schlie­ß­lich auf das Amt. Am 20.4.850 wur­de der lo­tha­rin­gi­sche Ad­li­ge Gunthar, ein Ver­wand­ter Hil­du­ins, zum Erz­bi­schof er­ho­ben und bald dar­auf kon­se­kriert. Als Lo­thar II. 855 die Herr­schaft im Mit­tel­reich nörd­lich der Al­pen an­trat, er­hob er Gunthar zu sei­nem Erz­ka­plan. Die­se Stan­des­er­he­bung mar­kiert Gunthars Auf­stieg zu ei­nem der füh­ren­den Be­ra­ter des jun­gen Kö­nigs. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter (um 858/860) er­hielt er wohl als ers­ter Köl­ner Erz­bi­schof von Papst Ni­ko­laus I. das Pal­li­um.  

Kai­ser Lo­thar I. hat­te bei sei­nem Tod die Auf­tei­lung des Mit­tel­rei­ches un­ter sei­ne drei Söh­ne ver­fügt. Lud­wig, der äl­tes­te Sohn, erb­te Ita­li­en mit dem Kai­ser­tum (Re­gie­rungs­zeit 840-875), nörd­lich der Al­pen trat Lo­thar II. die Herr­schaft an, und der jüngs­te Bru­der Karl (Re­gie­rungs­zeit 855-863) er­hielt die Pro­vence. Die Erb­tei­lung stieß nicht auf die un­ein­ge­schränk­te Zu­stim­mung der Brü­der. In die­ser Si­tua­ti­on ver­mähl­te sich Lo­thar mit Theut­ber­ga, der An­ge­hö­ri­gen ei­ner Fa­mi­lie, die im Ju­ra, in den Grenz­ge­bie­ten zu den Reichs­tei­len der Brü­der, Macht aus­üb­te. Ei­nem Hei­rats­bünd­nis mit die­ser Fa­mi­lie konn­te sich Lo­thar of­fen­sicht­lich zu die­ser Zeit nicht ent­zie­hen. Doch ent­pupp­te sich der Bru­der Theut­ber­gas na­mens Huk­bert als un­zu­ver­läs­si­ger Bünd­nis­part­ner und über­dies bald als ent­behr­lich, weil die Brü­der sich ei­nig­ten, so dass die Erb­tei­lung ih­res Va­ters Be­stand hat­te. 

Schon im fol­gen­den Jahr 857 un­ter­nahm Lo­thar den ers­ten Ver­such, die nutz­los ge­wor­de­ne po­li­ti­sche Ehe mit Theut­ber­ga zu lö­sen, und er tat dies in ei­ner Wei­se, die nicht nur sei­ne Ehe­frau, son­dern auch de­ren Fa­mi­lie er­heb­lich dif­fa­mier­te. Lo­thar be­schul­dig­te Theut­ber­ga, vor der Ehe ein in­zes­tuö­ses Ver­hält­nis mit ih­rem Bru­der ge­habt zu ha­ben, aus dem ein Kind her­vor­ge­gan­gen sei, das Theut­ber­ga mit­tels ei­nes Tran­kes ab­ge­trie­ben ha­be – ei­ne An­schul­di­gung, die selbst nach mo­der­nen Kri­te­ri­en in­fam ist und die ei­ne Ver­sto­ßung Theut­ber­gas ge­recht­fer­tigt hät­te. Doch ei­ni­ge An­ge­hö­ri­ge des lo­tha­rin­gi­schen Adels ak­zep­tier­ten dies nicht, und so wur­de ein Got­tes­ur­teil ein­ge­holt. Die­ses ver­lief zu­guns­ten der Kö­ni­gin, und Lo­thar muss­te sie wie­der auf­neh­men. 

Die Bi­schö­fe wirk­ten bei die­sen Ge­scheh­nis­sen eher im Hin­ter­grund. Sie stimm­ten der Durch­füh­rung des Got­tes­ur­teils zu und er­teil­ten da­nach der ver­meint­li­chen Ver­söh­nung der Gat­ten ih­ren Se­gen. Doch der Aus­gang des Got­tes­ur­teils ent­sprach nicht den Vor­stel­lun­gen des Kö­nigs. Denn er leb­te noch in ei­ner wei­te­ren Part­ner­schaft, und zwar mit ei­ner el­säs­si­schen Ad­li­gen na­mens Wald­ra­da. An die­ser Be­zie­hung hielt Lo­thar bis zu sei­nem Tod 869 fest. 

Die rechts­his­to­ri­sche Ein­ord­nung die­ser Be­zie­hung ist in der For­schung um­strit­ten. Rechts­his­to­ri­ker be­müh­ten sich um kla­re De­fi­ni­tio­nen und un­ter­schie­den die „Munte­he“, bei der die Ehe­frau von ih­rem Vor­mund förm­lich dem Gat­ten über­ge­ben und mit ei­ner Mit­gift (Dos) aus­ge­stat­tet wur­de, von der „Frie­de­le­he“ (von Frie­del = Freun­din, Ge­lieb­te), die un­do­tiert ge­we­sen sei und auf dem Kon­sens der Gat­ten be­ruht ha­be. Doch sind so ein­deu­ti­ge ju­ris­ti­sche Kri­te­ri­en in den zeit­ge­nös­si­schen Quel­len nicht aus­zu­ma­chen. Viel­mehr ist von ver­schie­de­nen Aus­ge­stal­tun­gen der ehe­li­chen Ver­bin­dun­gen aus­zu­ge­hen; flie­ßen­de Über­gän­ge in ei­nem wei­ten Spek­trum er­ge­ben das Bild „stär­ke­rer“ und „schwä­che­rer“ Be­zie­hun­gen. Der Grad ih­rer Ver­bind­lich­keit ist ab­hän­gig von ver­mö­gens­recht­li­chen As­pek­ten, das hei­ßt in­wie­weit die be­tei­lig­ten Fa­mi­li­en die Ehe mit Gü­tern aus­stat­ten, und vor al­lem von der tat­säch­li­chen Macht­po­si­ti­on der Ehe­leu­te be­zie­hungs­wei­se der hin­ter ih­nen ste­hen­den Fa­mi­li­en­ver­bän­de. Grund­sätz­lich wa­ren Ehe­schlie­ßung und Ehe­schei­dung im 9. Jahr­hun­dert An­ge­le­gen­heit der Lai­en; kir­chen­recht­li­che Kri­te­ri­en für die gül­ti­ge Schlie­ßung ei­ner Ehe und für ih­re Auf­he­bung wur­den erst nach und nach for­mu­liert und durch­ge­setzt. 

Si­cher ist, dass Lo­thars Ver­bin­dung mit Wald­ra­da kei­ne un­ver­bind­li­che „Af­fä­re“ und  Wald­ra­da kei­ne „Kon­ku­bi­ne“ war – als sol­che wur­de sie von geist­li­chen Schei­dungs­geg­nern dif­fa­miert. Viel­mehr war sie ei­ne vor­neh­me Da­me, und ih­re drei Töch­ter Ber­ta, Gi­se­la und Irm­gard tru­gen die Na­men ka­ro­lin­gi­scher Herr­sche­rin­nen. Al­ler­dings: Der ge­mein­sa­me Sohn er­hielt kei­nen ka­ro­lin­gi­schen Kö­nigs­na­men. Er hieß Hu­go, wie ei­ni­ge An­ge­hö­ri­ge der Dy­nas­tie, die nicht für die Thron­fol­ge vor­ge­se­hen wa­ren. Die­se Na­mens­wahl dis­qua­li­fi­ziert ihn als Sohn min­de­ren Rechts und zeigt, dass auch die Ver­bin­dung sei­ner El­tern min­de­rer Ver­bind­lich­keit war. 

Dies war die kon­tro­ver­se Si­tua­ti­on, in der Erz­bi­schof Gunthar von Köln zu ei­nem der wich­tigs­ten Be­ra­ter sei­nes Kö­nigs in der Schei­dungs­af­fä­re wur­de. Lo­thar hat­te sich nach dem für ihn un­be­frie­di­gen­den Aus­gang des Got­tes­ur­teils von 857 zu­nächst um die po­li­ti­sche Kon­so­li­die­rung sei­ner Herr­schaft be­müht und mit den Herr­schern der Nach­bar­rei­che, sei­nen On­keln und Brü­dern, ver­schie­de­ne Ab­kom­men ge­schlos­sen, die ihm Rü­cken­de­ckung bei sei­nen Schei­dungs­plä­nen ver­schaf­fen soll­ten. An­fang 860 nahm er die­se wie­der auf; das nun­mehr ge­wähl­te Ver­fah­ren wur­de im We­sent­li­chen von der Geist­lich­keit ge­tra­gen. 

In Aa­chen tra­ten am 9. Ja­nu­ar und Mit­te Fe­bru­ar 860 zwei Ver­samm­lun­gen von Bi­schö­fen des Mit­tel­reichs zu­sam­men, de­ren Pro­to­kol­le den Ein­druck ei­ner sorg­fäl­ti­gen In­sze­nie­rung we­cken, wo­bei Gunthar ei­ne pro­mi­nen­te Rol­le spiel­te. Auf der ers­ten Ver­samm­lung trat Lo­thar als reui­ger Bü­ßer auf und be­rich­te­te, dass sei­ne Gat­tin er­klärt ha­be, der Ehe nicht wür­dig zu sein und in ein Klos­ter ge­hen zu wol­len. Dar­auf­hin trat Theut­ber­ga selbst hin­zu und er­mäch­tig­te Gunthar als ih­ren Beicht­va­ter, den An­we­sen­den das ihm ge­beich­te­te Ver­ge­hen zu ent­hül­len – ein heik­ler Um­gang mit dem Beicht­ge­heim­nis. Ei­nem wei­te­ren Be­richt zu­fol­ge be­rich­te­te Theut­ber­ga selbst von ih­rer Sün­de; Gunthar und wei­te­re Prä­la­ten ge­stat­te­ten ihr dar­auf­hin, in ei­nem Klos­ter Bu­ße zu leis­ten. Auf der zwei­ten Aa­che­ner Ver­samm­lung über­gab Theut­ber­ga ein schrift­li­ches Ge­ständ­nis ih­res In­zest­ver­ge­hens, und die Bi­schö­fe ver­ur­teil­ten sie zu öf­fent­li­cher Bu­ße. Die Fort­set­zung der Ehe wur­de ihr un­ter­sagt, al­ler­dings wur­de sie noch nicht end­gül­tig auf­ge­löst. 

En­de 860 floh Theut­ber­ga zu ih­rem Bru­der, der sich im West­fran­ken­reich Kö­nig Karls des Kah­len (Re­gie­rungs­zeit 838-877) auf­hielt. Sie wi­der­rief ihr Ge­ständ­nis und ap­pel­lier­te schlie­ß­lich an Papst Ni­ko­laus I., der da­her über­zeugt war, dass ihr Ge­ständ­nis ein er­press­tes war. Schon zu­vor hat­te das Vor­ge­hen Lo­thars und der ihn un­ter­stüt­zen­den Bi­schö­fe für er­heb­li­chen Un­mut un­ter ho­hen Geist­li­chen und Lai­en ge­sorgt. Ei­ne Grup­pe Op­po­si­tio­nel­ler rich­te­te im Lau­fe des Jah­res 860 zwei de­tail­lier­te Fra­gen­ka­ta­lo­ge an den theo­lo­gisch wie ka­no­nis­tisch glei­cher­ma­ßen ver­sier­ten Erz­bi­schof Hink­mar von Reims (Epis­ko­pat 845-882), der die Fra­gen in Form ei­nes um­fäng­li­chen Gut­ach­ten über das Schei­dungs­be­geh­ren Lo­thars II. be­ant­wor­te­te.

An­ge­sichts der sich for­mie­ren­den Op­po­si­ti­on und der Ein­schal­tung des Paps­tes durch Theut­ber­ga schuf Lo­thar Fak­ten. Im April 862 trat er­neut ei­ne Bi­schofs­ver­samm­lung in Aa­chen zu­sam­men. Im Pro­to­koll führt Gunthar die Lis­te der Teil­neh­mer an. Die Syn­ode ge­stat­te­te Lo­thar die Ehe mit Wald­ra­da, die noch im sel­ben Jahr zur Kö­ni­gin ge­krönt wur­de. Im fol­gen­den Jahr er­schie­nen zwei päpst­li­che Le­ga­ten im Mit­tel­reich. Sie soll­ten die An­ge­le­gen­heit un­ter­su­chen und be­stä­tig­ten die Ehe Lo­thars und Wald­ra­das auf ei­ner Syn­ode in Metz im Ju­ni 863. Zur Le­gi­ti­mie­rung tru­gen die Par­tei­gän­ger Lo­thars un­ter an­de­rem vor, dass die­se Ver­bin­dung die zu­erst gül­tig ge­schlos­se­ne Ehe und die zwei­te mit Theut­ber­ga er­zwun­gen und so­mit un­gül­tig ge­we­sen sei. Die Ar­gu­men­te wur­den in ei­nem Pro­to­koll zu­sam­men­ge­stellt, und als ein Teil­neh­mer sei­ne Un­ter­schrift an den Vor­be­halt knüpf­te, dass der Papst end­gül­tig zu ent­schei­den ha­be, soll Erz­bi­schof Gunthar selbst die­se Kau­te­le mit dem Schab­mes­ser vom Per­ga­ment ent­fernt ha­ben. Die­se Epi­so­de ver­an­schau­licht, in wel­chem Aus­maß er sich mit dem An­lie­gen sei­nes Kö­nigs iden­ti­fi­zier­te. 

Die Me­tro­po­li­ten Gunthar und Theut­gaud von Trier (Epis­ko­pat 847-863) zo­gen mit dem Pro­to­koll nach Rom, wo der Papst selbst von der Recht­mä­ßig­keit der Vor­gän­ge über­zeugt wer­den soll­te. Doch in Rom kam es En­de Ok­to­ber 863 auf ei­ner La­ter­an­syn­ode zum Eklat. Ni­ko­laus kas­sier­te die Met­zer Be­schlüs­se, ex­kom­mu­ni­zier­te bei­de Erz­bi­schö­fe und setz­te sie ab. Der Papst brach­te da­mit in ei­ner bis zu die­sem Zeit­punkt in der ka­ro­lin­gi­schen Welt un­er­hör­ten Wei­se zum Aus­druck, dass er das höchs­te Rich­ter­amt in der Kir­che in­ne hat­te (Ju­ris­dik­ti­ons­pri­mat) und be­din­gungs­lo­se Un­ter­wer­fung un­ter sei­ne Au­to­ri­tät ver­lang­te. 

In den Jah­ren bis zur Neu­wahl des Erz­bi­schofs Wil­li­bert (An­fang Ja­nu­ar 870) ver­such­te Gunthar ver­geb­lich, sei­ne Re­sti­tu­ti­on zu er­rei­chen. Über län­ge­re Zeit­räu­me blieb er sei­nem Bi­schofs­sitz fern, um in Ita­li­en bei Kai­ser Lud­wig II. und bei der Ku­rie zu in­ter­ve­nie­ren. So­gar an Hink­mar von Reims wand­te er sich um Un­ter­stüt­zung. Sein Amt als Erz­ka­plan üb­te er nicht mehr aus. Der Papst war in­des zu kei­nem Ent­ge­gen­kom­men be­reit; er ge­stat­te­te Gunthar le­dig­lich den Emp­fang der Lai­en­kom­mu­ni­on, das hei­ßt nicht die Kelch­kom­mu­ni­on des Pries­ters am Al­tar. Gunthar selbst hielt sich zu­nächst nicht an das Ver­bot, kei­ne pries­ter­li­chen Hand­lun­gen vor­zu­neh­men, und weih­te Grün­don­ners­tag 864 die hei­li­gen Öle für  Tau­fe, Fir­mung und Kran­ken­sal­bung – ein Vor­recht des Bi­schofs für die Geist­lich­keit sei­ner Diö­ze­se. Die­se An­ma­ßung führ­te al­ler­dings zu Pro­tes­ten an­de­rer Bi­schö­fe bei Kö­nig Lo­thar, der das Erz­bis­tum Köln in der Fol­ge­zeit an­de­ren Prä­la­ten über­trug, die sich aber nicht durch­set­zen konn­ten. 

Die kri­sen­haf­te Ent­wick­lung im Bis­tum Köln, mög­li­cher­wei­se auch die Sor­ge des Köl­ner Kle­rus um die über­mä­ßi­ge Be­an­spru­chung der Kir­chen­gü­ter durch die Ita­li­en­rei­sen Gunthars, führ­ten zu ei­nem wich­ti­gen Schritt bei der Or­ga­ni­sa­ti­on der wirt­schaft­li­chen Grund­la­gen. Die so ge­nann­te Gunthar­sche Gü­ter­um­schrei­bung („Um­schrei­bun­g“ ist aus dem la­tei­ni­schen „con­scrip­ti­o“ über­setzt und be­deu­tet „Be­schrei­bun­g“ im Sin­ne von „recht­lich bin­den­de Zu­wei­sun­g“) wies erst­mals be­stimm­te Län­de­rei­en und Ein­künf­te be­stimm­ten Stifts­kir­chen zu, und zwar dem Dom­stift, St. Ge­re­on, St. Se­ve­rin, St. Ku­ni­bert, der Kir­che der hei­li­gen Jung­frau­en (spä­ter St. Ur­su­la), St. Cas­si­us und Flo­ren­ti­us in Bonn und St. Vik­tor in Xan­ten so­wie der Kir­che St. Pan­ta­le­on. Die ei­gent­li­che con­scrip­tio ist nicht er­hal­ten, je­doch die Be­stä­ti­gung ih­res In­halts durch Kö­nig Lo­thar II. vom 15.1.866. Gunthar wird hier als „ehr­wür­di­ger Lei­ter und from­mer Len­ker“ des Erz­bis­tums be­zeich­net, nicht je­doch als Erz­bi­schof. 

Be­reits vor der Ab­set­zung Gunthars war ei­ne wich­ti­ge Ent­schei­dung über den Um­fang der Köl­ner Erz­diö­ze­se ge­fal­len: Das Bis­tum Bre­men wur­de end­gül­tig aus dem Me­tro­po­li­tan­ver­band aus­ge­glie­dert. Gunthar muss­te 862 die Aus­schei­dung Bre­mens aus der Köl­ner Kir­chen­pro­vinz an­er­ken­nen, die be­reits vor sei­nem Amts­an­tritt er­folgt war. Man wird hier den Ein­fluss Lo­thars II. ver­mu­ten, der we­gen sei­ner Schei­dungs­plä­ne Zu­ge­ständ­nis­se an Lud­wig den Deut­schen mach­te. 

Auf­grund ei­ni­ger Nach­rich­ten zur Wei­he des ka­ro­lin­gi­schen Köl­ner Doms wur­de dis­ku­tiert, ob Gunthar den Bau des Al­ten Do­mes be­gon­nen oder in grö­ße­rem Um­fang er­neu­ert ha­be; die jüngs­ten Aus­wer­tun­gen der Gra­bungs­be­fun­de da­tie­ren das Bau­werk in­des in das ers­te Drit­tel des 9. Jahr­hun­derts, und grö­ße­re Bau­maß­nah­men sind wäh­rend des Epis­ko­pats Gunthars nicht kon­kret nach­weis­bar. 

Der Tod Lo­thars II. 869 mar­kier­te das En­de des Mit­tel­reichs, das Karl der Kah­le und Lud­wig der Deut­sche (Re­gie­rungs­zeit 817-876) un­ter sich auf­teil­ten, und das end­gül­ti­ge En­de der Am­bi­tio­nen Gunthars, ob­gleich Papst Ha­dri­an II. (Pon­ti­fi­kat 867-872), der Nach­fol­ger von Ni­ko­laus I., ei­ne Über­prü­fung sei­nes Fal­les zu­ge­sagt hat­te. Nach der Wahl Wil­li­berts zum neu­en Erz­bi­schof An­fang 870 soll er Köln ver­las­sen und noch ein­mal nach Rom ge­zo­gen sein; er starb am 30. Ju­ni ent­we­der be­reits 871 oder in ei­nem der fol­gen­den Jah­re. 

Das Ur­teil über sei­ne Per­son fiel schon un­ter den Zeit­ge­nos­sen un­ter­schied­lich aus; sei­ne po­li­ti­schen Geg­ner cha­rak­te­ri­sier­ten ihn als macht­be­wusst und an­ma­ßend, doch der Köl­ner Kle­rus be­zeich­net ihn 870, als er be­reits je­den Ein­fluss ver­lo­ren hat­te, als sei­nen Hir­ten und sehr from­men Leh­rer. In der mo­der­nen Ge­schichts­schrei­bung gilt Gunthar durch­weg als will­fäh­ri­ger Die­ner und macht­be­wuss­ter Hof­geist­li­cher ei­nes skru­pel­lo­sen Kö­nigs. In der Um­ge­bung Lo­thars be­geg­ne­te man 860 der Kri­tik am Schei­dungs­ver­fah­ren mit voll­mun­di­gen po­li­ti­schen An­sprü­chen. Be­haup­tet wur­de bei­spiels­wei­se, dass der Kö­nig al­lein Gott ver­pflich­tet sei, da­her über dem Ge­setz ste­he und nicht an Vo­ten von Bi­schö­fen und Syn­oden ge­bun­den sei. Man geht nicht fehl, im Kreis die­ser „Hof­ab­so­lu­tis­ten“ auch Gunthar zu se­hen, der wie an­de­re Prä­la­ten in der Um­ge­bung des Kö­nigs we­der Ein­sicht in die rea­len Macht­ver­hält­nis­se in den ka­ro­lin­gi­schen Rei­chen noch Sinn für die Macht­an­sprü­che und das Be­har­rungs­ver­mö­gen des Paps­tes hat­te. Die­se Fehl­ein­schät­zun­gen wa­ren we­sent­lich ver­ant­wort­lich für das Schei­tern Gunthars und letzt­lich auch Lo­thars, des­sen Mit­tel­reich von der eu­ro­päi­schen Land­kar­te ver­schwand. 

Quellen

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Online

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Hink­mar von Reims, De di­vor­tio Lo­tha­rii re­gis et Theut­ber­gae re­gi­na, hg. von Le­tha Böh­rin­ger (MGH Conc. 4 Sup­pl. 1), Han­no­ver 1992. [On­line]
Die Kon­zi­li­en der ka­ro­lin­gi­schen Teil­rei­che 860-874, hg. von Wil­fried Hart­mann (MGH Con­ci­lia 4), Han­no­ver 1998. [On­line]
Sei­te des Köl­ner Doms, hier wir­d G­unthar ­fälsch­lich als Er­bau­er des ka­ro­lin­gi­schen Doms be­zeich­net. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Böhringer, Letha, Gunthar, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gunthar/DE-2086/lido/57c8146c997093.53178933 (abgerufen am 16.04.2024)