Hann Trier

Bildender Künstler (1915–1999)

Gabriele Uelsberg (Bonn)

Hann Trier malend, Stollwerk-Halle Köln, 18. März 1980. (Photo: Dietmar Schneider, Köln / Übermalung mit Tusche: Hann Trier)

Hann Trier kann als ei­ner der be­deu­tends­ten Er­neue­rer der Kunst nach 1945 in Deutsch­land gel­ten. Sein wei­test­ge­hend un­ge­gen­ständ­li­ches Werk, das zur Kunst des In­for­mel zählt, zeigt von Be­ginn an die Kraft ei­nes er­neu­er­ten Kunst­be­griffs in der Nach­kriegs­zeit und ent­wi­ckel­te sich über sein lang­jäh­ri­ges Schaf­fen zu ei­ner fes­ten und in­ter­na­tio­nal an­er­kann­ten künst­le­ri­schen Qua­li­tät. Sei­ne Wer­ke fin­den sich in gro­ßen und be­deu­ten­den Kunst­mu­se­en so­wie na­tio­nal und in­ter­na­tio­nal auch in öf­fent­li­chen Ge­bäu­den. 

 

Hann Trier wur­de am 1.8.1915 in Kai­sers­werth (heu­te Stadt Düs­sel­dorf) als Sohn des Post­be­am­ten Hans Trier und des­sen Ehe­frau He­le­ne, ge­bo­re­ne Ha­gen,ge­bo­ren und wuchs in Köln auf. Sein jün­ge­rer Bru­der war der Kunst­his­to­ri­ker Edu­ard Trier (1920-2009).Hann Trier stu­dier­te 1934-1938 Ma­le­rei an der Kunst­aka­de­mie Düs­sel­dorf. Schon früh un­ter­nahm er Stu­di­en­rei­sen nach Frank­reich und Ita­li­en. Im Zwei­ten Welt­krieg dien­te er als Sol­dat; zeit­wei­lig wur­de er auch als tech­ni­scher Zeich­ner in Ber­lin ein­ge­setzt. Be­reits für sei­ne frü­hen Wer­ke wur­den ihm meh­re­re Prei­se zu­ge­spro­chen. Er nahm an den do­cu­men­tas I, II und III 1955/1959 und 1964 teil. Nach ei­ner Gast­do­zen­tur an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Küns­te Ham­burg war er von 1957 bis 1980 Pro­fes­sor an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Küns­te Ber­lin, wo un­ter an­de­rem Ge­org Ba­se­litz (ge­bo­ren 1938) bei ihm stu­dier­te. Für sei­ne Wer­ke er­hielt er zahl­rei­che Kunst­prei­se, dar­un­ter wa­ren Aus­zeich­nun­gen aus Darm­stadt, Ber­lin, Köln und dem Land Nord­rhein-West­fa­len. Seit 1962 war er mit der So­zio­lo­gin und Di­rek­to­rin des Köl­ner Max-Plank-In­sti­tuts Re­na­te Mayntz (ge­bo­ren 1929) ver­hei­ra­tet. Ab 1967 ar­bei­te­te er auch in sei­nem Ate­lier in der Tos­ka­na. 1972 be­zog das Ehe­paar Trier das Ate­lier­haus in der Ei­fel. Zum Freun­des­kreis von Hann Trier ge­hör­ten un­ter an­de­rem Ga­bri­el Gar­cía Már­quez (1927-2014), Max Frisch (1911-1991) und Bern­hard Mi­net­ti (1905-1998).

Hann Trier war ein jun­ger Mann, als er aus dem Zwei­ten Welt­krieg heim­kehr­te und stand am An­fang sei­ner künst­le­ri­schen Lauf­bahn. Nach En­de des Krie­ges leb­te er zu­nächst in Thü­rin­gen, kehr­te aber 1946 in das Rhein­land zu­rück. Dort wur­de er vor­über­ge­hend in Born­heim un­ter­ge­bracht. Er grün­de­te 1947 mit den Künst­ler­kol­le­gen Hu­bert Ber­ke (1908-1979) und Jo­seph Fass­ben­der (1903–1974) die Don­ners­tag-Ge­sell­schaft im Schloss Alf­ter (Ge­mein­de Alf­ter), die über Kunst re­flek­tier­te, phi­lo­so­phier­te, Le­sun­gen ver­an­stal­te­te und ers­te klei­ne­re Aus­stel­lun­gen in­iti­ier­te. Man war kon­zen­triert auf die Kunst der Zeit vor dem Krieg und ent­deck­te neu die Kunst, die man in Deutsch­land wäh­rend des „Drit­ten Reichs“ nicht hat­te se­hen dür­fen.

Hann Trier muss­te in den Jah­ren nach 1945 auch durch an­ge­wand­te künst­le­ri­sche Ar­bei­ten sein Geld ver­die­nen und ar­bei­te­te als Ge­brauchs­gra­phi­ker. Wäh­rend sei­ner Stu­di­en­zeit an der Düs­sel­dor­fer Kunst­aka­de­mie noch vor Aus­bruch des Krie­ges hat­te sich Hann Trier vor al­len Din­gen mit der Mal­tech­nik der Al­ten Meis­ter, der Tem­pe­ra-Ma­le­rei be­schäf­tigt. Ab den 1950er Jah­ren, als die Ma­te­ri­al­be­schaf­fung für die Ge­mäl­de er­leich­tert war, ver­wen­de­te Hann Trier schwer­punkt­mä­ßig Ei­tem­pe­ra auf Lein­wand und schaff­te so sei­ne Ge­mäl­de in ei­ner ganz leich­ten und ma­le­risch sehr aus­ge­ar­bei­te­ten Tech­nik. 

Hann Trier, Für Bernini, 1962, Öl auf Leinwand. (Kunststiftung Hann Trier, WVZ_362)

 

Für Hann Trier war in die­sen ers­ten Jah­ren nach dem Krieg die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ku­bis­mus ent­schei­dend. Man er­kennt, dass der jun­ge Künst­ler Kennt­nis be­saß von der zeit­ge­nös­si­schen fran­zö­si­schen Kunst. Deut­lich sind in sei­nen Ar­bei­ten Ver­wei­se und An­klän­ge an die ku­bis­ti­schen Bil­der Pa­blo Pi­cas­sos (1881-1973) zu er­spü­ren. Bald je­doch be­gann Hann Trier ges­ti­sche Ele­men­te und in­for­mel­le Ver­fah­rens­wei­sen in sei­nen Bil­dern zu ver­wen­den. Er ent­wi­ckel­te ei­ne Zei­chen­schrift, die er in die Bil­der in­te­grier­te. Die Strich- und Li­ni­en­füh­rung um­kreist da­bei das Mo­tiv und un­ter­stützt die Dra­ma­tik und At­mo­sphä­re der Ge­stal­tung. Die Li­nie war nicht zir­kelnd und zö­gernd, son­dern ge­schla­gen, ge­setzt und in ei­nem Be­we­gungs­duk­tus auf­ge­tra­gen. Hann Trier sel­ber sag­te ein­mal zu die­sen frü­hen Ar­bei­ten: Ich ha­be mit dem Pin­sel ge­schla­gen wie die Tau­be mit den Flü­geln. Hann Triers Ma­le­rei war spon­tan und folg­te sei­ner Vor­stel­lung von Rhyth­mik, Emo­tio­na­li­tät und ei­ner fast mu­si­ka­li­schen Klang­welt, die sich aus For­men und Far­ben zu­sam­men­setzt. Dies ver­stärk­te sich, als er 1952 für meh­re­re Jah­re nach Süd­ame­ri­ka aus­reis­te und dort die Tän­ze und Rhyth­men La­tein­ame­ri­kas auf­nahm.

In den 1950er Jah­ren ent­wi­ckel­te er sei­nen Stil wei­ter. In je­der Hand hielt er ei­nen Pin­sel, die er dann in „cho­reo­gra­fi­schen Pin­sel­schwün­gen“ gleich­zei­tig über den Bild­grund führ­te. Trier ging es da­bei vor al­len Din­gen um den Pro­zess des Ma­lens. Die Ma­le­rei die­ser Jah­re be­sitzt Ele­men­te von na­tur­haf­ten Pro­zes­sen, zeigt ei­ne ge­ra­de­zu er­staun­li­che abs­trak­te Schöp­fungs­viel­falt und ist in der La­ge, die Fan­ta­sie und die Ent­de­cker­freu­de der Be­trach­ter aus­zu­lö­sen. 

1955 kehr­te Hann Trier aus Süd­ame­ri­ka nach Deutsch­land zu­rück und be­gann zu­nächst sei­ne Lehr­tä­tig­keit an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Küns­te in Ham­burg. Sei­ne Ma­le­rei wur­de of­fe­ner und au­to­no­mer. Nun kam ihm ei­ne per­sön­li­che Be­son­der­heit zu Gu­te. Hann Trier ge­hör­te zu den we­ni­gen ech­ten Beid­hän­dern - Men­schen, die so­wohl die lin­ke wie die rech­te Hand gleich stark aus­ge­prägt ha­ben. Die­se Fä­hig­keit setz­te er ab Mit­te der 1950er Jah­re in sei­nen Bil­dern sys­te­ma­tisch um. Er mal­te rechts wie links oder mit bei­den Hän­den gleich­zei­tig, was ei­ne in­ne­re Sym­me­trie und Struk­tu­rie­rung der Bil­der zur Fol­ge hat­te. Die­ses Prin­zip sei­ner Ma­le­rei wur­de für sein wei­te­res Le­bens­werk zum Maß­stab.

Hann Trier war ein of­fe­ner und viel­fach in­ter­es­sier­ter Mann, fas­zi­niert auch von mo­der­nen Ent­wick­lun­gen wie der Raum­fahrt und Ver­än­de­run­gen in der Ge­sell­schaft. Seit 1966 tau­chen auch Ti­tel in sei­nen Ar­bei­ten auf, die das Welt­all, As­tro­no­mie und den Raum­flug the­ma­ti­sie­ren. Die Spra­che der Raum­phy­sik und der da­mals mo­derns­ten Tech­no­lo­gi­en ver­bin­det sich as­so­zia­tiv mit den Ele­men­ten von Pin­sel­duk­tus, Kom­po­si­ti­on und farb­li­cher Ge­stal­tung der Bil­der. 

Im Jahr 1967 rich­te­te sich Hann Trier ein Ate­lier in Cas­tiglio­ne del­la Pe­scaia in der Tos­ka­na ein. Es folg­ten zahl­rei­che Rei­sen nach Frank­reich, Ägyp­ten, Russ­land und in die USA. In die­sem Zeit­raum ent­stan­den auch vie­le Wer­ke in sei­ner neu­en Um­ge­bung in Ita­li­en. Vie­le der seit 1965 ge­schaf­fe­nen Bil­der sind aus leuch­tend far­bi­gen Pin­sel­zü­gen ge­stal­tet, die sich vom meist hel­len Grund ab­he­ben. Hier wird die in­ten­si­ve Be­schäf­ti­gung mit ita­lie­ni­schen De­cken- und Wand­ma­le­rei­en deut­lich, die er auf­ge­nom­men hat­te, nach­dem er sei­nen ers­ten Auf­trag für die Ge­stal­tung des De­cken­ge­mäl­des des Wei­ßen Saals im Kno­bels­dorff-Flü­gel und im Trep­pen­haus des Ber­li­ner Schlos­ses Char­lot­ten­burg be­kom­men hat­te. 

Ab den spä­ten 1960er Jah­ren än­der­te die Aus­ein­an­der­set­zung mit Pro­jek­ten für Kunst am Bau das Werk von Hann Trier noch ein­mal und be­stimm­te sei­ne Ar­beits­wei­se nach­hal­tig. Die Be­fas­sung mit den ba­ro­cken De­cken- und Wand­ge­stal­tun­gen ließ sei­ne Farb­pa­let­te noch stär­ker hell, fast pas­tel­lig wir­ken und dar­über hin­aus ar­bei­te­te er mit Hell und Dun­kel, um ei­nen il­lu­sio­nis­ti­schen Farb­raum zu ge­stal­ten. 

Auch als Gra­phi­ker hat sich Hann Trier ei­nen Na­men ge­macht. Das gra­phi­sche Map­pen­werk „Der be­frei­te Pi­noc­chi­o“ ent­stand 1976 als Kin­der­buch. Von den li­te­ra­ri­schen 36 Aben­teu­ern des mun­te­ren Holz­bu­ben Pi­noc­chio traf Hann Trier ei­ne von der Chro­no­lo­gie des Bu­ches un­ab­hän­gi­ge Aus­wahl, die zu­sam­men mit dem von ihm ver­fass­ten Pro­log zu ei­nem ei­gen­wil­li­gen kom­men­tier­ten Werk wur­de. 

Die Aus­ein­an­der­set­zung mit Raum und Ar­chi­tek­tur ha­ben das Werk von Hann Trier ab den 1980er Jah­ren stark ge­prägt und so las­sen sich auch bei den spä­ten Ar­bei­ten der 1990er Jah­re ganz be­stimm­te Kri­te­ri­en fest­ma­chen, die das Spät­werk cha­rak­te­ri­sie­ren. Die in­ne­re Bild­dra­ma­tik nimmt zu und die Wer­ke ge­win­nen an drei­di­men­sio­na­ler Qua­li­tät. Die Ele­men­te des In­for­mel­len tre­ten hier in die­sen spä­ten Ar­bei­ten in ein Gleich­ge­wicht zu den Ele­men­ten des kom­po­si­to­ri­schen Kal­küls und der ge­nau­en Aus­ba­lan­cie­rung der Farb­quan­ti­tä­ten. Hier sei­en noch­mals die pro­mi­nen­ten Or­te ge­nannt, in de­nen sei­ne Wer­ke in der Ar­chi­tek­tur wir­ken: das Char­lot­ten­bur­ger Schloss, die Hei­del­ber­ger Uni­ver­si­tät, das His­to­ri­sche Köl­ner Rat­haus und der Va­ti­kan in Rom. Bis heu­te sind die­se Or­te ge­prägt von den Ar­bei­ten Hann Triers und ge­ra­de hier wird deut­lich, wie zeit­los und ak­tu­ell die Qua­li­tät sei­ner Bil­der ist. Hann Trier starb am 14.6.1999 in sei­nem Ate­lier in der Tos­ka­na. 

Literatur (Auswahl)

Eu­gen Batz, Hu­bert Ber­ke, Jo­seph Fass­ben­der, Ge­org Meis­ter­mann, Hann Trier. Don­ners­tag-Ge­sell­schaft. Schloss zu Alf­ter. 1947–1950 und die Zeit da­nach, Zel­ler­may­er Ga­le­rie, Ber­lin 2010.

Eu­ler-Schmidt, Mi­cha­el (Hg.), Hann Trier. Werk­ver­zeich­nis der Ge­mäl­de 1990-1995, Köln 1995.

Feh­lemann, Sa­bi­ne (Hg.), Hann Trier. Mo­no­gra­phie und Werk­ver­zeich­nis, Köln 1990.

Ger­lach-Lax­ner, Uta (Hg.), Hann Trier. Werk­ver­zeich­nis der Druck­gra­phik. Mit ei­nem Bei­trag von Al­fred M. Fi­scher, Köln 1994.

Hann Trier – Ich tan­ze mit den Pin­seln. Aqua­rel­le und Zeich­nun­gen 18. Sep­tem­ber bis 29. No­vem­ber 2015, Ka­ta­log hg. v. Han­ne­lo­re Fi­scher für das Kä­the-Koll­witz-Mu­se­um Köln, Köln 2015.

Hann Trier. Un­ver­öf­fent­lich­te Poe­sie und Tu­sche­zeich­nun­gen. Was es be­deu­tet, kann der Na­me nicht sa­gen, Düs­sel­dorf 2015.

Der Jun­ge und der Un­be­kann­te Trier. Hann Trier zum 100. Ge­burts­tag, LVR-Lan­des­Mu­se­um Bonn, Mu­se­um Ra­tin­gen, Bonn 2015.

Schwalm, Hans J. [u.a.] (Hg.), Hann Trier: „… die Flä­che zur Be­we­gung brin­gen.“ Bil­der und Tex­te 1948 bis 1998, Stadt Reck­ling­hau­sen, 2005. 

Hann Trier, Gespinst, 1956, Eitempera auf Leinwand. (Kunststiftung Hann Trier, WVZ_164)

 
Zitationshinweis

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Uelsberg, Gabriele, Hann Trier, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hann-trier/DE-2086/lido/608fc5669adf37.04833003 (abgerufen am 29.03.2024)