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Hans Luther war in den Anfangsjahren der Weimarer Republik Oberbürgermeister der Stadt Essen. In der Folgezeit bestimmte er als Reichspolitiker maßgeblich die Außen- und Wirtschaftspolitik Deutschlands. Er stabilisierte nach der Hyperinflation die Währung und konnte die Lasten Deutschlands aus dem Versailler Vertrag mindern. Nach 1945 war er am Wiederaufbau des Finanz- und Bankenwesens beteiligt.
Hans Luther, geboren am 10.3.1879 in Berlin, entstammte eine wohlhabende protestantischen Kaufmannsfamilie. Sein Vater war Handelsrichter. Luther bestand 1897 das Abitur am humanistischen Leibniz-Gymnasium in Berlin. Er studierte im ersten Jahr Volkswirtschaft in Genf, erwarb gute Kenntnisse der französischen Sprache und knüpfte Verbindungen in internationale wissenschaftliche Kreise. Danach kehrte er zum Jurastudium an den Universitäten Kiel und Berlin nach Deutschland zurück, besuchte aber weiter volkswirtschaftliche Lehrveranstaltungen. Als Student trat Luther in Kiel der nichtschlagenden und farbenführenden „Akademischen Turnverbindung Ditmarsia", in Berlin der „ATV Kurmark" bei. Zwischen 1901 und 1905 absolvierte er das Rechtsreferendariat in Berlin und Umgebung, das er 1906 mit dem Zweiten Juristischen Staatsexamen abschloss. 1904 wurde er mit einer staatsrechtlichen Arbeit über „Thronstreitigkeiten und Bundesrat" promoviert.
Nach einer kurzzeitigen Beschäftigung bei der Stadt Charlottenburg (heute Berlin) begann er 1907 als Stadtrat und Justitiar der Stadt Magdeburg seine politische Karriere, die ihn in die bedeutendsten Ämter im Rheinland und in Deutschland brachte. In Magdeburg lernte er die Besonderheiten kommunaler Eigenbetriebe kennen und führte Prozesse gegen Industrieunternehmen und den Kali-Bergbau wegen Umweltverschmutzung. Luther gelang es gleichzeitig, wertvolle Beziehungen aufzubauen, die ihn bekannt machten. Dieses Beziehungsnetz bewährte sich bereits bei seiner Berufung zum hauptamtlichen Geschäftsführenden Vorstandsmitglied des Deutschen und Preußischen Städtetages. Von 1913 bis 1918, vor allem während des Ersten Weltkriegs, war er der wohl einflussreichste Lobbyist für die Interessen der Groß- und Mittelstädte Deutschlands. Im Mittelpunkt seines Interesses stand die effiziente Organisation der zusätzlichen Aufgaben der Städte durch den Krieg für die Versorgung der Bevölkerung. Die Demokratisierung der Kommunalpolitik war für Luther kein dringendes Anliegen.
1918, noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution, übernahm Luther das Amt des hauptamtlichen Oberbürgermeisters von Essen. Er sah sich rasch außerordentlichen Herausforderungen gegenüber, die mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und dem Ende der Rüstungsproduktion bei Krupp entstanden: Die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung und einer geordneten Verwaltung in der Zeit der Unruhen und Streiks, die Umstellung der Kriegswirtschaft auf Verhältnisse der Friedenszeit sowie die soziale Fürsorge für die Opfer der Hyperinflation, vor allem für die Kleinrentner und Arbeitslosen. Die Kommunalwahl im März 1919 stärkte Luthers Stellung in der Stadt. Durch die Wahl von zwei Repräsentanten der Arbeiterbewegung in die Verwaltungsspitze konnte er sich auf einen breiten politischen Konsens stützen. Er sah sich gleich im April 1919 mit dem größten Streik der Bergleute konfrontiert. Im rechtskonservativen Kapp-Putsch 1920 nahm Luther die Rolle eines Sachwalters öffentlicher Interessen ein und konnte die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremisten in der Stadt beenden. In diesen Jahren bewies Luther sein Fingerspitzengefühl, indem er sowohl die Industriellendynastie Krupp als auch den linken Arbeiter- und Soldatenrat in seine Kommunalpolitik einband.
Als Essener Oberbürgermeister spürte Luther die Folgen der belgischen und französischen Besatzung, des „passiven Widerstandes" des Reichs und der galoppierenden Inflation. Radikalisierung und Verarmung der arbeitenden Stadtbevölkerung zeigten sich direkt vor seinem Rathaus. Die Kriminalität nahm wegen der Ausweisung aller deutschen Schutzpolizisten durch die französische Besatzungsmacht zu. Erst Ende Juli 1925 zogen die Franzosen aus Essen ab.
Durch die Ansiedlung von Unternehmensverwaltungen stärkte Luther die finanzielle Basis und die Stellung Essens. Hierzu trug auch seine Kulturpolitik bei. Mit Unterstützung der heimischen Wirtschaft war 1919 die Gründung eines Stadttheaters und 1922 der Umzug des bedeutenden Folkwang-Museums von Hagen nach Essen möglich geworden. In der Schul- und Bildungspolitik erwies sich Luther als progressiv und trieb die Gründung einer Berufsschule für Frauen und die Einrichtung der Volkshochschule in Essen voran. Gemeinsam mit dem Beigeordneten für Städtebau Robert Schmidt (1869-1932) entwickelte er den Ansatz für eine systematische Raumplanung über die engen kommunalen Grenzen im Ruhrgebiet hinweg. Die ausgeprägte Fähigkeit Luthers zu langfristig-strategischen Überlegungen, deren Realisierung er konsequent verfolgte, mündete in seiner 1920 erfolgreichen Initiative zur Gründung des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk, Vorläufer des Regionalverbandes Ruhr. Luther verstand es, seine Beziehungen in die Reichshauptstadt Berlin aus seinem früheren Amt beim Städtetag zu nutzen. Seit 1919 wurden dem dort als einem der „großen rheinischen Oberbürgermeister" bekannten Luther mehrfach Ministerämter angeboten.
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Schließlich übernahm Luther 1922 das Amt des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft unter den Reichskanzlern Wilhelm Cuno (1876-1933) und Gustav Stresemann (1878-1929) in der prekären Versorgungslage Deutschlands. Danach war er Reichsminister der Finanzen in den Kabinetten Gustav Stresemann II und Wilhelm Marx I und II. Er blieb gleichzeitig noch bis zur Ausweisung durch die Interalliierte Rheinlandkommission 1924 Essener Oberbürgermeister. Sein Rücktrittsgesuch nahm die Essener Stadtverordnetenversammlung mit sofortiger Wirkung an.
Als Reichsminister der Finanzen hatte er maßgeblichen Anteil an der Währungsstabilisierung durch die Einführung der „Rentenmark". Zugleich wandelte sich der frühere Lobbyist der Städte zum strengen Hüter der Währung und Finanzen und legte in dieser neuen Rolle den Kommunen ein enges finanzpolitisches Korsett an. Diese Finanzpolitik überzeugte die ausländischen Gläubiger auf der Londoner Konferenz 1924. Das Ergebnis war der so genannte „Dawes-Plan", der eine finanzielle Entlastung des Deutschen Reiches von Reparationsforderungen aus dem Versailler Friedensvertrag und eine Verbesserung der außenpolitischen Beziehungen Deutschlands gegenüber den früheren Kriegsgegnern brachte. Gemeinsam mit Gustav Stresemann setzte Luther, seit Januar 1925 als Reichskanzler, seine auf Entspannung in Europa gerichtete Außenpolitik fort. Das mit Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien 1925 geschlossene Locarno-Abkommen über Garantien für die Westgrenze Deutschlands und die Fortdauer der entmilitarisierten Zone im Rheinland eröffnete Deutschland den Beitritt zum Völkerbund. 1926 schloss Luther mit der jungen kommunistischen Sowjetunion einen Freundschafts- und Neutralitätsvertrag („Berliner Vertrag") ab.
Innenpolitisch hat sich Luther in der Mitte der Weimarer Republik zu einer Integrationsfigur der Reichspolitik entwickelt und übte von Anfang 1925 bis Mai 1926 das Amt des Reichskanzlers von zwei Mitte-Rechts-Regierungen aus. Diese wesentlich von Luther gestalteten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen schufen die Grundlage für die "Goldenen Zwanziger" Jahre bis zur Weltwirtschaftskrise, von denen vor allem die rheinischen Großstädte an Rhein und Ruhr profitierten. Der nüchterne, auf Effizienz bedachte parteilose Politiker übersah aber die Wirkung von Symbolpolitik. Wegen der Einführung der modifizierten kaiserlichen Flagge für Außenvertretungen der Republik kam es im so genannten „Flaggenstreit" 1926 zu einem Misstrauensantrag der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) gegen den Reichskanzler, der vom Reichstag mehrheitlich angenommen wurde. Noch am selben Tag trat Luther mit seinem Kabinett zurück. Erst danach trat er der kleinen, wirtschaftsfreundlichen und rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) bei.
Nach seinem Rücktritt arbeitete er in der Privatwirtschaft als Vorstandsmitglied der Gemeinschaftsgruppe der Hypothekenbanken. Für die Jahre 1926 bis 1928 hatte er ein Mandat im Verwaltungsrat der Deutschen Reichsbahn. 1928 übernahm Luther den Vorsitz des gerade gegründeten „Bundes zur Erneuerung des Reiches", der nach ihm populär „Luther-Bund" genannt wurde. Zu dieser überparteilichen Vereinigung schlossen sich Persönlichkeiten aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, die der Weimarer parlamentarischen Demokratie nahe standen und eine Reform der Verfassung zugunsten des Reichs forderten.
Von Frühjahr 1930 bis zur Absetzung durch die Nationalsozialisten im März 1933 war Luther als Reichsbankpräsident Deutschlands oberster Währungshüter. In diesen Jahren verfolgte er eine zurückhaltende Geldpolitik, die die negativen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Deutschland tendenziell verschärfte. Von den Nationalsozialisten ließ sich Luther zwischen 1933 und 1937 als Botschafter des Deutschen Reichs in den USA einsetzen. Danach zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück.
Nach dem Zusammenbruch Deutschlands war Luther ab 1945 als erfolgreicher Bank- und Finanzexperte maßgeblich am Wiederaufbau des Bankwesens in den westlichen Besatzungszonen beteiligt. Mit dem Vorsitz der Sachverständigenausschusses für die Neugliederung der Länder der Bundesrepublik in den Jahren 1952 bis 1955 knüpfte Luther an seinen Ruf durch seine Reformpläne in den letzten Jahren der Weimarer Republik an. An der Hochschule für Politik in München erhielt er eine Honorarprofessur. Hans Luther starb am 11.5.1962 in Düsseldorf.
Der gemäßigt konservativ-liberale Angehörige des Großbürgertums und „unpolitische" Politiker Hans Luther war an Antworten auf komplexe Sachverhalte aufgrund überzeugender Sachkompetenz interessiert. Er zog eine pragmatische Grundeinstellung ideologisch gefärbten Auseinandersetzungen vor. Dabei kam ihm sein Verhandlungsgeschick zugute. Symptomatisch für diese Haltung Luthers unter vier politischen Systemen ist der Titel seiner 1960 erschienenen Memoiren „Politiker ohne Partei".
„Bemerkenswert an dieser Laufbahn des politisch versierten, aber nicht an einer politischen Partei gebundenen Fachmanns für das effiziente Management öffentlicher Institutionen ist die starke Identifikation mit der jeweiligen Aufgabe" (Wolfgang Hofmann).
Quelle
Luther, Hans, Politiker ohne Partei. Erinnerungen, Stuttgart 1970.
Literatur
Hofmann, Wolfgang, Hans Luther (1879-1962), in: Jeserich, Kurt G. A. / Neuhaus, Helmut (Hg.), Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648-1945, Stuttgart 1991, S. 365-369.
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1945, Düsseldorf 1994, S. 619-620.
Online
Born, Karl Erich, "Luther, Hans", in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 544-547. [Online]
Luther, Hans (Edition "Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik" online des Bundesarchivs und der Historischen Kommission München). [Online]
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Weiß, Lothar, Hans Luther, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-luther/DE-2086/lido/57c946095cf0c8.97455604 (abgerufen am 07.10.2024)