Zu den Kapiteln
In den ersten beiden Jahrzehnten nach 1945 konnte der Architekt Hans Schwippert in der Öffentlichkeit als der Baumeister der jungen Bundesrepublik gelten. Wie sich der neue Staat der Welt in Bau und Gerät präsentierte, ist großenteils ihm zu verdanken. Er hat das zentrale Gebäude der jungen parlamentarischen Demokratie in Bonn, das Bundeshaus, entworfen, hervorgegangen aus einem Gebäude der Weimarer Republik, der Pädagogischen Akademie. Den Sitz des Bundeskanzlers, das Palais Schaumburg, baute er im Sinne schlichter, heiterer Repräsentation um. Schwippert war eine maßgebliche Stimme und Mitbegründer des „Rats für Formgebung“ und 1950-1963 Erster Vorsitzender des Deutschen Werkbunds, der 1907 gegründeten Gesinnungs- und Interessengemeinschaft deutscher Künstler und Produzenten.
In diesen Ämtern war er mitverantwortlich für Programm und Form des deutschen Auftritts auf den Weltausstellungen in Brüssel 1958, in Montreal 1967 und auf den Triennalen in Mailand. In Schrift und Rede äußerte er sich als unermüdlicher Fürsprecher des Notwendigen, Schlichten und Sinnvollen. Der Aufruf zahlreicher Werkbund-Künstler von 1947, der „das Gültig-Einfache“ forderte, trug auch seine Unterschrift. Auch die Hinwendung des Werkbunds zu Themen wie der großen Landzerstörung und dem Raubbau an den Ressourcen hat Schwippert früh nach Kräften gefördert. Von ihm stammt das Wort, wir hätten es zu ganz ordentlichen Trinkgläsern gebracht hätten, müssten aber leider daraus die denaturierte Brühe verdorbenen Wassers trinken. In seinem Herzen war Schwippert auch ein früher Ökologe.
Den Menschen, der diese und viele andere - nicht zuletzt pädagogische - Aufgaben bewältigte, schilderten seine Weggenossen als stämmigen, dunkelhaarigen Mann von explosiver Aktivität, mimischer Eindringlichkeit und beredter Überzeugungskraft. Geboren am 24.6.1899 in Remscheid (nach späteren, weniger zuverlässigen Quellen am 25. Juni), wuchs Johannes, später: Hans Schwippert in einem kulturell interessierten, katholischen Elternhaus auf. Der Vater Karl Ferdinand war Direktor der Essener Gewerbeschule, der Bruder Kurt wurde ein bedeutender Bildhauer.
Von 1920 bis 1924 studierte Hans Schwippert an den Technischen Hochschulen Hannover, Darmstadt und Stuttgart. Vor allem die so genannte „Stuttgarter Schule“ und ihr Lehrer Paul Schmitthenner (1884-1972) prägten den jungen Schwippert. Materialgerechtigkeit, Traditionswahrung und präzise handwerkliche Detailarbeit schlossen bei Schmitthenner ein starkes Interesse für Typenbildung und Vorfertigung nicht aus. Die wenigen Monate, die Schwippert 1925 im Büro des viel beschäftigten Berliner Stars Erich Mendelsohn (1887-1953) verbrachte, müssen auf den angehenden Architekten als Kontrastprogramm gewirkt haben. Seine Entwürfe aus dieser Zeit sind kühn und schmissig wie die seines Arbeitgebers.
1927 ging Schwippert an die Aachener Kunstgewerbe- und Handwerkerschule. Berufen hatte ihn deren junger Leiter Rudolf Schwarz, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Schwippert arbeitete eng an den Schwarzschen Bauten mit, so vor allem am Haus der Jugend in Aachen-Burtscheid (1928). Bei der radikal modernen Fronleichnamskirche (1929-1930) in Aachen war er als „architektonischer Mitarbeiter“ beteiligt und für das Mobiliar verantwortlich. An der Schule betreute Schwippert gemeinsam mit dem Direktor die Hochbauklasse und übernahm den Bereich Innenausbau. Der „Neue Hausrat“, für den er sich engagierte, folgte der „Haltung des anspruchslosen Dienens“. Modulare Holzmöbel, oft aus Kiefernholz, manchmal mit gekreuzten Bändern für die Sitz- und Rückenflächen, kamen den sozialen Aufgaben der Notzeiten nach, der Weltwirtschaftskrise und später der Kriegsjahre. Sie waren preiswert und ließen sich leicht montieren und kombinieren - eine Art Ikea vor der Zeit.
In Aachen begann Schwipperts Mission als Lehrer. Handwerk wie Maschinenwerk waren für ihn eine Sache der Genauigkeit und der Treue zu Werkstoff und Technik. Seine „Werkkunde“ empfanden seine Schüler zugleich als Lebenskunde. Nach der erzwungenen Schließung der Kunstgewerbeschule im Jahr 1934 erhielt Schwippert an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Lehraufträge, die nach dem Krieg zu einer ordentlichen Professur aufgestockt wurden. Zugleich übernahm er Verwaltungsaufgaben im Provinzialrat Nordrhein, darauf im Düsseldorfer Wiederaufbauministerium, war unter anderem mit der Neuorganisation der Kunstakademie in Düsseldorf beauftragt und erhielt 1946 neben seinen Aachener Verpflichtungen eine Architekturklasse an der Kunstakademie übertragen. Zehn Jahre lang, von 1956 bis 1966, leitete er die Akademie als Direktor. Seine Schüler haben das Charisma, die pausenreichen Monologe, den Witz, die Spontaneität, Fürsorglichkeit und Großzügigkeit ihres Lehrers beschrieben.
Nach 1945 hat der viel beschäftigte Schwippert auch viel gebaut. Darunter waren Kirchen in Düsseldorf, Mülheim an der Ruhr, Köln und der Umbau der Hedwigskathedrale im damaligen Ostberlin, Schulen, ein Kraftwerk, Verwaltungsbauten und Einfamilienhäuser, die sich fern von den „ungeduldigeren Exaltationen modernen Bauens“ hielten. Sein Haus der Wissenschaften in Düsseldorf (1958-1960) wurde zu einem strengen zweistöckigen Quader in Stahlbeton-Gerüstkonstruktion, der ausdrücken sollte, wie nahe sich Wissenschaft und Werkstatt sind. Ingeniös ist das kraftvolle sechzehngeschossige Turmhaus, das er für die Berliner Interbau-Ausstellung von 1957 errichtete. Die unterschiedlichen Wohnungstypen, darunter Maisonette-Wohnungen mit zwei Geschoss hohen Loggien, sind wie in einem dreidimensionalen Puzzle miteinander verschränkt. Schaltbare Räume und das Angebot unterschiedlicher Wohnungsgrößen sollten soziale Mischung und Fluktuation innerhalb des Hauses ermöglichen. Andere Bauten blieben nicht ohne eine gewisse Trockenheit. Der Bauhistoriker Julius Posener (1904-1996), ein Nachfolger im Amt des Werkbund-Vorsitzenden, meinte, möglicherweise sei die Person Schwipperts stärker gewesen als seine Architektur.
Vor allem wird der Name Schwippert mit dem Gebäude verbunden bleiben, das in der Form, die er ihm gegeben hatte, nur teilweise überdauerte: das Bonner Parlament am Rhein (1948-1949). Schon organisatorisch war dieser Um- und Neubau eine Meisterleistung. Er wurde innerhalb von nicht mehr als neun Monaten gebaut und bezogen, um die Entscheidung des Bundestags für Bonn als Bundeshauptstadt zu präjudizieren. Daher musste gleichzeitig geplant und gebaut werden. Offen und transparent wollte Schwippert das Bauwerk, von Licht durchflutet, mit dem Blick auf die bewegte Stromlandschaft, nicht zu groß und nicht zu klein. Die Parlamentarier sollten in ein abgesenktes Rund gesetzt werden, „Ausdruck einer Gemeinschaft, die miteinander spricht“. Bundeskanzler Konrad Adenauer machte ihm einen Strich durch die Rechnung und verwehrte ihm das Experiment einer kreisförmigen Anordnung. Als der alte Plenarsaal 1987-1992 einem Neubau Günter Behnischs (1922-2010) weichen musste (diesmal mit Bestuhlung im Kreis), war es schon seit langem zu entstellenden Veränderungen der Schwippert-Lösung gekommen.
Gleichwohl bleibt das Bundeshaus ein Vermächtnis des am 18.10.1973 in Düsseldorf gestorbenen Baumeisters. So, wie er es geplant hatte, war es Bekenntnis zu einer Ästhetik, die zugleich Moral bedeutete. Es sollte „ein Haus der Offenheit“ sein, „eine Architektur der Begegnung und des Gesprächs“. In der Armut hatte Schwippert die Würde gesehen. Das Regelhafte sollte vor dem Einmaligen gelten, das Selbstverständliche vor dem Auffälligen, die allgemeine Gültigkeit vor der individuellen Handschrift. Vor den „Verführungen sentimentaler oder artistischer Formung“ hatte Schwippert schon 1946 gewarnt, als von solchen Verführungen weit und breit noch nichts zu erkennen war - zumindest nicht im verwüsteten Deutschland.
Schwippert war in erster Ehe mit der Tänzerin Lies Eisinger verheiratet, in zweiter Ehe seit 1950 mit der Schauspielerin Gerdamaria geborene Terno, die sich nach Schwipperts Tod aktiv des Nachlasses annahm.
Bauten (Auswahl)
1928 - H aus der Jugend Aachen-Burtscheid (mit Rudolf Schwarz).
1930 - Haus Kurt Schwipperrt (Bruder) bei Kelberg/Eifel.
1934-1939 - Einfamilienhäuser in Aachen.
1948-1949 - Bundeshaus Bonn.
1953-1954 - Haus Schwippert Düsseldorf.
1956-1958 - Konzeption und Ausstellungsgestaltung Deutscher Beitrag, Weltausstellung Brüssel.
1956-1963 - Wiederaufbau und Umbau St. Hewigs-Kathedrale Berlin.
1957 - Wohnhochhaus Hansaviertel Berlin.
1958-1960 - Haus der Wissenschaften, Düsseldorf.
1958-1960 - Georg Büchner Gymnasium , Darmstadt.
1960-1963 - Kirche Heilige Familie, Düsseldorf.
1961-1962 - Wohn- und Geschäftshaus Henkel, Düsseldorf.
1967-1971 - Kirche Heiliger Franz von Sales, Düsseldorf.
Schriften (Auswahl)
Denken Lehren Bauen, Düsseldorf/Wien 1982.
Vom Machen und Brauchen. Schriften zu Architektur und Gestaltung, hg. v. Agatha Buslei-Wuppermann, Andreas Zeising, Düsseldorf 2008.
Literatur (Auswahl)
Akademie der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Deutsche Unesco-Kommission (Hg.), Hans Schwippert, mit Texten von Hans Haas, Wolfgang Meisenheimer, Charlotte Wehrhahn, Karl Wimmenauer, Bonn 1984.
Breuer, Gerda, Hans Schwippert, Bonner Bundeshaus, Tübingen/ Berlin 2009.
Breuer, Gerda/Mingels, Pia/Oesterreich, Christopher (Hg.), Hans Schwippert (1899-1973) Moderation des Wiederaufbaus. Berlin 2010.
Buslei-Wuppermann, Hans Schwippert 1899-1973, Von der Werkkunst zum Design, Diss. Wuppertal, München 2007.
Buslei-Wuppermann/Zeising, Andreas, Das Bundeshaus von Hans Schwippert in Bonn, mit Texten von Norbert Helmus, Wolfgang Pehnt, Stefan Polónyi, Düsseldorf 2009.
Werhahn, Charlotte M. E., Hans Schwippert (1899-1973), Architekt, Pädagoge und Vertreter der Werkbund-Idee in der Zeit des deutschen Wiederaufbaus, Diss. TU München 1987.
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Pehnt, Wolfgang, Hans Schwippert, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-schwippert/DE-2086/lido/57c94d7602a1a5.87944424 (abgerufen am 05.12.2024)