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Heinrich Böcking lebte nach der Heirat mit einer Tochter aus der Unternehmerfamilie Stumm (1809) einige Jahrzehnte in Saarbrücken. Während der Befreiungskriege exponierte er sich als glühender deutscher Patriot. Im saarländischen Staatsbergbau war er für die Kassenführung zuständig. 1814 und 1832 bis 1838 war er Saarbrücker Bürgermeister. Gegen Ende seiner Dienstzeit und als Pensionär engagierte er sich auf nationaler Ebene als Interessenvertreter der aufstrebenden saarländischen Eisenindustrie.
Der Ursprung der weit verzweigten und in verschiedenen Branchen tätigen rheinischen Unternehmerfamilie Böcking lag im Hunsrück. Heinrich Böcking wurde in Trarbach (heute Stadt Traben-Trarbach) am 1.6.1785 als Sohn des Großkaufmanns Adolf Böcking (1751-1800) und seiner Ehefrau Ernestine von Scheibler (1760-1821) geboren. Der Vater ließ sich in Saarbrücken nieder. Dessen früher Tod führte zum Zusammenbruch des Unternehmens an der Mosel. Heinrich absolvierte in Iserlohn bei seinem Onkel Friedrich von Scheibler (1777-1824) eine kaufmännische Lehre. Mit 19 Jahren wurde er Commis des Handelshauses Goedhart Cappel & Söhne in Amsterdam; von dort siedelte er nach Saarbrücken um.
Nach der Heirat mit Charlotte Henriette (1790-1832), der Tochter des Hüttenherrn Friedrich Philipp Stumm (1751-1835), war Heinrich Böcking im Dienste des Schwiegervaters häufig auf Geschäftsreisen. Autodidaktisch befasste er sich mit Volkswirtschaft, Mineralogie und Altertumskunde. Er erwarb sich genaue Kenntnisse über das saarländische Steinkohlenvorkommen und die Saarwirtschaft.
Als die Befreiungsarmee im Januar 1814 Saarbrücken erreichte, stand er im Zentrum der deutsch-patriotischen Partei. Der Zivilgouverneur Justus Gruner (1777-1820) ernannte am 17.3.1814 den 28-jährigen zum Bürgermeister. Mit der Ernennung war der Auftrag verbunden, an der Spitze eines Patriotischen Vereins die deutsch gesinnte Bevölkerung zu mobilisieren und die wehrbaren Männer zu aktivieren. Böcking beantragte schon nach wenigen Wochen aus beruflichen und privaten Gründen seine Entlassung, guten Glaubens, dass die Wiedervereinigung mit Deutschland eine entschiedene Sache sei. Groß war die Bestürzung, als entgegen aller Erwartungen der Pariser Frieden vom 30.5.1814 das Kerngebiet des ehemaligen Fürstentums Nassau-Saarbrücken und den altfranzösischen Saarlouiser Raum bei Frankreich beließ. Er lamentierte gegenüber deutschen Politikern und Patrioten und suchte publizistische Unterstützung bei Joseph Görres, der im „Rheinischen Merkur“ eine Korrektur der Entscheidung der Alliierten verlangte. Die Rückkehr Napoleons von der Insel Elba und der dadurch ausgelöste zweite Befreiungskrieg führte zur Chance einer Grenzkorrektur. In Saarbrücken bildete sich ein Bürgerkomitee, das für die Befreiung aus der französischen Herrschaft agitierte. Allen voran galt es den preußischen Staatskanzler Karl August von Hardenberg (1750-1822) zu gewinnen. Als dieser auf dem Weg nach Paris Saarbrücken durchquerte, wurde er am Abend des 10.7.1815 von einer Abordnung der deutsch-patriotischen Bürgerschaft in der Stadt festlich empfangen, und er versicherte, sich für den Wunsch einer Wiedervereinigung mit Deutschland, genauer gesagt mit Preußen, einzusetzen. Am folgenden Tag unterzeichneten 345 Bürger eine diesbezügliche Petition und wählten einen Ausschuss von sechs Bürgern, angeführt von Böcking und Carl Lauckhard (1776-1851), die für die Durchsetzung des Begehrens diplomatisch weiterhin aktiv bleiben sollten.
Mit einer Mehrheit von 26 zu elf Mitgliedern beschloss der Rat, Böcking und Lauckhard als Bevollmächtigte nach Paris zu entsenden, um bei den Alliierten für den Anschluss zu werben und eine Befreiung von den außerordentlichen Kriegslasten zu erwirken. Die rührigen Saarbrücker gewannen mit Karl Freiherr vom Stein (1757-1831), damals Berater des Zaren Alexander (1777-1825), noch einen weiteren wichtigen Verbündeten. Frankreich musste sich in den am 2.10.1815 vereinbarten Friedenspräliminarien mit der Abtretung abfinden. Völkerrechtlich sanktioniert wurde die Übereinkunft im Zweiten Pariser Frieden vom 20.11.1815.
Für Saarbrücken begann die preußische Herrschaft an der Saar und für Heinrich Böcking eine Karriere im preußischen Staatsdienst. Am 8.12.1815 wurde er in die Königliche Bergamts-Kommission berufen, auf die kommissarische Verwaltung folgte am 22.9.1816 die Errichtung des Königlichen Bergamts, dessen Leitung Bergmeister Leopold Sello übertragen wurde. Böcking war als Rendant Leiter des Finanzwesens. 1838 wurde er nach der Niederlegung seines Bürgermeisteramtes zum Bergrat, 1844 im Jahr der Pensionierung zum Oberbergrat ernannt.
Unbedingte Loyalität einerseits und großzügige königliche Gunst andererseits kennzeichneten die Beziehung zwischen Heinrich Böcking und der Hohenzollernmonarchie. Mit anderen Saarbrücker Beamten unterstützte er die Regierung durch eine Beobachtungs- und Informantentätigkeit. Nach der Julirevolution berichtete er über die französische Presse, die Lage in der Hauptstadt Paris und im lothringischen Grenzgebiet. Im November 1830 wurde er informeller Mitarbeiter des Leiters der preußischen Nachrichtenzentrale Karl Ferdinand Friedrich von Nagler (1770-1846). Die Berichtstätigkeit dauerte bis zum Jahre 1834, also bis in die Bürgermeisterzeit (1832-1838) hinein. Innenminister Ernst von Bodelschwingh (1794-1854) veranlasste 1831 nach höherer Anweisung, dass Heinrich Böcking zum Bürgermeister von Saarbrücken berufen wurde. Dieser trat das Amt am 1.1.1832 an, wobei er von seinen Verpflichtungen im Bergamt befreit und unter Fortzahlung seines Gehaltes beurlaubt wurde. Das war eine Vorwegnahme des modernen hauptamtlichen Bürgermeisters, da das Amt bis dato immer ehrenamtlich geführt wurde.
Merkmal der Amtsführung Heinrich Böckings war eine Stärkung der staatlichen Autorität und eine Bekämpfung jeglicher Opposition, sei sie sozial oder politisch motiviert. Andererseits war er durchaus ein Vertreter Saarbrücker Interessen, für die er sich an höchster Stelle einsetzte. So gelang unter seiner Amtszeit die Einrichtung eines Landgerichts in Saarbrücken. Die vorgesetzten Behörden in Trier und Koblenz hielten Böckings Streben für ungesetzlich und unzweckmäßig. Der persönlich in Berlin werbende Bürgermeister war jedoch erfolgreich, am 21.1.1835 erging die Kabinettsorder zur Errichtung des Landgerichts.
Während Heinrich Böcking in der Umsetzung der Sparkassenidee weniger erfolgreich war, gelangen ihm auf dem Gebiete karitativer Einrichtungen (Unterstützung armer Frauen, Kleinkinderbetreuung, Hospitalgründung) Fortschritte. Für die Ernennung zum Landrat erhielt er nicht die Unterstützung der vorgesetzten Behörden. Im Jahre 1837 sprach sich der Trierer Regierungspräsident wegen einer fehlenden theoretisch-wissenschaftlichen Ausbildung gegen ihn aus. Auch warf er ihm einen Neuerungseifer vor, der über die Grenzen der bestehenden Formen und Gesetze hinausgehe. Verärgert legte Böcking am 30.1.1838 das Bürgermeisteramt nieder und nahm den Dienst im Bergamt wieder auf. In den letzten Berufsjahren wandte er sich zunehmend gesamtwirtschaftlichen Fragen zu, wobei seine Beurlaubungen sehr großzügig genehmigt und finanziell geregelt wurden. 1839 führte ihn eine Studienreise nach England.
Seit 1838 kümmerte sich Heinrich Böcking ferner um die Hunsrückhütten, die seine Söhne 1835 von Friedrich Philipp Stumm, seinem Schwiegervater, geerbt hatten. Gegen Ende seiner Dienstzeit und nach der Pensionierung rückten die eisenindustriellen Interessen immer mehr in den Vordergrund. In Verbänden plädierte er für eine protektionistische Zollpolitik auf nationaler Ebene, wobei er sowohl in der Regierung als auch im rheinischen Unternehmertum auf Gegner stieß. 1858 siedelte er nach Bonn über, wo er einen geselligen Kontakt mit Freunden des rheinischen Altertums und alten Kollegen vom Bergfach pflegte und nach einem Schlaganfall am 6.5.1862 verstarb.
Literatur
Burg, Peter, Saarbrücken 1789-1860. Von der Residenzstadt zum Industriezentrum, Blieskastel 2000.
Hellwig, Fritz, Heinrich Böcking, in: Saarländische Lebensbilder 2 (1984), S. 117-159.
Klein, Hanns, Kurzbiographien der Bürgermeister (Alt)-Saarbrückens, St. Johanns, Malstatt-Burbachs und der Großstadt Saarbrücken, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 19 (1971), S. 510-538.
Klein, Hanns, Lokalpolitisches zur frühen Preußenzeit an der Saar, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 36 (1988), S. 83-123.
Online
Conrad, Joachim, Heinrich Böcking, in Saarland-Biographien. [Online]
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Burg, Peter, Heinrich Böcking, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-boecking-/DE-2086/lido/57c584c9580fe3.27932283 (abgerufen am 14.11.2024)