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Trotz nur rudimentärer akademischer Vorbildung stieg Heinrich von Dechen schnell in höchste Positionen der preußischen Bergverwaltung auf. Nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst setzte er seine bahnbrechenden geologischen Forschungen fort und engagierte sich in gelehrten Gesellschaften, als Vereinsgründer, Berater und Stifter.
Ernst Heinrich Carl von Dechen wurde am 25.3.1800 als zweiter Sohn des Geheimen Regierungsrats Ernst Theodor von Dechen (1768-1826) und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene Martinet (1773-1859) in Berlin geboren. Sein Vater, Spross einer 1684 geadelten Beamtenfamilie, war dort im preußischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten tätig. Über seine Mutter aus der hugenottischen Kolonie der Hauptstadt fand das Kind schon früh Zugang zur französischen Sprache. Sein Bruder Theodor (1795-1860) wurde Berufsoffizier. Die einzige Schwester starb bereits im Jugendalter. Nach Vorbereitung durch Privatlehrer besuchte Heinrich von Dechen ab 1813 das Berlin-Kölnische Gymnasium (“Graues Kloster”). Zum Abschluss 1818 wurde dem begabten Schüler das “Zeugnis unbedingter Tüchtigkeit für die Universität mit Vergnügen ertheilt”.
Zur Vorbereitung auf das Bergfach belegte er bereits während seiner Dienstzeit als Einjährigen-Freiwilliger in der 1. Garde-Pionierkompanie Vorlesungen in Geologie, Mineralogie, Chemie, Physik und Bergbaukunde. Diese kurze Studienzeit sollte seine ganze akademische Schulung bleiben, denn bereits im Herbst 1819 begann die praktische Ausbildung zum preußischen Bergbeamten im Steinkohlerevier des südlichen Ruhrgebiets. Ab Juli 1820 war er, nunmehr “königlicher Bergeleve”, mit technischen und markscheiderischen Verwaltungsaufgaben an den Bergämtern Bochum und Essen betraut. Zwei Jahre später folgte die erste seiner zahlreichen Erkundungs- und Studienreisen. Zusammen mit seinem Freund und späteren Schwager Karl von Oeynhausen (1795-1865) erforschte er vom Dürener Bezirk ausgehend die belgischen und nordfranzösischen Kohlereviere. Im Juni 1823 erreichten die beiden Paris, wo ihnen Alexander von Humboldt (1769-1859) den Weg zu weiteren Studien in Lothringen ebnete. Zurück in Berlin arbeitete Dechen die Reiseberichte aus und legte im März 1824 das Referendarexamen ab.
Vorausschauende Vorgesetzte gaben dem jungen Nachwuchsbeamten Gelegenheit, an verschiedenen Orten die Bergbautechnik der Zeit aus eigener Anschauung kennenzulernen. Gleichzeitig bedienten sie sich seiner Auffassungsgabe und Neugier, um Neuerungen aus dem industriell fortschrittlicheren Großbritannien für den preußischen Bergbau nutzbar zu machen. Unmittelbar nach Ernennung zum Bergassessor brach Dechen im September 1826 zu einer vierzehnmonatigen Studienreise durch England und Schottland auf. Sein Auftrag war die Erforschung der Steinkohle- und Erzbergwerke, insbesondere des Einsatzes von Dampfmaschinen zur Wasserhaltung und Förderung. Besonders interessiert zeigte sich die preußische Bergverwaltung an der Verwendung von Schienenwegen zum Materialtransport, die auch im Pionierland der Industrialisierung noch in den Kinderschuhen steckte.
Die erste berufliche Verwendung fand Dechen im August 1828 am Oberbergamt Bonn, wo er eine gründliche Untersuchung und Beschreibung der Lagerverhältnisse der Braunkohle im Brühler Revier leistete. Die Festanstellung erlaubte ihm zu heiraten. Die Verbindung mit Luise Gerhard (1799-1838) band ihn auch persönlich noch stärker an die Spitze der preußischen Bergverwaltung: Schwiegervater Carl Ludwig Gerhard (1768-1835) war seit 1810 Chef des gesamten Berg-, Hütten- und Salinenwesens in Preußen. Familiär blieben Dechen harte Schicksalsschläge nicht erspart. Seine Frau starb bereits 1838. Von den vier Kindern des Paares überlebte nur die zweite Tochter Elisabeth (1833-1894) ihren Vater. Sie heiratete 1859 den Bergassessor und Rittergutsbesitzer Max von dem Borne (1826-1894). Im November 1830 wurde Dechen ins Handelsministerium nach Berlin zurückbeordert, im Folgejahr zum Oberbergrat befördert. Als jüngstes Mitglied der Oberberghauptmannschaft oblag ihm die technische Seite der Bergaufsicht. In zehn Jahren lernte er auf größeren Dienstreisen alle preußischen Bergwerkdistrikte kennen und stieß dabei immer wieder Projekte der Nutzung von Schienenwegen an. Daneben lehrte er 1834-1841 an der Berliner Universität. Die formale Voraussetzung für die Ernennung zum außerordentlichen Professor schuf die Universität Bonn, indem sie dem Autor zahlreicher Veröffentlichungen, unter anderem zum Vulkanismus in Eifel und Siebengebirge, für seine wissenschaftlichen Verdienste den Dr. h.c. verlieh.
Früh und an älteren Kollegen vorbei wurde Dechen zum Berghauptmann befördert. Als Nachfolger von Ernst August Graf Beust (1783-1859) rückte er 1841 an die Spitze des Oberbergamtes Bonn, von wo aus der Rheinische Haupt-Bergdistrikt, eine der fünf Regionen der preußischen Bergaufsicht, verwaltet wurde. Es ist davon auszugehen, dass Dechen zielstrebig auf diesen beruflichen Einsatz hingearbeitet hat, bildete doch die geologische Durchforschung und Kartierung der Rheinlande und Westfalens den Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Interessen. In Bonn wolle er sein Leben beenden, schrieb er bereits 1842. Das schloss einen letzten Karrieresprung an die Spitze der preußischen Bergverwaltung in Berlin aus. Ohnehin war er aus beruflichen Gründen oft von Bonn abwesend, zur Bereisung des großen rheinischen Reviers, auf Studienreisen im Ausland oder zur Mitarbeit am neuen preußischen Berggesetz in Berlin. Während des Winters 1859/1860 leitete er interimistisch die Abteilung V (Berg-, Hütten- und Salinenwesen) im Preußischen Handelsministerium. Alle Aufforderungen, in Berlin zu bleiben (und damit in die Fußstapfen seines Schwiegervaters zu treten), lehnte er ab. Die Amtsbezeichnung “Oberberghauptmann” durfte er dennoch als Ehrentitel mit nach Bonn zurücknehmen.
Doch auch in der alten Position war die Vereinbarkeit von beruflicher Pflicht und privater Lebensplanung bedroht. Das von seinem Justiziar Hermann Brassert ausgearbeitete und 1865 in Kraft gesetzte moderne preußische Bergrecht legte den Direktoren der Oberbergämter zusätzliche Verwaltungsarbeit auf. Um Zeit und Freiheit für seine wissenschaftliche Arbeit zu gewinnen, beantragte Dechen Ende 1863 seinen Abschied. Auch Fachkollegen, Oberpräsident und der Handelsminister vermochten ihn nicht umzustimmen. Über Jahrzehnte war er an allen Grundsatzentscheidungen im preußischen Bergwesen beteiligt gewesen. Schon früh hatte er auf die Verbreitung der westfälischen Steinkohle nach Norden sowie nach Westen unter der Rheinniederung hingewiesen. In seine Bonner Zeit fiel die Förderung des Saarbergbaus, einschließlich der Verbesserung von Schifffahrt und Eisenbahnanbindung. Eine besondere Sorge galt der Hebung der Lebensbedingungen der Bergleute.
Finanziell unabhängig, persönlich genügsam und von robuster Gesundheit konnte Dechen im Ruhestand Wissen und Erfahrung großzügig weitergeben. Zahlreiche Bedürftige unterstützte er aus Privatmitteln. Behörden, Bergwerksunternehmen und Bahngesellschaften suchten seinen Rat. Die Rheinische Eisenbahngesellschaft, deren Administrationsrat er 30 Jahre lang angehörte, revanchierte sich durch hohe Zuwendungen an den “Verschönerungsverein für das Siebengebirge”, deren Gründungsmitglied und langjähriger Präsident Dechen war. Für seine Hilfe bei der Erhaltung der alten Aachener Thermalquelle und der Anlage einer Wasserleitung erhielt er 1880 die Ehrenbürgerwürde der Kaiserstadt. Schon zu Lebzeiten benannte die Stadt Bonn, der er als Stadtverordneter (1846-1889) und technischer Berater diente, jene Straße nach ihm, in der er seit 1873 wohnte. Ein Schlaganfall im November 1886 setzte seinen Aktivitäten ein Ende. Nach zwei Jahren Siechtum starb Dechen am 15.2.1889 und wurde drei Tage später unter großer Teilnahme der Bevölkerung auf dem Alten Friedhof in Bonn beigesetzt.
Literatur
Berres, Friedrich, Heinrich von Dechen, Dr. Hugo Laspeyres. Erinnerung an zwei Persönlichkeiten, in: Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 2001, Siegburg 2000, S. 30-33.
Laspeyres, Hugo, Heinrich von Dechen. Ein Lebensbild, Bonn 1889.
Roemer, Ferdinand, H. von Dechen, in: Neues Jahrbuch für Mineralogie 1889, Teil 1, S. 10-22 [mit Verzeichnis der Schriften Heinrich von Dechens].
Schmidt, Georg, Die Familie von Dechen (erloschen 15. Februar 1889), Rathenow 1889.
Online
Quiring, Heinrich, „Dechen, Ernst Heinrich Karl von“, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 540-541. [Online]
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Vogt, Helmut, Heinrich von Dechen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-von-dechen/DE-2086/lido/57c690c2883f90.39720071 (abgerufen am 03.12.2024)