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Mit dem Namen Helmut Horten ist eine der bedeutendsten Karrieren des deutschen Wirtschaftswunders verbunden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs baute der gelernte Textilkaufmann von seinem Duisburger Stammhaus aus eine der größten Kaufhausketten Deutschlands auf. Als sich Horten 1971 ins Privatleben zurückzog, umfasste sein Firmenimperium bundesweit 51 Warenhäuser mit 25.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund einer Milliarde Euro.
Helmut Horten wurde am 8.1.1909 in Bonn geboren. Er entstammte einer Juristen- und Beamtenfamilie, die ihre Wurzeln im niederrheinischen Kempen hat und sich bis etwa 1710 zurückverfolgen lässt. Helmut Horten hatte einen älteren Bruder, Rudolf Anton Josef Horten (geboren 1907) und eine jüngere Schwester, Gisela Josefa Emilie (geboren 1916). Der Vater Josef Emil August Horten (geboren 1880) stammte aus Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) und war 1904 nach dem Tod seines Vaters mit seiner Mutter Sidonie Sophie Kreuser (geboren 1849) und seinen Geschwistern aus Leipzig nach Bonn gezogen. Hier war er als Gerichtsreferendar und als Amtsgerichtsrat tätig und bekleidete später am Oberlandesgericht in Köln das Amt des Senatspräsidenten. Die Mutter Helene Horten, geborene Bieger (geboren 1880) stammte aus Boppard. Die Familie lebte bis 1915 in Bonn, anschließend in Gemünd in der Eifel.
Nach dem Abitur in Köln 1928 entschied Helmut Horten sich gegen ein Studium und für eine kaufmännische Lehre. Er ging nach Düsseldorf und ließ sich bei der Leonhard Tietz AG – der späteren Kaufhof AG – zum Textilkaufmann ausbilden. Die ersten Schritte als selbstständiger Unternehmer machte Horten im Alter von 27 Jahren. Begünstigt von der „Arisierungs"-Politik der Nationalsozialisten übernahm er 1936 das Duisburger Textilkaufhaus „Gebrüder Alsberg" zu einem äußerst günstigen Preis von den jüdischen Vorbesitzern, die zur Emigration getrieben worden waren. Ermöglicht wurde die Übernahme durch die Commerz- und Discontobank AG, dem Vorgängerinstitut der Commerzbank AG, unter der Führung Wilhelm Reinolds (1895-1979), einem Freund der Familie Horten. Bis 1939 folgten sechs weitere Kaufhausgründungen in Wattenscheid, Gevelsberg, Bielefeld, den ostpreußischen Städten Königsberg, Marienburg sowie Marienwerder in Westpreußen.
Die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg unterbrach vorerst die Karriere Hortens: Weil er während des Krieges als Reichsverteiler für die Versorgung bombengeschädigter westdeutscher Städte mit Textilien zuständig gewesen war, verbrachte er 1947/1948 etwa anderthalb Jahre in einem britischen Internierungslager in Recklinghausen. Mit einem Hungerstreik erzwang Horten schließlich seine Entlassung. Pünktlich zur Währungsreform 1948 konnte sich der Geschäftsmann dem Wiederaufbau seines Unternehmens widmen. Hierbei griff er unter anderem auf Warenbestände zurück, die er in seiner Funktion als Reichsverteiler in den letzten Kriegsmonaten versteckt gelagert hatte.
Schon am 1.12.1948 eröffnete der umtriebige Unternehmer in Duisburg mit dem legendären „Bau der hundert Tage" den ersten großen Kaufhausneubau nach dem Krieg. Bald kamen zwei Filialen in Emmerich und Geldern dazu. Eine ganz neue Ebene erklomm Horten jedoch zu Beginn der 1950er Jahre. 1952 kaufte der rheinische Warenhausbesitzer der in die Vereinigten Staaten emigrierten jüdischen Familie Schocken die „Merkur"-Kette mit ihren elf Häusern ab. Zwei Jahre später folgte der nächste Coup: Nach langwierigen Verhandlungen kaufte Horten dem ebenfalls in den USA lebenden jüdischen Firmenmagnaten Jacob Michael (1894-1979) die Aktien der „Emil Köster AG" ab. Die Firma betrieb damals unter dem Namen „Defaka" (Deutsches Familien Kaufhaus) 19 Warenhäuser in der jungen Bundesrepublik.
Mit diesen Expansionen wurde die „Helmut Horten GmbH", deren alleiniger Gesellschafter ihr Gründer war, zur Nummer vier unter den deutschen Kaufhausketten – hinter Karstadt, Hertie und Kaufhof. Die nächsten Jahre verbrachte Horten damit, sein zusammengekauftes Geschäftsimperium neu zu organisieren. Keine einfache Aufgabe, schließlich war die Merkur-Stammkundschaft, die aus der Arbeiterschaft kam, grundverschieden von der finanziell besser gestellten Defaka-Klientel. Den offiziellen Schlusspunkt dieses Prozesses markiert 1961 der Umzug in die neue Firmenzentrale an der Theodor-Heuss-Brücke in Düsseldorf.
Im Zuge dieser Aufgabe tat sich Horten auch als Visionär seiner Branche hervor. Auf der Suche nach einem passenden Geschäftsmodell für seine heterogene Kundschaft ließ er sich von amerikanischen Vorbildern inspirieren und führte als einer der ersten das Modell des Warenhauses mit Voll-Sortiment in Deutschland ein, bei dem man fast alles, was man zum täglichen Leben brauchte, unter einem Dach fand. Sein Unternehmen wuchs derweil immer weiter. 1962 erwirtschafteten seine Kaufhäuser erstmals einen Umsatz von mehr als 1 Milliarde Mark.
Charakteristisches Merkmal vieler Horten-Kaufhäuser wurde die von dem Architekten Egon Eiermann (1904-1970) konzipierte Aluminiumkachelverkleidung, auch bekannt als „Hortenkacheln".
1968, auf dem Höhepunkt seines Erfolges, entschied sich Horten, schrittweise aus seinem eigenen Unternehmen auszusteigen. Er wandelte die GmbH in eine Aktiengesellschaft um und verkaufte von 1969 bis 1971 in mehreren Schritten alle Aktien, wovon sich die Deutsche Bank und die Commerzbank zusammen 25 Prozent sicherten. Der amerikanische Zigarettenkonzern BAT kaufte weitere 25 Prozent. Die andere Hälfte wurde an der Börse breit gestreut. Hortens Gewinn: Je nach Schätzung 1,2 bis 1,4 Milliarden Mark.
Über die Gründe von Hortens Rückzug wurde in der zeitgenössischen Presse heftig spekuliert: Dem „Kaufhaus-König" missfiel offenbar die Richtung, in die die deutsche Politik steuerte. Horten stand der FDP nahe; in seiner Düsseldorfer Villa trafen sich Anfang der 1960er Jahre liberale Spitzenpolitiker mit Unions-Größen wie Franz-Josef Strauß (1915-1988) zu vertraulichen Kamingesprächen, um eine Anbindung der Freidemokraten an die Union zu sondieren. Die sozial-liberale Koalition aus SPD und FDP hielt der konservative Unternehmer, der eine Vorliebe für starke Männer hatte, für den falschen Weg. Einen familiären Kontakt in die Politik besaß Helmut Horten über seinen Vetter Alphons Horten (1907-2003), der als CDU-Abgeordneter von 1965 bis 1972 Mitglied des Bundestages war.
Vom ökonomischen Blickwinkel kam der Verkauf gerade zum rechten Zeitpunkt: Der Kaufhaus-Boom befand sich um 1970 auf dem absoluten Höhepunkt, später wäre der Verkaufspreis für sein Imperium infolge von Ölkrise, Rezession und der wachsenden Konkurrenz durch Selbstbedienungsläden deutlich kleiner ausgefallen. In den 1980er Jahren geriet das Unternehmen immer stärker in wirtschaftliche Schieflage. 1994 wurden die Horten-Kaufhäuser schließlich vom Konkurrenten Kaufhof übernommen.
Den öffentlichen Zorn zog Horten auf sich, weil er den milliardenschweren Verkaufserlös aufgrund einer Gesetzeslücke an den Steuerbehörden vorbei in die Schweiz schleuste. Dort musste der frisch gebackene Milliardär, der seit 1968 in Croglio im Tessin lebte, nur einen Bruchteil der deutschen Steuern zahlen. Um dergleichen in Zukunft zu verhindern, beschloss der Bundestag daraufhin eine „Lex Horten".
Das Verhältnis zwischen dem kinderlosen Milliardär und seinem Heimatland zerbrach über diesem Streit. Der ursprüngliche Plan, sein Vermögen nach seinem Tod auf seine Düsseldorfer Stiftung zu übertragen, kam nie zur Anwendung. Stattdessen gründete Horten in der Schweiz und in Österreich zwei Stiftungen, die medizinische Forschung unterstützen. Daneben führte er das mondäne Leben eines milliardenschweren Privatiers: Er kaufte unter anderem mehrere Luxusanwesen auf verschiedenen Kontinenten und ließ sich riesige Luxusjachten bauen. 1983 geriet er noch einmal in das Schlaglicht der politischen Öffentlichkeit, als er die fast bankrotte FDP mit einer Spende in Höhe von sechs Millionen Mark unterstützte.
Bereits 1971 gründete Helmut Horten die Stiftung Villalta, welche nach seinem Tod 1987 in Helmut Horten Stiftung umbenannt wurde, mit einem Startkapital von einer Million Schweizer Franken. Stiftungszweck ist die Förderung des Gesundheitswesens durch die Unterstützung von Forschungseinrichtungen, Krankenhäusern sowie Personen, die im medizinischen Sinne bedürftig sind. Bis zu seinem Tod hatte Horten das Stiftungskapital auf bis auf 60 Millionen Franken erhöht. Zuvor hatte er der Stadt Kempen, dem Ursprungsort seiner Familie, bereits in den 1970er Jahren Gelder zum Bau öffentlicher Einrichtungen gespendet.
Am 30.11.1987 starb Helmut Horten in seinem Wohnort Croglio. Alleinerbin seines inzwischen auf über drei Milliarden Mark angewachsenen Vermögens wurde seine zweite Ehefrau; Horten hatte die 32 Jahre jüngere Sekretärin Heidi Jelinek (geboren 1941) 1966 geheiratet.
Literatur
Eglau, Hans Otto, „Helmut Horten. Die goldenen zwanzig Jahre", in: Eglau, Hans Otto, Die Kasse muss stimmen. So hatten sie Erfolg im Handel. Von der Kleiderdynastie Brenninkmeyer über die Discountbrüder Albrecht bis zur Sexversenderin Beate Uhse, Düsseldorf 1972, S. 121–142.
Engelmann, Bernt/Wallraff, Günter, Ihr da oben – Wir da unten, 3. Auflage, Köln 1994.
„Helmut Horten - Gestalter modernen Einzelhandels", in: Niederrheinkammer, Zeitschrift der niederrheinischen Industrie- und Handelskammer 39 (1983), S. 35.
Niesen, Josef, Bonner Personenlexikon, 2. Auflage, Bonn 2007, S. 154-155.
Online
Heinrich-Horten-Straße. Stammvater der Kaufhausdynastie(Information über die Anfänge der Familie Horten in Kempen auf der Website der Stadt Kempen).
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Thiel, Thomas, Helmut Horten, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/helmut-horten/DE-2086/lido/57c8342d34f841.10221268 (abgerufen am 07.12.2024)