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Douverman war einer der bedeutendsten Holz-Bildschnitzer des Niederrheins im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts – vergleichbar mit einem Tilman Riemenschneider (um 1460-1531) im fränkischen Raum. Beide Künstler vermögen es, einem relativ spröden Material mit größter Kunstfertigkeit neue Ausdrucksformen abzuringen, und favorisieren die Holzsichtigkeit ihrer Werke. Im Unterschied zu Riemenschneider, der nur Skulpturen schnitzte, wird Douverman auch als Entwerfer von Retabelarchitekturen sowie als ausführender Gestalter von Schreinen und Ornamenten anzusprechen sein.
Zwar sind Douvermans biographische Daten nur unzureichend archivalisch gesichert, doch es darf aufgrund stilistischer Übereinstimmungen angenommen werden, dass der um 1480 in Dinslaken geborene Bildschnitzer vor 1506 von Dries Holthuis in Kleve ausgebildet worden ist. Grundlage hierfür bieten die um 1502 geschaffenen Skulpturen der Heiligen Johannes Evangelist und Andreas im Apostelzyklus der ehemaligen Minoritenkirche St. Mariä Empfängnis in Kleve. Die Figuren zeigen bereits eine zunehmende Eigenständigkeit gegenüber den anderen Aposteln, die von seinem Lehrer Holthuis und seinem Mitschüler Henrick van Holt (circa 1480/1490-1545/1546) ausgeführt worden sind. 2003 erkannte Barbara Rommé in der Figur der Anna innerhalb einer Anna-Selbdritt-Gruppe (Museum Kurhaus Kleve) ein Frühwerk Douvermans, möglicherweise sein Gesellenstück.
Nachfolgend wird sich Douverman auf Wanderschaft begeben haben, mit hoher Wahrscheinlichkeit in die südlichen Niederlande. Konträr gegenüber stehen sich in der aktuellen Forschung die Ansicht Rommés, dass Douverman vermutlich von den Ulmer Bildschnitzern Jörg Syrlin dem Älteren (um 1425-1491) und Jörg Syrlin dem Jüngeren (um 1455-1521) beeinflusst worden sei, und diejenige Goeltzers, der eine Auseinandersetzung Douvermans mit der Ulmer Bildschnitzkunst verneint. Gesichert ist zumindest, dass Douverman 1510 den Auftrag übernommen hat, das Klever Marien-Retabel, das 1944 weitgehend zerstört wurde, für die ehemalige Stifts- und heutige katholische Pfarrkirche St. Mariä Himmelfahrt konzeptionell zu entwerfen – sowohl die Visierung als auch die Retabelarchitektur gehen auf ihn zurück; die figürlichen Teile wurden hingegen von der Holthuis-Werkstatt ausgeführt. Auf etwa 1510 werden auch die Skulpturen der Muttergottes und des Johannes Evangelist in der Klever Stiftskirche datiert. Wohl aufgrund von Schulden – Douverman war in Kleve vertragsbrüchig geworden und hatte eine hohe Konventionalstrafe zu zahlen – und wegen eines „unmoralischen“ Lebenswandels verließ er die Stadt und übersiedelte um 1515 nach Kalkar, wo er seit 1517 als Bürger nachweisbar ist.
In Kalkar schuf Douverman zwischen 1518 und 1521 im Auftrag der Bruderschaft Unserer Lieben Frau für den nördlichen Seitenchor der Pfarrkirche St. Nikolai das imposante, über sieben Meter hohe Altarretabel der Sieben-Schmerzen-Mariens. Es bleibt sein einziges archivalisch gesichertes Werk. Die Retabelarchitektur mit Gefachaufteilung sowie der Schreinumriss zeigen den Einfluss Antwerpener Altaraufsätze, das Gesprenge hingegen verweist auf süddeutsche, insbesondere Ulmer Vorbilder. Ausgehend von der Figur des Stammvaters Jesse in der Predella rankt sich das virtuos gestaltete Astwerk um die weiteren Vorfahren Jesu, die gleichsam inhaltlich die Erzählhandlung der Gefache des Schreinkastens rahmen. Das spröde Eichenholz scheint seinen eigenen Bedingungen entbunden, es biegt und windet sich und gipfelt in einem hochaufragenden Gesprenge. Um ein neugotisches Vesperbild, das ein altes Gnadenbild ersetzt, gruppieren sich sieben Bühnenkästen mit den Szenen „Sturz der Götterbilder bei der Flucht nach Ägypten“, „Der 12-jährige Jesus im Tempel“, „Die Kreuztragung Christi“, „Volkreicher Kalvarienberg“, „Die Kreuzabnahme“, „Grablegung“ und „Die Darbringung im Tempel“. Neben dem Rankenwerk, das den Schreinkasten rahmt und in das weitere Figuren integriert sind, sind die volutenartig gerollten Fialen des Gesprenges von besonderer Kunstfertigkeit. Den krönenden Abschluss bildet die Skulptur einer Madonna mit Kind im Strahlenkranz. Auf diese weist – auf der Spitze der linken Achse des geschweiften Schreins stehend – die Tiburtinische Sybille den vor ihr sitzenden König Augustus hin. Als Pendant dient auf dem rechten Kielbogen Johannes auf Patmos mit dem Engel der Apokalypse. Einzig die drei Gekreuzigten sind farbig gefasst, die gesamten übrigen Teile sind holzsichtig.
Aus der Kalkarer Dominikanerkirche in die dortige Nikolaikirche wurde die monumentale, um 1530 geschaffene, 165 Zentimeter hohe Statue der Heiligen Maria Magdalena überführt. Ihr belebtes üppiges Faltengefüge, ganz Ausdrucksträger, kontrastiert zu ihrer zarten Physiognomie. Sehr differenziert sind die Haare, die große Haube sowie Halsbesatz und Schmuck ausgearbeitet. Einer anderen Stilstufe hingegen ist die 89 Zentimeter hohe Statue von Johannes dem Täufer verpflichtet, der in seiner gedrehten Körperhaltung und mit überlängten Gliedern manieriert wirkt.
Eine weitere Tätigkeit für die Kalkarer Nikolaikirche übernahm Douverman 1528/1529 mit der ‚Modernisierung’ des 1508 von Henrik Bernts (um 1450-1509) begonnenen und von Kerstken van Ringenberg (seit 1508 Kalkarer Bürger, gestorben vor 1532) fortgeführten Marienleuchters.
Des Weiteren ist Douvermans konzeptionelle Arbeit an dem nach 1530 geschaffenen Marienretabel im Xantener Dom nachweisbar. In der Predella wird in gleicher Weise wie im Kalkarer Retabel ein Wurzel-Jesse-Programm entwickelt, das Douverman erneut virtuos inszeniert. Die Ausführung der figürlichen Teile, des Mittelschreins sowie des Gesprenges darf hingegen Douvermans Konkurrenten Henrik van Holt und dessen Schüler Arnt van Tricht zugeschrieben werden. Die Xantener Predella präsentiert sich als Übergangswerk zu Douvermans Spätstil, in dem die Körperhaftigkeit der Skulpturen stärker betont wird und die Gesichter naturalistischere Züge erhalten.
Sein Gesamtoeuvre bereichern darüber hinaus Einzelskulpturen beziehungsweise Figurengruppen, so unter anderem eine Muttergottes und eine um 1518/1520 geschaffene Heilige Ursula im Amsterdamer Rijksmuseum, eine zeitgleich entstandene Heilige Margaretha im Berliner Bodemuseum, ein um 1521 geschaffenes Kruzifix im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum sowie eine Heimsuchungsgruppe im Kölner Diözesan-Museum. Chronologisch zwischen dem Sieben-Schmerzen-Marien-Retabel in Kalkar und der Xantener Predella werden unter anderem ein kreuztragender Christus in Pfalzdorf (heute Stadt Goch), ein Christophorus in Utrecht, ein Kruzifix in Kempen, der Heilige Jacobus in Grieth (heute Stadt Kalkar), der Heilige Anthonius in Cuijk sowie eine Verkündigungsgruppe (heute Kolumba. Kunstmuseum des Erzbistums Köln) entstanden sein.
Henrik Douverman starb 1543/1544 in Kalkar.
Literatur
Goeltzer, Wolf Goeltzer, Douverman, Henrik, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Band 29, Berlin 2001, S. 225.
Kirschel, Roland, Mediensynthesen in der spätmittelalterlichen Sakralkunst. Das Altarbild als Kulisse für liturgische Gegenstände und Handlungen, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 69 (2008), S. 73-168.
Rommé, Barbara (Bearb.), Gegen den Strom, Meisterwerke niederrheinischer Skulptur in Zeiten der Reformation 1500-1550, Katalog, Suermondt-Ludwig-Museum, Berlin 1997.
Rommé, Barbara, Dries Holthuys. Ein Meister des Mittelalters aus Kleve. Anmerkung zu Ausstellung und Katalog, Museum Kurhaus Kleve, und zu einem neuentdeckten Frühwerk des Henrick Douverman, in: Kunstchronik 56 (2003), S. 415-422.
Rommé, Barbara, Henrick Douwerman und die niederrheinische Bildschnitzkunst an der Wende zur Neuzeit, Bielefeld 1997 [mit Werkverzeichnis].
Schulze-Senger, Christa, Die spätgotische Altarausstattung der St. Nicolaikirche zu Kalkar. Aspekte einer Entwicklung zur monochromen Fassung der Spätgotik am Niederrhein, in: Krohm, Hartmut/Oellermann, Elke (Hg.), Flügelaltäre des späten Mittelalters, Berlin 1992, S. 23-36.
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Wolff-Thomsen, Ulrike, Henrik Douverman, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/henrik-douverman-/DE-2086/lido/57c69763aa3520.12150348 (abgerufen am 05.12.2024)