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Hermann Josef Stübben gehörte nach der Reichsgründung im Jahr 1871 zu den Wegbereitern des modernen Städtebaus. Ab 1881 zeichnete er für die Stadterweiterung Kölns und die Bauplanung der Neustadt verantwortlich - ein Großprojekt, welches ihm europaweit hohe Anerkennung verschaffte und ihn zu einem der renommiertesten Fachleute seiner Zeit aufsteigen ließ. Ebenso gaben seine Entwürfe Aachen, Koblenz, Düsseldorf, Saarlouis und weiteren rheinischen Städten ein prägnantes, modernes Gepräge.
Stübben wurde am 10.2.1845 als erstes von zehn Kindern in Hülchrath im damaligen Kreis Grevenbroich (heute Stadt Grevenbroich im Rhein-Kreis Neuss) geboren. Der Vater Franz Joseph (1821-1900) war Holzhändler, die Mutter (Anna) Sophie geborene Wyrich (1821-1897) entstammte einer Bauernfamilie. Stübben besuchte höhere Schulen und erwarb 1863 in Düsseldorf das Reifezeugnis. Nach einem Praxisjahr begann er 1864 ein Studium an der Bauakademie in Berlin, wo er 1866 die Prüfung als Bauführer bestand. 1871 legte er das Staatsexamen ab und wurde mit einem Reisestipendium ausgezeichnet. 1904 erhielt er in Anerkennung seiner Leistungen im Städtebau von der Technischen Hochschule Karlsruhe die Ehrendoktorwürde, 1925 folgte die der Universität Münster.
Einen Monat nach seinem Baumeister-Examen wurde Stübben von der Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft angestellt. In nun gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen heiratete er 1871 seine langjährige Verlobte Ottilie Wortmann (1845-1916). 1876 wurde der erst 31-jährige zum Stadtbaumeister in Aachen gewählt. Hier hatte er die Hoch- und Tiefbauarbeiten der Stadt zu verantworten, wozu auch der Badehausbau zählte.
Entscheidender war Stübbens städtebauliche Tätigkeit. Als 1878 in Aachen einer der ersten deutschen Wettbewerbe um Pläne für ein neues Wohngebiet durchgeführt wurde – im Rheinland war es der erste städtebauliche Wettbewerb überhaupt – gewann er diesen grandios. 1879 legte er außerdem einen Entwurf zur Entwicklung der gesamten Stadt Aachen vor, der jedoch nicht für eine unmittelbare Realisierung vorgesehen war. Stübben folgte damit einem neuen, zweistufigen Verfahren, das Reinhard Baumeister (1833-1917) entwickelt hatte, wobei zunächst die Bebauungsplanung in groben Zügen bestimmt wurde, während die Details einzelner Stadtviertel für einen weiteren Schritt offen blieben. Diese Idee der Vorschau und Diskussion zukünftiger Entwicklungen und Planungen ermöglichte erst eine Stadtplanung im modernen Sinne.
1881 wechselte Stübben von Aachen nach Köln, um nach einem 1880 gemeinsam mit Karl Henrici (1842-1927) gewonnenen Wettbewerb hier die Stadterweiterung zu planen und auszuführen. Nach der vom Kölner Oberbürgermeister Heinrich Becker betriebenen Niederlegung der mittelalterlichen Befestigungsanlagen eröffnete sich Stübben hier ein Aufgabengebiet, dessen Größe und Bedeutung Köln zu einer der entscheidenden Stationen seines Lebens werden ließ. Nach fünf Jahren wurde die neue Ringstraße eröffnet, die – bald ein Schmuckstück der Stadt – weithin Aufmerksamkeit auf Köln und den Stadtplaner Stübben zog.
Ende 1890 erschien Stübbens Werk „Der Städtebau" als Teil des „Handbuches der Architektur". Bis dahin hatte es nichts Vergleichbares gegeben. Das Buch wurde ein Standardwerk, das über den deutschsprachigen Raum hinaus wirkte und bis 1924 in drei Auflagen erschien. Stübben wurde damit zu einem weithin anerkannten Fachmann. In Köln war ihm bereits 1889 als einem der ersten rheinischen Baubeamten der Titel Stadtbaurat verliehen worden. 1892 wurde er zum besoldeten Beigeordneten der Stadt Köln gewählt. Im gleichen Jahr erhielt er den Titel eines Baurats, dem 1897 die Ernennung zum Geheimen Baurat folgte.
Die erfolgreiche Durchführung der Kölner Stadterweiterung, Verbandsarbeit und seine zahlreichen Schriften hatten Stübben bald auch über die nationalen Grenzen hinaus bekannt gemacht. 1895, beim internationalen Architekten-Kongress in Brüssel, war er eingeladen, mit König Leopold II. von Belgien (Regentschaft 1865-1909) den Erweiterungsentwurf für Brügge zu besprechen. Der als „le Roi bâtisseur" bekannte Leopold bahnte ihm in den folgenden Jahren den Weg für weitere Arbeiten in Antwerpen, Brüssel, Löwen, Lüttich, Ostende, Tournai und weiteren belgischen Städten.
Aber auch im Rheinland erhielt er immer wieder wichtige Aufträge. So erstellte er für Koblenz 1889 den so genannten Stübben-Plan, der eine Erweiterung der Stadt nach der zuvor erfolgten Schleifung der Stadtmauer vorsah. Ebenso plante er die Erweiterung der ehemaligen Festungsstadt Saarlouis, die 1895 von ihren Festungsmauern befreit worden war. Auch in Düsseldorf und Heerdt-Oberkassel (heute Stadt Düsseldorf) hat Stübben seine Spuren hinterlassen. In Heerdt entstand nach seinen Prinzipien der vornehme Stadtteil Oberkassel als ein in geschlossenem Blocksystem bebautes Wohngebiet.
In Köln wurde Stübben 1898 Vorstandsmitglied der „Helios Actien-Gesellschaft für elektrisches Licht und Telegraphenbau in Ehrenfeld und Köln", eine Position, die er bis 1901/1902 innehatte. Er arbeitete in Köln als selbständiger Architekt, reiste viel, schrieb Aufsätze über den Städtebau, war als Gutachter tätig und entwarf Pläne für Stadterweiterungen. In dieser Zeit trat er nachdrücklich für die Förderung von Klein- und Arbeiterwohnungen ein. 1899/ 1900 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des „Rheinischen Vereins zur Förderung des Arbeiter-Wohnungswesens", der gemeinnützige Baugesellschaften unterstützte.
1904 siedelte Stübben von Köln nach Berlin über, um als Oberbaurat im Rang eines Oberregierungsrats für das preußische Finanzministerium die aufgelassenen Festungsanlagen von Posen in eine Neustadt umzuwandeln. 1910 stieg er zum Geheimen Oberbaurat im Rang der Räte II. Klasse auf, womit er den Regierungspräsidenten gleichkam; außerdem wurde er Mitglied der Preußischen Akademie des Bauwesens.
Die Not- und Inflationsjahre nach dem Ersten Weltkrieg erlebte Stübben in Münster, wo er als über 80-jähriger zwar keine öffentlichen Ämter mehr bekleidete, aber weiter als Stadtplaner arbeitete. Höhepunkte dieser Zeit waren Siege in Wettbewerben für Bilbao (1926) und Madrid (1930) sowie die Berufung als Sachverständiger für die Abgrenzung der Vatikanstadt in Rom (1929). Bei allen Erfolgen blieben ihm die neuen Ideen der Moderne, wie sie beispielsweise Le Corbusier (1867-1965) vertrat, doch unverständlich. Er erkannte zwar die spektakuläre Bedeutung von dessen Neuplanung für die Innenstadt von Paris und stellte sie 1929 in der „Deutschen Bauzeitung" vor, hielt sie aber wie viele seiner Zeitgenossen für zu radikal und zu übertrieben, auf jeden Fall für wirklichkeitsfremd und unausführbar.
Am 8.12.1936 starb Stübben hoch geehrt im Alter von fast 91 Jahren in Frankfurt am Main. Er wurde in Berlin auf dem Friedhof Grunewald beigesetzt.
Zur Beurteilung von Stübbens Werk ist oft auf die erstaunliche Größe und den Umfang seines Werkes verwiesen worden. Er verfasste über 90 verschiedene städtebauliche Entwürfe, nahm an rund einem Dutzend städtebaulicher Wettbewerbe teil, von denen er viele gewann. Er war selbst oft Preisrichter, darunter bei dem für die weitere Entwicklung der Disziplin so wichtigen Wettbewerb in München 1893. Die überwiegende Zahl seiner städtebaulichen Arbeiten erfassste Städte im Deutschen Reich; weitere entstanden für belgische Städte, etliche auch für Italien, Schweden, Spanien, Luxemburg und die Schweiz. Drei Viertel seiner Arbeiten für deutsche Städte entfielen auf preußische, davon wiederum etwa 40 Prozent auf rheinische Städte. Diese Zahlen unterstreichen nicht zuletzt die Bedeutung von Stübbens Werk für das Rheinland.
Für Stübben war klar, dass eine moderne Stadt nicht schön sein konnte, wenn sie nicht bestimmte wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen erfüllte und auch den praktischen Anforderungen von Verkehr und Gesundheit entsprach. Stübbens Entwürfe waren zweckmäßig und ausführbar. Wohl deshalb war er einer der meistbeschäftigten und erfolgreichsten Städtebauer seiner Zeit. Diese Orientierung an der Praxis brachte es mit sich, dass Stübben sich wie kaum einer seiner Kollegen auch mit Details des Städtebaus befasste, die heute nebensächlich erscheinen. So behandelte er Fragen des Straßenbahnantriebs, der Straßenpflasterung und -beleuchtung, der Straßenbeschilderung oder auch der öffentlichen Bedürfnisanstalten. Er sah in solchen Details keineswegs Marginalien, sondern Dinge, die für die ästhetisch und funktional gelungene Realisierung des Entwurfs wichtig waren. Erst die Beschäftigung mit dem Detail erlaubte eine im ganzen durchdachte und zweckmäßige Stadt.
In diesem Sinne nutzte Stübben auch das Instrument der abgestuften Bauweise gleichermaßen zur Förderung der Gesundheit wie zur Beschränkung der Bodenpreise und zur schönen Abwechslung der Straßenbilder. Diese Verknüpfung von Kosten, Nutzen und Schönheit ist wohl ebenso charakteristisch für sein Werk wie für andere erfolgreiche Epochen des Städtebaus. Das Prinzip der malerischen Abwechslung, das heißt die Verbindung von Wechsel und Schönheit, ist für den Städtebau um 1900 ebenso charakteristisch wie für die Baukunst des Historismus überhaupt. Erfüllten Stübbens Entwürfe auf diese Weise die vielfältigen Aufgaben des modernen Lebens, so erreichten sie auch jenen mannigfaltigen Wechsel, der eine individuelle ästhetische Wirkung hervorrief. Das begegnet uns auch bei anderen Stadtplanern der Zeit. Aber im Unterschied zu vielen Zeitgenossen bedeutete für Stübben die Abwechslung keine oberflächliche Dekoration oder Beschränkung auf ausgesuchte Kristallisationspunkte im Stadtbild. Das Prinzip der malerischen Abwechslung war für ihn kein Selbstzweck. Es sollte zur tiefer gehenden, zweckmäßigen Ordnung der modernen Lebensbedürfnisse verwendet werden.
Werke (Auswahl)
Der Umbau der Stadtmitte von Löwen, in: Deutsche Bauzeitschrift 45 (1911), S.713-717.
Der Städtebau, in: Handbuch der Architektur, 4. Teil, 9. Halbband, Darmstadt 1890.
Massnahmen zur Herbeiführung eines gesundheitlichen und zweckmäßigen Ausbaues der Städte, in: Deutsche Vierteljahresschrift für öffentliche Gesundheitspflege 28 (1896), S.13-73.
Paris, in: Zeitschrift für Bauwesen 29 (1879), S. 385-387.
Rheinischer Städtebau in den letzten dreissig Jahren, in: Die Woche der Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung Düsseldorf 7 (1902), S. 225-232.
Literatur
Karnau, Oliver, Hermann Josef Stübben – Städtebau 1876-1930, Braunschweig/Wiesbaden 1996.
Karnau, Oliver, Hermann Josef Stübben (1845-1936), in: Rheinische Lebensbilder 18 (2000), S. 117-146.
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Karnau, Oliver, Hermann Josef Stübben, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-josef-stuebben/DE-2086/lido/57c958908030b5.52862003 (abgerufen am 07.09.2024)