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Hugo Loersch war ein bedeutender Rechtshistoriker des 19. Jahrhunderts, der durch seine intensive Forschung und sein gesellschaftliches Engagement eine zentrale Rolle für die rheinische Geschichtswissenschaft einnimmt.
Konrad Hubert Hugo Loersch wurde am 20.7.1840 in Aachen als Sohn des aus einer alteingessenen Tuchmacherfamilie stammenden Fabrikanten Eduard Loersch (1808-1867) und dessen Frau Johanna Quadflieg (gestorben 1882) geboren. Auch die Familie seiner Mutter war in der Stadt alteingesessen, der Großvater Balthasar Quadflieg war Inhaber einer Brauerei.
Zur Schule ging Loersch in Aachen und Brüssel, wo er Französisch wie eine zweite Muttersprache lernte, sowie in Bonn. Ab 1857 studierte er Rechtswissenschaften in Heidelberg und Bonn. Hier wurde er 1862 mit der quellengesättigten, an der „Deutschen Rechtsgeschichte" seines Lehrers Ferdinand Walter (1794-1836) ausgerichteten Arbeit zur Entstehung der Landesherrschaft in Jülich promoviert. Danach studierte er Staatswissenschaft, aber vor allem Geschichte in Göttingen bei dem bedeutenden Verfassungshistoriker Georg Waitz (1813-1886).
Im Winter 1862/ 1863 vertiefte er seine paläographischen Studien in Berlin bei dem bedeutenden Editor Philipp Jaffé (1819-1870). Anschließend reiste er ausgiebig für mehrere Monate durch deutsche Archive, um dann mit der juristischen Ausbildung fortzufahren. Am 25.2.1865 legte er die zweite juristische Prüfung beim Berliner Kammergericht ab, 1869 die dritte Prüfung und wurde daraufhin zum Landgerichtsassessor in Bonn ernannt.
1866 heiratete er in Köln Helene Reichensperger (1842-1909), die Tochter des preußischen Obertribunalrats und Abgeordneten Peter Reichensperger. 1865 wurde er mit einer Arbeit zur Pflicht der Teilnahme am Romzug in Bonn habilitiert, wo er bis zu seinem Tod am 10.5.1907 Vorlesungen und Seminare zum Handelsrecht, französischem (rheinischen) Privatrecht und zur deutschen Rechtsgeschichte abhielt. Aufgrund eines Antrags von Richard Schröder (1838-1917) wurde er am 13.6.1873 zum außerordentlichen Professor ernannt. Mit Schröder wechselte er sich in der Hauptvorlesung zum deutschen Privatrecht ab. Am 25.3.1875 erfolgte die Ernennung zum ordentlichen Professor. Das Kultusministerium achtete damit auf seine für die Fakultät eher untypische familiäre Verwurzlung im Rheinland. So konnte er seine neue Position nutzen, um hier wissenschaftliche Netzwerke aufzubauen.
Ab 1878 unterrichtete er auch den späteren Kaiser Wilhelm II. (Regierungszeit 1888-1918) sowie den späteren Großherzog Friedrich II. von Baden (Regierungszeit 1907-1918), zu denen er ein freundschaftliches Lehrer-Schüler-Verhältnis entwickelte. Die Dankbarkeit Wilhelms äußerte sich in der Ernennung zum Geheimen Justizrat am 25.12.1888 sowie zum Mitglied des Preußischen Herrenhauses und zum preußischen Kronsyndikus am 4.6.1891.
Als Vermittler des französischen Rechts trat Loersch durch eine zweisprachige Ausgabe des Code civil in Erscheinung, aber auch durch einen Artikel zum französischen Denkmalschutzrecht, das er in Deutschland bekannt zu machen suchte. Als Rechtshistoriker beschäftigte er sich nicht nur mit zentralen Quellen wie etwa der ersten Fassung des Sachsenspiegels und mit Editionen, sondern vor allem mit der rheinischen Rechtsgeschichte. Noch nicht erschlossen sind seine zahlreichen Beiträge insbesondere zur Aachener Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des späten Mittelalters, zum Beispiel die Untersuchung der Rechtsverhältnisse des Aachener Kohlenbergbaus (1890).
Seine paläographische Ausbildung befähigte ihn in besonderem Maße, die Geschichtsquellen des Späten Mittelalters zu edieren. 1871 publizierte er „Aachener Rechtsdenkmäler aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert". Dieses Werk gilt als eine „Musterleistung rechtshistorischer Editionsarbeit". 1875 wurde er von Georg Waitz mit der Ausgabe der „Leges et Constitutiones Imperatorum" im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica beauftragt. Er gab diese Aufgabe 1879 wieder ab, denn inzwischen hatte er sich an die Edition der Urteile des Ingelheimer Oberhofs gemacht.
Die Urteile des Aachener Oberhofs im späten Mittelalter waren leider vernichtet. Als sein Kollege Eduard Böcking (1802-1870) ihm 1869 eine Handschrift aus eigenem Besitz zeigte und Loersch diese als Urteilssammlung des Ingelheimer Oberhofs des 15. Jahrhunderts identifizierte, machte er sich auf die Suche nach den übrigen Urteilen, die er selbst auf dem Speicher des Ober-Ingelheimer Rathauses fand. Fünfzehn Jahre befasste sich Loersch mit der Erfassung und Systematisierung dieser Quellen, die damals noch umfangreicher vorhanden waren als heute. Ein Drittel der von ihm gesichteten Protokolle veröffentlichte er 1885, die Einleitung hat monographischen Charakter. Dieses Werk gilt als sein zweites Hauptwerk.
Die deutsche Rechtsgeschichte hat sich immer wieder intensiv mit diesen Quellen beschäftigt. 1903 gelang es Herbert Meyer (1875-1941) aufgrund einer Vermutung von Loersch, eine Londoner Handschrift als weitere Ingelheimer Spruchsammlung zu identifizieren; sie wurde von Adalbert Erler (1904-1992) in vier Bänden 1952 bis 1963 publiziert. Loersch dient hier bis heute als Grundlage der Forschung zu einem wichtigen rechtshistorischen Thema, dem „ein besonderer Klang in der Rechtsgeschichte" zukommt.
Ab 1883 galt Loerschs Interesse auch der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, als er begann, die rheinischen Weistümer zu sammeln. Dies mündete 1900 in die Edition eines ersten Bandes. Bekannt wurde Loerschs auf Anregung und mit Schröder herausgegebenene, Georg Waitz gewidmete und mehrfach aufgelegte Sammlung von Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechts, die dem Unterricht diente. Ein seit 1881 betriebener Plan für ein Aachener Urkundenbuch wurde nicht mehr realisiert. Als Herausgeber war Loersch der Glücksfall eines paläographischen Rechtshistorikers beziehungsweise eines auch fachlich versierten Editors. Seine Leistungen dienen seither als Grundlage der historischen Forschung.
Über die Forschung und Edition hinaus wurde Loersch fast noch wichtiger durch seine gesellschaftliche Tätigkeit. Er ist Mitbegründer mehrerer heute noch bestehender historischer Vereine und Gesellschaften, anderen, welche maßgeblich zur Erfassung der rheinischen Geschichte beigetragen haben, stand er über lange Jahre als Vorsitzender vor („Verein für Niederrheinische Geschichte", „Aachener Geschichtsverein", „Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde").
Seit 1887 leitete er die Subkommission der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde zur Denkmalpflege. In dieser Funktion gewann er 1890 den jungen Kunsthistoriker Paul Clemen für das Rheinland. Mit Cornelius Gurlitt (1850-1938) und Adolf von Oechelhäuser (1852-1923) wandte er sich 1903 an das Deutsche Reich um eine vollständige Beschreibung der deutschen Kunstdenkmäler in Auftrag zu geben. Seine Initiative hatte Erfolg und führte schließlich zur Veröffentlichung des „Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler" von Georg Dehios (1850-1923).
Als 1892 in der Rheinprovinz erstmals ein Denkmalausschuss mit ausgewählten Sachverständigen gebildet wurde, war Loersch eines der Mitglieder. In dieser Funktion setzte sich Loersch für die Ernennung Clemens zum Provinzialkonservator ein. Daneben war Loersch Mitglied und stellvertretender Vorsitzender der Kommission für die Provinzialmuseen der Rheinprovinz und Vorsitzender der Sachverständigenkommission für die Ausschmückung des Aachener Münsters. Loerschs schon erwähnte theoretische und praktische Initiativen auf dem Gebiet des Denkmalschutzrechts führten ihn 1899 zur Gründung des Deutschen Denkmalpflegetages, dessen Vorsitzender er bis 1906 inne hatte. An der Gründung des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz im Jahr 1906 war er schließlich beteiligt, er wurde auch Mitglied des Vorstands. Darüber hinaus war Loersch (Ehren-)Mitglied zahlreicher ausländischer historischer und archäologischer Gesellschaften in Luxemburg und Frankreich.
Diese Organisationen ermöglichten die wesentlichen Editionen und Publikationen zur Geschichte des Rheinlands im 20. Jahrhundert. Loerschs Einfluss reicht insoweit weit über seine eigenen mustergültigen Forschungen und Editionen hinaus. Eine Sichtung seiner Schriften, die Aufarbeitung seiner Tätigkeit in den verschiedenen Vereinen, seine Bedeutung für den rheinischen und deutschen Denkmalschutz sowie eine genauere Evaluierung seines wissenschaftlichen Oeuvres stehen jedoch aus. Die umfangreichen und gewichtigen Nachrufe, aus denen noch heute die bekannten Informationen zu Loersch stammen, weisen auf eine einflussreiche, bedeutende Forscherpersönlichkeit. Sicher ist einstweilen, dass ohne die Forschungen und Quellenpublikationen von Loersch und ohne die Leistung der von ihm geleiteten und gegründeten Vereine es heute keine nennenswerte rheinische Geschichtswissenschaft gäbe.
Um 1900 war Hugo Loersch wohl einer der bekanntesten und einflussreichsten Wissenschaftler des Rheinlandes, der durch seine familiären, freundschaftlichen und beruflichen Kontakte ein wichtiges Bindeglied zwischen seinem preußischen Arbeitgeber und dem Adel, dem Patriziat und der intellektuellen Oberschicht des Rheinlands war.
Seit dem Wintersemester 1906/1907 war Loersch wiederum Dekan, als er am 10.5.1907 überraschend starb. Seine Bibliothek und Materialsammlung vermachte er der Stadt Aachen. Das von Clemen und dem Bonner Fakultätskollegen Ulrich Stutz in Auftrag gegebene Porträt, ein eindrucksvolles Ölgemälde befindet sich heute im Bonner Stadtmuseum.
Werke (Auswahl)
Aachener Rechtsdenkmäler aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert, Bonn 1871.
Das französische Gesetz vom 30. März 1887. Ein Beitrag zum Recht der Denkmalpflege, Bonn 1897.
Der Code civil französisch und deutsch nebst den ihn abändernden und ergänzenden Reichs- und Preußischen Gesetzen und den noch geltenden Artikeln des code de procédure und des code de commerce, 3. Auflage, Leipzig 1887.
Der Ingelheimer Oberhof, Bonn 1885.
Die Weistümer der Rheinprovinz. Abteilung 1, Die Weistümer des Kurfürstentums Trier, Band 1: Oberamt Boppard, Hauptstadt und Amt Koblenz, Amt Bergpflege, Bonn 1900.
Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechts für den gebrauch bei Vorlesungen und Übungen, Bonn 1874.
Literatur
Clemen, Paul, Zum Gedächtnis an Hugo Loersch, in: Deutsche Geschichtsblätter 8 (1907), S. 327-331.
Stutz, Ulrich, Hugo Loersch. Ein Lebensbild, Weimar 1907.
Online
Droege, Georg, "Loersch, Hugo", in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 58-59. [Online]
1885-1907: Prof. Dr. Hugo Loersch (Hugo Loersch auf der Liste der ehemaligen Vorsitzenden des Aachener Geschichtsverein e.V.). [Online]
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Schmoeckel, Mathias, Hugo Loersch, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hugo-loersch/DE-2086/lido/57c942939feb93.35284096 (abgerufen am 06.12.2024)