Hugo Thiel

Ministerialdirektor und Agrarfunktionär (1839-1918)

Björn Thomann (Suderburg)

Hugo Thiel, 1907. (public domain)

Hu­go Thiel war ein rang­ho­her Mi­nis­te­ri­al­be­am­ter, der zwi­schen 1873 und 1911 ei­ne fe­der­füh­ren­de Rol­le bei der ad­mi­nis­tra­ti­ven Neu­or­ga­ni­sa­ti­on des Agrar­sek­tors, der Re­form des hö­he­ren land­wirt­schaft­li­chen Bil­dungs­we­sens und der Ver­wal­tung der Staats­do­mä­nen in Preu­ßen ein­nahm. In der Rhein­pro­vinz er­warb er sich als För­de­rer des staat­li­chen Wein­baus nach­hal­ti­ge Ver­diens­te.

Carl Emil Hu­go Thiel wur­de am 2.6.1839 in Bonn als vier­tes Kind des evan­ge­li­schen Ge­hei­men Rech­nungs­rats Wil­helm Thiel (1791-1869) und des­sen Ehe­frau El­mi­re Hoes­ter­mann (1810-1875) ge­bo­ren. Sei­ne Gro­ßvä­ter wa­ren der Jus­tiz­kom­mis­sar und No­tar Jo­hann Chris­ti­an Thiel (1760-1831) und der Re­gie­rungs­rat Wil­helm Hein­rich Gott­lieb Hoes­ter­mann (1771-1859). Thiels Va­ter be­klei­de­te das Amt des Quäs­tors der Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn und be­wohn­te mit sei­ner Fa­mi­lie ei­ne Woh­nung im Pop­pels­dor­fer Schloss.

Im Au­gust 1857 be­stand Hu­go Thiel nach acht­jäh­ri­gem Auf­ent­halt die Ab­itur­prü­fung am Kö­nig­li­chen Gym­na­si­um in Bonn. Das von ihm an­ge­streb­te Stu­di­um der Agrar­wis­sen­schaf­ten setz­te al­ler­dings ei­ne zwei­jäh­ri­ge prak­ti­sche Lehr­zeit vor­aus, die er zwi­schen 1857 und 1859 auf dem zum Be­sitz des Gra­fen Carl von Bis­marck-Boh­len (1832-1878) ge­hö­ren­den Rit­ter­guts Ueng­lin­gen bei Sten­dal ab­sol­vier­te. Im An­schluss trat er für die Dau­er von zwei wei­te­ren Jah­ren in die Diens­te des Frei­herrn Fried­rich von Dier­gardt (1795-1869), der ihm die Ver­wal­tung des Guts Mors­broich (heu­te Stadt Le­ver­ku­sen) über­trug. Im Som­mer­se­mes­ter 1861 im­ma­tri­ku­lier­te sich Thiel an der Land­wirt­schaft­li­chen Aka­de­mie in Pop­pels­dorf und wur­de Mit­glied des dor­ti­gen Aka­de­misch Land­wirt­schaft­li­chen Ver­eins. Nach­dem er am 8.8.1863 die land­wirt­schaft­li­che Ab­schluss­prü­fung be­stan­den und am 27.3.1865 an der phi­lo­so­phi­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn mit ei­ner Ar­beit zum The­ma „De ra­di­cum plant­ar­um quar­undam ab agri­co­lis pra­eci­pue cul­tar­um di­rec­tio­ne et ex­ten­sio­ne“ pro­mo­viert wur­de, über­nahm er mit Be­ginn des Win­ter­se­mes­ters 1865/1866 das Amt des Ad­mi­nis­tra­tors des land­wirt­schaft­li­chen Ver­suchs­fel­des der Pop­pels­dor­fer Aka­de­mie. Zu­gleich er­hielt er ei­ne An­stel­lung als Pri­vat­do­zent für die Fä­cher Land­wirt­schaft­li­che Li­te­ra­tur, Tier­pro­duk­ti­on und Han­dels­ge­wächs­bau.

Mit sei­ner Er­nen­nung zum or­dent­li­chen Pro­fes­sor für land­wirt­schaft­li­che Be­triebs­leh­re an der Po­ly­tech­ni­schen Hoch­schu­le in Darm­stadt trat Thiel am 1.9.1869 in den Staats­dienst des Gro­ßher­zog­tums Hes­sen. Ne­ben sei­ner Lehr­tä­tig­keit über­nahm er auch das Amt des De­kans der dem Po­ly­tech­ni­kum an­ge­glie­der­ten Land­wirt­schaft­li­chen Schu­le. Auf Ver­mitt­lung des Agri­kul­tur­ch­e­mi­kers Ju­li­us Alex­an­der Leh­mann (1825-1894) folg­te er im Au­gust 1872 ei­nem Ruf auf ei­ne or­dent­li­che Pro­fes­sur für land­wirt­schaft­li­che Be­triebs­leh­re, Ge­rä­te­kun­de und Ta­xa­ti­ons­leh­re an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le in Mün­chen. Der Zeit­raum sei­nes Wir­kens an die­ser un­zu­rei­chend aus­ge­stat­te­ten Bil­dungs­ein­rich­tung en­de­te je­doch vor­zei­tig nach Ab­lauf des Win­ter­se­mes­ters 1872/1873. Be­reits am 1.4.1873 trat Thiel als Ge­ne­ral­se­kre­tär des Lan­desöko­no­mie­kol­le­gi­ums und als Hilfs­ar­bei­ter im Mi­nis­te­ri­um für Land­wirt­schaft in den preu­ßi­schen Ver­wal­tungs­dienst ein. Zeit­gleich er­folg­te die Er­nen­nung zum Lan­desöko­no­mie­rat. Als Kan­di­dat der Na­tio­nal­li­be­ra­len Par­tei wur­de er dar­über hin­aus für den Wahl­kreis 2 des Re­gie­rungs­be­zirks Mag­de­burg so­wohl in den Preu­ßi­schen Land­tag (1873-1878), als auch in den Reichs­tag (1874-1877) ge­wählt. Am 1.6.1877 hei­ra­te­te er in Op­la­den (heu­te Stadt Le­ver­ku­sen) Ju­lia Ulen­berg (1851-1934), ei­ne Toch­ter des Fa­brik­be­sit­zers Wil­helm Ulen­berg (1818-1882).

Nach sei­ner Er­nen­nung zum Re­gie­rungs­rat und vor­tra­gen­den Rat im Jahr 1879 wur­de Thiel die Um­wand­lung des seit 1859 be­ste­hen­den Land­wirt­schaft­li­chen Leh­r­in­sti­tuts in Ber­lin zur Land­wirt­schaft­li­chen Hoch­schu­le über­tra­gen, wo­bei er sich als her­aus­ra­gen­der Ver­wal­tungs­fach­mann und Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tor er­wies. In sei­ner Dop­pel­funk­ti­on als Re­fe­rent und Ku­ra­tor trug er ma­ß­geb­lich zur Eta­blie­rung der 1881 ih­ren Lehr­be­trieb auf­neh­men­den Hoch­schu­le als ei­ner in­ter­na­tio­nal füh­ren­den agrar­wis­sen­schaft­li­chen Bil­dungs­stät­te bei. Im Jahr 1885 wur­de Thiel zum Mi­nis­te­ri­al­di­rek­tor und Ge­hei­men Ober­re­gie­rungs­rat, 1897 zum Wirk­li­chen Ge­hei­men Ober­re­gie­rungs­rat und 1907 zum Wirk­li­chen Ge­hei­men Rat mit dem Prä­di­kat Ex­zel­lenz er­nannt. Am 1.4.1911 er­folg­te die Ver­set­zung in den Ru­he­stand.

Über die Be­deu­tung sei­nes Wir­kens für die ad­mi­nis­tra­ti­ve Neu­ord­nung des Agrar­sek­tors äu­ßer­te der Na­tio­nal­öko­nom Max Se­ring (1857-1939), es ha­be „wohl kein wich­ti­ges Ge­setz für die Land­wirt­schaft und kei­ne gro­ße Ver­wal­tungs­maß­nah­me“ ge­ge­ben, „die wäh­rend die­ser Zeit in Preu­ßen oh­ne Thiels ein­grei­fen­de Mit­wir­kung zu­stan­de ge­kom­men wä­ren.“ Zu sei­nen wich­tigs­ten Leis­tun­gen zähl­te die 1894 ein­ge­lei­te­te Ein­rich­tung der an die Stel­le der land­wirt­schaft­li­chen Zen­tral­ver­ei­ne tre­ten­den Land­wirt­schafts­kam­mern als öf­fent­lich-recht­li­che Kör­per­schaf­ten der agra­ri­schen Selbst­ver­wal­tung. Be­deu­tung er­lang­te Thiel auch als För­de­rer des vom So­zi­al­re­for­mer Fried­rich Wil­helm Raiff­ei­sen be­grün­de­ten länd­li­chen Ge­nos­sen­schafts­we­sens. Un­ge­ach­tet star­ker po­li­ti­scher Wi­der­stän­de konn­te er Kai­ser Wil­helm I. (Re­gent­schaft 1858/1861-1888, ab 1871 als Deut­scher Kai­ser) von der Sinn­haf­tig­keit der Raiff­ei­sen-Ver­ei­ne über­zeu­gen und zur Be­reit­stel­lung er­heb­li­cher Fi­nanz­mit­tel zu de­ren Un­ter­stüt­zung be­we­gen.

Im Zu­ge sei­ner Er­nen­nung zum Wirk­li­chen Ge­hei­men Re­gie­rungs­rat wur­de Thiel 1897 die Lei­tung der II. Ab­tei­lung des Mi­nis­te­ri­ums für Land­wirt­schaft, Do­mä­nen und Fors­ten und da­mit die Ver­wal­tung der preu­ßi­schen Staats­do­mä­nen über­tra­gen. In sei­ner 14-jäh­ri­gen Amts­zeit ver­stand er es, die viel­fach un­zu­rei­chend ver­wal­te­ten staat­li­chen Gü­ter in ren­ta­ble land­wirt­schaft­li­che Mus­ter­be­trie­be um­zu­wan­deln. Ei­nen Schwer­punkt die­ser Tä­tig­keit bil­de­te die mit ho­hem fi­nan­zi­el­lem Auf­wand be­trie­be­ne Mo­der­ni­sie­rung des Wein­baus im Mo­sel- und Na­he­ge­biet. Am wirt­schaft­li­chen Auf­schwung die­ser bis zu die­sem Zeit­punkt als struk­tur­schwach ein­zu­stu­fen­den Re­gio­nen hat­te Thiel we­sent­li­chen An­teil. Als Vor­sit­zen­dem der Kö­nig­li­chen Kom­mis­si­on zur Auf­tei­lung der Do­mä­ne Dah­lem bei Ber­lin ob­lag ihm ab 1897 auch die Ver­ant­wor­tung für die Um­wand­lung des weit­läu­fi­gen Are­als in ei­ne Vil­len­ko­lo­nie ein­schlie­ß­lich der groß­flä­chi­gen An­sied­lung wis­sen­schaft­li­cher In­sti­tu­tio­nen. 

Thiels agrar- und wis­sen­schafts­po­li­ti­sches Wir­ken reich­te weit über sei­nen dienst­li­chen Ver­ant­wor­tungs­be­reich hin­aus. Seit den 1870er Jah­ren en­ga­gier­te er sich im Ver­ein für So­zi­al­po­li­tik, des­sen Vor­stand er zwi­schen 1877 und 1902 an­ge­hör­te. Im Jahr 1891 war er an der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Um­set­zung der von die­sem in­iti­ier­ten und von dem Na­tio­nal­öko­no­men Max We­ber (1864-1920) aus­ge­wer­te­ten Land­ar­bei­te­ren­que­te be­tei­ligt. Ei­ne prä­gen­de Be­deu­tung er­lang­te Thiel auch in der 1883 vom Agrar­in­ge­nieur Max Eyth (1836-1906) ins Le­ben ge­ru­fe­nen Deut­schen Land­wirt­schafts­ge­sell­schaft (DLG). Im Jahr 1892 wur­de er in de­ren Vor­stand ge­wählt und hat­te zwi­schen 1896 und 1918 das Amt des stell­ver­tre­ten­den Vor­sit­zen­den in­ne. Er fun­gier­te dar­über hin­aus als Vor­sit­zen­der des „Ku­ra­to­ri­ums der Ber­li­ner Mast­vieh­aus­stel­lun­g“, des „Klubs der Land­wir­te“ in Ber­lin, des „Ver­eins für Wohl­fahrts­pfle­ge auf dem Lan­de“, der „Zen­tral-Moor­kom­mis­si­on in Preu­ßen“, der „Deut­schen Gar­ten­bau-Ge­sell­schaf­t“ und des „Reichs­ver­ban­des für den deut­schen Gar­ten­bau“. Zwi­schen 1878 und 1918 wirk­te er als Her­aus­ge­ber der „Land­wirt­schaft­li­chen Jahr­bü­cher" und ge­hör­te ab 1913 dem Vor­stand der preu­ßi­schen Cen­tral-Bo­den­kre­dit AG an. 39 Jah­re nach Be­en­di­gung sei­ner aka­de­mi­schen Lehr­tä­tig­keit wur­de er 1912 zum Ho­no­rar­do­zen­ten für land­wirt­schaft­li­che Ver­wal­tung an der Land­wirt­schaft­li­chen Hoch­schu­le in Ber­lin er­nannt.

Ne­ben dem an­läss­lich sei­ner Pen­sio­nie­rung ver­lie­he­nen Ro­ter Ad­ler-Or­den I. Klas­se mit Ei­chen­laub war Thiel Trä­ger des Kom­tu­r­kreu­zes I. Klas­se vom Kö­nig­lich Säch­si­schen Al­brechts-Or­den und vom Her­zog­lich Sach­sen-Er­nes­ti­ni­schen Haus­or­den, des Gro­ß­kom­tu­r­kreu­zes vom Meck­len­bur­gisch-Schwer­in­schen Grei­fen-Or­den und vom Ol­den­bur­gi­schen Haus- und Ver­dienst­or­den des Her­zogs Pe­ter Fried­rich Lud­wig, des Os­ma­ni­schen Me­ci­diye-Or­dens II. Klas­se mit Stern so­wie der Gol­de­nen Na­thu­si­us-Me­dail­le und der von der DLG ver­lie­he­nen Gol­de­nen Max Eyth-Me­dail­le. Er war dar­über hin­aus Kom­man­deur der Fran­zö­si­schen Eh­ren­le­gi­on und des Schwe­di­schen Wa­sa-Or­dens.  

 

Hu­go Thiel starb am 13.1.1918 in Ber­lin-Ste­glitz „nach kur­zem Kran­ken­la­ger“ an den Fol­gen ei­ner Lun­gen­ent­zün­dung. Sei­ne Ver­diens­te wur­den be­reits zu sei­nen Leb­zei­ten ge­wür­digt. Un­ter an­de­rem stand sein Na­me Pa­te für die Kar­tof­fel­züch­tung „Ge­heim­rat Thiel“. In der Do­mä­ne Avels­bach nord­west­lich von Trier wur­de 1910 die „Thiels-Bur­g“ er­rich­tet. Der mit ei­ner bron­ze­nen Por­trät­plat­te ver­se­he­ne tur­mar­ti­ge Zen­tral­bau er­in­nert weit­hin sicht­bar an die von Thiel in­iti­ier­ten In­ves­ti­tio­nen in den Wein­bau an der Mo­sel.

Literatur

Ga­ede, Hel­mut, Auf dem Fel­de der Aeh­re. Land­wirt­schaft­li­ches Kul­tur­er­be in Deutsch­land, Mag­de­burg 2004, S. 218-219.
Ger­ber, Theo­phil, Per­sön­lich­kei­ten aus Land- und Forst­wirt­schaft, Gar­ten­bau und Ve­te­ri­när­me­di­zin, Bio­gra­phi­sches Le­xi­kon, Band 2, Ber­lin 2004, S. 774. 
Hain­buch, Dirk/Tenn­stedt, Flo­ri­an (Be­arb.), Bio­gra­phi­sches Le­xi­kon zur Ge­schich­te der deut­schen So­zi­al­po­li­tik 1871 bis 1945, Band 1, Kas­sel 2010, S. 162-163. 
Han­sen, Joa­chim, Thiels Burg - Denk­mal des preu­ßi­schen En­ga­ge­ments für den Wein­bau in Trier, in: Neu­es Trie­ri­sches Jahr­buch 2000, S. 103.
Tenn­stedt, Flo­ri­an, Hu­go Thiel und der Ver­ein für So­zi­al­po­li­tik, in: Zeit­schrift für So­zi­al­re­form 34/9 (1988), S. 524-537. 

Die 'Thiels-Burg' bei Trier, 2013, Foto: Berthold Werner. (Berthold Werner / CC-BY-SA 3.0)

 
Zitationshinweis

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Thomann, Björn, Hugo Thiel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hugo-thiel/DE-2086/lido/5e0dc2f557c360.98990386 (abgerufen am 18.04.2024)