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Irmgard von Verdun, auch Irmgard von Hammerstein, ist dadurch bekannt, dass sie sich vehement gegen die beabsichtigte Auflösung ihrer Ehe mit Otto von Hammerstein (um 975-1036) zur Wehr setzte. Mit ihrer Appellation nach Rom brüskierte sie Kaiser und Reichsepiskopat und stärkte den Anspruch des Papstes auf die oberste Richtergewalt in der Kirche.
Irmgard wurde im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts geboren. Ihr genaues Geburtsjahr ist wie vieles andere aus ihrem Leben nicht bekannt. Selbst ihre Herkunft aus dem Ardenner-Grafenhaus, einem der bedeutendsten lothringischen Geschlechter der Zeit, ist nicht zweifelsfrei gesichert, wird aber allgemein angenommen. Als ihr Vater gilt daher Graf Gottfried von Verdun (gestorben 995). Zu ihren Verwandten zählten hochrangige geistliche und weltliche Fürsten: Bischöfe von Metz und von Verdun, ein Erzbischof von Reims, Herzöge von Ober- und Niederlothringen.
Auch Irmgards Ehemann, Graf Otto von Hammerstein, entstammte einer der mächtigsten Familien des Reiches, den Konradinern, die von 911 bis 918 mit Konrad I. (um 881-918) sogar kurzzeitig den Thron des Ostfrankenreichs besetzt hatten. Ihre Machtposition sicherte ausgedehnter Grundbesitz an Mittel- und Oberrhein sowie im hessischen Lahngebiet. Überdies waren Ottos Onkel Konrad und sein Vetter Hermann (gestorben 1003) Herzöge von Schwaben. Hermann kandidierte 1002 nach dem frühen Tod Kaiser Ottos III. (Regierungszeit 996-1002) bei der Wahl eines neuen Herrschers, unterlag aber dem Bayernherzog Heinrich (Regierungszeit 1014-1024) und starb schon ein Jahr darauf. Nachdem 1016 auch sein älterer Bruder Gebhard verstorben war, scheint Otto der letzte männliche Vertreter der Familie gewesen zu sein. Entsprechend umfassenden Besitz dürfte er in seiner Hand vereint haben. Vermutlich ist er es auch gewesen, der als Graf im Engersgau auf einem steilen Basaltfelsen gegenüber von Andernach die mächtige Burg Hammerstein errichten ließ, deren Ruinen noch heute sichtbar sind.
Ottos Machtstellung rief bald Widersacher auf den Plan: Erzbischof Erchanbald von Mainz (Episkopat 1011-1021) und seinen Nachfolger Aribo (Episkopat 1021-1031), allen voran aber den 1002 gegen Ottos Vetter zum König gewählten und 1014 zum Kaiser gekrönten Heinrich II. (gestorben 1024). Dabei bot Otto seinen Gegnern ein leichtes, wenngleich heute nur noch schwer begreifbares Ziel: Seine Ehe mit Irmgard war nach dem damals geltenden (Kirchen-)Recht aufgrund der zwischen beiden Partnern bestehenden Blutsverwandtschaft anfechtbar. Zwar musste man, um auf den gemeinsamen Vorfahren zu kommen, im Falle Irmgards bis auf den Urgroßvater, im Falle Ottos sogar auf den Ururgroßvater zurückgehen. Dennoch reichte dieser Verwandtschaftsgrad nach den Normen der Zeit aus, um eine Ehe entweder von vornherein zu verhindern oder, sofern bereits geschlossen, wieder zu scheiden.
Auf eine solche Trennung richteten sich seit 1016 die Bemühungen Heinrichs II. und der Mainzer Erzbischöfe. Wären sie von Erfolg gekrönt gewesen, hätte dies nicht nur Otto und Irmgard zu einer langjährigen Buße gezwungen, sondern auch den Sohn Udo der Legitimität und damit der Erbfähigkeit beraubt. Der ausgedehnte konradinische Besitz wäre nach Ottos Tod in die Verfügungsgewalt des Kaisers gefallen. Mehrfach wurde Otto vor Synoden und Hoftage geladen und aufgefordert, seiner Ehe zu entsagen. Wiederholt gab er dem Drängen mit Worten und Eiden nach, ohne doch tatsächlich die Verbindung zu lösen. 1020 eskalierte der Konflikt: Otto griff zu den Waffen, verwüstete das Mainzer Erzstift, wagte sogar einen Anschlag auf Erchanbald selbst, der freilich misslang. Kaiser Heinrich schloss daraufhin die Burg Hammerstein mit Heeresmacht ein und zwang Otto und Irmgard nach fast viermonatiger Belagerung zur Übergabe.
Auch damit war der Streit nicht beendet. Zwar verlor Otto seine Grafenwürde im Engersgau und in der Wetterau, welche weiteren Maßnahmen Kaiser und Kirche gegen ihn und Irmgard trafen, ist jedoch nicht überliefert. Dass ihre Ehe 1023 erneut Gegenstand einer Synode war, spricht jedenfalls für ihr weiteres Zusammenleben. Otto erklärte sich abermals zum Verzicht auf die Ehe bereit. Irmgard indes weigerte sich und richtete, wie ein Zeitgenosse schrieb, „Recht und Gesetz gänzlich zugrunde": Sie zog nach Rom und appellierte an den Papst.
Über Irmgards Motive lässt sich nur spekulieren. Ob sie aus Liebe handelte oder aus Sorge um ihren Sohn, ob sie die politischen Absichten ihrer Gegner durchschaute oder ob sie und Otto ihr unterschiedliches Vorgehen womöglich abgesprochen hatten, um das Verfahren in die Länge zu ziehen, all dies ist denkbar, lässt sich aber nicht beweisen. Unrechtmäßig war ihre Handlungsweise entgegen der Meinung des Chronisten übrigens nicht, ungewöhnlich und ungebührlich gegenüber dem Mainzer Erzbischof Aribo und der von ihm geleiteten Synode aber schon. Wirklichen Erfolg versprach die Appellation indes kaum. Das Papsttum war für seine strenge Haltung in Sachen Verwandtschaftsehen bekannt. Insofern verhielt sich der gekränkte Aribo ungeschickt, als er die Appellation hintertrieb. Benedikt VIII. (Pontifikat 1012-1024) war nicht gewillt, seine oberste Jurisdiktionsgewalt in Zweifel ziehen zu lassen. Er suspendierte Aribo vom Gebrauch des Palliums, dem Abzeichen seiner erzbischöflichen Würde, und sandte Legaten nach Deutschland, um den Fall zu untersuchen. Vielleicht hätten diese sogar Aribos Urteil bestätigt und damit seine Ehre wiederhergestellt. Dazu kam es jedoch nicht, weil Kaiser und Papst 1024 starben und die Legaten offenbar nicht mehr tätig wurden.
Irmgard hatte somit in erster Linie Zeit gewonnen, wertvolle Zeit, wie sich herausstellte, denn der Versuch Aribos, die Eheangelegenheit 1027 wieder aufzurollen, scheiterte. Der neue Herrscher Konrad II. (Regierungszeit 1024-1039) aus dem Hause der den Konradinern verbundenen Salier schlug das Verfahren nieder. Ottos und Irmgards Verbindung wurde seither stillschweigend geduldet, Otto als Graf wiedereingesetzt. Ungetrübt verlief Ottos und Irmgards ferneres Schicksal aber nicht. Ihr einziger Sohn Udo starb 1034, Otto starb zwei Jahre später, womit das konradinische Erbe samt der Burg Hammerstein tatsächlich an das Reich fiel. Irmgard sollte ihren Mann noch um einige Jahre überleben, bevor sie Ende 1042 starb.
Berühmtheit hat Irmgard von Hammerstein erst im 19. und 20. Jahrhundert erlangt. Die Zeitgenossen verurteilten ihr Verhalten durchweg. Moderne Autoren – darunter auch Dichter und Dramatiker – sahen in ihr dagegen abwechselnd ein Vorbild ehelicher Treue oder eine Vorkämpferin gegen fragwürdige kirchliche Normen. Es ist leicht ersichtlich, wie sehr beide Urteile zeitgebundenen Wertvorstellungen verhaftet sind. Was Irmgard wirklich dachte und fühlte, wissen wir nicht. Sicher ist nur, dass sie mit ihrer Appellation aus dem Schatten ihres Mannes heraustrat und Kaiser und Erzbischof öffentlich trotzte. Allein dies war für eine Frau ihrer Zeit, auch wenn sie dem Hochadel angehörte, ungewöhnlich.
Literatur
Koch, Matthias, Irmgard von Hammerstein, in: Rheinische Lebensbilder 18 (2000), S. 7-26.
Reicke, Siegfried, Der Hammersteinsche Ehehandel im Lichte der mittelalterlichen Herrschaftsordnung, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 38 (1974), S. 203-224.
Online
Lewald, Ursula, „Irmgard v. Hammerstein", in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 180-181. [Online]
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Koch, Matthias, Irmgard von Verdun, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/irmgard-von-verdun/DE-2086/lido/57c92881a0e849.22259113 (abgerufen am 15.12.2024)