Jakob Middendorp

Gelehrter (um 1537-1611)

Martin Bock (Bergheim)

Porträt von Jakob Middendorp, nach 1611. (© Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_mf076801)

In der Re­nais­sance be­gann sich nicht nur die aka­de­mi­sche Leh­re ra­di­kal zu wan­deln; es ent­wi­ckel­te sich erst­mals auch ei­ne Form der Selbst­wahr­neh­mung und Re­fle­xi­on des Ge­lehr­ten­tums, die man viel spä­ter als Wis­sen­schafts­ge­schich­te be­zeich­nen kann und die jen­seits der fach­li­chen In­hal­te die Rol­le der Wis­sen­schaft in Po­li­tik, Wirt­schaft Kul­tur und Ge­sell­schaft be­schreibt. Ein frü­hes Werk, „De ce­le­brio­ri­bus uni­ver­si or­di­nis aca­de­miis”, stammt von dem nie­der­län­di­schen Ge­lehr­ten Ja­kob Mid­den­dorp, der es in Köln zwei­mal zu höchs­ten po­li­ti­schen wie auch wis­sen­schaft­li­chen Eh­ren brach­te, als ver­meint­li­cher Ge­folgs­mann des re­for­ma­to­ri­schen Um­stürz­lers Geb­hard von Wald­burg (1547-1601) je­doch lan­ge Zeit ver­femt und ver­ges­sen wur­de.

Ob­wohl Mid­den­dorp sich als Ver­fas­ser sei­nes aka­de­mi­schen Werks den Bei­na­men „Ot­mer­sen­sis“ gab und die äl­te­re For­schung da­her sei­nen Ge­burts­ort in Oot­mar­sum sah, ist es wahr­schein­li­cher, dass er 1537 im wei­ter süd­lich ge­le­ge­nen Ol­den­zaal ge­bo­ren wur­de. Über sei­ne Fa­mi­lie ist nichts wei­ter be­kannt, sie muss al­ler­dings in der La­ge ge­we­sen sein, ihm ei­ne klas­si­sche uni­ver­si­tä­re Aus­bil­dung zu er­mög­li­chen, die er an der La­tein­schu­le der Brü­der vom ge­mein­sa­men Le­ben in Zwol­le be­gann. 

Die Re­gi­on Twen­te und ins­be­son­de­re Ol­den­zaal ge­hör­ten zu den we­ni­gen Ge­gen­den im heu­ti­gen deutsch-nie­der­län­di­schen Grenz­ge­biet, die nach der Re­for­ma­ti­on ka­tho­lisch ge­blie­ben wa­ren und erst zu An­fang des 17. Jahr­hun­derts durch die Trup­pen der Ver­ei­nig­ten Nie­der­lan­de un­ter­wor­fen und re­for­miert wur­den. Ge­ra­de Ol­den­zaal, das es als Han­se­stadt zu ei­nem ge­wis­sen Wohl­stand ge­bracht hat­te, zähl­te mit sei­nen vie­len Klös­tern und Kir­chen zu ei­nem re­li­giö­sen Zen­trum der Re­gi­on. Auch Zwol­le, Mid­den­dorps Stu­di­en­ort, galt bis zu sei­ner Er­obe­rung durch Wil­helm IV. von Berg (1537-1586) im Jahr 1572 ne­ben Deven­ter als kul­tu­rell-in­tel­lek­tu­el­ler Nu­kle­us der Nie­der­lan­de mit star­ker Af­fi­ni­tät zur hu­ma­nis­ti­schen Leh­re. Man darf an­neh­men, dass die­se Mi­schung aus ein­deu­tig alt­gläu­bi­ger Ver­wur­ze­lung, prak­ti­scher Fröm­mig­keit und geis­ti­ger Li­ber­tät Mid­den­dorp, der in Zwol­le das phi­lo­so­phi­sche Grund­stu­di­um durch­lief, ge­prägt ha­ben wird.

Wann und war­um er – wie üb­ri­gens nicht we­ni­ge sei­ner Lands­leu­te – sei­ne Hei­mat Rich­tun­g Köln ver­ließ, ist un­be­kannt; mög­li­cher­wei­se gab es ei­nen zu­min­dest zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit der Er­obe­rung Zwol­les. Die Köl­ner Uni­ver­si­tät war je­den­falls im letz­ten Drit­tel des 16. Jahr­hun­derts nicht die ers­te Wahl für jun­ge Ge­lehr­te und muss­te in die­ser Zeit nach den vor­an­ge­gan­ge­nen Af­fä­ren et­wa um die Dun­kel­män­ner­brie­fe und die kon­fes­sio­nel­le Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Erz­bi­schof Her­mann von Wied den Tief­stand ih­rer Stu­den­ten­zah­len ver­zeich­nen. Mid­den­dorp führ­te sein Stu­di­um in Köln zu En­de und pro­mo­vier­te sich 1582 so­wohl in der Phi­lo­so­phie als auch in bei­den Rech­ten, nach­dem er be­reits im Jahr 1571 das theo­lo­gi­sche Li­zen­zi­at er­wor­ben hat­te.

Im An­schluss dar­an war Mid­den­dorp an der Mon­t­an­er­bur­se, ei­nem der drei Gym­na­si­en der Köl­ner Ar­tis­ten­fa­kul­tät, tä­tig und lehr­te dort vor­wie­gend an­ti­ke Phi­lo­so­phie. Au­ßer­dem war er als Jus­ti­zi­ar für ei­ni­ge Stifts­ka­pi­tel tä­tig, die er in meh­re­ren Ge­richts­pro­zes­sen an­walt­lich ver­trat. Zur fi­nan­zi­el­len Ab­si­che­rung hat­te er ein Ka­no­ni­kat an der Stifts­kir­che St. Ma­ria ad gra­dus, de­ren Ka­pi­tel er be­reits seit 1580 in der Nach­fol­ge Gott­fried Grop­pers seit 1580 vor­stand. Im glei­chen Jahr über­nahm er erst­mals das Rek­to­rat der Uni­ver­si­tät und er­reich­te da­mit den ers­ten Hö­he­punkt sei­ner Kar­rie­re, die durch sei­ne en­ge Ver­bin­dung zum Erz­bi­schof Geb­hard Truch­sess von Wald­burg jäh un­ter­bro­chen wur­de.

 

Geb­hard war als Nach­fol­ger Sa­len­tins von Isen­burg glei­cher­ma­ßen als Ga­rant der zu­min­dest for­ma­len Ka­tho­li­zi­tät des Dom­ka­pi­tels und als Kom­pro­miss­kan­di­dat ge­gen Ernst von Bay­ern (1554-1612) ge­wählt wor­den, der das Wit­tels­ba­chi­sche Herr­schafts­stre­ben im Nord­wes­ten des Rei­ches fes­ti­gen soll­te. Noch als Geb­hard ein­fa­cher Dom­herr in Köln ge­we­sen war, muss zwi­schen ihm und dem zehn Jah­re äl­te­ren Ge­lehr­ten ein freund­schaft­li­ches Ver­hält­nis be­stan­den ha­ben; so wid­me­te Mid­den­dorp Geb­hard schon im Jahr 1567 die ers­te Aus­ga­be sei­nes spä­ter viel­fach er­wei­ter­ten und be­rühm­ten Werks über die Ge­schich­te der Uni­ver­si­tä­ten der Welt. Spä­ter war Mid­den­dorp in Geb­hards Ge­folg­schaft zum kur­fürst­li­chen Rat auf­ge­stie­gen und hat­te auch ei­nes der be­gehr­ten Pries­ter­ka­no­ni­ka­te am Dom er­hal­ten, wo­bei ein Sohn des Bür­ger­meis­ters Kon­stan­tin Lys­kir­chen (gest. 1581) zu­rück­ste­hen muss­te. Das einst gu­te Ver­hält­nis zum Rat, den Mid­den­dorp un­ter an­de­rem bei ei­ner di­plo­ma­ti­schen Mis­si­on zum Her­zog von Al­ba (1507-1582), dem spa­ni­schen Statt­hal­ter in den Nie­der­lan­den, ver­tre­ten hat­te, war da­mit nach­hal­tig ge­stört.

An­ders als die an­de­ren Pries­ter­ka­no­ni­ker, die als Pfar­rer oder Uni­ver­si­täts­ge­lehr­te ei­nen star­ken Rück­halt in der Stadt hat­ten, war Mid­den­dorp da­mit ganz vom Erz­bi­schof ab­hän­gig. Als Geb­hard die Kon­fes­si­on wech­sel­te, um hei­ra­ten zu kön­nen, und das Erz­stift da­mit in den so ge­nann­ten Truch­ses­si­schen Krieg stürz­te, muss­te des­halb auch Mid­den­dorp Köln ver­las­sen und ging da­bei den meis­ten sei­ner Pfrün­den ver­lus­tig. Die aus­ge­spro­che­ne Ex­kom­mu­ni­ka­ti­on ließ sich al­ler­dings nicht auf­recht­er­hal­ten, da die theo­lo­gi­sche Kom­pe­tenz Mid­den­dorps und auch sei­ne Alt­gläu­big­keit letzt­lich un­strit­tig wa­ren.

Den­noch be­nö­tig­te er für sei­ne Re­ha­bi­li­ta­ti­on, um die er sich an der Ro­ta ro­ma­na in­ten­siv be­müh­te, mehr als ein Jahr­zehnt, das er über­wie­gend in West­fa­len ver­bracht zu ha­ben scheint, ins­be­son­de­re wohl in Soest, wo er De­kan des St.-Pa­tro­k­lus-Stif­tes wur­de. Dass er in der pro­tes­tan­ti­schen Stadt ei­nen aka­de­mi­schen Lehr­auf­trag ge­habt hät­te, er­scheint in­des höchst zwei­fel­haft, auch wenn die äl­te­re For­schung es an­deu­tet.

Of­fen­bar seit dem Jah­res­wech­sel 1596/97 hielt Mid­den­dorp sich wie­der stän­dig in Köln auf. Das Stifts­ka­pi­tel von St. An­dre­as wähl­te ihn zum De­kan, im Jahr 1601 kehr­te er in den Kreis der Dom­ka­pi­tu­la­re zu­rück. Schlie­ß­lich nahm er auch sei­ne Tä­tig­keit an der Uni­ver­si­tät zu Köln wie­der auf, de­ren Rek­to­rat er von 1602 bis 1604 er­neut über­nahm. Wäh­rend sei­ner zwei­ten Kar­rie­re ach­te­te Mid­den­dorp je­doch streng dar­auf, sich nicht mehr für po­li­ti­sche Zwe­cke ver­ein­nah­men zu las­sen. Dem­entspre­chend wei­ger­te er sich, im vom Ko­ad­ju­tor Fer­di­nand von Bay­ern (1577-1650) ein­ge­rich­te­ten Kir­chen­rat mit­zu­ar­bei­ten, in dem er – be­rech­tig­ter­wei­se – den Ver­such der ob­rig­keit­li­chen Be­ein­flus­sung kir­chen­in­ter­ner Ab­läu­fe sah, ein für das Zeit­al­ter der kon­fes­sio­nel­len Durch­drin­gung der Le­bens­wel­ten ty­pi­scher Pro­zess. Dem­entspre­chend un­wahr­schein­lich ist auch ei­ne Be­ru­fung zum kur­k­öl­ni­schen Vi­ze­kanz­ler, die sich in der Li­te­ra­tur hart­nä­ckig fin­det, tat­säch­lich al­ler­dings auf ei­ne Ver­wechs­lung mit der Pro­kanz­ler­schaft an der Uni­ver­si­tät zu­rück­zu­ge­hen scheint.

Ja­kob Mid­den­dorp starb am 13. Ja­nu­ar 1611. Für Mit­glie­der sei­ner Fa­mi­lie hin­ter­ließ er der Mon­t­an­er­bur­se, der er zeit­le­bens ver­bun­den ge­blie­ben war, ei­ne Stif­tung. Be­stat­tet wur­de er in St. An­dre­as; sein Grab­denk­mal soll mo­nu­men­tal ge­we­sen und ihn als ei­nen der be­deu­tends­ten Ge­lehr­ten sei­ner Zeit aus­ge­wie­sen ha­ben. Si­cher­lich darf Mid­den­dorp als Ver­tre­ter, wenn nicht Pro­to­typ des ba­ro­cken Uni­ver­sal­ge­lehr­ten­tums gel­ten, das die Wis­sen­schaft auch im­mer im ge­samt­ge­sell­schaft­li­chen Kon­text sah und da­mit der Auf­klä­rung den Weg zu be­rei­ten half. 

Werke (Auswahl)

De ce­le­brio­ri­bus uni­ver­si or­di­nis aca­de­miis li­bri duo, Köln 1567-1572.

De of­fi­ciis scho­las­ti­cis, li­bri duo: pri­or de ma­gis­tro­rum, al­ter de au­di­to­rum of­fi­ciis, Köln 1570.

Aca­de­miar­um ce­le­bri­um uni­ver­si ter­rar­um or­bis li­bri trez, nunc re­cens per ip­sum aut­ho­rem quar­ti li­bri ac­ces­sio­ne lo­cup­leta­ti, Köln 1574.

Aris­teae His­to­ria ver­sae per LXX In­ter­pre­tes Scrip­tu­rae Sa­crae, ex mss. co­di­ci­bus Gra­ecis et La­ti­nis re­sti­tu­ta, et com­men­ta­rio il­lus­tra­te, Köln 1578.

Aca­de­miar­um ce­le­bri­um Uni­ver­si Ter­rar­um or­bis li­bri oc­to lo­cup­leta­ti, Köln 1602.

Im­pe­ra­to­rum, Re­gum et Prin­ci­pum, cla­ris­si­mo­rum­que vi­r­o­rum Qua­es­tio­nes Theo­lo­gi­cae, Ju­ri­di­cae et Po­li­ti­cae, cum pul­cher­ri­mis Re­s­pon­sio­ni­bus: selec­tae, et ex mss. Co­di­ci­bus emen­da­tae, at­que com­men­ta­riis sic il­lus­tra­tae, ut non mo­do ad bes­ne ju­cun­de, pru­den­ter, bea­teque non­dum, sed ad ca­pis­sen­dam et fe­li­ci­ter ad­mi­nis­tran­dam Rem­pu­bli­cam, om­ni­bus haud me­di­o­ri­ter sint prof­n­turae, Köln 1603.

His­to­ria Mo­nas­ti­ca, quae re­li­gio­sae et so­li­ta­riae vi­tae ori­gi­nem, pro­gres­sio­nes, in­e­re­men­ta et na­tur­am ex scrip­turâ sa­crâ, ex Pon­ti­fi­cio et Cae­sa­reo ju­re, ex an­ti­quis­si­mis his­to­riis, ex ve­ter­um Pa­trum, at­que Ju­ris­con­sul­to­rum scri­plis de­mons­tra­te, Köln 1603. 

Literatur

Benz, Ste­fan, Ja­kob Mid­den­dorp und die An­fän­ge der Wis­sen­schafts­ge­schich­te in Köln, in: Ge­schich­te in Köln 49 (2002), S. 105-130.

Fell­mann, Do­ro­thea, Das Gym­na­si­um Mon­tanum in Köln 1550-1798, Köln 1999.

Wer­hahn, Franz, Ja­cob Mid­den­dorp als Päd­ago­ge (1537-1611). Ein Bei­trag zur Ge­schich­te der Päd­ago­gik des 16. Jahr­hun­derts, Diss. Würz­burg 1919. 

Online

Mer­lo, Jo­hann Ja­kob, Ar­ti­kel „Ja­cob Mid­den­dorp”, in: ADB 21 (1885), 711. [On­line]

Van der Aa, A. J., Ja­cob van Mid­den­dorp, in: Bio­gra­phisch wo­or­den­bo­ek der Neder­lan­den. De­el 12. Tweede stuk. J.J. van Bre­dero­de, Haar­lem 1869. [On­line]

Titelblatt einer Publikation Jakob Middendorps aus dem Jahr 1572. (Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt/CC BY-SA 3.0)

 
Zitationshinweis

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Bock, Martin, Jakob Middendorp, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/jakob-middendorp/DE-2086/lido/61ee5d0519ad04.90660063 (abgerufen am 19.04.2024)