Jean Ignace Roderique

Historiker und Publizist (1696-1756)

Herbert Hömig (Köln)

Jean Ignace Roderique bittet den Rat der Stadt um die Einrichtung einer Geschichtsprofessur, 19.9.1732. (Rheinisches Bildarchiv)

Der Köl­ner Pu­bli­zist Jean Ignace (Jo­hann Ignaz) Ro­de­ri­que ge­hör­te zu den be­deu­tends­ten Jour­na­lis­ten des 18. Jahr­hun­derts. Sei­ne „Ga­zet­te de Co­lo­gne" war an den Hö­fen ganz Eu­ro­pas be­kannt und galt wäh­rend der Schle­si­schen Krie­ge als Sprach­rohr der ös­ter­rei­chi­schen Par­tei. Kein Ge­rin­ge­rer als der preu­ßi­sche Kö­nig Fried­rich der Gro­ße (Re­gie­rungs­zeit 1740-1786) wür­dig­te ihn in ei­ner ge­reim­ten fran­zö­si­schen Epis­tel als ei­nen „fri­pier de nou­vel­les", als ei­nen Nach­schrei­ber von (frag­wür­di­gen) Nach­rich­ten, des­sen Mach­wer­ke er dem öf­fent­li­chen Spott preis­ge­ben woll­te.

Ro­de­ri­que leb­te seit 1731 in Köln, nach­dem er dort die Wit­we Si­byl­la Ka­tha­ri­na Pö­ner, ge­bo­re­ne Top­si­us, ge­hei­ra­tet hat­te. Seit­her be­saß er das Köl­ner Bür­ger­recht, das er für 20 Reichs­ta­ler er­wor­ben hat­te. Er war am 3.11.1696 in Malme­dy als Sohn des Gold­schmie­des und Uhr­ma­chers Jean Ro­de­ri­que (1661/1662-1759/1765), seit 1715 Bür­ger­meis­ter von Malme­dy, und von An­ne Ma­rie May­er (ge­stor­ben 1765) ge­bo­ren wor­den. 1714 trat er in Trier in den Je­sui­ten­or­den ein, den er nach neun Jah­ren wie­der ver­ließ. Seit 1718 wirk­te Ro­de­ri­que als La­tein­leh­rer für die un­te­ren Klas­sen der Je­sui­ten­gym­na­si­en in Trier und Neuss. In den Jah­ren 1721 und 1722 un­ter­rich­te­te er am Gym­na­si­um in Os­na­brück Grie­chisch, ehe er mit dem Stu­di­um der Theo­lo­gie in Köln und Müns­ter be­gann. Dort hör­te er un­ter an­de­rem bei dem Je­sui­ten Bar­tho­lo­mä­us des Bos­ses (1668-1738) Phi­lo­so­phie. Die­ser emp­fahl ihn dem da­mals be­rühm­ten His­to­ri­ker und Bi­blio­the­kar Jo­hann Ge­org von Eck­hart (1664-1730), der seit 1694 Mit­ar­bei­ter von Gott­fried Wil­helm Leib­niz (1646-1716) an den Scrip­to­res Rer­um Bruns­vicen­si­um war. Mit Eck­hart ging er im Jahr dar­auf nach Würz­burg, wo sich Ro­de­ri­que in die Diens­te des Fürst­bi­schofs Chris­toph Franz von Hut­ten (1673-1729) be­gab. Auf Eck­harts Emp­feh­lung wur­de Ro­de­ri­que dort am 11.12.1725 zum Pro­fes­sor für Al­ge­bra, Ana­ly­sis und Geo­gra­phie er­nannt. In Würz­burg wirk­te er zeit­wei­lig auch als Pa­gen­er­zie­her, da die Ein­künf­te aus dem Lehr­amt nicht für den Le­bens­un­ter­halt reich­ten. Der Fürst­bi­schof äu­ßer­te 1730 ge­le­gent­lich sei­ne Un­zu­frie­den­heit mit Ro­de­ri­que und er­mahn­te ihn, sei­ne Pflich­ten ge­wis­sen­haft zu er­fül­len, woll­te aber auf sei­ne Diens­te nicht ver­zich­ten.

Die Hin­ter­grün­de der Er­mah­nun­gen lie­gen im Dun­keln. Je­doch sind Ro­de­ri­ques und Eck­harts Na­men mit der Af­fä­re um die so ge­nann­ten „Würz­bur­ger Lü­gen­stei­ne" ver­knüpft, die durch den Leib­arzt des Fürst­bi­schofs, den Pa­lä­on­to­lo­gen Jo­hann Bar­tho­lo­mä­us Adam Be­rin­ger (1667-1738) in dem Buch „Li­tho­gra­phia Wir­ce­bur­gen­sis" im Mai 1726 be­schrie­ben wur­den. Es han­del­te sich un­ter an­de­rem um die heu­te noch vor­han­de­nen „Würz­bur­ger Lü­gen­stei­ne", ge­fälsch­te Fos­si­li­en aus Mu­schel­kalk, die Ro­de­ri­que Be­rin­ger un­ter­schie­ben ließ, um die­sen in der wis­sen­schaft­li­chen Welt der Lä­cher­lich­keit preis­zu­ge­ben.

Ro­de­ri­ques Nei­gung zum wis­sen­schaft­li­chen Dis­put mit kon­kur­rie­ren­den Ge­lehr­ten zeig­te sich zwei Jah­re spä­ter, als er um­fang­rei­che Dis­cep­ta­tio­nes (1728) zur Ge­schich­te der Be­ne­dik­ti­ner-Ab­tei Sta­blo-Malme­dy ver­öf­fent­lich­te, die ge­gen die Ur­kun­den­samm­lung der bei­den ge­lehr­ten Mau­ri­ner Ed­mond Mar­tè­ne (1634-1739) und und Ursin Du­rand (1682-1771) ge­rich­tet wa­ren. Der Vor­gang hat­te auch po­li­ti­sche As­pek­te. Es ging um den kir­chen­recht­li­chen Vor­rang des Klos­ters Malme­dy, das mit Sta­blo ei­nem ge­mein­sa­men Abt un­ter­stand. Als Be­gräb­nis­stät­te des Klos­ter­grün­ders Re­ma­clus (600 – 673 oder 679) konn­te Sta­blo ei­nen Pri­mat be­an­spru­chen, ob­wohl es die spä­te­re Grün­dung war. Malme­dy lag in­ner­halb de­s Erz­bis­tums Köln wäh­rend Sta­blo zum Bis­tum Lüt­tich ge­hör­te. Mar­tè­ne und Du­rand ver­tra­ten 1730 aufs Neue die Sa­che Sta­blos und fan­den da­für den Bei­fall des Ful­da­er Bi­blio­the­kars Jo­hann Fried­rich Schan­nat (1638-1739) und auch der Je­sui­ten Jo­seph Hart­z­heim (1694-1763) und Bar­t­hol­mä­us des Bos­ses, wäh­rend Ro­de­ri­que sei­nen Stand­punkt in ei­ner wei­te­ren Dis­cep­ta­tio (1731) be­kräf­tig­te und da­bei von den Malme­dy­er Mön­chen un­ter­stützt wur­de. Ein Be­such in sei­ner Hei­mat hat­te ihm un­ter an­de­rem ei­ne An­kla­ge we­gen „Ma­jes­täts­be­lei­di­gung" ein­ge­tra­gen, weil er die Echt­heit kai­ser­li­cher Ur­kun­den an­ge­zwei­felt ha­be. Ge­gen ei­ne Geld­stra­fe leg­te er beim Reichs­kam­mer­ge­richt in Wetz­lar Be­ru­fung ein und er­reich­te 1741 ei­nen Frei­spruch. Nach dem end­gül­ti­gen Ab­schied von Würz­burg be­gann Ro­de­ri­ques Kar­rie­re als Zei­tungs­schrei­ber in Köln. Nach ei­nem kur­zen Zwi­schen­spiel als Do­zent für Ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät be­an­trag­te er im Som­mer 1734 beim Köl­ner Rat die Ge­neh­mi­gung für die Her­aus­ga­be ei­ner fran­zö­si­schen Zei­tung. Sei­ne Ab­sicht, sich als Ge­schichts­schrei­ber ei­nen Na­men zu ma­chen, hat­te er auf­ge­ge­ben, da ihm in Köln nur ein Jah­res­ge­halt von 100 Reichs­ta­lern ge­bo­ten wur­de, was ei­nem Fünf­tel sei­ner Würz­bur­ger Ein­künf­te ent­sprach. Um so ein­träg­li­cher soll­ten sich sei­ne pu­bli­zis­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten er­wei­sen.

Die „Ga­zet­te der Co­lo­gne" soll­te von An­fang in Kon­kur­renz zu Blät­tern wie der „Ga­zet­te d' Ams­ter­dam", der „Ga­zet­te de la Haye" oder der „Ga­zet­te d'Ut­recht" tre­ten, die von pro­tes­tan­ti­schen fran­zö­si­schen Emi­gran­ten in den Nie­der­lan­den her­aus­ge­ge­ben wur­den. Im Un­ter­schied zu die­sen Zei­tun­gen leg­te Ro­de­ri­que Wert dar­auf, dass sein Blatt die Wür­de der ka­tho­li­schen Re­li­gi­on re­spek­tie­ren wer­de, wie er in sei­nem Ge­such an den Rat be­tont hat­te. Er war be­strebt, nicht in die Ge­gen­sät­ze zwi­schen den Gro­ß­mäch­ten hin­ein­ge­zo­gen zu wer­den. An­de­rer­seits un­ter­stütz­te er die ös­ter­rei­chi­sche Po­li­tik, nach­dem ihm von Karl VI. (Re­gie­rungs­zeit 1711-1740) 1735 ein kai­ser­li­ches Pri­vi­leg zur Her­aus­ga­be ei­ner Zei­tung er­teilt wor­den war, das ihn von der üb­li­chen Zen­sur in der Reichs­stadt un­ab­hän­gig mach­te. Es wur­de zehn Jah­re spä­ter von Kai­ser Franz I. (Re­gie­rungs­zeit 1745-1765) be­stä­tigt. Da­für muss­te der Zei­tungs­schrei­ber an je­dem Post­ta­ge sechs Ex­em­pla­re sei­nes Blat­tes an den Reichs­hof­rat sen­den. Er ver­pflich­te­te sich, nichts zu ver­öf­fent­li­chen, was dem An­se­hen des Kai­sers scha­den konn­te.

Ro­de­ri­que zog sein Pres­se­un­ter­neh­men für die Zeit pro­fes­sio­nell auf. Ne­ben der ge­druck­ten Zei­tung auf ita­lie­ni­schem Post­pa­pier im Um­fang von vier Sei­ten und ei­nem Sup­ple­ment von zwei Sei­ten, das diens­tags und frei­tags er­schien, gab er ei­ne ge­hei­me, ver­trau­li­che Kor­re­spon­denz her­aus, sei­ne „ge­schrie­be­nen Zei­tun­gen", die von Lohn­schrei­bern hand­schrift­lich ver­viel­fäl­tigt wur­den. Sie wur­den an Be­zie­her zu un­ter­schied­li­chen Prei­sen ver­sandt. Das Abon­ne­ment des preu­ßi­schen Re­si­den­ten in Köln, Ja­cob Fried­rich von Rohd (1701-1784), kos­te­te 24 bis 30 Du­ka­ten. Der Post­meis­ter in Kle­ve hin­ge­gen be­zahl­te nur 12 Du­ka­ten. Auch den Han­del mit Nach­rich­ten be­trieb Ro­de­ri­que mit Hil­fe von ge­schrie­be­nen Zei­tun­gen, die Ge­schäfts­freun­de ge­wöhn­lich ei­nen Post­tag frü­her er­hiel­ten als die Kon­kur­ren­ten. Die­sen Ser­vice ließ er sich mit 100 bis 150 Gul­den im Jahr be­zah­len. En­ge Be­zie­hun­gen pfleg­te er zu dem ös­ter­rei­chi­schen Be­fehls­ha­ber in den Nie­der­lan­den, Her­zog Karl von Loth­rin­gen (1712-1780), wäh­rend er zu­neh­mend in ei­nen Ge­gen­satz zur preu­ßi­schen Po­li­tik ge­riet. Dass Fried­rich der Gro­ße ihn im April 1741 nach wie­der­hol­ten War­nun­gen we­gen sei­ner po­li­ti­schen Hal­tung auf of­fe­ner Stra­ße ver­prü­geln ließ, wi­der­sprach des­sen an­geb­li­chem Grund­satz, die Zei­tun­gen dürf­ten „nicht ge­nie­ret wer­den, wenn sie ir­gend in­ter­es­sant sein soll­ten". Es ge­lang der preu­ßi­schen Po­li­tik nie, die „Ga­zet­te de Co­lo­gne" auf ih­re Sei­te zu zie­hen.

Das Zei­tungs- und Nou­vel­len­ge­schäft in der Glo­cken­gas­se ent­sprach der Be­deu­tung des Wirt­schafts­zen­trum Köln. Der Ab­druck von Nach­rich­ten ver­schie­de­ner Her­kunft mach­te die Köl­ner Zei­tung für aus­wär­ti­ge Be­zie­her in­ter­es­sant und auf­schluss­reich, ob­wohl Ro­de­ri­que für heu­ti­ge Be­grif­fe ei­ne zu­rück­hal­ten­de Be­richt­er­stat­tung pfleg­te. Der wohl­ha­ben­de Zei­tungs­schrei­ber wur­de so­wohl von dem wit­tels­ba­chi­schen Kai­ser Karl VII. (Re­gie­rungs­zeit 1742-1745) wie auch von Kai­se­rin Ma­ria The­re­sia (1717-1780) zum Hof­rat er­nannt. Nach sei­nem To­de am 4.4.1756 über­nahm sein Nef­fe An­ton Cas­par Jac­que­mot­te (1725-1764) die Re­dak­ti­on der „Ga­zet­te de Co­lo­gne".

Werke

Igna­tii Ro­de­ri­que Dis­cep­ta­tio­nes de ab­ba­ti­bus, Ori­gi­ni, pri­maeva et ho­dier­na con­sti­tu­tio­ne Ab­ba­tiar­um in­ter se unitar­um Mal­m­unda­ri­en­sis et Sta­bu­len­sis op­po­si­tae ob­ser­va­tio­ni­bus ma­xi­mae Re­ver­en­d­o­rum Dom­no­rum Ed­mun­di Ma­ter­ne et Ursi­ni Du­rand Pres­by­ter­o­rum Be­ne­dic­tin­o­rum e Con­gre­ga­tio­ne Sanc­ti Mau­ri, Würz­burg 1728.
His­to­riae uni­ver­sa­lis in­sti­tu­tio­nes, si­ve res pra­eci­puae ab or­be con­di­to ad sa­e­cu­lum a Chris­to na­to de­ci­mum me­di­um or­di­ne Chro­no­lo­gi­co di­gestae et ex­cur­si­bus Phi­lo­lo­gi­co-Po­li­ti­cis in mo­res, in­sti­tu­ta, rem ci­vi­lem bel­li­cam at­que sa­cram pra­eci­puo­rum po­pu­l­o­rum il­lus­tra­ta in usum lec­tio­num Aca­de­mi­co­rum adornabat Igna­ti­us Ro­de­ri­que Lo­va­nii, His­tor. I. A. V. C. C. P. P.
Ga­zet­te de Co­lo­gne, Jahr­gang 1744 (Uni­ver­si­täts- und Stadt­bi­blio­thek Köln), 1746-1752 (un­voll­stän­di­ger Sam­mel­band, Erz­bi­schöf­li­che Bi­blio­thek Pa­der­born), 1749-1755 (Haus-, Hof- und Staats­ar­chiv Wien), 1756 (Uni­ver­si­täts- und Stadt­bi­blio­thek Köln).

Literatur

En­nen, Leo­nard, Die Zei­tungs­pres­se in der Reichs­stadt Köln, in: An­na­len des His­to­ri­schen Ver­eins für den Nie­der­rhein 36 (1881), S. 12-82.
Hö­mig, Her­bert, Jean Ignace Ro­de­ri­que (1696-1756), in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 9 (1982), S. 159-177.
Hö­mig, Her­bert, Jean Ignace Ro­de­ri­que und die An­fän­ge der Ge­schichts­wis­sen­schaft an der Köl­ner Uni­ver­si­tät, in: An­na­len des His­to­ri­schen Ver­eins für den Nie­der­rhein 180 (1978), S. 146-168.
Hop­pe, Klä­re, Ro­de­ri­ques „Ga­zet­te de Co­lo­gne" 1740-1745, Müns­ter 1948.

Online

Hö­mig, Her­bert, „Ro­de­ri­que", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 21 (2003), S. 699-700. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Hömig, Herbert, Jean Ignace Roderique, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/jean-ignace-roderique/DE-2086/lido/57cd2238459525.92349201 (abgerufen am 20.04.2024)