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Johann Friedrich Benzenberg spielte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle in Politik und Wissenschaft des Rheinlands. Er bewunderte Napoleon und kooperierte eng mit der französischen Verwaltung des Großherzogtums Berg beim Erstellen des Katasters im Rheinland. Nach dem Zusammenbruch der französischen Herrschaft galt der Freigeist als der erste rheinische Liberale, der die Interessen seiner Heimat in zahlreichen Denkschriften und Eingaben nach Berlin zu schützen suchte. Er wollte dem Rheinland eine eigenständige Rolle als neu erworbener Bestandteil Preußens sichern und regte Verbesserungen der Verfassungs-, Steuer- und Finanzpolitik Preußens an. Darin bezog er sich, oft weitschweifend, auf germanische und mittelalterliche Ursprünge und Traditionen wie auch auf neueste statistische Erhebungen und Analysen zu Grundbesitz und Steuerwesen. In der Wissenschaft beschäftigte er sich in vielen Beiträgen mit physikalischen Fragen zu Mechanik, Akustik, Optik und Wärmelehre, bekannt und auch berüchtigt für manch unkonventionelle Ideen. Benzenberg veröffentlichte zahllose wissenschaftliche Arbeiten und Artikel zu ihm interessant erscheinenden astronomischen und physikalischen Phänomenen. Von seinen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Arbeiten zog er sich oft zurück und suchte Zuflucht im Experimentieren und Beobachten. Dabei ging es ihm weniger um die wissenschaftlichen Ergebnisse, sondern mehr um die Entwicklung des Instrumentariums. Heute sind seine Beiträge sowohl in Politik als auch Wissenschaft weitgehend vergessen, allenfalls als Kuriosum am Rande zeitgeschichtlicher Ausführungen vermerkt.
Johann Friedrich Benzenberg wurde am 5.5.1777 in Schöller bei Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) im Herzogtum Berg geboren. Er war der einzige Sohn des reformierten Pfarrers Heinrich Benzenberg (1744-1809) und dessen Frau Johanna Elisabeth geborene Fues (1759-1841). Das unkonventionelle Denken seines Vaters prägte den Sohn. Heinrich Benzenberg vertrat die Ansicht, dass sich die lutherischen und reformierten Glaubensgemeinschaften vereinigen sollten. In einer 1803 erschienenen Schrift suchte er die Bibel mit den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vereinigen.
Der junge Benzenberg studierte auf Wunsch des Vaters 1794 Theologie in Herborn und wechselte 1795 nach Marburg. Dort realisierte er sein Desinteresse an Theologie und seinen Hang zu wissenschaftlichen Fragen. Am 27.10.1797 schrieb er sich gegen den Willen des Vaters an der Universität Göttingen ein, um unter dem bekannten Professor Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) Naturkunde zu studieren.
Der Besuch des Wittenberger Physikers Ernst Florens Friedrich Chladni (1756-1827) bei Lichtenberg regte Benzenberg zur Frage des Ursprungs von Meteoriten und Meteoritenschauern an – ein Thema, das ihn zeitlebens umtrieb. Er beobachtete sie systematisch zusammen mit seinem Kommilitonen Heinrich Wilhelm Brandes (1777-1834) und bestimmte ihre Höhe mittels trigonometrischer Messungen. Damit wurde zum ersten Mal die bis dahin vorherrschende Meinung widerlegt, dass Sternschnuppen ähnlich wie Blitze atmosphärische Erscheinungen seien, und verdeutlicht, dass es sich um ein extraterrestrisches Phänomen handele. Benzenberg glaubte wie Lichtenberg, dass Sternschnuppen durch Vulkane herausgeschleudertes Mondgestein seien, das die Erde bombardiere.
Das Vermessen von Sternschnuppen lieferte ihm auch die Idee, Sternschnuppen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit kamen, als alternative Möglichkeit für die Navigation zu untersuchen. Dies erforderte die Verlängerung der Standlinie, um die Objekte aus verschiedenen Winkeln zu vermessen. Benzenberg und Brandes schufen ein erstes Netzwerk aus Naturforschern in verschiedenen Gegenden Deutschlands, die ihre Beobachtungen zeitgleich zu koordinieren suchten.
Benzenbergs wissenschaftlich aktivste Zeit lag zwischen 1801 und 1805. Nach der Promotion unterrichtete er am Erziehungsinstitut für höhere Töchter der Schriftstellerin und Erzieherin Caroline Rudolphi (1753-1811). Diese Hamburger Jahre widmete er einem weiteren Experiment, das die von Isaac Newton (1642-1726) theoretisch vorhergesagte Erdrotation experimentell bestätigen sollte. Zu diesem Zweck wählte er den Kirchturm von St. Michaelis, den höchsten Punkt der Umgebung, um von dessen Höhe innen eine spezialgefertigte Bleikugel fallen zu lassen. Aus der Abweichung von der senkrechten Falllinie wollte er die Geschwindigkeit der Erdrotation errechnen. Das Experiment war erfolgreich, doch der Chronometer maß nicht exakt genug für ein eindeutiges Ergebnis innerhalb des instrumentellen Unsicherheitsbereichs.
Seine Arbeit trübte jedoch ein Skandal: Benzenberg unterhielt in Hamburg ein platonisches Verhältnis zu der 24 Jahre älteren Direktorin und gleichzeitig ein weniger platonisches mit der Schülerin Doris Olbers, der Tochter des bekannten Astronomen Heinrich Wilhelm Olbers (1758-1840). Dies führte zur fristlosen Entlassung.
Benzenberg kehrte 1803 nach Düsseldorf zurück, um seine wissenschaftlichen Ergebnisse zum Fallversuch aufzuzeichnen und in einem tiefen Bergwerksschacht bei Wetter an der Ruhr weiter erfolgreich zu experimentieren. Anschließend reiste er nach Paris, um sich dort über den technischen Fortschritt und die aktuellsten Entwicklungen im neuen Kaiserreich zu informieren. In dieser Zeit sah sich Benzenberg aber auch mehr in die örtliche Politik verstrickt – nicht ohne eigene Schuld, denn er kritisierte öffentlich die ersten und seiner Ansicht nach unprofessionellen Versuche der kurfürstlichen Regierung, ein Kataster für die gerechtere Besteuerung von Landbesitzern zu erstellen. Er legte der bayerischen Regierung in München einen eigenen Plan vor und wurde gegen den Widerstand der örtlichen Bürokratie als Leiter des Katasteramts in Düsseldorf bestellt. In nur drei Jahren sollte er das Kataster erstellen – zuerst unter der bayerischen, ab 1807 unter der französischen Regierungsbehörde des Großherzogtums Berg. Benzenberg begann sein ambitioniertes Programm, verfasste aber auch mehrere Lehrbücher zur mathematisch-geometrischen Methodik des Katasters, um die Mitarbeiter und Landvermesser ausreichend zu schulen. Nachdem Napoleons Schwager Joachim Murat (1767-1815) von Düsseldorf als König nach Neapel ging, verlor Benzenberg seine Fürsprecher: Das Programm wurde eingestellt.
Finanziell bedeutete das keinen großen Verlust. 1807 hatte Benzenberg Charlotte Platzhoff (1789-1809) aus reicher Elberfelder Kaufmannsfamilie geheiratet und war dadurch selbst wohlhabend geworden. Benzenberg genoss das unabhängige Leben mit seiner jungen Frau und konzentrierte sich in den folgenden Jahren auf die Fertigstellung seiner Aufzeichnungen zum Kataster. Jedoch starb Charlotte nur zwei Jahre später an der Schwindsucht. Erst nach einiger Zeit erholte Benzenberg sich von seinem Verlust und wandte sich wieder den Naturwissenschaften zu, etwa der Entwicklung neuer und verbesserter Instrumente zur Zeitbestimmung, der Messung verschiedener Höhenlagen im Siebengebirge, des barometrischen Drucks und der Schallgeschwindigkeit. Im Dachgeschoß seines Hauses in Düsseldorf richtete er eine private Sternwarte ein, ausgestattet mit den neuesten und teuersten Instrumenten. Auf einer Reise in die Schweiz unternahm er weitere Höhenmessungen und besuchte die besten Instrumentenbauer im südlichen Deutschland.
Ende 1811 kaufte er mit dem Onkel seiner Frau, Johann Jakob Platzhoff (1769–1843), das ehemalige Kreuzherrenkloster in Brüggen für 6.000 Francs, um die Gebäude zur Entwicklung einer Zuckerfabrik nutzen. Diese Pläne scheiterten mit dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft. Benzenberg schwebte auch die Errichtung einer größeren Sternwarte vor. Seit 1814 lebte er für einige Jahre auf dem Gut, um sich neben weiteren Experimenten zu Schallgeschwindigkeit und Theorie der Gase mehr und mehr seinem wachsenden Interesse an wirtschaftlichen und politischen Fragen zu widmen.
Er wurde Korrespondent des Rheinischen Merkurs, lebte für zwei Jahre in Paris und berichtete von dort über die politischen Verhältnisse und Wandlungen im post-napoleonischen Frankreich. Die Zeiten hatten sich geändert, das Napoleonische Reich war verschwunden, teilweise zu Benzenbergs Bedauern. Er beobachtete das Bestreben der siegreichen Fürsten, die liberalen Entwicklungen und Gesetzgebungen der napoleonischen Zeit zurückzuschrauben und hoffte auf eine bessere, bürgerlich-liberale Zukunft statt der sich abzeichnenden Restauration. Benzenberg begrüßte sogar die Rückkehr Napoleons von Elba, da dessen aufgeklärter Verwaltungsstaat ihm besser erschien als restaurative Fürstenherrschaft. Nach Napoleons endgültiger Verbannung entfaltete er eine intensive Publikationstätigkeit, die von politischen und wirtschaftlichen Sorgen getrieben war. Er forderte eine Verfassung, wie sie der preußische König Friedrich Wilhelm III. (Regentschaft 1797-1840) versprochen hatte und auf den er große Reformhoffnungen setzte. Zwischen 1816 und 1820 legte er zahlreiche und umfangreiche Schriften zum Verfassungs-, Finanz- und Steuerwesen in verschiedenen deutschen Staaten vor, insbesondere im nun preußischen Rheinland. Dazu gehörte auch seine Kritik am preußischen Geldhaushalt und Finanzsystem. Seine Zeitungsberichte zu Handel und Wandel gab er 1819 als Buch heraus. Darin vermischen sich naives Zurückblicken auf das freie Ackerbauerntum im Germanien des Tacitus und den Aufgaben der mittelalterlichen Reichsritterschaft unter starkem Königtum mit fast sozialistischen Vorstellungen zur Aufhebung der Fabrikarbeit. Ein Jahrhundert später wurde er als Vorkämpfer eines unabhängigen rheinischen Liberalismus begriffen, aber seine Vorstellungen waren wohl mehr eine Mixtur romantischer Ideen mit wirtschafts- und steuerpolitisch liberalen Hoffnungen. Benzenberg knüpfte Kontakte in Berlin und zu rheinischen Politikern. In diesen Jahren musste sein Interesse an der Naturwissenschaft hinter den politischen und finanziellen Nöten Preußens und des Rheinlands zurückstehen. Seine Kritiken und Vorschläge wurden in Berlin nicht immer freundlich aufgenommen: Benzenberg geriet mehr und mehr in die Rolle eines nörgelnden Außenseiters.
Trotz seiner intensiven publizistischen Tätigkeit experimentierte Benzenberg weiter. Er untersuchte die Ausdehnung verschiedener Metalle unter dem Einfluss von Wärme, seine Ergebnisse veröffentlichte er aber nicht, ganz im Gegensatz zu früheren Jahren. Im Februar 1824 unternahm er auf der Heide bei Brüggen ballistische Versuche, um die Bahn von Kugelgeschossen genau zu vermessen und den Luftwiderstand zu ermitteln. Dabei verletzte er sich durch einen unglücklichen Schuss an Bein und Hüfte: Sein Hüftknochen wurde geschädigt. Eine lange Genesungszeit folgte, aber der stets unstete Benzenberg schonte sich nicht und erlitt wohl deshalb einen Monat später einen Schlaganfall, der zu lebenslanger Behinderung führte.
Erst 1830 rückten wieder naturwissenschaftliche Fragen in den Vordergrund. Benzenberg veröffentlichte Arbeiten zur Dalton’schen Theorie, einem der großen Themen der Zeit. Seine Interpretation der Dalton’schen Gasgesetze wurde jedoch weitgehend zurückgewiesen. Die Naturwissenschaft hatte sich weiterentwickelt, aber Benzenberg kehrte zum Thema seiner Jugend zurück, den Sternschnuppen. 1834 und nochmal 1839 veröffentlichte er Schriften, in denen er erneut seine Ideen zu Herkunft und Physik der Sternschnuppen zusammenfasste und wieder den Gedanken vom Mondgestein vorbrachte. Obwohl Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) selbst im Faust II dieser Idee eine Zeile gewidmet hatte (Zeilen 7925 ff., 7938/7939), galt diese Interpretation inzwischen als überholt, Carl Friedrich Gauß (1777-1855) wie auch Olbers wandten sich dagegen und vertraten die These vom kosmischen Ursprung der Sternschnuppen.
Diese Opposition früherer Freunde verbitterte Benzenberg und motivierte ihn, sich endlich seinen Traum einer eigenen professionellen Sternwarte zu erfüllen, die er in Düsseldorf-Bilk bauen ließ. Er rüstete sie mit den wichtigsten Instrumenten und Geräten aus, die er zum Beobachten von Sternschnuppen und Aufsuchen kleiner Planeten für erforderlich hielt. 1845 zog er selbst nach Bilk in seine Sternwarte. Im April 1846 setzte Benzenberg ein neues Testament auf mit der Stadt Düsseldorf als Alleinerbin seiner Sternwarte und stiftete 7.300 Taler zum deren Unterhalt und für das Gehalt eines hauptamtlichen Astronomen. Mitten im Aufbau dieses letzten Werks starb Johann Friedrich Benzenberg am 7.6.1846 in Düsseldorf-Bilk. Die Sternwarte blieb bis 1937 in Betrieb, jedoch wurde das Gebäude 1943 durch eine Bombe zerstört.
Schriften
Ueber die Bestimmung der geographischen Länge durch Sternschnuppen, Hamburg 1802.
Nachricht von Versuchen, welche im Hamburger St. Michaelisthurme über den Fall der Körper zum Beweise der Achsenumdrehung der Erde, im Grossen angestellt werden, in: Annalen der Physik 11 (1802), S. 169-174.
Versuche über die Umdrehung der Erde, Dortmund 1804. Briefe. Geschrieben auf einer Reise nach Paris im Jahre 1804, 2 Bände, Dortmund 1805, 1806.
Höhenmessungen im Siebengebirge, in: Annalen der Physik 35 (1810), S. 187-205. Anfangsgründe der Rechenkunst und Geometrie für Landschulen, Düsseldorf 1810.
Versuche über die Geschwindigkeit des Schalls, in: Annalen der Physik 35 (1810), S. 383-406.
Beschreibung eines einfachen Reisebarometers, Düsseldorf 1811.
Briefe geschrieben auf einer Reise durch die Schweiz im Jahre 1810, Düsseldorf, 1811, 1812.
Ueber den Einfluß der Dalton’schen Theorie auf die Lehre von der Geschwindigkeit des Schalls, vom Höhenmessen mit dem Barometer, von der Eudiometrie und von der Strahlenbrechung, in: Annalen der Physik 42 (1812), S. 155-196.
Die höhere Rechenkunst und ebene und sphärische Trigonometrie. Düsseldorf, Schreiner, 1813.
Über das Cataster, 2 Bände, Bonn 1818, 1824.
Über Provinzial-Verfassung mit besonderer Rücksicht auf die vier Länder: Jülich, Cleve, Berg und Mark, Hamm 1819.
Ueber Handel und Gewerbe, Steuern und Zölle, Elberfeld 1819.
Über Preußens Geldhaushalt und Neues Steuersystem, 1820.
Friedrich Wilhelm der Dritte, Leipzig 1821.
Die Sternschnuppen sind Steine aus den Mondvulkanen, Bonn 1834.
Die Sternschnuppen, Hamburg 1839.
Literatur
Baum, Dajana, Johann Friedrich Benzenberg (1777-1846), Düsseldorf 2008. Benzenberg, Heinrich, Das allerleichtest und einzige Mittel die Protestanten zu vereinigen, Germanien [Elberfeld] 1802.
Benzenberg, Heinrich, Biblische Entdeckungen. Bemerkungen und Ansichten, Elberfeld 1803.
Heyderhoff, Julius, Johann Friedrich Benzenberg, der erste rheinische Liberale, Düsseldorf 1909.
Lange, Wolfgang, Benzenberg in Düsseldorf, in: Wolfschmidt, Gudrun (Hg.), Astronomisches Mäzenatentum, Hamburg 2008, S. 52-61.
Perrey, Gudrun, Das Leben der Caroline Rudolphi, Schriftstellerin, Zeitgenossin. Heidelberg 2010.
Wiescher, Michael, Johann Friedrich Benzenberg als Naturforscher zwischen Revolution und Restauration, in: Düsseldorfer Jahrbuch 89 (2019), S. 9-65.

Plan der Sternwarte in Düsseldorf-Bilk. (Teilnachlass Benzenberg, Bestand der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Signatur. slg/50/dok/15)
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Wiescher, Michael, Johann Friedrich Benzenberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-friedrich-benzenberg/DE-2086/lido/63ca74e5533eb9.83637233 (abgerufen am 19.02.2025)
Veröffentlicht am 20.01.2023, zuletzt geändert am 19.07.2023