Zu den Kapiteln
Johann Friedrich Deinhard gilt als Wirtschaftspionier und umsichtiger Unternehmer, der mit seinem Weinhandelsgeschäft in Koblenz den Grundstein für das heute weltbekannte Sekt- und Weinhandelsunternehmen Deinhard gelegt und so dazu beigetragen hat, dass sich die Stadt zu einem Zentrum des Weinhandels in Deutschland entwickeln konnte.
Geboren wurde er als Johann Friedrich Wilhelm Deinhard am 13.9.1772 in Wollenberg (heute Bad Rappenau-Wollenberg) bei Heilbronn und wuchs in bürgerlichen, wohlsituierten Verhältnissen auf. Er war das 14. von 15 Kindern, von denen die meisten im frühen Kindesalter starben. Sein Vater Johann Michael Deinhard (gestorben 1794) verwaltete den Weinbergbesitz des Freiherrn von Gemmingen-Guttenberg, handelte mit eigenem Wein und betrieb zusammen mit seiner Frau, einer Tochter des bisherigen Freiherrlich von Gemmingschen Hauptverwalters und Löwenwirts Hermann dessen Gasthof.
Nachdem er bereits von Jugend an durch seinen Vater mit dem Weinbau vertraut war, erlernte der junge Johann Friedrich in Worms bei einem Großhändler den Beruf des Kaufmanns. Am 1.5.1794 eröffnete der 22-Jährige in Koblenz, wo bereits ein Vetter seit längerem lebte und arbeitete, ein Einzelhandelsgeschäft für Lebensmittel in Verbindung mit einem Kommissionshandel für Wein. Beide gehörten der evangelischen Konfession an und profitierten vom Toleranzedikt von 1783, mit dem Erzbischof und Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Sachsen vermögenden und als Kaufleute oder Fabrikanten tätigen Protestanten erlaubt hatte, sich im Kurfürstentum Trier niederzulassen. Seit August 1789 lebten außerdem rund 3.000 französische Emigranten aus dem revolutionären Frankreich in der kurtrierischen Residenzstadt, die etwa 6.200 Einwohner zählte, und sorgten für einen vorübergehend wirtschaftlichen Aufschwung.
Wenige Monate später, am 23.10.1794, brachten die französischen Revolutionstruppen mit ihren Forderungen an Requisitionen und Kontributionen Verarmung und Verelendung über die Koblenzer Bevölkerung. Deinhard tätigte nun Geschäfte aller Art, um sich am Leben zu erhalten. Zwischen 1796 und 1798 arbeitete er für das Bankhaus der Gebrüder Heinrich (1758–1838) und Johann Theodor (1761–1837) Mühlens in der Gemüsegasse und baute Verbindungen zu allen wichtigen Bankhäusern in Köln, Frankfurt und Paris auf. Das bewog ihn, als weiteren Geschäftszweig ein eigenes Wechselgeschäft aufzubauen. Die Kombination von Einzel- und Kommissionshandel mit angeschlossenem Bankgeschäft entsprach der damaligen Praxis.
Seit 1796 arbeitete J. F. Deinhard wohl auch im Kontor des Kaufmanns Johann Nikolaus Nebel (1752–1829), der mit Wein, englischen Tuchen und Fayencen handelte und daneben eine Puderfabrik betrieb. Mit ihm gründete er 1799 ein „Früchtegeschäft“, das sich vorwiegend dem Getreidehandel widmete. Im März 1801 heiratete er Nebels Tochter Barbara Ludovika Nebel (1778–1824). Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor. Damit war Deinhard der Schwiegersohn eines der höchst besteuerten Bürger in Koblenz, der 1804-1808 auch als Maire amtierte. Es spricht für Deinhards unternehmerischen Pioniergeist und für seine umsichtige Geschäftsführung, dass er in diesen Jahren, in denen in und um Koblenz noch militärische Auseinandersetzungen stattfanden und zu einem wirtschaftlichen Niedergang der Stadt führten, sich zu behaupten wusste.
In den Jahren 1801/1802 versuchte er zudem, zusammen mit einem Kompagnon in Worms erfolglos eine weitere Weinhandlung zu betreiben. Wieder zurück in Koblenz mietete das junge Paar das Haus des ehemaligen kurtrierischen Geheimrats Karl Kaspar von Cohausen (1741–1806) in der Löhrstraße 636, wo es seine Wohnung und die Geschäftsräume für das nunmehr mit einem Teilhaber gemeinsam geführte „Wein-, Wechsel- und Kommissionsgeschäft“ einrichtete.
Inzwischen gehörte das linke Rheinufer infolge des Friedens von Lunéville im Februar 1801 zum französischen Staatsgebiet. Deinhard verstärkte nun seine Handelsbeziehungen nach Frankreich und in die Niederlande. Zusätzlich benötigtes Kapital verschaffte er sich durch Beteiligungen anderer Handelsfirmen. 1807 schlossen sich die Weinhandlung von Karl Anton Tesche (1778–1848) und Deinhards Wein-, Wechsel- und Kommissionsgeschäft unter dem Namen Deinhard & Tesche zusammen. Die neue Firma handelte mit Wein, Getreide, Lebensmitteln, Wolle und anderen Produkten. Finanziell waren beide Teilhaber auch an der Gerberei und Lederfabrik von Thilman Josef Nebel (1779 oder 1780-1819), einem Schwager Deinhards, die in einem Teil der ehemaligen Abtei St. Thomas bei Andernach eingerichtet war, beteiligt.
Tesche, ursprünglich in Köln im Tabakhandel tätig, hatte 1804 eine Weinhandlung in Koblenz eröffnet und eine Schwester der Ehefrau Thilman Josef Nebels geheiratet. Ab 1830 experimentierte er mit moussierendem Wein und machte sich 1834 mit eigener Sektherstellung selbständig. Er war der erste Präsident der am 20.5.1834 eröffneten Koblenzer Handelskammer.
Die Fa. Deinhard & Tesche gründete alsbald nach der Assoziierung im rechtsrheinischen Ehrenbreitstein, das zum Fürstentum Nassau-Weilburg gehörte, eine Niederlassung, um den Handel mit den deutschen Staaten und den Transport des Weines aus den rechtsrheinischen Gebieten zu erleichtern. Mittels eigener Reisevertreter konnte sie das Absatzgebiet schließlich auch auf Norddeutschland, an den Niederrhein und nach Westfalen ausdehnen.
Von nun an nahm die Firma einen enormen Aufschwung. Man handelte mit Spitzenweinen aus den heutigen Weinbaugebieten Ahr, Mittelrhein, Mosel-Saar-Ruwer, Rheingau, Nahe und Rheinhessen. Vor allem das Jahr 1811 bescherte eine ganz außergewöhnliche Weinqualität. Dieser „Kometenwein“, wie Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) ihn bezeichnete, ließ den Wert des eigenen Weinlagers auf 84.000 Taler (1816: 136.000 Taler) steigen.
1812 trat mit Johann Friedrich Wencelius (gestorben 1830), einem ehemaligen Tabakhändler aus Köln und mit Deinhard aus frühen Wormser Tagen bekannt, ein weiterer Teilhaber mit einem größeren Kapitalanteil in die Firma ein. Das Handelshaus Deinhard & Tesche nahm nun eine Spitzenstellung in Koblenz ein und besaß eine der größten Weinkellereien am Rhein. Die moderne Kellereiwirtschaft verdrängte zunehmend den traditionellen Kommissionshandel und gewährleistete, dass den Kunden über einen längeren Zeitraum Weine gleicher Qualität angeboten werden konnten.
Deinhard galt als ein Mann der Bildung und als ausgezeichneter und ambitionierter Kaufmann. 1811 wurde er zum Munizipalrat berufen. Dem Stadtrat gehörte er auch noch in preußischer Zeit an. Ein Jahr zuvor war er zum Richter am Koblenzer Handelsgericht, das am 15.5.1810 gegründet worden war, gewählt worden. Auch zählte die von französischen Offizieren gegründete Freimaurerloge „ L'Union désirée“ ihn zu ihren Brüdern. Daneben war er Mitglied der 1808 gegründeten „Casinogesellschaft“, einem exklusiven Honoratiorenverein, der sich unter dem Motto „Freiheit, Urbanität und Eintracht“ der Geselligkeit und der gebildeten Unterhaltung verschrieben hatte. Schließlich wirkte er noch als Mitglied des Kirchenvorstands aktiv in der seit 1803 formierten evangelischen Gemeinde mit.
Als im Januar 1814 die verbündeten Mächte Russland, Österreich und Preußen die französische Herrschaft am Rhein beendeten, fungierte Deinhard vorübergehend als preußischer „Kreisempfänger“, der die Steuer einnahm, mit der den durchziehenden Truppen der Alliierten der Sold finanziert wurde. Außerdem erhielt seine Firma Lieferverträge für die Truppenverpflegung.
Anfang 1815 verlegte Deinhard sein Domizil und den Sitz seiner Firma in die Neustadt Nr. 1006, an den Clemensplatz (heute Deinhardplatz), wo er ein repräsentatives Haus neben dem Theater und in unmittelbarer Nähe des Schlosses bezog, dem heutigen Stammhaus Deinhard.
Koblenz wurde, nachdem Preußen 1815 vom nördlichen Teil der linksrheinischen Gebiete Besitz ergriffen hatte, Sitz eines Oberpräsidenten für das ab 1830 Rheinprovinz genannte Gebiet. Angesichts seines Ansehens und seiner beruflichen Erfolge wurde Deinhard von der preußischen Regierung als kompetenter Berater in Fragen des Weinbaus und seiner Besteuerung herangezogen. Er war ein Vertreter des Liberalismus und von den Ideen des freiheitlich gesinnten Bürgertums, wie es sich in Frankreich und am Rhein gebildet hatte, geprägt. So gehörte er auch zu der Deputation, die 1818 die von Joseph Görres verfasste „Adresse der Stadt Coblenz und der Landschaft an Seine Majestät den König“ (von Preußen), die mit über 5.000 Unterschriften die Wünsche der Bevölkerung in Fragen der zukünftigen Verfassung und Verwaltung enthielt, in Engers dem Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822) überreichte.
Ab 1824 dehnte das Unternehmen Deinhard & Tesche seine Exporte nach England aus. Der Rheintourismus hatte die Engländer mit dem Rhein- und Moselwein bekannt gemacht. Ein neuer Mitarbeiter, Anton Jordan (1804-1890), baute das Englandgeschäft erfolgreich auf und heiratete Deinhards jüngste Tochter Luise (Louise). Jordan legte 1826 die Grundlage für den Einstieg in das Champagnergeschäft durch Kontakte zur Firma „Ruinart Père et Fils“, der ältesten französischen Champagnerkellerei, die 1828 eine Verkaufsniederlassung bei Deinhard & Tesche einrichtete und Tesche bei seinen Versuchen zur Sektherstellung unterstützte.
Die Exportgeschäfte mit England führten die Firma Deinhard & Tesche allmählich aus einer finanziellen Krise, die auch eine Folge hoher Außenstände am Ende der französischen Zeit gewesen war. Diese Krise war 1827, als Deinhard am 23. Oktober nach längerer Krankheit starb, noch nicht gänzlich überwunden. Zu diesem Zeitpunkt bestanden mehrere Unternehmen nebeneinander; das Weinhandelsgeschäft mit dem aussichtsreichen Export nach England und in die britischen Überseegebiete, das Bankgeschäft, die finanzielle Beteiligung an der Lederfabrik St. Thomas und das lukrative Lieferungsgeschäft mit dem preußischen Militär. So war das Unternehmen Deinhard & Tesche auf einer breiten Basis aufgestellt, als die drei Söhne J. F. Deinhards in die Firma eintraten. August (1806-1865), der Älteste, übernahm als Teilhaber zusammen mit Tesche die Geschäftsführung, Carl (1809-1850) ging nach England und übernahm 1835 von Jordan die Leitung der Londoner Niederlassung und Friedrich (1812-1871), der jüngste der Brüder, erhielt das Niederlandegeschäft, das er bis 1844 betrieb. Nach dem Ausscheiden Tesches 1834 trat Jordan als Teilhaber ein. 1843 begann die Firma Deinhard & Jordan mit der eigenen Sektherstellung.
Literatur
Bär, Max, Geschichte der Stadt Koblenz 1814-1914, Koblenz 1922.
Prößler, Helmut, 200 Jahre Deinhard 1794-1994. Die Geschichte des Hauses Deinhard von den Anfängen bis zur Gegenwart, Koblenz 1994.
Prößler, Helmut, Johann Friedrich Deinhard (1772-1827) und seine unternehmerischen Aktivitäten. Zur Geschichte einer Koblenzer Kaufmannsdynastie, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 39 (1994), S. 244-265.
Prößler, Helmut, Die kaufmännischen Unternehmen von Johann Friedrich Deinhard und seiner Verwandtschaft, in: Landeskundliche Vierteljahresblätter 31 (1985), S. 5-9.
Prößler, Helmut, Der Weinhändler Johann Friedrich Deinhard (1772-1827), in: Das Weinbaugebiet Mittelrhein in Geschichte und Gegenwart, Koblenz 1979, S. 60–77.
Prößler, Helmut/Berthold Prößler, Wein und Sekt in Koblenz, 1. Teil: Die Frühgeschichte des Hauses Deinhard & Co (1794–1834) und die Entstehung der Wein- und Sektmetropole Koblenz, 1992.
Schütz, Wolfgang, Koblenzer Köpfe. Personen der Stadtgeschichte, Namensgeber für Straßen und Plätze, Mülheim-Kärlich 2005, S. 123-124.
Treue, Wilhelm, Deinhard – Erbe und Auftrag, Koblenz 1974.
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Kramer, Brigitte, Johann Friedrich Deinhard, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-friedrich-deinhard-/DE-2086/lido/57c692ab2ed323.30758285 (abgerufen am 19.02.2025)
Veröffentlicht am 31.08.2016, zuletzt geändert am 21.12.2021