Zu den Kapiteln
Der Trierer Weihbischof Johann Nikolaus von Hontheim war als Historiker und Kirchenrechtler (mit dem Pseudonym Justinus Febronius) ein wichtiger Vertreter der katholischen Aufklärung.
Johann Nikolaus Hontheim wurde am 27.1.1701 in Trier geboren. Er entstammte alteingesessenen, angesehenen Familien: Sein Vater Carl Caspar von Hontheim (1659-1724) war Generaleinnehmer des Obererzstifts. Mehrfach bekleidete er das Amt des Trierer Bürgermeisters. Seine Mutter Anna Margarethe, geborene Anethan (1668-1748) war die Tochter eines Cochemer Amtskellers.
Johann Nikolaus erhielt mit zwölf Jahren die Anwartschaft auf ein Kanonikat des St. Simeonstifts in Trier, dem führende Beamte des Kurstaates angehörten. Er besuchte das Jesuitengymnasium, studierte Rechtswissenschaft und Theologie in Trier, Löwen und Leiden und wurde 1724 in seiner Heimatstadt zum Doktor beider Rechte promoviert. In Löwen war er Schüler des gallikanisch-jansenistischen Kanonisten Zeger Bernhard van Espen (1646-1728).
Von 1726 bis 1727 reiste Hontheim als Kanoniker des Simeonstifts wegen eines Rechtsstreits nach Rom. 1733 bis 1738 war er Professor des Römischen Rechts in Trier, 1738 Generalvikar und Offizial (geistlicher Richter) für das Untererzstift in Koblenz, 1748 Weihbischof in Trier, der Vertreter des nichtstudierten hochadligen Kurfürsten und Erzbischofs, und Generalvikar sowie Offizial für das Obererzstift. Hontheim vertrat den Metropoliten in der Trierer Kirchenprovinz mit den lothringischen Bistümern Metz, Toul und Verdun und war besonders für die „Terra gallica" sowie die deutschsprachigen Gebiete des Erzbistums in den österreichischen Niederlanden (Luxemburg) und Frankreich (Lothringen) zuständig. Außerdem wurde er zum Stiftsdekan von St. Simeon gewählt.
Nachdem der Jurist, zu dessen Domäne die Geschichtswissenschaft gehörte, seit 1728 umfangreiche Materialsammlungen angelegt hatte, erschien 1750 die „Historia Trevirensis diplomatica et pragmatica" in drei Bänden. Hontheim gruppierte den Stoff um 1.395 Urkunden und Aktenstücke, die er mit Annotationen versah. 1757 folgte der „Prodromus" (Vorläufer) für die Trierer Frühgeschichte. Die kritische Darstellung geht auf das Vorbild der Mauriner und Holländer zurück, konnte sich mit den anderen Historikern der Zeit ohne weiteres messen und ist heute noch zu benutzen.
An der Neuausgabe des Bistumsbreviers („Breviarium Trevirense") 1748 war Hontheim beteiligt. 1767 gab er das „Rituale Trevirense" heraus; der Entwurf eines Diözesanmessbuchs gelangte nicht zum Druck. Mit Sympathie beobachtete der Weihbischof die liturgischen Erneuerungsbestrebungen in der französischen Kirche, die auch die Bistümer Metz, Toul und Verdun erfasst hatten. Dabei sollten die Trierer Eigenheiten erhalten bleiben.
Der Weihbischof war als Stellvertreter des Kurfürsten auch Vizekanzler der Landesuniversität in Trier. Dabei unterstützte er den 1760 nach Trier geholten Kanonisten Professor Christoph Georg Neller (1709-1788) im Kampf gegen die seit 200 Jahren (1560) bestehende Vorherrschaft der Jesuiten, die die Philosophische und die Theologische Fakultäten in Händen hatten. Deren ursprünglich moderne Lehrtätigkeit widersprach zunehmend den Gedanken der Aufklärung. 1768 wurde ein umfassendes Reformprogramm für die Universität, die Gymnasien in Koblenz und Trier und die niederen Schulen im Kurstaat erlassen. Das gesamte Unterrichtswesen sollte im Sinne der Aufklärung stärker am Nutzen für den Staat orientiert werden.
1763 erschien unter dem (nach Hontheims Schwester und Nichte Febronia gewählten) Pseudonym „Justinus Febronius" das Aufsehen erregende Werk „De statu ecclesiae et legitima potestate Romani Pontificis" (Von der Verfassung der Kirche und der rechtmäßigen Gewalt des Römischen Papstes). Bereits im folgenden Jahr wurde das Buch von der römischen Kurie verurteilt (auf den Index gesetzt) und der Autor enttarnt. Viele Gedanken gehen auf den Würzburger Kanonisten Johann Kaspar Barthel (1697-1771) zurück; ganze Partien des „Febronius" stammen von Hontheims Freund Neller. Hontheim konnte umfassende kirchenrechtliche und historische Studien und seine Erfahrungen mit staatskirchlich orientierten Regierungen (Österreich und Frankreich) einbringen.
Wie in den ersten acht Jahrhunderten der Kirchengeschichte sollte der Primat des Papstes auf einen Ehrenvorrang beschränkt werden. Eine mit der Gerichtsbarkeit der Bischöfe konkurrierende Jurisdiktion stehe dem Papst nicht zu. Unfehlbar seien nur die Kirche und ein allgemeines Konzil. Der „Febronius" strebte keine deutsche Nationalkirche und kein Staatskirchentum an, wohl aber die Sicherung der erzbischöflichen und bischöflichen Rechte durch das Reich, den Staat. Durch die Berufung auf die frühe Kirche, Bibel und Kirchenväter, Abstellung der Missstände und die Beschränkung der päpstlichen Macht sollte das Werk zur Wiedervereinigung der Konfessionen beitragen, wobei Hontheim die theologischen Differenzen unterschätzte.
„De statu ecclesiae" erregte eine umfassende polemische und wissenschaftliche Diskussion. Neuauflagen und Fortsetzungen erschienen 1765 bis 1770. In Spanien und Portugal erlangte es die Bedeutung eines kirchlichen Gesetzbuches. Auf die große Politik wirkte „Febronius" durch die Koblenzer Gravamina von 1769. Vertreter der drei rheinischen Erzbischöfe forderten die Wiederherstellung der „alt-ursprünglichen" bischöflichen Rechte und die Stärkung der Rechte der Metropoliten. Die „Emser Punktation" von 1786 war ein Programm zur Reform der Reichskirche und eine Kampfansage gegen die päpstlichen Nuntiaturen. Ebenfalls nur ein Scheinsieg war, dass bei der Kaiserwahl Leopolds II. (Regierungszeit 1790-1792) 1790 die Jurisdiktion der Nuntien im Reich beschränkt werden sollte.
Auf anhaltenden Druck von Papst Pius VI. (Pontifikat 1775-1799), dem sich der Trierer Erzbischof Clemens Wenzeslaus von Sachsen anschloss, unterzeichnete Hontheim 1778 den Widerruf der Lehren von „De statu ecclesiae". Dies hat den frommen und pflichtbewussten Gelehrten, der sich für seine Kirche einsetzte, in schwere Gewissenskonflikte gestürzt. Während die Kurie feierlich den Sieg verkündete, nach der alten Auffassung, dass eine Irrlehre nicht durch Sachargumente widerlegt werden müsse, sondern am besten durch den Widerruf des Autors aus der Welt geschafft werden könne, meinte Hontheim, dass es auf ihn persönlich gar nicht mehr ankomme, nachdem die Lehren von der Welt gelesen und angenommen seien.
In dem 1781 veröffentlichten Kommentar zum Widerruf („Commentarius in suam retractationem") schwächte er diesen weitgehend ab. 1777 wurde Hontheim mit Jean Marie Cuchot d’Herbain (1727-1801) ein kurial gesinnter Gegner des „Febronius" an die Seite gestellt. Im folgenden Jahr gab er sein Kanonikat an St. Simeon und das Amt des Generalvikars ab und zog sich auf sein Schloss Montquintin im Luxemburgischen (heute Ruine bei Virton in Belgien) zurück.
Johann Nikolaus von Hontheim starb am 2.9.1790. Er wurde in seiner Stiftskirche St. Simeon beigesetzt und 1803, bei der Freilegung des römischen Stadttors Porta Nigra, nach St. Gervasius (dem heutigen Angela-Merici-Gymnasium) überführt. Die vom Weihbischof selbst verfasste Grabinschrift endet mit der Hoffnung, von den Auseinandersetzungen erlöst zu werden: „Tandem liber, tandem tutus, tandem aeternus" (endlich frei, endlich sicher, endlich in der Ewigkeit).
Die katholische Aufklärung bedeutete kein Lösen vom Dogma und von kirchlichen Traditionen. Episkopalismus, Unionsbestrebungen, Liturgiereform, Studienreform gab es auch vorher. Zusammen entstand aber trotz des Festhaltens an traditionellen Formen des Lebensstils, der Frömmigkeit und der Gelehrsamkeit etwas Neues. Durch die Französische Revolution 1789, die Romantik und die besonders nach 1830 wirksame Restauration wurden die von der Aufklärung bestimmten Reformbestrebungen unterdrückt. Die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes im Ersten Vatikanischen Konzil 1870 war eine Absage an alle episkopalistischen Traditionen.
Werke (Auswahl)
De statu ecclesiae et legitima potestate Romani Pontificis, Frankfurt am Main (fingiert: Bouillion) 1763.
Dissertatio juridica inauguralis de jurisprudentia naturali et summo imperio, Dissertationsschrift, Trier 1724.
Historia Trevirensis diplomatica et pragmatica, 3 Bände, Augsburg 1750 und: Prodromus Historiae Trevirensis diplomaticae und pragmaticae exhibens origines Trevericas, 2 Bände, Augsburg 1757.
Justinus Febronius abbreviatus et emendatus (1777), herausgegeben und eingeleitet von Ulrich L. Lehner, Nordhausen 2008.
Justini Febronii Commentarius in suam retractationem (1781), herausgegeben und eingeleitet von Ulrich L. Lehner, Nordhausen 2008.
Literatur
Bautz, Friedrich Wilhelm, Artikel "Hontheim, Johann Nikolaus von", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 2 (1990), Sp. 1040-1042.
Franz, Gunther (Hg.), Aufklärung und Tradition. Kurfürstentum und Stadt Trier im 18. Jahrhundert, Trier 1988.
Franz, Gunther, Johann Nikolaus von Hontheim (1701-1790). Weihbischof, Gelehrter, Vertreter der Aufklärung, in: Franz, Gunther (Hg.), Kaiser, Gelehrte, Revolutionäre. Persönlichkeiten und Dokumente aus 2000 Jahren europäischer Kulturgeschichte, Trier 2007, S. 155-161.
Pitzer, Volker, Justinus Febronius. Das Ringen eines katholischen Irenikers im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen 1976 .
Raab, Heribert, Johann Nikolaus von Hontheim (1701-1790), in: Rheinische Lebensbilder 5 (1973), S. 23-44.
Steinruck, Josef, Johann Nikolaus Hontheim. Ein Gelehrter im Spannungsfeld von Kirche und Staat, Zentralgewalt und partikularer Selbständigkeit, in: Trierer theologische Zeitschrift 100 (1991), S. 187-204.
Online
Raab, Heribert, "Hontheim, Johann Nikolaus von", in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 604-605.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Franz, Gunther, Johann Nikolaus von Hontheim, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-nikolaus-von-hontheim/DE-2086/lido/57c8337debfa45.45401302 (abgerufen am 06.12.2024)