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Johann Victor Bredt war Professor für Staats-, Verwaltungs-, Kirchen- und Völkerrecht in Marburg. 1911 wurde er in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt, und als intellektueller Kopf der Wirtschaftspartei wirkte er nach dem Ersten Weltkrieg als Abgeordneter im preußischen Landtag und seit 1924 im Reichstag. 1930 bekleidete er für acht Monate das Amt des Reichsjustizministers im Kabinett von Heinrich Brüning.
Johann Victor Bredt wurde am 2. März 1879 in Barmen (heute Wuppertal) geboren. Die Bredts, eine weit verzweigte Familie, gehörten zu den Honoratioren der Stadt, sie hatten Ratsmitglieder und sogar Bürgermeister gestellt. Bredts Vater Viktor Richard (1849-1881), Großkaufmann und Fabrikbesitzer, starb wenige Jahre nach der Geburt seines Sohnes, der als etwas kränkliches Einzelkind von der Mutter Henriette, geb. Koll, erzogen wurde. Nach dem Abitur 1897 begann Bredt ein Studium der Rechtswissenschaft, der Volkswirtschaft und der Geschichte in Tübingen. Fortgesetzt wurde es in Göttingen und abgeschlossen mit dem 1. Examen 1901 in Bonn. Seine in Leipzig eingereichte Dissertation „Die Gefahrtragung beim Werkvertrag nach Römischem und Bürgerlichem Gesetzbuch“, ein schmales Werk von 43 Seiten, wurde dort nur knapp akzeptiert, brachte ihm aber den Titel, auf den er Wert legte.
1904 fertigte der junge Rechtsreferendar eine zweite Dissertation über die Barmer Lohnindustrie an, die in Bonn sehr gut beurteilt wurde. Seine schriftliche Examensarbeit für die zweite Staatsprüfung behandelte ein damals vieldiskutiertes Thema: die Besteuerung des Wertzuwachses von Baugrundstücken, deren Wert durch staatliche oder kommunale Planungen erheblich gestiegen war. Bredt sprach sich, anders als der Großteil der öffentlichen Meinung und die Regierung, gegen eine separate Besteuerung aus. Der Wertzuwachs beruhe auf den normalen Regeln des Marktes von Angebot und Nachfrage; eine Sonderrolle des Faktors Grund und Boden sah Bredt nicht. Er publizierte seine Studie 1907 und erregte mit seinen dezidiert liberalen, volkswirtschaftlich umstrittenen Ansichten Aufsehen.
Der junge Mann strebte eine wissenschaftliche Karriere an einer Hochschule an. Deshalb trat er 1907 den Dienst im Landratsamt Marburg an, um dort die notwendige Habilitation zu verfassen. Seine Studie „Nationalökonomie des Bodens“ (1908) wurde aber in Heidelberg von dem Theologen und Sozialethiker Ernst Troeltsch (1865-1923) abgelehnt. Als Troeltsch im folgenden Jahr nach Berlin berufen wurde und Eberhard Gothein (1853-1923), Bredts Doktorvater aus Bonn, seine Stelle in Heidelberg einnahm, konnte Bredt sich dort mit der Arbeit „Die Polenfrage im Ruhrkohlengebiet“ (1908) für das Fach politische Ökonomie habilitieren. Es handelte sich um eine dürftige Publikation, die eigentlich nur die Leistungen der zahlreichen Polenvereine vorstellt.
Die Habilitation verpflichtete Bredt zu Lehrveranstaltungen an der Universität Heidelberg. Da er aber weiter in Marburg lebte, ließ er sich zunächst beurlauben, wohl auch insgeheim in der Hoffnung, nach Bonn oder an die Handelshochschule Köln berufen zu werden. Durch Zufall erfuhr er 1909 von der Möglichkeit, sich auch in Marburg weiter qualifizieren zu können. Noch im selben Jahr geschah dies mit einer Studie über die „Zonenenteignung“, die Enteignung der an eine Straße angrenzenden Flächen für den öffentlichen Verkehr. Im Wintersemester 1909 begann der neue Privatdozent mit Lehrveranstaltungen, schon 1910 wurde er zum außerordentlichen Professor für Staats-, Verwaltungs-, Völker- und Kirchenrecht an der Universität Marburg ernannt. Bredt blieb der Universität bis zu seinem Lebensende treu.
Bredts Weg in die Politik verlief wesentlich glatter. 1908 hatte er die Wiederwahl seines Landrates Max von Negelein (1852-1911) in das preußische Abgeordnetenhaus organisiert, und nach dessen Unfalltod gelang es ihm, dessen Nachfolge dort anzutreten. Bereits 1910 hatte Bredt Kontakt aufgenommen zur Freikonservativen Partei, einer Abspaltung der preußischen Konservativen. Er war in den Marburger Stadtrat gewählt worden und hatte sich dort für den Ausbau der Elektrifizierung in der Stadt eingesetzt. Im preußischen Abgeordnetenhaus (seit 1911) machte er sich einen Namen als guter Redner, dessen besonderes Interesse Haushalts-, Finanz- und Steuerfragen galt. 1912 scheiterte eine Kandidatur zum Reichstag. Seine politische Grundhaltung war ein Konservatismus, der traditionelle Herrschaftsstrukturen erhalten wollte, doch auch gegenüber liberalen Elementen offen blieb.
Den Kriegsbeginn 1914 erlebte Bredt ähnlich euphorisch wie fast alle seine Landsleute. Obwohl als wehruntauglich ausgemustert war er 1913 freiwillig in das Kaiserliche Automobil-Corps eingetreten. Dessen Mitglieder waren im Kriegsfall für Kurierfahrten hinter der Front vorgesehen, sie trugen eine Uniform und galten als Kombattanten.
Bredt nahm am deutschen Vormarsch in Belgien teil. Ende August 1914 wurde seine Einheit nach Ostpreußen verlegt. Am 14.September traf ihn dort ein Schuss ins Kinn, worauf er seinen aktiven Dienst an der Front beenden musste. Zeitlebens hatte er unter der Wunde zu leiden. Nach seiner Genesung arbeitete er in der Verwaltung der okkupierten russisch-polnischen Gebiete, wo er vor allem die Beschaffung von Nahrungsmitteln organisierte. Ernüchtert registrierte er die Konflikte zwischen Offizieren und zivilen Verwaltungsstellen, auch zwischen deutschen und österreichischen Militärs über die Aufteilung und mögliche Annexion eroberter Gebiete und schließlich immer wieder Fälle von Korruption. Im Laufe des Jahres 1917 wuchs seine Skepsis hinsichtlich eines deutschen Sieges, als er – eingesetzt für Vorträge vor Soldaten - die Stimmung in der Truppe und vor allem die innere Lage Österreich-Ungarns kennenlernte. Die Notwendigkeit von Reformen in Preußen, etwa die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts wurde ihm zusehends deutlicher. Im Mai 1918 stimmte er vergeblich mit wenigen anderen Konservativen gegen die Mehrheit seiner Partei für die Einführung eines für alle (männlichen) Wähler gleichen Wahlrechts in Preußen.
Die Revolution im November 1918 erlebte Bredt in Berlin. Sie fand nicht seine Unterstützung. Er nutzte aber das um sich greifende Chaos, um sich im Kultusministerium seine Ernennung zum Ordinarius ausfertigen zu lassen. An der Gründung der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) wirkte er mit und zog sich dann nach Marburg zurück. Abgeordneter der Weimarer Nationalversammlung war er nicht, beteiligte sich aber publizistisch an der Diskussion um eine neue Reichsverfassung. Bredts Verfassungsentwurf orientierte sich am amerikanischen Vorbild und vereinigte die Ämter des Kanzlers und des Präsidenten.
In Marburg wurde er wieder in den Stadtrat gewählt. Die DNVP verließ er, als diese sich nicht vom Putsch des ehemaligen ostpreußischen Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp (1858-1922) im März 1920 distanzierte. Dem neuen Staat gegenüber verharrte er trotzdem in kritischer Distanz. Lange hielt er eine Rückkehr der Hohenzollern für möglich.
Bredts politische Heimat in der Weimarer Republik wurde die Wirtschaftspartei, die 1920 aus der Vereinigung mittelständischer Interessenverbände der Handwerker, kleinen Kaufleute, Grund- und Hausbesitzer sowie Bauern entstanden war. Die Partei bekämpfte den Sozialismus, aber auch das Großkapital. Sie galt als „Interessenpartei“ und erhielt bei Wahlen zum Reichstag nur wenige Sitze, war aber nicht ohne Einfluss. Bredt wurde ihr intellektueller Kopf. Als „Chefideologe“ gab er ihr ein Programm, das über Handel, Gewerbe und Landwirtschaft hinausreichte und etwa eine „nationale Kulturpolitik“ propagierte. Die Partei fasste im kleinbürgerlich-konservativen Milieu Fuß, der Republik stand sie weitgehend ablehnend gegenüber.
1921 wurde Bredt in den preußischen Landtag gewählt. Dort galt sein besonderes Interesse der Kirchenpolitik. Der erste Band zum neuen evangelischen Kirchenrecht aus seiner Feder erschien im selben Jahr, zwei weitere Bände folgten. Die evangelischen Kirchen waren von der Revolution besonders betroffen, sie hatten das landesherrliche Kirchenregiment verloren und mussten sich neue Verfassungen geben. Aber auch die Problematik einer Entschädigung der deutschen Fürsten, die in der Revolution enteignet worden waren, beschäftigte ihn. Durch Aktenstudien konnte Bredt nachweisen, dass die Hohenzollern schon im 19. Jahrhundert Fideikommisse eingerichtet hatten, die von Staatsdomänen getrennt und dem Zugriff des Staates entzogen waren.
1924 errang Bredt ein Reichstagsmandat. Als Abgeordneter unterstützte er Stresemann und seine vermittelnde Außenpolitik. Überlegungen von Revanche, wie sie in konservativen Kreisen immer wieder entwickelt wurden, lehnte er ab. Wesentlichen Anteil nahm er an den Vorbereitungen zur Wahl Paul von Hindenburgs (1847-1934) zum Reichspräsidenten 1925. Aus seiner Mitarbeit im Untersuchungsausschuss zu den Ursachen des deutschen Zusammenbruchs 1918 resultierte eine Studie über den Reichstag im Ersten Weltkrieg und eine weitere über die belgische Neutralität, deren Verletzung während des Krieges er deutlich als Bruch des Völkerrechts bezeichnete.
Als nach dem Scheitern der „Großen Koalition“ unter Kanzler Hermann Müller (SPD, 1876-1931) im März 1930 Heinrich Brüning (Zentrum, 1885-1970) dessen Nachfolger wurde, bestand die Aussicht, dass dieser mehr Unterstützung bei den Konservativen finden würde. Unter diesen Umständen war die Wirtschaftspartei bereit, einen Vertreter ins Kabinett dieser Minderheitsregierung zu entsenden. Dafür kam nur Bredt in Frage, der vom 30. März bis zum 5. Dezember 1930 als Justizminister amtierte. In diesem Amt war er beteiligt an der redaktionellen Arbeit für alle Gesetze und Erlasse der Reichsregierung sowie für das Reichsgericht und das Patentwesen zuständig. Trotz des schmalen Arbeitsfelds war er in der Regierung einflussreich, begrüßte die Abhängigkeit des Kabinetts vom Reichspräsidenten und unterstützte die Sparpolitik Brünings. Dem Sog, der von den Erfolgen der NSDAP ausging, konnte er sich nicht entziehen. Nach den Wahlen vom September 1930 wollte er sogar die NSDAP an der Regierung beteiligen. Anders als bürgerliche Politiker wie zum Beispiel der ehemalige Reichskanzler und damalige Innenminister Josef Wirth (1879-1956) glaubte er, dass die NSDAP regierungsfähig sei und dass sie ihre zur Schau getragene Radikalität verlieren werde, wenn ihre führenden Leute einmal in verantwortungsvolle Ämter gewählt werden würden. Die zutiefst antidemokratische Programmatik und Haltung der Partei wurde von ihm verharmlost. Die von ihm erarbeitete Amnestie für sogenannte „Fememörder“, also politisch motivierte Straftäter wurde von der radikalen Linken wie der extremen Rechten begrüßt, aber von der SPD abgelehnt. Die erhoffte innere Befriedung erbrachte sie nicht.
Als die Wirtschaftspartei gegen seine Stimme die Unterstützung Brünings einstellte, weil dieser sich zur SPD öffnete, musste Bredt widerwillig zurücktreten. Eine Kandidatur für die Wahl des Oberbürgermeisters der 1929 neu gebildeten Stadt Wuppertal lehnte er ab, weil er keine Chance sah, gegen die heimischen Kandidaten, die Oberbürgermeister von Barmen und Elberfeld, bestehen zu können. In den Wahlen zum Reichstag 1932 errang er jeweils ein Mandat, doch seine Partei war schon in der Auflösung begriffen. Zu den Märzwahlen 1933 trat er nicht mehr an. Bredt zog sich aus der Politik zurück und widmete sich fortan seiner Professur und seinen historischen Interessen, die ihn vor der Zudringlichkeit des „Dritten Reiches“ bewahrten. Zu den historischen Arbeiten, die nach seinem Rückzug aus der Politik entstanden, gehören „Die Verfassung der reformierten Kirche in Cleve-Jülich-Berg-Mark", die „Studien zur Rechtsgeschichte von Barmen" und vor allem seine großen Wuppertaler Familiengeschichten – über die Familien Bredt, Siebel, Molineus und Greff.
In seinen Erinnerungen befürwortete Bredt die parlamentarische Demokratie mit klar definiertem Parteiensystem nach angloamerikanischem Muster. Die Weimarer Republik akzeptierte er mit Vorbehalten und wirkte in ihren Institutionen. Die Verantwortung für ihr Scheitern sah er bei ihren radikalen Rändern. Doch Bredt verkörpert die Schwäche der parlamentarischen Mitte: Er war nicht bereit, sich als Konservativer zur SPD hin zu öffnen. Im Grunde blieb er ein Monarchist, wie er selbst einmal bekannte. Bredt starb am 1. Dezember 1940.
Werke (Auswahl)
Zum weitaus größten Teil sind Bredts mehr als 370 Publikationen tagesaktuelle Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften.
Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen. Bd. 1: Die Grundlagen bis zum Jahre 1918, Berlin 1921; Bd. 2: Die Rechtslage nach 1918, Berlin 1922; Bd 3: Die neuen Kirchenverfassungen, Berlin 1927.
Der Geist der Deutschen Reichsverfassung, Berlin 1924.
Die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Preußischen Staat und dem Königshaus, Berlin 1925.
Der deutsche Reichstag im Weltkrieg. Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages 1919 bis 1926. 5. Reihe, Bd. 8, Berlin 1926.
Die belgische Neutralität und der Schlieffensche Feldzugsplan, Berlin 1929.
Geschichte der Familie Bredt, Münster 1934.
Die Verfassung der reformierten Kirche in Cleve-Jülich-Berg-Mark, Neukirchen 1938.
Literatur (Auswahl)
Erinnerungen und Dokumente von Joh. Victor Bredt 1914-1933, bearb. v. Martin Schumacher, Düsseldorf 1970.
Grosch, Martin, Konservative Politik zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Berlin 2014.
Goebel, Klaus, Johann Victor Bredt, in: Rheinische Lebensbilder 5 (1973), S. 243-257.
Wittmütz, Volkmar, Johann Victor Bredt und die mecklenburgische Verfassung, in: Geschichte im Wuppertal 32 (2023), S. 3-24.
Online
Johann Victor Bredt in der Datenbank Hessische Biografie [Online]
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Wittmütz, Volkmar, Johann Viktor Bredt, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-viktor-bredt-/DE-2086/lido/57c587e8de8fa1.71546663 (abgerufen am 05.12.2024)