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Johann Winter war Übersetzer antiker lateinischer und griechischer Schriften, Humanist, promovierter Arzt und Hochschulprofessor in Paris, wirkte als praktischer Arzt in Metz und Straßburg und verfasste bedeutende medizinische sowie geisteswissenschaftliche Schriften.
Johann Winter wurde als Sohn eines Schneidermeisters, wahrscheinlich in einer Seitengasse des Andernacher Markplatzes geboren. Über das Jahr seiner Geburt, 1487, 1497 oder 1505, waren sich die Biographen lange Zeit uneinig, jüngere Forschungen haben sich nun auf das Jahr 1505 festgelegt.
Nachdem der sprachbegabte Junge einige Jahre in seiner Heimatstadt die Lateinschule besucht hatte, verließ er wohl 1517 im Alter von zwölf Jahren Andernach und besuchte im niederländischen Utrecht die Schule der „Brüder vom gemeinsamen Leben", einer religiösen Laiengemeinschaft. Hier studierte er Latein und Griechisch. Finanziell ging es Winter in dieser Zeit sehr schlecht, er musste sich das Nötigste durch Betteln und Singen auf der Straße hinzu verdienen. Von Utrecht zog es ihn Anfang 1520 nach Mitteldeutschland. Unsicher ist, ob er sich, außer in Leipzig, auch in Marburg und Goslar aufgehalten hat. Zu Beginn des Jahres 1523 kehrte Winter in die Niederlande zurück, um an dem im Jahre 1517 gegründeten Dreisprachenkolleg in Löwen seine Kenntnisse der griechische Sprache zu vertiefen. In dieser Zeit lernte Winter auch einen der Gründer des Kollegs kennen, Erasmus von Rotterdam (1466/1469–1536), und blieb mit ihm fortan im Briefwechsel.
Wohl auf Drängen seines Freundes und Gönners Graf Antonius von der Marck (gestorben 1528), entschloss sich Johann Winter von den Geisteswissenschaften zum lukrativeren Medizinstudium zu wechseln. Dies geschah jedoch nicht ganz übergangslos, denn zunächst schrieb er sich 1525 in Paris für das Studium der Philologie ein, beschäftigte sich daneben aber schon mit Themen der Medizin und unterrichtete 1526 noch alte Sprachen in Lüttich.
In jener Übergangszeit (1527) veröffentlichte Winter sein erstes Werk, eine griechische Grammatik. Darin nennt sich der Autor erstmals Ioannes Guinterius Andernacus. Wie nicht wenige seiner Zeitgenossen hat Winter seinen Namen latinisiert und dabei das im Lateinischen unbekannte „W" durch "Gu" ersetzt. In frühen Schriften verwendet er auch den Namen Guintherus. Nach seinem Tode wird Winters Name, auch aufgrund von Fehlübersetzungen, ebenfalls mehrfach verändert (Gountherius, Gwynther, Günther). Er selbst nennt sich noch in einer französischen Fassung einer seiner Schriften: Jean Guinter. Eine französische Biographie aus dem Jahre 1765 ändert den Namen schließlich in J(ean) Gonthier de Andernach.
Ab 1527 studierte Winter Medizin an der Sorbonne. Nach Erlangung des Bakkalaureats legte er 1530 das Magisterexamen ab und promovierte schließlich im Oktober 1532. Bis 1528 erschienen in Paris drei Übersetzungen von Werken des berühmten Arztes Galenus von Pergamon (129/130-um 216), mit denen Winter Aufsehen unter Medizinern und Humanisten erregte. Noch immer galten die antiken medizinischen Schriften sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie als unumstößlich. Im Laufe der Jahrhunderte waren jedoch aufgrund vielfacher Kompilationen sowie aufgrund der Durchmischung mit Einflüssen der arabischen Medizin zahlreiche Fehler und Irrtümer in die medizinische Literatur eingegangen. Daher wurde zunehmend die Hinwendung zu den Urtexten der antiken Medizin gefordert. Johann Winter, der hervorragende Kenner antiker Sprachen und eifriger Student der Medizin erwarb mit seinen genauen Übersetzungen der Schriften des Galén (um 129-um 216), von denen er eine dem französischen König Franz I. (Regierungszeit 1515-1547) widmete, in Paris großes Ansehen. 1534 wurde er zum ordentlichen Professor und Lehrer für Heilkunde ernannt. Zu seinen berühmtesten Studenten gehörte Andreas Vesal oder Vesalius, (1514-1564), der bis 1535 für Winter das Sezieren der Leichen vornahm, während Winter, wie damals üblich, vom Katheder aus seinen Studenten die jeweiligen Erläuterungen vorlas. Vesalius fielen schon sehr bald die Widersprüche zwischen den ausschließlich an Tieren gewonnenen anatomischen Erkenntnissen Galéns und den anatomischen Gegebenheiten in den von ihm untersuchten Leichen auf. So kam es zwischen Winter, dem strengem Anhänger der galenschen Lehre und seinem Schüler immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten. Vesalius wurde 1537 in Padua Professor für Anatomie und veröffentlichte 1543 sein grundlegendes Werk über den Bau des menschlichen Körpers (Humani corporis fabrica), das ihn zum Begründer der modernen Anatomie machte.
Anfang 1535 heiratete Winter die verwitwete französische Adelige Isabella von Turpis (gestorben 1541), die einen Sohn mit in die Ehe brachte. Als sich 1538 die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in Paris zu einem Bürgerkrieg auszuweiten drohten, beschloss Winter, der dem Protestantismus zuneigte, mit seiner Familie in das damals noch relativ ruhige deutsche Metz zu ziehen, wo er schon bald als hervorragender Arzt geschätzt wurde. 1541 brach in Metz die Pest aus und Winter bekämpfte die Seuche als Pestarzt. Seiner Frau konnte er jedoch nicht helfen, sie starb im gleichen Jahr an der Krankheit. 1542 erschien sein erstes Buch über die Pest.
Im Jahre 1543 nahm Winter an einer Zusammenkunft führender Reformatoren in Bonn teil. Unter den Anwesenden waren auch Philipp Melanchthon (1497–1560) und sein langjähriger Freund Johann Sturm (1507-1589). Zurück in Metz wurden auch hier die religiösen Auseinandersetzungen zunehmend unerträglicher, weshalb Winter und seine zweite Frau Felicitas Frosch (gestorben 1562), die er 1543 geheiratet hatte, ihren Wohnsitz 1544 in die freie Reichsstadt Straßburg verlegten.
Hier eröffnete er wieder eine Arztpraxis. Daneben las er als Professor an dem 1538 gegründeten Gymnasium, dass unter der Leitung Johann Sturms stand, zunächst griechische Autoren und hielt ab 1551 auch medizinische Vorlesungen. Mit der Zeit ging aber die Zahl der Zuhörer soweit zurück, dass der Stadtrat Winters Lehrtätigkeit 1557 wieder aufhob. Als praktischer Arzt erwarb sich Winter schon nach kurzer Zeit einen derart guten Ruf, dass ihn der Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken (Regierungszeit 1532-1569) 1549 zu seinem Leibarzt machte.
Doch auch in Straßburg geriet Johann Winter wieder in konfessionelle Streitigkeiten, diesmal innerhalb des protestantischen Lagers. In seinen religiösen Ansichten stand er, wie seine Frau auch, den Lehren des Spiritualisten Kaspar von Schwenckfeld (1490-1561) nahe, der Kirchenbesuche verdammte und ein mehr innerliches Christentum predigte. Nicht nur, weil die lutherischen Geistlichen deshalb seiner 1562 verstorbenen Frau die Totenfeier verweigerten, sondern auch aufgrund von wiederholten Anfeindungen aus deren Reihen, dachte Winter bereits wieder darüber nach, seinen Wohnort zu verlassen, diesmal mit seiner dritten Frau Clara Höcklin von Bertringer, die er 1563 geheiratet hatte. Da brach auch in Straßburg die Pest aus. Als der Stadtrat ihn eindringlich bat zu bleiben und mit einigen anderen Ärzten eine Pestschrift zu verfassen, willigte Winter ein, worauf der Rat ihm eine ungehinderte Tätigkeit zusicherte.
Die Verbindung zu seiner Vaterstadt Andernach hat Johann Winter nie abgebrochen. 1572 besuchte er sie zum letzten Mal. Im September 1574 kehrte Winter schwer erkrankt von einer Reise zu einem Patienten nach Straßburg zurück. Er starb nur wenige Tage später, im 69. Lebensjahr, vermutlich an einer Lungenentzündung.
Johann Winter war, wie aus den Schriftquellen zu entnehmen ist, „ein Mann vielfältiger Gelehrsamkeit, treu und fromm, von freundlichem Charakter und liebenswürdiger Menschlichkeit". Er hinterließ der Nachwelt 15 Werke und 63, teils kommentierte Übersetzungen. Winter gilt als Entdecker der Funktion der Bauchspeicheldrüse und er beschrieb die Blutgefäße der Hand.
Werke (Auswahl)
Bericht/Regiment und Ordnung wie bei disen sterbenden leüffen/die Pestilentz und Pestilentzischen Fieber zuerkenn, wes sich in sollichen zeitten zu halten/auch wie man sich vor dieser kranckheit bewaren/und mit was Artzney dieselb zu curiern und heilen seie. Getruckt zu Strassburg durch Josiam Rihel, den 15. Januaru 1564.
Claudii Galeni Pergameni de elementis. Ex Hippocratis sententia Libri duo, Guinterio Ionanne Andernaco interprete. Parisiis, Apud Simoneum Colinaeum, 1528.
Institutionum Anatomicarum secundum Galeni sententiam, ad candidatos Medicinae, Libri quatuor per Ioannem Guinterium Andernacum Medicum. Parisiis Apud Simonaeum Colinaeum, 1536.
Syntaxis graeca nunc recens, et nata, et aedita, autore Guinterio Ioanne Andernaco. Lutetiae apud Aegidium Gormontium, Mense Aprili, Anno 1527.
Literatur
Schäfer, Klaus (Hg.), Johann Winter aus Andernach (Ioannes Guinterius Andernacus) 1505-1574. Ein Humanist und Mediziner des 16. Jahrhunderts, Ausstellungskatalog des Stadtmuseums Andernach, Andernach 1989.
Haberling, Wilhelm, Johann Winther von Andernach. Ein rheinischer Arzt und Lehrer der Heilkunde zu Paris, Metz und Straßburg (1505-1574), in: Klinische Wochenzeitschrift 11 (1932), S. 1616-1620.
Höveler, Johann Josef, Ioannes Guinterius Andernacus (Johann Günther von Andernach): in: Jahresbericht über das Progymnasium zu Andernach für das Schuljahr 1898-99, Andernach 1899, S. 3-21.
Mielke, Heinz-Peter, Dr. med. Johannes Winter von Andernach, sein religiöser Wandel und die kritische Medizin seiner Zeit. Vortrag zur 500. Wiederkehr seines Geburtsjahres am 16. September 2005, in: Andernacher Annalen 8 (2009/2010), S. 59-70.
Schaff, Georges, Jean Gonthier d’ Andernach (1497-1574) et la médicine de son temps: Médicine et Assistence en Alsace XVIème-Xxèm siècle XI, Strasbourg 1976.
Online
Johann-Winter-Museum Andernach (Website des Johann-Winter-Museum Heilkundemuseum e.V.). [Online]
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Heyl, Thilo, Johann Winter aus Andernach, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-winter-aus-andernach/DE-2086/lido/57c9322fddb358.42917366 (abgerufen am 10.10.2024)