Johanna Kinkel

Vorkämpferin der Frauenrechtsbewegung (1810-1858)

Björn Thomann (Suderburg)

Johanna Kinkel, Porträt, Gemälde. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

Jo­han­na Kin­kel, „ei­ne Frau von au­ßer­ge­wöhn­li­chen Geis­tes­ga­ben" (Carl Schurz), war ei­ne viel­sei­tig ta­len­tier­te Kom­po­nis­tin und Schrift­stel­le­rin des Vor­märz. Un­an­ge­passt und sich nicht in tra­di­tio­nel­le Ge­schlech­ter­rol­len fü­gend, avan­cier­te sie zu ei­ner en­er­gi­schen Kri­ti­ke­rin so­zia­ler und po­li­ti­scher Ver­hält­nis­se. Wäh­rend der Re­vo­lu­ti­on 1848/1849 be­tä­tig­te sie sich im La­ger der de­mo­kra­ti­schen Be­we­gung auch po­li­tisch und folg­te ih­rem Mann Gott­fried Kin­kel in die Emi­gra­ti­on nach Eng­land, wo sie 1858 starb.

Ma­ria Jo­han­na Kin­kel wur­de am 8.7.1810 als Toch­ter des Gym­na­si­al­leh­rers Pe­ter Mo­ckel und des­sen Ehe­frau Ma­ri­an­na Lamm in Bonn ge­bo­ren. Die El­tern er­kann­ten früh­zei­tig ih­re mu­si­ka­li­sche Be­ga­bung und lie­ßen sie durch den ehe­ma­li­gen Leh­rer Lud­wig van Beet­ho­vens, Franz An­ton Ries (1755-1846) un­ter­rich­ten. Ab 1829 lei­te­te sie ei­nen Ge­sang­ver­ein, ei­ne Funk­ti­on die bis da­hin aus­schlie­ß­lich von Män­nern aus­ge­übt wur­de.

Trotz ih­res aus­ge­präg­ten Stre­bens nach Un­ab­hän­gig­keit ließ sie sich am 13.10.1832 mit dem Köl­ner Buch- und Mu­si­ka­li­en­händ­ler Jo­hann Paul Ma­thieux ver­hei­ra­ten, der in ihr je­doch „eher Grau­en als Zu­nei­gung er­weck­te". Die Ehe schei­ter­te nach nur sechs Mo­na­ten. Jo­han­na kehr­te „ver­an­lasst durch Miss­hand­lun­gen ver­mit­telst aus­ge­such­ter Quä­le­rei­en" in das Haus ih­rer El­tern in Bonn zu­rück. Die Schei­dung, in die Ma­thieux nur wi­der­stre­bend und erst nach meh­re­ren Jah­ren ein­ge­wil­ligt hat­te, wur­de am 22.5.1840 voll­zo­gen.

Im Herbst 1836 sie­del­te Jo­han­na Kin­kel nach Ber­lin über, wo sie bis zum Früh­ling 1839 leb­te und sich un­ter der An­lei­tung des Kom­po­nis­ten Wil­helm Tau­bert (1811-1891) zur Kon­zert­pia­nis­tin aus­bil­den ließ. Nach der als „Ty­ran­nei" emp­fun­de­nen Ehe mit Jo­hann Ma­thieux ge­lang es ihr, sich ih­ren Le­bens­un­ter­halt nun selb­stän­dig durch das Er­tei­len von Mu­sik­un­ter­richt zu ver­die­nen. Sie fand Zu­gang zur Ber­li­ner Ge­sell­schaft, hielt en­ge Kon­tak­te zur Fa­mi­lie des Kom­po­nis­ten Fe­lix Men­delsohn-Bar­thol­dy (1809-1847), so­wie zur Schrift­stel­le­rin Bet­ti­na von Ar­nim (1785-1859), de­ren Kin­der sie mu­si­ka­lisch un­ter­rich­te­te. Auf li­te­ra­ri­schem Ge­biet galt ihr In­ter­es­se den Wer­ken li­be­ra­ler Au­to­ren so­wie den phi­lo­so­phi­schen Ab­hand­lun­gen Fried­rich He­gels (1770-1831).

Im An­schluss an ih­re Rück­kehr aus Ber­lin lern­te sie im Mai 1839 den Pri­vat­do­zen­ten für evan­ge­li­sche Theo­lo­gie Gott­fried Kin­kel ken­nen, der sie am 4.9.1840 bei ei­nem Schiffs­un­glück auf dem Rhein vor dem Er­trin­ken ret­te­te. Aus dem an­fäng­lich freund­schaft­li­chen Ver­hält­nis ent­wi­ckel­te sich ei­ne Lie­bes­be­zie­hung, die vor al­lem in den Au­gen der kon­ser­va­ti­ven bür­ger­li­chen Krei­se Bonns ei­nen Skan­dal dar­stell­te. Um Gott­fried Kin­kel in zwei­ter Ehe hei­ra­ten zu kön­nen, kon­ver­tier­te die ka­tho­li­sche und ge­schie­de­ne Jo­han­na im De­zem­ber 1842 zum Pro­tes­tan­tis­mus. Die Hoch­zeit fand schlie­ß­lich am 22.5.1843 in Bonn statt, aus der Ehe gin­gen vier Kin­der her­vor. Auch in Bonn wirk­te Jo­han­na Kin­kel wie­der als Kom­po­nis­tin und Di­ri­gen­tin und war dar­über hin­aus die trei­ben­de Kraft bei der Grün­dung des Mai­kä­fer­bun­des am 29.6.1840. Die­ser li­te­ra­ri­sche Zir­kel, des­sen Na­mens­ge­be­rin sie war, ent­wi­ckel­te sich un­ter ih­rer Lei­tung zu ei­nem Sam­mel­be­cken li­be­ra­ler Au­to­ren und Dich­ter des Vor­märz. Jo­han­na Kin­kel selbst avan­cier­te nicht nur mit ih­ren No­vel­len, son­dern auch mit ih­ren sa­ti­ri­schen Tex­ten, häu­fig im Bon­ner Dia­lekt ge­schrie­ben, zu ei­ner ge­fei­er­ten Schrift­stel­le­rin. Der Theo­lo­ge Wil­li­bald Bey­schlag (1823-1900) ur­teil­te: „Es war et­was Ge­nia­li­sches in ihr, was er (Gott­fried Kin­kel) nicht be­saß." Carl Schurz, ein en­ger Freund der Fa­mi­lie Kin­kel, schrieb in sei­nen Le­bens­er­in­ne­run­gen: „Frau Jo­han­na war durch­aus nicht schön. Ih­re mit­tel­gro­ße Fi­gur war breit und platt; die Zü­ge grob und oh­ne weib­li­chen Reiz. Da­zu ver­stand sie gar nicht, sich zu klei­den. Aber aus ih­ren stahl­blau­en Au­gen strahl­te ei­ne Glut, die auf Un­ge­wöhn­li­ches deu­te­te." Ne­ben ih­ren künst­le­ri­schen Ta­len­ten kenn­zeich­ne­ten Über­zeu­gungs­kraft, Wil­lens­stär­ke, vor al­lem aber der Mut, sich un­er­müd­lich über be­ste­hen­de Nor­men hin­weg­zu­set­zen, den Cha­rak­ter Jo­han­na Kin­kels.

Prä­gend wirk­te sie auch auf ih­ren Mann Gott­fried Kin­kel, der sich nicht zu­letzt un­ter ih­rem Ein­fluss vom über­zeug­ten Mon­ar­chis­ten zu ei­ner Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur der de­mo­kra­ti­schen Be­we­gung wan­del­te. Wäh­rend der Re­vo­lu­ti­on 1848/1849 un­ter­stütz­te Jo­han­na Kin­kel sei­ne po­li­ti­sche Ar­beit, agier­te je­doch zu­nächst im Hin­ter­grund. Erst als Gott­fried Kin­kel am 5.2.1849 in die zwei­te Kam­mer der preu­ßi­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung ge­wählt wur­de, trat sie sei­ne Nach­fol­ge als Chef­re­dak­teu­rin der „Neu­en Bon­ner Zei­tung" an. In ih­ren Ar­ti­keln und po­li­ti­schen Kampf­lie­dern rief sie zur Ver­wirk­li­chung so­zia­ler und po­li­ti­scher Re­for­men auf und for­der­te die Ver­tei­di­gung der Er­run­gen­schaf­ten der Re­vo­lu­ti­on. Ne­ben die­ser Tä­tig­keit ver­fass­te sie auch ei­ni­ge Ar­ti­kel für die von Karl Marx ge­lei­te­te Köl­ner „Neue Rhei­ni­sche Zei­tung", lehn­te aber ei­ne dau­er­haf­te Mit­ar­beit als Über­set­ze­rin ab.

Im Som­mer 1849 ge­riet Gott­fried Kin­kel wäh­rend des ba­di­schen Auf­stands in preu­ßi­sche Ge­fan­gen­schaft und wur­de zu le­bens­lan­ger Fes­tungs­haft ver­ur­teilt. Bei der Vor­be­rei­tung sei­ner Flucht aus dem Span­dau­er Ge­fäng­nis stell­te Jo­han­na Kin­kel ihr ho­hes or­ga­ni­sa­to­ri­sches Ge­schick un­ter Be­weis. Sie be­schaff­te die nö­ti­gen Gel­der, knüpf­te Kon­tak­te und schuf da­mit die Grund­la­ge für die spek­ta­ku­lä­re Be­frei­ung ih­res Man­nes durch Carl Schurz im No­vem­ber 1850.

1851 folg­te Jo­han­na Kin­kel ih­rem Mann ins Exil nach Lon­don, wo sie durch das Er­tei­len von Mu­sik­stun­den er­neut ma­ß­geb­lich zum Un­ter­halt der Fa­mi­lie bei­trug und ei­ne Kin­der­ge­sangs­schu­le er­öff­ne­te. Die von Exis­tenz­nö­ten und kör­per­li­chen An­stren­gun­gen ge­präg­ten Jah­re in Eng­land wirk­ten sich je­doch zu­se­hends be­las­tend auf ih­re Ge­sund­heit aus. Be­reits meh­re­re Jah­re ge­gen ei­ne schwe­re Bron­chi­tis an­kämp­fend, er­litt sie im De­zem­ber 1857 ei­nen ers­ten Herz­an­fall, von des­sen Fol­gen sie sich nur lang­sam er­hol­te.

Am 15.11.1858 folg­ten zwei wei­te­re In­fark­te. Un­ter nicht rest­los ge­klär­ten Um­stän­den starb Jo­han­na Kin­kel noch am glei­chen Tag bei ei­nem Sturz aus dem Fens­ter ih­res Schlaf­zim­mers. Sie wur­de auf dem Fried­hof Brook­wood in Wo­king be­gra­ben. Der Ly­ri­ker Fer­di­nand Frei­li­grath wür­dig­te sie in dem zehn­stro­phi­gen Ge­dicht „Nach Jo­han­na Kin­kels Be­gräb­nis", in wel­chem er auch ih­rer Ver­bun­den­heit zum Rhein­land Rech­nung trug:

„So ruh denn aus in Luft und Licht

und laß uns daß nicht kla­gen,

daß Dra­chen­fels und Oel­berg nicht

ob Dei­nem Hü­gel ra­gen!

Daß er nicht glänzt im Mor­gent­hau,

noch glüht im Abend­schei­ne,

wo durch Ge­länd und Wie­senau

die Sieg ent­rollt zum Rhei­ne!"

Literatur

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Ost­leit­ner, El­sa, Fan­ny Hen­sel, Jo­se­phi­ne Lang, Jo­han­na Kin­kel, in: Ver­ges­se­ne Kom­po­nis­tin­nen de­s Bie­der­mei­er, Tutzing 2000, S. 53-60.
Schmidt, Klaus, Ge­rech­tig­keit – das Brot des Vol­kes. Jo­han­na und Gott­fried Kin­kel. Ei­ne Bio­gra­phie, Stutt­gart 1996.
Schnel­ling-Rei­ni­cke, In­ge­borg, Jo­han­na Kin­kel (1810-1858), in: Schnel­ling-Rei­ni­cke, In­ge­borg / Da­scher, Ott­fried (Hg.), Pe­ti­tio­nen und Bar­ri­ka­den. Rhei­ni­sche Re­vo­lu­tio­nen 1848/49, Müns­ter i.W. 1998, S. 300-302.

Online

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Brandt-Schwar­ze, Ul­ri­ke (Be­arb.), Nach­lass Gott­fried und Jo­han­na Kin­kel: Find­buch (Um­fas­sen­de In­for­ma­ti­on auf der Home­page der Uni­ver­si­täts-und Lan­des­bi­blio­thek Bonn). [On­line
Klaus, Mo­ni­ca, Jo­han­na und Gott­fried Kin­kel (Bio­gra­phi­sche und bi­blio­gra­phi­sche In­for­ma­ti­on auf der Home­page des Stadt­mu­se­ums Bonn). [On­line]
Mau­ßer, Ot­to, Ar­ti­kel "Kin­kel, Gott­fried und Jo­han­na", in: All­ge­mei­ne Deut­sche Bio­gra­phie 55 (1899), S. 515-528. [On­line]
Nach­lass von Gott­fried und Jo­han­na Kin­kel in der Uni­ver­si­täts- und Lan­des­bi­blio­thek Bonn. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Thomann, Björn, Johanna Kinkel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johanna-kinkel/DE-2086/lido/57c934987ff192.03458343 (abgerufen am 06.12.2024)