Johanna Sebus

Lebensretterin (1791–1809)

Günter Voldenberg (Kleve)

Ausschnitt aus einer Illustration von Arno Grimm, um 1900.

Jo­han­na Se­bus aus dem nie­der­rhei­ni­schen Brie­nen (heu­te Stadt Kle­ve) ret­te­te bei der gro­ßen Flut­ka­ta­stro­phe im Ja­nu­ar 1809 zu­nächst ih­re Mut­ter und kam an­schlie­ßend bei dem Ver­such, wei­te­re Men­schen zu ret­ten, ums Le­ben. Li­te­ra­ri­schen Nach­ruhm be­scher­te ihr Jo­hann Wolf­gang von Goe­the (1749-1832) mit sei­ner Bal­la­de „Jo­han­na Se­bus", die wie­der­um auf Kom­po­nis­ten und Schrift­stel­ler an­re­gend wirk­te. 

Jo­han­na Se­bus wur­de am 28.12.1791 als sechs­tes Kind der Ehe­leu­te Ja­cob Se­bus (1748-1795) und He­le­na van Ben­tum (1753–1812) in Brie­nen ge­bo­ren. Be­reits mit drei Jah­ren ver­lor sie ih­ren Va­ter. Jo­han­na wuchs im Hau­se der Mut­ter in der Nä­he des Dei­ches auf. Als die Mut­ter er­krank­te, ver­sorg­te sie die­se und be­stritt den ge­mein­sa­men Le­bens­un­ter­halt als Dienst­magd und Ta­ge­löh­ne­rin. Ih­re Ge­schwis­ter hat­ten das Haus be­reits ver­las­sen und wa­ren in der nä­he­ren Um­ge­bung in An­stel­lung ge­gan­gen. 

Die Men­schen in der Nie­de­rung leb­ten seit Jahr­hun­der­ten mit dem jähr­lich wie­der­keh­ren­den Hoch­was­ser des Rheins. Be­droh­lich wur­de es im­mer wie­der dann, wenn das Hoch­was­ser Höchst­stän­de er­reich­te und zu­sätz­lich Eis­gang für ei­ne Stau­ung des Was­sers sorg­te. Die­se Si­tua­ti­on trat zu Be­ginn des Jah­res 1809 ein. Seit dem 10. Ja­nu­ar war das Hoch­was­ser au­ßer­ge­wöhn­lich ge­stie­gen. Tag und Nacht wur­den die Däm­me be­wacht und in­spi­ziert, Hilfs­ma­te­ri­al und Käh­ne her­bei­ge­schafft. Man war sich der be­droh­li­chen La­ge nur all­zu be­wusst - zu prä­sent wa­ren die Er­in­ne­run­gen an die gro­ßen Deich­brü­che und Über­schwem­mun­gen der Jah­re 1784 und 1789. Auch wa­ren die Schä­den aus der Über­schwem­mung des Jah­res 1800 noch nicht voll­stän­dig be­ho­ben. 

In der Frü­he des 13.1.1809 wur­den die Be­woh­ner von Brie­nen, Ward­hau­sen und Rin­dern aus dem Schlaf ge­ris­sen: Im Be­reich der Schleu­se war das Was­ser durch­ge­bro­chen und er­goss sich be­reits bis in die In­nen­stadt von Kle­ve. In kur­zer Zeit folg­ten drei wei­te­re Deich­brü­che in Brie­nen. Jo­han­na Se­bus trug ih­re kran­ke Mut­ter durch das stei­gen­de Was­ser auf si­che­ren Bo­den, kehr­te dann noch­mals zu ih­rer Nach­ba­rin Jo­han­na van Beek und de­ren Kin­der zu­rück. Als man sie da­von ab­brin­gen woll­te, soll sie ge­ant­wor­tet ha­ben, „Um Mensch­le­ben zu ret­ten, lässt sich schon et­was wa­gen!".Jo­han­na, die Nach­ba­rin und die Kin­der konn­ten sich zu­nächst noch auf ei­ne na­he ge­le­ge­ne Er­hö­hung ret­ten, dann brach der Deich un­mit­tel­bar hin­ter der Kir­che und ei­ne Flut­wel­le er­goss sich über das ge­sam­te Dorf. Jo­han­na, die Nach­ba­rin van Beek und die Kin­der ka­men in den Flu­ten um. Ret­tungs­ver­su­che blie­ben er­folg­los, die Ver­un­glück­ten tauch­ten nicht wie­der auf - zu stark war die Strö­mung. Die Strö­mung hat­te auch die Fun­da­men­te der klei­nen Kir­che von Brie­nen un­ter­spült, die schlie­ß­lich zu­sam­men­stürz­te und in den Flu­ten ver­sank. Ei­ni­ge Men­schen, die in der auf ei­ner leich­ten Er­hö­hung lie­gen­den Kir­che Schutz ge­sucht hat­ten, konn­ten ge­ret­tet wer­den. Bei dem fünf­ten Durch­bruch in un­mit­tel­ba­rer Nä­he der Kir­che ström­te das Was­ser je­doch in die ge­sam­te Nie­de­rung und be­grub al­les un­ter sich. Ins­ge­samt ka­men bei die­ser Flut­ka­ta­stro­phe 22 Men­schen ums Le­ben.

Die Lei­che von Jo­han­na Se­bus wur­de erst drei Mo­na­te spä­ter, am 10.4.1809, in ei­nem Gra­ben zwi­schen Rin­dern und der nörd­lich da­von lie­gen­den Müh­le ge­fun­den; sie wur­de auf dem Fried­hof von Rin­dern be­er­digt. Beim Bau ei­ner neu­en, grö­ße­ren Kir­che wur­de das Grab 1872 in die Kir­che in­te­griert. Ein Ge­denk­stein im Chor­raum er­in­nert an die Er­eig­nis­se von 1809. Au­ßer­dem wur­de 1912 an der Au­ßen­sei­te des Süd­cho­res ei­ne bron­ze­ne Ge­denk­ta­fel an­ge­bracht. 

Der sei­ner­zei­ti­ge Un­ter­prä­fekt in Kle­ve, Ba­ron Karl Lud­wig von Ke­ver­berg (1768–1841), hör­te von der Hel­den­tat der Jo­han­na Se­bus und pries sie in ei­nem Be­richt an sei­ne vor­ge­setz­te Be­hör­de. Er schloss mit der Bit­te, dass „ein ein­fa­ches und be­schei­de­nes Denk­mal der Nach­welt von der ho­hen Tat der Jo­han­na Se­bus kün­den" mö­ge. Die An­re­gung fiel bei der Re­gie­rung in Pa­ris auf frucht­ba­ren Bo­den, und der Ge­ne­ral­di­rek­tor des Mu­sée Na­po­lé­on, Do­mi­ni­que Vi­vant-De­non (1747-1825), wur­de mit dem Ent­wurf ei­nes Denk­mals für Jo­han­na Se­bus be­auf­tragt. Die Grund­stein­le­gung er­folg­te am 9.6.1811 durch den Nach­fol­ger des Ba­rons Ke­ver­berg als Un­ter­prä­fekt in Kle­ve, Ed­mond Ni­co­las Gruat. Das Denk­mal trägt auf der Vor­der­sei­te ei­ne In­schrift in fran­zö­si­scher Spra­che und ein Mar­mor-Me­dail­lon, das ei­ne auf dem Was­ser trei­ben­de Ro­se, ein­ge­fasst von zwölf Ster­nen, zeigt. 1953 wur­de auf der Rück­sei­te des Denk­mals die Über­set­zung in deut­scher Spra­che an­ge­bracht. 

Auch das Haus von Jo­han­nas Mut­ter wur­de im Auf­trag der fran­zö­si­schen Re­gie­rung auf Staats­kos­ten wie­der auf­ge­baut, was ei­ne Ge­denk­ta­fel in ei­nem na­he ge­le­ge­nen Re­stau­rant do­ku­men­tiert. Das Haus wur­de al­ler­dings erst 1812 fer­tig ge­stellt, als die Mut­ter schon nicht mehr leb­te; vie­le Jah­re wur­de es von Jo­han­nas Bru­der Rei­ner be­wohnt. 

Ne­ben sei­nem of­fi­zi­el­len Be­richt an die vor­ge­setz­te Be­hör­de schrieb Ke­ver­berg an, Chris­tia­ne von Ver­ne­joul (ge­bo­ren 1768), ei­ne Be­kann­te von Goe­the mit der Bit­te, sei­nen Be­richt dem Dich­ter wei­ter­zu­lei­ten. Frau von Ver­ne­joul leg­te Goe­the in ei­nem Brief die „aus­ge­zeich­ne­te Hand­lung ei­ner hie­si­gen Bäue­rin, bei Ge­le­gen­heit der fürch­ter­li­chen Über­schwem­mung, wel­che vor ei­ni­gen Wo­chen so viel Un­glück in Hol­land, und un­ße­rer Ge­gend an­ge­rich­tet" na­he. Sie füg­te Ke­ver­bergs Be­richt bei, der ihn noch mit wei­te­ren No­ti­zen zu der Hel­den­tat der Jo­han­na ver­se­hen hat­te, und bat Goe­the, „die rüh­ren­de That in ei­ner Bal­la­de [zu] ver­ewi­gen". Goe­the war von der Ge­schich­te an­ge­tan und schrieb am 11. und 12.5.1809 die Bal­la­de „Jo­han­na Se­bus". 

Ei­nen ers­ten Ent­wurf schick­te er an sei­nen Freund Carl Fried­rich Zel­ter (1758-1832) mit der Bit­te, die Bal­la­de zu ver­to­nen. Die­ser be­gann zwar un­ver­züg­lich mit der Ver­to­nung, stell­te sie aber erst An­fang 1810 fer­tig. Jo­hann Fried­rich Reichardt (1754–1814), der eben­falls zum Freun­des­kreis Goe­thes zähl­te, kom­po­nier­te ein Werk für Sing­stim­me und Pia­no­for­te, das 1811 ur­auf­ge­führt wur­de. Auch Franz Schu­bert (1797–1828) be­schäf­tig­te sich mit der Bal­la­de, be­en­de­te ei­ne be­gon­ne­ne Ar­beit aber im April 1821 un­voll­endet. 1887 ver­ton­te sie der Köl­ner Mu­sik­pro­fes­sor Her­mann Kip­per (1826–1910), und der Mu­si­ker und Ma­ler Bé­la La­jos (ge­bo­ren 1929) kom­po­nier­te ei­ne Oper für Jo­han­na Se­bus.

Zahl­rei­che wei­te­re Künst­ler the­ma­ti­sier­ten die Hel­den­tat der Jo­han­na Se­bus. So ent­stan­den, wie­der­um ba­sie­rend auf der Goe­the­schen Bal­la­de, zahl­rei­che Zeich­nun­gen und Bil­der, ein Thea­ter­stück und ein Ro­man. An­läss­lich des 175. To­des­ta­ges wur­de im Jahr 1984 ei­ne Jo­han­na-Se­bus-Me­dail­le ge­stif­tet, die an Per­so­nen oder In­sti­tu­tio­nen für „Hil­fe in der Not" ver­lie­hen wird. Ein Ro­sen­züch­ter aus Wein­heim in der Pfalz gab 1894 ei­ner Neu­züch­tung den Na­men „Jo­han­na Se­bus"; die Ro­se ging al­ler­dings im Lau­fe der Zeit ver­lo­ren. Zum 200. To­des­tag im Jahr 2009 wur­de ei­ne neue Ro­sen­züch­tung nach Jo­han­na Se­bus be­nannt. 

Literatur

Baum­gard, Ot­to, Jo­han­na Se­bus als Büh­nen­ge­stalt – Ein ver­ges­se­nes Thea­ter­stück von Ro­de­rich Be­ne­dix, Kle­ve, 1962.
Derk­sen, Jo­han­nes, Jo­han­na Se­bus. Die Hel­din vom Nie­der­rhein. Ein Ro­man, Frei­burg 1954.
Gah­lings, Karl, Jo­han­na Se­bus – Ei­ne ge­schicht­li­che-li­te­ra­ri­sche Be­leuch­tung, Kle­ve 1959.
Ven­ner, Ge­rard, Ke­ver­bergs Be­mü­hun­gen um die Er­in­ne­rung an Jo­han­na Se­bus, Kle­ve 2004.
Vol­den­berg, Gün­ter, Jo­han­na Se­bus 1809–2009, Kle­ve 2009.

 
Zitationshinweis

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Voldenberg, Günter, Johanna Sebus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johanna-sebus/DE-2086/lido/57c94dd107c014.41979406 (abgerufen am 07.12.2024)